Zarah
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« am: 12.September.2003, 17:36:46 » |
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Meine letzte Begegnung mit einem Drachen ist leider schon wieder viel zu lange her. Es war im Sommer 2002. Ich machte mit meinen Eltern Urlaub in Italien am Gardasee. Wir hatten für zwei Wochen ein Ferienhäuschen in Garda gemietet. Es war verdammt heiß und ich hatte mich schon geärgert, dass wir am Rande der Stadt wohnten. So weit weg vom See! Das Häuschen bestand nur aus einer Wohnstube, einem Schlafzimmer, der Küche und dem Bad. Ich wollte auf der Couch schlafen und überließ meinen Eltern das Schlafzimmer. Das hatte hauptsächlich den Grund, weil ich in fremden Betten nicht besonders gut schlafen konnte und oftmals nachts spazieren gehe. Um zur Haustür zu gelangen musste man durch das Wohnzimmer. Von meinen nächtlichen Ausflügen sollten meine Eltern nicht unbedingt erfahren und so war es leichter für mich. Die erste Nacht verlief wie immer. Durch die lange Fahrt und dem zeitigen Aufstehen fiel ich hundemüde ins Bett und schlief sofort bis zum nächsten Tag durch. Es war ein Sonntag und wir haben uns einiges in der Stadt angesehen und saßen am Abend zum Essen draußen. Gegen 23 Uhr verabschiedeten sich meine Eltern und gingen zu Bett. Ich sah noch etwas fern und blätterte in einem Buch. Die Nacht war schon weit fortgeschritten und ich konnte immer noch nicht schlafen. Also schlich ich mich nach draußen und lief querfeldein.
Ich sah mich umgeben von hohen zerklüfteten Bergen, hinter mir die wenigen Lichter der Stadt. Der Mond stand voll am Himmel und die Sterne leuchteten um die Wette. Keine Wolke war am Himmel. Doch plötzlich gewann der große Berg direkt vor meinen Augen an Höhe. Ich konnte es kaum glauben, auf dem Gipfel richtete sich ein Drache auf und stand nun in voller Größe. Er war riesig und schwarz wie die Nacht. Noch dunkler wie die Berge, die nicht vom Mondlicht angestrahlt wurden. Die Flügel hatte er angelegt und schaute sich um. Sein Kopf ruckte herum und hielt still. Auch auf die Entfernung konnte ich deutlich sein linkes Auge sehen. Es war rubinrot und enthielt ein goldenes Funkeln. Schlagartig wurde mir klar, warum ich so lange in sein Auge starren konnte. Er war es, der mich anstarrte! Kein Wunder, wer stand denn hier mitten auf einer Wiese, ungeschützt und mit hellleuchtender Kleidung? Ich! Der Himmel verdunkelte sich, als er seine gewaltigen Flügel ausbreitete und sich vom Berg fallen ließ. Gebannt sah ich zu, wie er im Sturzflug nach unten rauschte. Immer näher kam er und ich konnte erkennen, dass er keineswegs schwarz war. Seine Schuppen hatten die dunkelblaue Färbung eines tiefen Ozeans. Nur an der Unterseite zwischen seinen vier Beinen wies er hellere Flecken auf. Seine Schwingen sahen aus wie die einer überdimensionalen Fledermaus und waren am Ende grau und zerfranst. Ein Zackenkamm lief über seinen Rücken und endete in einer Art Fächer an seiner Schwanzspitze. Auf dem Kopf trug er zwei Hörner und eine Mähne aus abstehenden Schuppen umrahmte sein Gesicht. Entsetzt hielt ich die Luft, als mir bewusst wurde, weshalb ich ihn plötzlich so genau betrachten konnte. Er kam genau auf mich zu! Seinen Sturzflug fing er kurz vor dem unweigerlich auftretendem Aufprall auf dem Erdboden mit einem leichten Flügelschlag ab. Ich duckte mich instinktiv und schlug die Hände über meinem Kopf zusammen, als mich ein unwahrscheinlicher Sog erfasste und von den Füßen riss. Der Drache flog über mich hinweg und ehe ich mich aufrappeln konnte, war er verschwunden. Bevor ich mich auf den Rückweg machte, drehte ich mich noch einmal um und sah, wie ein massiger Schatten den Mond verdeckte. Beim nächsten Lidschlag war auch der verschwunden.
Am nächsten Vormittag dachte ich an meinen wunderschönen Traum, der mich diese Nacht heimgesucht hatte und ging ins Bad, um mich frisch zu machen. Oder war es gar kein Traum? Wie konnte ich mir sonst erklären, dass beim Durchkämmen meiner Haare winzige blauschimmernde Schuppensplitter herausfielen?
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