ich würde mal wieder eine kurzgeschichte von mir zeigen.
(gleich vorweg: der name ganz am schluss ist mein pseudonym als autorin. nicht wundern)
wie man sieht ist es im sommer 2006 entstanden. das war ende der elften klasse. ich habe einmal einen blick in die zukunft meiner freunde und mir geworfen. insofern ist es vll nicht wirklich interessant für euch. es würde mich trotzdem freuen, wenn jemand es ernsthaft liest und mir danach seine meinung dazu sagt.
ich habe mir wirklich mühe gegeben und das schreiben hat mir wahnsinning spaß gemacht. es ist viel wahrheit mit dabei - und ein wenig unsinn deswegen behandelt es bitte mit respekt .) - May it Be -
For my lovely Friends – I love you all!
Ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt gewesen, wie in diesen fünf Minuten, die ich dort vor der hellblauen Haustür in einem kleinen englischen Dorf nahe London verbrachte. Als ich zum dritten Mal den Klingelknopf bis zum Anschlag hinunter drückte, wunderte ich mich wieder, wieso sie hierher gezogen war. Sicher, in Afrika in einem kleinen Dorf in der Savanne hätte ich sie erwartet, aber doch nicht hier. Doch das sollte bald geklärt werden.
Wieder trat ich ein paar Schritte zurück und reckte meinen Kopf ein wenig um die Hausecke herum, um etwas sehen zu können. Doch den Garten dahinter konnte ich nicht einsehen. Ich hatte das Gefühl, wenn ich noch länger hier stehen würde, könnte mein Herz geradewegs in den nächsten Busch springen, um sich zu verstecken. Wieso war ich so nervös? Das war ich nicht gewesen, als ich das erste Mal hinter einer professionellen Kamera gestanden war, oder als der Film Premiere hatte. Oder als ich eines Tage auf dem Studiogelände dem schon langsam ergrauenden Ewan McGregor über den Weg gelaufen war! Nie so übermäßig und dennoch konnte ich mich der Besonderheit dieser Situation nicht erwähren.
Nach einem vorsichten Blick auf die Uhr, ob ich nicht viel zu früh war, stiefelte ich zurück zum Auto und kramte im Kofferraum nach meinem Terminplaner. Andere waren berüchtigt ständig eine halbe Stunde zu spät zu kommen – ich dagegen war berühmt dafür immer viel zu früh aufzukreuzen. Nein, ich war vollkommen richtig. Es war punkt drei – doch trotzdem wollte mir keiner die Tür öffnen.
Komm schon Süße! Lass mich nicht hängen! Du weist wie sehr ich mich auf diesen Augenblick gefreut habe, dachte ich flehend. Ich würde sie alle wieder sehen und das konnte ich mir doch nicht von einer geschlossenen Tür zunichte machen lassen! Fast hätte ich zu meinem Handy gegriffen und einfach drinnen angerufen. Doch ich bezweifelte ernsthaft, dass sie das Klingeln eines Telefons eher hörte als das einer Tür. So lief ich zurück zur Tür, eine Hand auf dem Knopf der Zentralverriegelung, und versuchte es ein weiteres Mal. Mein Herz schlug sprichwörtlich bis zum Hals und von Minute zu Minute sank mein sonst so grenzenloser Optimismus. Leute…
Und als hätte sie diesmal meine Wort gehört sprang plötzlich die Tür auf und die Miene, die mir entgegenblickte, spiegelte gleichzeitig Entschuldigung, Freude und Überraschung wieder.
»Steffi?! Was machst du denn schon hier?!!«
Mir klappte die Kinnlade runter und ich wusste zunächst nicht einmal, ob ich überhaupt etwas sagen konnte, geschweige denn was.
»Ähm… na wir waren doch alle verabredet. Bei dir… um drei!« Fragend sah sie hinab auf ihre Uhr und hob sie mir dann vor die Nase. Sie zeigte fünf Minuten nach zwei. Meine ging eine Stunde vor. Dann traf es mich wie ein Schlag! Ich war nach Frankfurt a.M. geflogen um in Deutschland meine Mutter und Großmutter zu besuchen. Da hatte ich meine Uhr um irgendwas von zehn – elf Stunden zurückgestellt, doch als ich ein paar Tage später dann nach London geflogen war, hatte ich vollkommen vergessen, sie noch einmal eine Stunde zurückzustellen.
Kläglich hob ich meinen Arm und hielt ihr nun meine Uhr vor die Augen. Doch sie musste lachen.
»Schon gut! Ich kenne das. Komm einfach rein!« Entschuldigend nickte ich und folgte ihr.
»War das da dein Auto auf der Strasse?! Sah teuer aus!«
Ich kicherte, während sie mich durch den Flur in den Garten hinter dem Haus geleitete. »Immer das, was ich mir gewünscht habe, nicht war?«
»Ob es nun genau das ist, kann ich nicht beurteilen!«, lächelte sie. »Aber es sieht einfach mal danach aus, dass es einer deiner Traumwagen ist.«
»Ist es!«, bestätigte ich und dachte grinsend an den schwarzen M6, der am Bürgersteig parkte. Sie zeigte mir einen kleinen runden Metalltisch unter einem Baum an dessen einer Seite eine Holzbank stand und um den Rest herum Stühle. Ich setzte mich auf die Bank und sah mich dann um. Der Garten war geräumig, viele Obstbäume und ein paar Pflanzenbeete mit Blumen.
»Wohnst du etwa hier?«, fragte ich erstaunt, als sie mit einer Tasse Cappuccino aus dem Haus zurückkehrte. Sie lächelte und schüttelte mit dem Kopf.
»Nein. Nur vorübergehend. Nächstes Jahr will ich wieder nach Mombasa zurück. Ich bin nur für ein Praktikumsjahr gezwungenermaßen hier.«
Ich versuchte die wenigen Informationen zusammenzuraffen und miteinander zu kombinieren. Ich hatte fast ein Jahr nicht mehr mit ihr Kontakt gehabt und dies schien deutlich Spuren hinterlassen zu haben.
»Heißt das, dass du doch noch das Studium begonnen hast?« Sie nickte lächelnd. Ahja, wie schön. Hatte sie es also doch. Ich lächelte ebenfalls.
»Es ist wirklich schade, dass wir so lang nichts mehr voneinander gehört haben!«, seufzte ich, als ich in dem Moment merkte, wie schade es wirklich war. Doch ich hatte mit meinem Umzug, der Arbeit dazwischen und den Wirrungen im Studio kaum Atmen holen können und war wohl der Grund für diese Funkstille gewesen. Als ich jetzt in ihrem Garten saß tat es mir doppelt und dreifach leid.
Wir hielten ein wenig Smalltalk, nicht wirklich wichtige Dinge, als eine halbe Stunde später das Klingeln der Tür so schwach wie von Kilometern mitgetragenem Wind zu vernehmen war. Sie entschuldigte sich und lief zu Tür.
»Das wird Stephie sein!«, rief sie.
Noch eine in unserem Kreis. Wie zu ihr und der noch fehlenden vierten im Bunde hatte ich das vergangene Jahr so gut wie keinen Kontakt gehabt. (Ausgenommen die Festtage und der Geburtstag) Als Ise im Haus verschwand und ich ihr nachsah, fiel mir ohne ersichtlichen Grund der Urlaub nach dem letzten Schuljahr ein. Das lag nun bereits schon vierzehn Jahre zurück und doch konnte ich mich noch an nahezu jede Einzelheit erinnern. Es war, als wären wir erst letztes Jahr, so unglaublich stolz darauf, dass wir selbst fahren konnten, nach Westfrankreich an die Atlantikküste gefahren! Damals hatten wir uns fast ‚gestritten’ wer denn nun fährt, bis wir uns entschieden hatten betreffs des Gepäcks zwei Autos zu nehmen. Da hatten wir uns dann zu zweit in den Autos immer abgewechselt. Marie-Luise, seit dem Kindergarten nur noch Ise genannt, Konstanze, natürlich Konni, meine Namensvetterin Stephanie – Stephie und ich.
Noch ehe Stephie durch die Hintertür zum Garten kommen konnte, kam mir schreiend und rennend ein kleines blondes Mädchen entgegen. Wie besinnungslos rief sie meinen Namen und ich konnte auch nicht anders, als aufzuspringen und sie lachend in den Arm zu nehmen. »Tante Steffiii«, rief sie jauchzend, als ich sie hochgenommen hatte. »Ich hab dich so vermisst!«
»Ich dich auch, Emma!«, grinste ich. Die Kleine musste jetzt sechs Jahre alt sein und war Stephies Tochter. Sie war so goldig, die Kleine, was nicht allein an ihrem hellen, strahlenden Haar lag, was wie das ihrer Mutter hellblond war. Sie trug ein leichtes Sommerkleid und so wunderbar niedliche Schuhe.
»Es ist wirklich klasse, dass meine Tochter immer anziehender auf ihre Patentante ist, als ich!«, kam ihre Mutter mir wenige Minuten später entgegen. Ich ließ Emma wieder runter und ging sie begrüßen.
»Du musst dir nur deine Kleine anschauen und dann weiß du, warum ich sie am liebsten jedes Mal mitnehmen würde!«
»Wirst du aber nie können! Ise ist übrigens drin, um sich umzuziehen.« Sie setzte sich mit mir auf die Bank, während Emma ein wenig den Garten erkunden ging. Stephie hatte sich ihre Haare wachsen lassen, sodass sie ihr jetzt über die Schultern hinweg fielen, doch ihre Fülle hatten sie nicht verloren. Die hellen Augen leuchteten. »Na los! Erzähl, was hast du so getrieben!«
Ich konnte ihr ihre Neugier kaum verübeln, brannte ich doch selbst darauf die anderen mit Fragen nur so zu löchern. Doch ich winkte ab.
»Wenn ich dir jetzt alles erzähle, dann bleibt nichts mehr für die anderen beiden übrig und ich muss am Ende alles wiederholen«, lachte ich.
Sie zog die Lippen vor, sah aus wie ein Karpfen und seufzte gespielt enttäusch. »Na schön! Dann beantworte mir wenigstens eine Frage: Wo bist du denn nun hingezogen?«
Wieder musste ich lachen, doch diesmal noch viel herzlichen und lauter. Ich hatte so wenig Zeit gehabt, dass ich allen dreien nur mitgeteilt hatte, dass ich im Umzugsstress stecke. Jedes mal, wenn wir doch telefoniert hatten, zum Beispiel zu Weihnachten, hatte ich auf die Frage meines gegenwärtigen Schaffens immer nur die Sache mit der Arbeit erwähnt – und, dass ich eben umziehe. Doch nie gesagt wohin.
»Na sag schon!«, wiederholte sie ihre Frage.
Ich kicherte immer noch. »Wellington!«, rief ich ohne Erklärung lachend aus. Zum Glück hatte sie keine Zeit nachzufragen, als sie die Tragweite meiner Antwort verstanden hatte, denn in dem Moment kam Ise mit dem letzten Gast aus dem Haus in den Garten zu uns. Ich erhob mich erneut von der Bank und umarmte Konni.
»Es ist so toll dich wieder zusehen!«, sagte ich.
»Kann ich nur zurückgeben«, lächelte sie verschmitzt.
»Es ist toll, dass wir uns alle gemeinsam endlich wieder sehen! Wenn es hoch kam, sahen wir uns zu zweit oder zu dritt, doch nie alle zusammen!«, fügte Ise hinzu, während sie ein Tablett mit Kaffeetassen auf den Tisch stellte. Wir nickten alle zustimmend.
Ich konnte gar nicht glauben, dass wir alle vier wieder zusammen waren. Es war viel zu lang her. Vor allem für mich, die ich mit keinem der drei im letzten Jahr länger als eine halbe Stunde gesprochen hatte. Nicht einmal meine E-Mails hatte ich regelmäßig überprüfen können, zu oft war ich vom Studio in Los Angelas und meinem Apartment dort nach Wellington geflogen um zwischen der Arbeit immer mal wieder ein oder zwei Wochen den Umzug zu managen. Ich konnte es jetzt immer noch nicht glauben, dass meine Hauptadresse nun wirklich 6001 Wellington, New Zealand lautete und der Spuk endlich ein Ende hatte!
Als Ise den Kuchen gebracht hatte, fingen wir zunächst zwischen ihm und dem Cappuccino an gemütlich zu reden. Über Gott und die Welt, was wir in den letzten Jahren getan hatten, wie es uns ging und was sich für uns geändert hatte. Wir waren fast alle in andere Länder verschwunden und so war es selbstverständlich äußerst schwer, dass wir uns regelmäßig sahen. Doch ich wollte irgendwie versuchen, trotz der ganzen Entfernungen, es wieder aufleben zu lassen. Zwar hatten wir alle natürlich mit den vielen Jahren andere Freunde kennen gelernt, doch diese drei waren mir immer noch die liebsten. So viele Erinnerungen hingen an ihnen.
»Also Mädels«, fing ich weit später an, »wer außer der Mutter meiner kleinen niedlichen, äußerst intelligenten, gerissenen, phänomenal talentierten -«
»Steffi…!«, kam es wie im Chor.
»Schon gut!«, lachte ich. »Also noch mal: Wer, außer der Mutter des besten Patenkindes auf der Welt, ist in festen Händen von euch?« Ich konnte nicht anders als groß und breit zu grinsen. Ich liebte es, sie von Jahr zu Jahr immer wieder danach zu fragen. Das Beste, was mir passieren konnte, war schließlich eine Hochzeit von ihnen!
Konni schüttelte den Kopf und dankte lächelnd. »Im Moment frei wie ein Vogel!« Richtig so, Kleines!, zwinkerte ich innerlich.
Doch Ise, die mir genau gegenüber saß hob ‚schuldbewusst’ die linke Hand und präsentierte uns einen zierlichen, goldenen Ring mit tief dunkelblauen Stein.
»Nicht doch!«, rief ich aus und ergriff ihre Hand. »Was machst du mich unglücklich! Hast du vergessen, dass ich einmal der Grund dieses Schmuckstücks sein wollte!« Sie musste lachen, als sie sich eines Rumgeblödels kurv vor Ende der Schule erinnerte.
»Ich weiß. Und es bricht mir das Herz, es dir auf diesem Weg zu sagen!«, scherzte sie. Die anderen lachten ebenfalls. Ich war immer nach ihnen dreien verrückt gewesen und so war auch einmal in der müßigen Schulzeit die Sache mit dem Antrag an sie entstanden.
»Seit wann denn?«, fragte Konni neugierig und ihr blondes Haar fiel dabei über eine Schulter, als sie sich vorbeugte.
»Seit drei Monaten!«, erklärte uns die also frisch Verlobte. »Im nächsten Jahr im Sommer wollen wir Heiraten.«
»Ich bin wirklich geschockt. Und geplättet zugleich!«, stieß ich aus. Stephie neben mir klopfte mir gespielt verständnisvoll auf die Schulter. »Du schaffst das! Wo bleibt dein Optimismus?«
Zum unzähligsten Mal mussten wir lachen.
»Apropos Optimismus«, warf Konni ein. »War das dein Auto da vor Ises Haus, Steffi? Dieser Schwarze?« Ich spitzte freudig die Ohren und grinste.
»Nicht so abfällig! Den habe ich mir hart erarbeitet! Mit allem meinem verfügbaren Schweiß und noch viel mehr!«, erklärte ich zünftig.
»Von wegen! Als erfolgreiche Filmproduzentin in Hollywood ist das doch ein Klacks für dich!«, stellte Ise richtig. Doch ich winkte mit einer Hand ab.
»Nicht doch. So gut nun wieder auch nicht. Außerdem bin ich weniger Produzentin als hinter der Kamera, beziehungsweise an ihr, tätig. Glaubt mir. Den Hauptteil erledigt sowieso mein Partner und den meisten Ruhm heimst er auch ein!«
Eine kurze Stille kam auf. Dann sah mich Stephie argwöhnisch von der Seite an und musterte mich eingehend. »Wie war das mit dem passionierten Singeldasein, Frau Eichler?«
»Hä? -« Ich sah sie verständnislos an, während die beiden uns gegenüber schon zu prusten begannen. Ich sah sie aus dem Augenwinkel an bis ich begriff.
»Was? Ach nein! Nicht doch! Ich doch nicht, Leute. Nein, ich meinte meinen Geschäftspartner. Vielleicht kennt ihr ihn, er ist Regisseur: Julian Moore?« Erwartungsvoll sah ich in Runde. Bei ein oder zwei unserer gemeinsamen Filme hatte man mich auch mit in die Werbung geschmissen. Es war zwar wahr, dass ich alle unsere Film vornehmlich auch mitproduziert hatte, doch meine Hauptaufgabe hatte ich eigentlich immer nur als ‚Director auf Photography’ gesehen – Kamerafrau. Trotzdem hatte man uns in eben diesen beiden Filmen, den letzten, als erfolgreiches Produzentenduo bezeichnet. Na ja, wenn sie meinten! Die eigentliche visionäre Arbeit hatte meiner Meinung nach Julian gemacht und nicht ich! Ich fing nur die Bilder ein.
Ich sah deutlich wie es allen dämmerte. Man sah ihnen den Prozess der Erkenntnis schier an. Wie sie erst nach dem Namen suchten und sich dann langsam wohl an ein paar Filme von ihm erinnerten. Ich hatte ihn erst mit circa vierundzwanzig kennen gelernt. Und unsere erste erfolgreiche Arbeit war auch erst mit siebenundzwanzig entstanden. Somit ging ich noch gut und gern als ‚Newcomer’ durch. Natürlich kamen wir nicht an Spielberg oder Peter Jackson ran, aber wir schafften den ein oder anderen Erfolg. Wobei oft sein Name uns vieles erleichterte.
»Also bist du diese ‚Megan Hunter, die so erfolgreich mit dem Genie Julian Moor dreht’?«, zitierte Konni scheinbar irgendeine Sensationszeitung mit offenen Mund.
Jetzt war es mir fast peinlich. Ich hatte es wirklich nie so gesehen. Ȁhm, na ja zumindest bin ich diese Megan Hunter, ja.
Vielleicht erinnert ihr euch, dass ich diesen Namen damals schon zum schreiben genutzt habe. Ich dachte der kommt bei einem englischen Publikum besser an, als ‚Stefanie Eichler’.« Ich lächelte schüchtern. «Aber hört bitte auf damit! Es soll doch nicht um mich gehen!«
»Na du machst uns Spaß!«, lachte Stephie.
»Nein wieso? Ich versteh dich nicht, du hast eine zuckersüße Tochter, von der ich auch noch die Patentante sein darf -«
»Nicht nur du!«, verbesserte Ise mich, während Konni neben ihr pflichtgemäß nickte.
»Ja, natürlich. Du hast einen liebevollen Mann und arbeitest in deinem Traumberuf an einer Grundschule nahe Dresden! Ich weiß nicht, was dich stört. Dein Traum ist doch wahr geworden. Bei mir war das schwer. Ich hatte zwei, die konkurriert haben und nun hab ich immer das Gefühl, dass ich den einen nicht eine gerechte Chance gegeben habe!« Dann sah ich zu meinen Gegenübers.
»Und schau dir Ise an! Sie geht bald wieder zurück nach Afrika. Und Konni hat mehr Länder gesehen, als ich je die Chance habe werden.«
»Wieso denkst du, dass einer deiner Träume zu kurz gekommen ist?«, fragte Ise schließlich. Ich zuckte mit den Schultern.
»Na ja, ich habe doch immer in einem Zoo als Zoologie arbeiten wollen. Das habe ich mir immer gewünscht und habe dafür die Sache mit meiner Liebe zum Film fast vollkommen abgekapselt, weil das sowieso sicher keine Zukunft haben würde. Und nun sieh mich an. Ich bin sprichwörtlich ‚im falschen Film!«
»I woh!«, stoppte Konni mich. »Du bist genau da, wo wir dich immer haben wollten. Da bist du gut aufgehoben!«
»Ja genau! Schau dir nur mal dein Auto an!«, stimmte Stephie ihr zu. Und darauf konnte ich wohl kaum protestieren. Sie hatten ja Recht. Ich fühlte mich wirklich sehr wohl. Vor allem mit meinem neuen Wohnsitz, den ich mir so hart erkämpft hatte und von dem ich schon immer gewusste hatte, dass ich einmal dort enden würde. Egal für welche Zukunft ich mich damals entschieden hätte. Nun konnte ich großteils bei der Entstehung eines Films mitwirken, ohne ihn selbst regieren zu müssen. Und das nur, weil der Regisseur und ich Partner, noch dazu die besten Freunde, waren und er ein eigenes Studio besaß, das sich vor einigen Monaten von Fox getrennt hatte und nun eigenständig handelte. Wir hatten viele andere Regisseure, Kameraleute und Schauspieler unter Vertrag, doch wenn er drehte durfte ich immer mitmachen und hatte dadurch so viel Einfluss, wie ich ihn gern hatte. Nicht zu viel und nicht zu wenig.
Bis zum Abend saßen wir dort unter dem Baum im Schatten und redeten so lang, dass wir bald alle verlorene Zeit aufgeholt hatten. Natürlich würde kein Monat dazu reichen, doch wir kamen dem zumindest nahe. Als es auf sechs zuging begann Ise den Grill aufzubauen und wir saßen bei Steaks und Würstchen noch bis in die Nacht hinein draußen. Es war für englische Verhältnisse recht warm und trocken, sodass wir es optimal ausnutzen konnten.
Drei Tage wohnten wir bei ihr im Haus, fuhren raus nach London und hoch in die Highlands. Mein armer BMW M6 wurde dabei nur für eine Probefahrt genutzt. Er war einfach zu klein für fünf Personen auf lange Strecken. Doch nach meinen ausschweifenden Lobs hatte er dann doch einmal für eine Spritztour gereizt. Der Charme der fünfhundertsieben PS hatte seinen Reiz nicht verfehlt.
Während der Touren kamen wir in den Geschmack von Konnis Kunst. Bevor ich zu unserem Treffen gefahren war hatte ich im Internet bei ihrem Unternehmen recherchiert. Und sie lobten sie in den höchsten Tönen und man kam nicht umhin die Reisen, die sie begleitete, extra anzupreisen. Und wir merkten bald, dass ihre Arbeitgeber nicht übertrieben hatten. Sie machte uns sogar das schrecklichste, nasse britische Wetter schmackhaft und wir verzichteten auf jegliche Broschüre von irgendeiner Stadt oder Sehenswürdigkeit. Sollte es einmal vorkommen, dass sie doch einmal nicht Auskunft geben konnte, half Ise uns.
So kam es, dass selbstverständlich alles schneller rum war, als wir es für möglich gehabt hatten. Und so primitiv diese Aussage scheint, so schmerzlich wurden wir ihrer bewusst. Am Dienstag flog ich von Heathrow zurück nach Wellington - heute war Montag - Konni zunächst nach Berlin, bevor es, so erzählte sie uns, am Donnerstag zu einer zweiwöchigen Schiffsreise in der Karibik ging. Und Stephie musste natürlich wieder nach Hause und würde am folgenden Montag wieder unterrichten müssen. Im Moment waren in Sachsen noch Ferien.
Es war Abend und wir hatten noch zweiundzwanzig Grad unter dem Baum im Garten. Die Atmosphäre war leicht gedrückt, doch wir alle hatten immer noch die positive Stimmung der letzten Tage in uns.
»Wir müssen das so bald wie nur möglich wiederholen!«, sagte ich seufzend, während ich mich erhob, um ins Haus zu gehen. »Das darf nicht wieder so lang dauern, wie das letzte Mal!« Ich wand mich von ihnen ab und schritt ins Haus. Oben im Gästezimmer, dass ich mir mit Konni teilte – Stephie schlief mit der kleinen Emma gegenüber – kramte ich in meinem Koffer und fand schließlich unten auf dem Boden drei in Schutzumschlag eingeschlagene Bücher.
Als ich unten wieder zu den dreien trat, redeten sie gerade über Stephies derzeitige Klasse. Ohne etwas zu sagen drapierte ich je ein Buch vor einem von ihnen und legte schließlich meine Unterarme auf Konnis Schultern. Auf den Vorderseiten stand der Titel ‚Feredir ni Enedh – Jäger der Mitte’. Als Autorin würde Megan Hunter genannt.
»Die sind für euch«, erklärte ich ihnen. »Es ist zwar schon längere Zeit fertig, doch ich habe endlich einen Verlag gefunden. Nächsten Monat soll es erscheinen und ich will euch die drei ersten Exemplare schenken!«
»Da wird sich Jennifer Roberson aber freuen!«, lächelte Stephie freudig, als sie das Buch durchblätterte. Die anderen taten es ihr gleich.
Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn sie es liest? Ich hoffe es.«
»Vielleicht triffst du sie ja doch noch!«, meinte Ise.
»Na ja.« Mehr sagte ich nicht dazu. Es wäre die Erfüllung all dem, auf was ich je hingearbeitet hätte – sogar die ganze Sache mit dem Film. Doch dies würde wohl wirklich immer nur ein Traum bleiben. Zumindest wollte ich als nächstes Julian vorschlagen, dass wir uns um die Rechte des ersten ‚Schwerttänzer’ – Buches kümmerten. So wollte ich meinem unangefochtenen Vorbild wenigstens ansatzweise gerecht werden.
Am Abend trat ich noch mal hinaus auf die Terrasse – überraschend saß Ise mit einem Glas Wasser auf der Bank und sah in den sternenüberzogenen Himmel hinauf. Ich trug eines mit Eistee mit mir und lehnte mich neben ihr an die Wand des Hauses.
»Und was suchst du da oben in den Sternen?«, fragte ich leise.
»Nach dem Sinn des Lebens?«, scherzte sie. »Darüber kannst du einen Film drehen!«
Ich lachte. »Ich werde mal mit Julian reden«, meinte ich und sah ebenfalls hinauf. Zwar was es nicht das Kreuz des Südens, dass ich jetzt von meiner eigenen, heimischen Terrasse aus sah, aber der Große Wagen weckte gleich viele Erinnerungen – und eigentlich viele, viele mehr.
»Wie spät ist es?«, fragte ich sie, da meine Uhr oben auf dem Bett lag. Manierlicherweise hatte ich das Zimmer verlassen, als Konni von ihrem Chef angerufen worden war. Ise neben mir sah auf die Uhr. Das fahle Sternenlicht glänzte auf seltsame Weise in ihrem hellbraunen, seidigen Haar, sodass sie fast silbern wirkten.
»Kurz nach zehn«, meinte sie lächelnd. Sie hatte verstanden, an was ich gedacht hatte. Beide grinsten wir uns vielsagend an.
»Sag mal«, sagte sie nach ein paar Minuten des Schweigens, »willst du wirklich dein ganzes Leben allein bleiben?« Sie sah hinauf in den Himmel und so konnte ich nur ihr Profil fragend anschauen. Im Augenwinkel musste sie es wohl merken.
»Ach komm! Ich bin doch gar nicht allein! Ich habe euch und das reicht doppelt und dreifach.« Ich lächelte munter. Sie blickte mich wieder an und legte den Kopf leicht schief. Doch sie entgegnete nichts.
»Und außerdem habe ich doch Julian!«, lachte ich. Ich hatte natürlich im Laufe der Tage einiges von ihm uns seinen Eigenschaften, besonders Marotten, erzählt und so wussten sie, dass wir ganz gar nicht irgendetwas mehr anstrebten. Er war durch und durch mein bester Freund. Und nichts desto weniger Geschäftspartner.
»Ist doch eigentlich schade. Es klang wirklich nett!«
»Wie du meinst«, lächelte ich unbekümmert und sah dann ebenfalls wieder hinauf. Später dann hinunter auf den großen Baum, unter dem wir so oft gesessen hatten, während mir eine Szene vor meiner Abreise nach Frankfurt nicht aus dem Kopf gehen wollte. Vorher hatte ich ihr keine Bedeutung beigemessen, doch jetzt waberte sie durch meinen Geist, wie hartnäckige Nebelschwaben. Julian am Flughafen, er hatte mich hingefahren – das Auto war schon vorgeschickt worden – und dieses seltsame Gespräch was wir als nächstes tun würden, wenn ich wieder zurück wäre.
Plötzlich raschelte es hinter uns und Konni und Stephie erschienen in der Schiebetür zur Küche.
»Na was besprecht ihr zwei da Geheimes ohne uns?«, fragte Stephie mit so einer Art James Bond – Blick.
»Dass wir wohl nie das Vergnügen haben werden unsere Kleine hier zum Altar geleiten zu können!«, seufzte Ise überaus tief und deutete dabei bedeutungsschwer auf mich.
»Na dann kann ich ihr aber nur zustimmen«, nickte Konni. »Das ist wirklich ein großes Versäumnis.«
»Nun hört aber auf! Ihr seit ja schlimmer als jede Partnervermittlung!«
»Erfahrungen etwa?« Dabei hob Stephie vielsagend eine Braue und sah mich groß an. Ich konnte es nicht fassen, die wollten mich verkuppeln!
»Natürlich nicht!«, rief ich. Glücklicherweise schien das Thema damit erledigt.
Wir sahen alle hinauf in den Himmel und besahen uns die Sterne. Ohne, dass wir uns dagegen wehren konnten, legte sich eine tiefe melancholische Stimmung auf uns. Keiner wollte in dem Moment etwas sagen. Wahrscheinlich wäre es sowieso falsch und fehl am Platze gewesen. So schwiegen wir uns minutenlang an, sahen hinauf, ohne dass es für einen von uns langweilig oder unbequem und unangenehm wurde. Wir unterhielten uns gegenseitig mit unserer Anwesenheit und das genügte nach diesen Jahren schon.
»Hey«, begann ich dann doch, »was haltet ihr davon, wenn ihr alle zu mir zieht? Ich kenn da noch ein paar schicke Wohnungen und kleine Häuschen in Wellington. Ich kann euch da an einen guten Makler empfehlen.« Keiner antworte mir. Entweder sie zogen es ernstlich in Erwägung oder lächelten innerlich über den Versuch der Erheiterung der etwas seltsam anmutenden Stimmung. Schön wäre es gewesen. Wirklich sehr schön.
»Dann kommt mich beim nächsten Treffen wenigstens Besuchen!«, sagte ich dann.
Sie nickten alle gleichzeitig. »Das machen wir«, lächelte Ise. »Das nächste Mal treffen wir uns alle bei dir! Du musst aber die Flugtickets übernehmen!« Wir lachten alle und ich nickte dabei.
»Wenn schon, denn schon!«, grinste ich.
Und somit hoben wir wieder die Köpfe und sahen uns die Sterne an, als wenn sie uns unsere weitere Zukunft beschreiben würden. In dem Moment wollte ich nichts so sehr wissen, wie unsere Lage in den nächsten zehn Jahren. Auch wenn ich das nie wissen würde können, hoffte ich, dass sie gut war, unsere Zukunft. Wie jetzt.
Blubbernd und röchelnd erkannte man am Zug meines Strohhalms, dass das Glas leer war. Ich sah in es hinab und erblickte nur noch die Reste der Eiswürfel.
»Ich glaube ich geh hinauf schlafen. Mein Flugzeug geht morgen früh viel zu zeitig. Und im Flugzeug soll ich laut meines Chefs mir das neue Drehbuch anschauen«, grinste ich breit. »Also kein Schlaf!«
Ise erhob sich und nickte mir zu. »Ist eine gute Entscheidung. Ich glaube wir alle müssen morgen früh raus. Nicht nur um dich zu verabschieden.«
»Genau. Mein Flug geht zwar erst ein paar Stunden später, aber trotzdem kannst du mich doch schon mit in die Stadt nehmen!« Ich nickte Konni zu und sah Stephie erwartungsvoll an. Doch die schüttelte mit dem Kopf.
»Wir nehmen die Fähre! Emma hat Flugangst!«
»Wie du willst!«, meinte ich darauf.
Ise trat zuerst wieder ins Haus und wir folgten alle. Draußen war ein leichter Wind aufgekommen und im Garten roch es nach den Blumen, die dort überall tagsüber blühten. Das kleine Städtchen um uns herum war sehr ruhig und friedlich und man konnte kaum glauben dass London nur dreißig Kilometer entfernt war. Manchmal wehte der Wind den Stadtlärm gedämpft und flüsternd bis hier her, doch an diesem Abend war dies nur eine schattenhafte Erinnerung, die wir während dieser Tage nur einmal hatten erleben dürfen.
Megan Hunter, im Sommer 2006