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Autor Thema: Der Lindwurm und die Marienkirche zu Rötha  (Gelesen 2904 mal)
Das Tom
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« am: 05.April.2006, 21:05:55 »

Eine meiner Lieblingslegenden. Urteilt selbst darüber.

In Rötha bei Leipzig gibt es eine halbfertige Kirche. Das liegt nicht etwa daran, das erst kürzlich mit dem Bau begonnen wurde, sondern ist schon seit Jahrhunderten ein vertrauter Anblick für die Eingeborenen. Gästen der Stadt fallen zwei Dinge auf. Einmal natürlich, dass sich in dieser ewigen Baustelle eine der beiden Silbermannorgeln Röthas verbirgt, und zum anderen, dass die Marienkirche, wäre sie denn fertig geworden, wirklich enorme Ausmaße für so ein kleines Städtchen hätte. (Sie ist tatsächlich der in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts zerstörten Leipziger Universitätskirche nachempfunden.) Um zu erfahren, warum dem so ist, machen wir mal eine kleine Zeitreise zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Cheesy

Wie der Leisniger Chronist zu berichten weiß, erhob sich im Jahre 1508 ein groß Geläufe gen Rötha, nachdem einem Schäfer die Mutter Maria in einem Birnbaum erschienen war. Als daraufhin ein krankes Schaf von der Rinde des Birnbaums zehrte, gesundete es auf wundersame Weise. Natürlich war das die Attraktion und alsbald beschlossen die Nonnen des Leipziger Klosters, dass man in Erinnerung an das Birnbaumwunder eine große Wallfahrtskirche errichten müsse. Gesagt, getan.

Ab hier wird sich die Überlieferung uneins. Klar ist, dass der Bau der Kirche begann und das man ihn Jahre 1520 plötzlich einstellte. Nun könnte man einfach behaupten, der im Zuge der beginnenden Reformation eingetretene Geldmangel hätte die Fertigstellung verhindert. Klingt logisch, aber die mündliche Überlieferung hält eine andere Variante bereit.

Danach fiel nämlich bei Nacht ein Drache/Lindwurm über die Baustelle her und machte die Arbeit immer wieder zunichte. Das ist sogar nachvollziehbar. Wenn ich ein Drache in dieser Gegend wäre, würde ich mir die einzigen Hügel der Region aussuchen, um mein Revier im Blick zu behalten.  (Oder ein Feldherr, denn während der Völkerschlacht 1813 wurde Rötha aus genanntem Grunde Hauptquartier der Alliierten.) Und unweit der Marienkirche muss man seinerzeit einen ganz wunderbaren Blick über das noch unverbaute, weite Auenland gehabt haben.  Natürlich brachten die Menschen relativ wenig Verständnis für die Bedürfnisse des Drachen auf und schon gar nicht der Schutzheilige der Stadt, welcher St. Georg ist. Selbiger ließ es sich nicht nehmen, persönlich zu erscheinen und den armen Drachen hinzuschlachten.

Traurige Geschichte, wenn wir mal ganz inoffiziell werden wollen, gibt es noch einen Lichtblick. Böse Zungen behaupten nämlich, der Drache hätte überlebt und einige Jahrhunderte im Verbogenen gehaust. (Zum Beispiel unter dem Groitzschberge, wo die meisten Sagegestalten Röthas zuhause sind.) 1932 schubste er dann aus Rache den Turm der Georgenkirche um, bevor er sich einen freundlichen Lebensraum suchte. :wink

Gruß,
Tom
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Seb
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« Antworten #1 am: 05.April.2006, 21:16:48 »

Klingt in meinen Augen interessant. Wer waren diese bösen Zungen die vom Überleben des Drachen berichteten?

Nur bei den wenigsten Drachengeschichten gibts Datumsangaben, solche Angaben machen das ganze noch viel interessanter, es verleit mehr Glaubwürdigkeit.
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Das Tom
Neuankömmling
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Beiträge: 3



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« Antworten #2 am: 05.April.2006, 23:31:39 »

Der Teil mit dem Überleben ist wie gesagt nicht Teil der eigentlichen Überlieferung. Wir, will heißen meine Ex und ich, hatten die Sage für ein Spiel im Rahmen unseres Cons dahingehend weitergesponnen. In der Art, wie sich Legenden entwickeln: man nimmt ein paar passende Fakten und baut darauf auf. Sorry, falls ich mich da missverständlich ausgedrückt habe.

Gänzlich ausschließen würde ich ein Überleben aber tatsächlich nicht, da es nicht weniger unwahrscheinlich wäre, als eine Intervention des Heiligen Georg oder das Birnbaumwunder selbst. Der Einsturz des Turms 1932 ist tatsächlich passiert. Die erste Hälte des 20. Jahrhunderts ist der Zeitpunkt, ab dem sich ein potentiell recht großes und auffälliges Wesen nicht mehr auf Dauer in der Gegend hätte verbergen können.

Generell ist zur Geschichte um das Birnbaumwunder und die folgenden Jahre zu sagen, dass sie jeder Eingeborene ein wenig anders erzählt. Die hier nacherzählte Variante hat sich erst nach ihrer Niederschrift in einer Broschüre anlässlich der 700-Jahrfeier Röthas 1992 als gängigste durchgesetzt.  Einige befreundete Röthaer kannten dieses Variante der Sage bis dahin nicht. Umgekehrt ist mir allerdings auch niemand bekannt, der sich gegen die Drachenvariante gewehrt hätte, weshalb ich davon ausgehe, dass sie wenigstens von einigen Familien in der Stadt tatsächlich genau so überliefert wurde.  Die belegte Geschichtsschreibung kennt nur das Birnbaumwunder.

Ich persönlich bin eher der Meinung, dass man der Geschichte des Heiligen Georg mit dieser Sage ein wenig Lokalkolorit gegeben hat. Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Die Röthaer Georgenkirche steht seit dem 12. Jahrhundert und entsprechend lange dürfte es dort Abbildungen der Drachentötung geben, was die Sagenbildung im 16. Jahrhundert beeinflusst haben könnte.  Aber natürlich nicht zwangsläufig muss.
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Auruliyuth
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« Antworten #3 am: 05.April.2006, 23:44:59 »

Zitat von: "Das Tom"
... bevor er sich einen freundlichen Lebensraum suchte. ...

Rötha? Hab ich mir gerade angesehen. *Schnee abschüttel und ans warme Feuer trete*
die Geschichte hört sich interessant an  :-?  

Ah hallo ein Neuer und Willkommen.
Erzählst Du uns bei Gelegenheit, was "Das Tom" bedeutet?  Smiley
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