Satu Chiyoko
Gast
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« Antworten #22 am: 05.Juli.2003, 14:47:32 » |
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Drachenstaub Kapitel 4
Nächtliche Realität
1. Eintrag Ich hab in der Vergangenheit immer mal versucht ein Tagebuch zu führen. Aber nach ein paar Einträgen habe ich es immer vergessen. Vielleicht kommt das daher, das ich nie wirklich das reingeschrieben hab, was ich denke. Schließlich könnet es jemand lesen. Ich hätte für immer verloren und jeder wüsste bescheid. Wenn mein Papa es zu lesen bekommen würde, würde er sehr zornig werden. Beides ist schrecklich, es ist ganz egal ob er zornig ist oder ob er lieb ist, ich hasse beides. Ich hasse es einfach. Als ich noch klein war, direkt nachdem meine Eltern sich haben scheiden lassen, und wir hier eingezogen waren, hab ich immer davon geträumt wegzufliegen. Einfach die Arme ausstrecken und zum Horizont fliegen. Ein komischer Traum... Ich hatte damals immer gehofft, er könnte einmal wahr werden. Aber das ist er nicht. Das ist er nie. Ich hab mich entschlossen alles niederzuschreiben. Etwas, was ich mich vorher nicht getraut hatte. Wenn ich das jetzt nicht tue, werd ich daran noch zerbrechen und mich vielleicht umbringen, das weis ich. Und ich will nicht streben. Ich will aber auch nicht so leben, wie ich es hier muss. Am liebsten würde ich irgendwohin wo er mich nicht findet. Vielleicht zu Mama. Aber ich kann nicht zu ihr. Ich hab mit Nikkis Hilfe einen Computerfreak kennen gelernt, der mir versprochen hat, ihre Adresse zu erfahren. Natürlich weis er nicht wer sie ist. Niemand in der Schule bis auf Nikkis weis, das meine Eltern geschieden sind. Eigentlich weis dort niemand etwas über mich, das ist aber auch gut so wie es ist. Ich habe schon genug Probleme Nikki nichts zu verraten. Früher, ganz ohne Freunde, war es einfacher. Ich musste mich nicht zusammenreisen, damit das alles nicht aus mir raus kam. Ich hab einfach drauf geschlagen. Deshalb hat mich auch keiner gemocht. Doch dann kam Nikki. Ich weis noch immer nicht, warum sie sich damals unbedingt mit mir anfreunden wollte. Am Anfang hatte sie sehr genervt, doch bald war ich mehr als froh sie zu haben. Wir verabreden uns oft, und ich komme von Zuhause weg, auch wenn er nicht immer da ist. Mein Zimmer alleine macht mich schon wahnsinnig. Nikki ist meine beste und einzige Freundin geworden. Aber auch ihr kann ich nichts hiervon erzählen. Ich mag sie, ich will nicht das sie mich hasst oder sich vor mir ekelt, wie ich es selbst tue. Ich hasse das was er mit mir tut, ich will das nicht. Es tut so weh.
Morgen ist wieder Schule... Es ist spät, schon 1 Uhr morgens. Ich muss schlafen auch wenn ich weiterschreiben möchte. Es gibt noch so viel das ich aufschreiben will. Ein Tagebuch...ein komisches Gefühl eines zu führen. Lloyd
2. Eintrag Ich hasse die Schule! Ich hasse es so sehr. Wir sollten einen Aufsatz über unsere Ängste und Hoffnungen schreiben. Der Lehrer spinnt doch... was ist denn das für ein Deutschlehrer?! Ich kann mir das Gesicht meiner Klassenkameraden vorstellen, wenn ich vorne, vor der Tafel stehe, und meine Ängste und Hoffnungen aufzähle. Schon in der Schule hat mich das wahnsinnig gemacht. Vielleicht kommt das daher, das mir dass eigentlich schreckliche Angst macht? Ich muss es wohl mit Humor nehmen, sonst fängt es wieder an. Ich habe mir geschworen damit aufzuhören, seit ich Nikki kenne. Ich werd mir nicht mehr selbst weh tun. Selbst Papa hat es nicht gefallen, obwohl er mich doch selbst schlägt. Mama hätte mich nie geschlagen, das weis ich. Ich kann mich kaum noch an sie erinnern. Ich habe nicht mal ein Bild von ihr, und Papa kann ich nicht danach fragen. Immer wenn ich nach ihr Frage rastet er aus, und tut mir weh. Ich hab’s lieber wenn er mich schlägt, als wenn er das andere macht. Auch das hätte Mama nie getan. Ich hab mich in der Vergangenheit oft gefragt, was sie wohl tun würde, wenn sie es wüsste. Ob sie mich sofort von ihm wegholen würde? Ich weis nicht, ich kenne sie ja kaum. In Filmen, wenn so etwas passiert, dann erfährt die Mutter immer sofort irgendwie davon und flüchtet mit ihren Kindern, und alle leben glücklich. Ein Traum, nur ein Wunschtraum. Im wahren Leben kriegt das nie jemand mit. Das weis ich jetzt. Denn sonst hätte schon vor Jahren jemand mitbekommen müssen, was er mit mir tut. Der Computerfreak aus meiner Schule hat ihre Adresse wirklich gefunden. Es ist nicht besonders weit, die nächste Stadt. Er hat erzählt, das sie sehr viel umgezogen ist. Ich frage mich, ob sie überhaupt weis, wo ich bin? Aber warum sollte sie. Ich hab sie seit so langer Zeit nicht mehr gesehen. Ob sie mich noch lieb hat? Ob sie manchmal an mich denkt? Oder hat Mama mich ganz vergessen? Sie hat doch meine Schwester Kyra. Warum hat sie damals meine Schwester mitgenommen, und nicht mich? Aber wenn ich daran denke, das er das Kyra antun würde... Ich kenne sie zwar kaum, aber ich will nicht das ihr das passiert. Oder Nikki, oder irgendjemand anderem. Dann ist es besser, wenn mir das passiert. Schließlich kenne ich das, ich bin das gewöhnt. So was wünsche ich niemandem, nicht mal den Leuten in meiner Klasse, obwohl ich sie hasse. Lloyd
3. Eintrag Ich hab darüber nachgedacht, zu ihr zu gehen. Ich müsste nur in die Bahn steigen uns schon wäre ich bei meiner Mama. Ein komisches Gefühl. Jetzt wo ich weis, das sie so nahe bei mir wohnt ist es wieder unerträglich. Ich will zu ihr. Aber wenn sie es weis, dann erfahren es doch auch alle anderen, davor hab ich angst. Ich bin schrecklich müde. Es war der erste Ferientag und ich war gleich früh am Morgen mit Nikki zum Strand gefahren. Einige andere aus meiner Schule waren auch da. Ein paar von ihnen sind ganz nett. Nikki weis ja schon, das ich nicht schwimmen geh, aber die anderen wollten wissen warum ich nicht auch ins Wasser kommen würde. Ich wusste nicht, was ich da sagen sollte. Ich hab Nikki schon keinen Grund genannt, und jetzt waren noch mehr Leute da, die einen wissen wollten. Ich hab mich richtig unwohl gefühlt, und schon überlegt, ob ich nicht einfach gehen sollte. Sie haben immer wieder versucht mich dazu zubringen ins Wasser zu gehen. Ich wollte aber nicht. Eigentlich wollte ich gerne ins Wasser, aber das geht kaum. Ich bin froh, das ich mich bei Sport schon alleine umziehen kann, aber das würde mir beim Schwimmen auch nichts bringen. Schließlich hab ich da ja kaum was an, und kann mir nicht einfach lange Klamotten wie beim Sport anziehen. Beim Schwimmen könnte man alle blauen Flecken und Verletzungen an meinem Körper sehen. Und wenn das irgendwer mitbekommt, würden sie mich zur Polizei bringen und dann würden sie nicht nur von den Schlägen sondern auch von dem anderen erfahren. Das will ich nicht. Und selbst wenn ich nicht zur Polizei kommen würde, Papa wäre sauer, das es wer weis. Nach dem Schwimmen sind wir noch durch die Gegend geradelt, denn Nikki wollte mit mir in die Stadt. Wenn alle Frauen so lange wie Nikki brauchen, um sich was zum Anziehen zu kaufen, dann will ich gar keine Frau haben, wenn ich einmal ein Erwachsener bin. Es reicht mir schon, wenn Nikki mich von Geschäft zu Geschäft schleppt. Wir waren sehr spät dran, weil wir noch Eisessen waren. Wir hatten uns einen riesigen Eisbecher zu Zweit bestellt, alle Leute haben geguckt. Es war echt cool. Aber wir waren deshalb total spät. Und ich wollte Nikki nicht alleine nach Hause gehen lassen, weil es doch schon dunkel war, also habe ich sie gebracht. Mein Vater war schon lange hier und hat auf mich gewartet. Er war wirklich sauer. So sauer habe ich ihn nur selten erlebt. Er hat mich wieder geschlagen, sogar sehr. Dann hat er mich auf mein Zimmer geschickt. Ohne ein weiteres Wort, als wäre nichts passiert. Ich hab im bett gelegen und schrecklich geheult. Bestimmt über eine Stunde lang. Das hat er wohl mitbekommen. Denn später ist er zu mir gekommen. Er sagte, das es ihm leid tun würde und das er mich lieb hat. Das was er immer sagt, wenn er mich geschlagen hat und dann wieder was von mir will. Er hat mich doch schon geschlagen! Warum konnte er es nicht dabei belassen? Ich will lieber das er mich nur schlägt, als das er nachts zu mir ins Zimmer kommt. Danach hab ich stundenlang weinend in meinem Bett gelegen, bis ich aufgestanden bin um was hier rein zu schreiben. Meine Augen tun von dem vielen Heulen weh, ich kann kaum noch gucken. Ich hab lange nicht mehr so viel geweint, das hatte ich schon hinter mir. Mir tut alles weh. Ich krieg von den Schlägen bestimmt wieder ein Haufen blauer Flecken. Ich will schlafen, aber ich kann nicht. Ich weis nicht wie ich mich hinlegen soll, alles tut weh. Schön blöd... Gut das ich Ferien habe, es ist schon wieder weit nach Mitternacht. Ich kann heute ausschlafen, denn dann ist niemand Zuhause. Papa muss mehr arbeiten als sonst, hat er gesagt. Ich ruf am später Nikki an, ich will fragen ob ich bei ihr schlafen kann. Das hab ich bisher nicht oft gemacht, aber ich halt es nicht aus wenn ich morgen wieder hier bei ihm bin. Gut das ich nur ein Kratzer im Gesicht hab, sonst wäre ich hier Zuhause gefangen. Lloyd
4. Eintrag Ich hab gestern bei Nikki geschlafen. Sie hatte sofort gesagt, das ich kommen könnte, und das auch ihre Eltern nicht dagegen hätten, denn sie waren and diesem Tag ausnahmsweise Zuhause. Ich hab Nikkis Eltern vorher noch nie wirklich kennen gelernt, sie sind sehr nett. Sie sind mit mir und Nikki ins Restaurant, zum Griechen, gegangen. Ich war schon lange nicht mehr in einem Restaurant gewesen. Sie scheinen Eltern zu sein, die sich jedes Kind wünscht, auch wenn sie so beschäftigt mit ihrem Beruf sind. Zumindest sind sie ganz anders als Papa. Sie haben sich viel mit mir unterhalten. Mir ging es an dem Abend schon besser als am Morgen, doch ich war immer noch blass und mir tat alles weh. Das war das einzige, was ein Problem hätte werden können, denn sie sind ja Ärzte. Zwar Tierärzte aber trotzdem Ärzte. Aber es ist ja nichts passiert. Nach dem Essen sind wir zu Nikki gefahren. Nikki und ich durften lange aufbleiben, und Fernsehen gucken und Naschen. Später, als wir schlafen sollten, haben wir noch Quatsch in Nikkis Zimmer gemacht. Das Schlafzimmer ihrer Eltern liegt am anderen Ende des Flurs, sie haben also von dem Lärm nichts mitbekommen. Wir haben eine Kissenschlacht gemacht und uns Gruselgeschichten erzählt. In der Nacht konnte Nikki nicht einschlafen, vielleicht war ich zu gemein, da ich sie immer wieder erschreckt hat. Ich will unbedingt öfter bei ihr übernachten. Ich bin erst vor einigen Stunden wieder nach Hause gekommen. Papa hat geschlafen. Er hat Nachschicht oder so. Ich war froh das er geschlafen hat und wollte auch gleich in mein Zimmer, damit er nicht mitbekommt, das ich wieder Zuhause bin. Doch ich war anscheinend nicht leise genug. Gerade als ich vom Bad in mein Zimmer wollte, stand er plötzlich hinter mir, und hat mich in sein Bett geholt. Das tut er sonst nicht. Als ich klein gewesen bin, und meine Eltern sich gerade geschieden hatten, war meine Mutter ausgezogen. Nach einigen Monaten hat er es das erste mal getan. Er ist nachts in mein Zimmer gekommen und dann hat er mich ausgezogen und angefasst. Zuerst hatte ich nicht verstanden, was das soll, ich war noch zu klein gewesen. Ich wusste nur, das das nicht sein durfte. Doch irgendwann hatte ihm das nicht mehr genügt, er wollte mehr. Ich hatte schrecklich geheult als er es das erste mal getan hatte, es war grässlich gewesen. Ich lag danach noch stundenlang so da, und konnte mich nicht bewegen, weil ich angst hatte, er würde wieder kommen. Als er mich nur angefasst hatte, meinte er nur, das es ein Geheimnis zwischen ihm und mir sei, und ich niemandem davon erzählen durfte. Es war nicht einfach, aber ich konnte es ertragen, und mich daran halten nichts zu sagen. Doch seitdem er mir so weh tut, droht er mir, das ich niemandem etwas erzählen darf. Niemand würde mir glauben. Und ich glaube er hat recht. Ich bin nur ein Kind, hat er gesagt. Und es stimmt ja, niemand würde mir glauben. Warum sagt er, wenn er mir weh tut, das er mich lieb hat? Das ist verrückt. Vielleicht bin ich ja sogar schuld das meine Eltern sich getrennt haben, oder das er mir das antut. Ich weis nicht... Und eben hat er es wieder getan. Es ist in letzter Zeit so oft passiert. Ich hab nicht mehr geweint, sondern war ganz still. Er hat es bemerkt und hat aufgehört, und hat mich gefragt, warum ich mich manchmal so anstelle und dann wieder nicht. Schließlich würde das ja nicht weh tun. Aber er hatte unrecht, es tut jedes Mal schrecklich weh. Ich hab nicht geantwortet, ich wusste schließlich selbst nicht, warum das so war. Vielleicht bin ich ja schon so leer, das ich einfach nicht weinen kann. Er hat mich zurück in mein Bett gebracht. Ich glaub, ich hab ihm angst gemacht, als ich so still war. Ich weis nicht. Ich muss ständig an Nikki denken, und wie lieb ihre Eltern sind. Ich will zu meiner Mutter. Lloyd
Autor Note: Jetzt wisst ihr, worum es geht: Kindesmissbrauch. Ich finde, das ist eines der Themen die die Menschen mehr oder weniger erfolgreich verdrängen. Und da ich in letzter Zeit viel von solchen Themen gehört habe, und auch, wie die Menschen einfach so wegsehen, hab ich mich entschlossen, darüber zu schreiben! Manche Menschen finden so etwas sogar witzig, und gucken sich es gerne an, wenn in irgendwelchen perversen Filmen Leute umgebracht und gequält werden. Ich kann das nicht verstehen!
Drachenstaub Kapitel 5
Ich werde dir helfen
Der Raum war in Dunkelheit gehüllt. Im Flur brannte Licht, es schien durch den Spalt zwischen Türrahmen und Tür. Leises Wimmern klang durch das Zimmer. Die Kälte die herrschte schien einen innerlich anzuknabbern. Die Schatten, die durch das Mondlicht entstanden, wurden an die Wand geworfen und sahen aus wie mystische Kreaturen der Nacht. Und mit dem, was Nikki gerade erfahren hatte, schien es, wie eine schaurige Einladung zu einem Gruselkabinett. Alles passte zusammen, als wäre es schon immer so gewesen. Alles war so unwirklich, so grässlich. Ein Monster, das sie mit seinen Klauen festhielt, und nun verschlang, um sie in die ewige Nacht zu verbannen.
Tränen tropften aus ihren Augen. Die Finger, die das Buch hielten, waren kreideweiß. In ihrem Kopf spielten sich gegen ihren Willen die vielfältigsten Horrorszenarien ab. Das leise Wimmern neben ihr, verdeutlichte nur die Unwirklichkeit. Das musste ein Traum sein. Das war nicht real. Das war einfach nicht real. Ja, sie war bestimmt am schlafen. Das war nur irgendein Alptraum von zuviel fernsehen. So was gab es schließlich nur in Filmen, oder nicht? So etwas passierte in Wirklichkeit nicht. Das war nur...
„Lloyd.“
Das Wort war leise aber bestimmend durch den Raum gedrungen. Lloyd blickte von seinen Armen herauf. Niemand war in der Wohnung, nur sie beide. Also war das Wort wohl von Nikki gekommen. Sie saß mit dem Rücken zu ihm gewandt und sah irgendetwas an der Wand vor ihr an.
„Nikki?“, doch sie drehte sich nicht zu ihm um. Vorsichtig kroch er über das Bett zu ihr hin, und setzte sich neben sie. Sie sah ihn nicht an, sondern starret noch immer auf irgendetwas vor ihr. Er sah, wie Tränen über ihre Wangen flossen. Genau wie bei ihm. Er streckte die Hand aus, um ihr die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Mit jeder Sekunde wurde ihm klarer, das dass, was er getan hatte, ein Fehler war. Er mochte nicht zusehen, wie seine beste Freundin weinte, und schon gar nicht wegen ihm. Es war ein Fehler gewesen, sie mit all seinen Problemen zu belasten. Das durfte nicht sein. Als seine Hand ihre Wange berührte, hielt Nikki seine Hand fest und drehte sich langsam zu ihm, um ihm schließlich in die Augen zu sehen. Er brach unter ihrem Blick entgültig zusammen. Er begann zu zittern und heulte.
„Nicht, nicht... bitte nicht weinen.“, Nikki hielt ihn fest und streichelte ihm durch die Haare. „Aber...aber...ich....“; Lloyd stammelte irgendetwas vor sich her, doch es versank hoffnungslos in wimmern. Er wollte aus ihrer Umarmung flüchten, doch Nikki hielt ihn fest und bald waren es nur noch halbherzige Versuche von ihr weg zu kommen. „Ist ja gut...Bitte, hab keine Angst mehr, ja?“
Sie nahm ihn an den Schultern und besagte ihm ganz sanft sich hinzulegen. Er nahm ihre Decke, und zog sie sich über den Kopf. „Hey, sieh mich an.“, Nikki zog die Decke weiter herunter. Lloyd lag da, und sah sie mit tränenreichen Augen an. Nikki drehte sich der Magen um. Sie betete das sie seine Angst so nicht noch schüren würde, schließlich wurde er um diese Uhrzeit und im Bett das alles seit Jahren angetan. Sie legte sich neben ihn, und nahm seine Hand. Sie griff hinter ihn, und zog irgendein Plüschtier hervor, legte es neben seinen Kopf und küsste ihn auf die Wange. „Schlaf etwas, Lloyd. Ich pass solange auf dich auf.“
Nikki sah zu, wie er langsam die Augen schloss, und sich in die Kissen kuschelte. Sie hoffte nur, das er schlafen würde. Nach einigen Stunden stand sie auf und ging in das Wohnzimmer. Ramses sprang sofort von irgendwo her, und strich ihr um die Beine. Es war schon lange Zeit für sein Fressen. Ihre Eltern würden bald auch kommen. Was sollte sie ihnen sagen? Sie würde Lloyd auf keinen Fall zu seinem Vater zurückschicken. Sie bekam eine Gänsehaut, als sie an das dachte, was sie gerade gelesen hatte. Plötzlich passte sein ganzes Verhalten in der Vergangenheit. Seine Aggressionen, seine Abweisung gegenüber anderen, der Grund warum er nicht mit ihnen Schwimmen gegangen war. Es war alles klar und verständlich. Sein Vater hatte ihn Missbraucht. Und er hatte jahrelang geschwiegen.
Ein lautes Scheppern tönte auf. Die Dose mit Katzenfutter rollte über den Boden. Nikki sank an dem Küchenschrank zu Boden, den Napf mit Katzenfutter in ihrer Hand. Ramses kam gleich angelaufen. Sie nahm ihn auf den Schoß, drückte ihn fest an sich, und er protestierte laut.
„Nikki...ich wollte das nicht, ich wollte dir das nicht antun...Ich wollte dir nicht all meine grässlichen Probleme aufladen...es ist meine Schuld, das es dir so schlecht geht!“
Die Stimme klang aus dem Wohnzimmer. Nikki sah auf, Lloyd stand an ihrer Zimmertür. Ramses sprang von Nikkis Schoß und verzog sich ins Schlafzimmer. Ein eigenwilliger Kater. Nikki stand auf und rannte zu ihm herüber. Sie fiel ihm um den Hals und wollte ihn nicht mehr loslassen. Lloyd schien nichts dagegen zu haben. Sie standen so eine lange Zeit. Nikki flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Es ist nichts deine Schuld. Es ist gut, das du dich mir anvertraut hast. Ich wird jetzt auf dich Acht geben...“
„Wie willst du das tun?“, Lloyd weinte. Er hatte sein Gesicht in ihrem T-Shirt vergraben, „Er wird mich wieder holen kommen. Und dann wird er sehr sauer sein, wenn er erfährt, das du es weist. Er wird...“ Der Rest verschwand unter tausenden von Tränen und Nikki konnte kein Wort davon verstehen. Vielleicht war es auch besser so. Sie war wirklich nicht scharf darauf, mehr zu erfahren, Einzelheiten zu erfahren. Aber sie konnte ihn nicht abweisen. Nein. Das ging auf keinen Fall. Sie musste ihm helfen. Und um damit anzufangen, musste sie ihn erst mal beruhigen.
Vorsichtig zog sie ihn in ihr Zimmer. Sie setzte sich auf den Boden, und Ramses kam wieder angelaufen. Der Kater hatte wohl etwas von Lloyds Trauer mitbekommen, denn er strich ihm wieder um die Beine, und miaute ihn an. Lloyd stand da, ohne zu wissen was er tun sollte. Er sah so verloren aus, das Nikki fast wieder weinen wollte. Endlich war Ramses so überzeugend, das Lloyd sich ebenfalls niederließ, um ihn zu kraueln. „Warum willst du überhaupt das ich hier bleibe?“, obwohl Lloyd mit Nikki sprach starrte er nur weiterhin auf den Kater, „Das ist eklig, ich bin abstoßend, das er das mit mir macht...“
„Nein!“, Nikkis Stimme klang bestimmend. Sie entschied, das es das beste war, in Lloyds Nähe zu bleiben, da er wieder stärker heulte. „Ich hab dich genauso gern wie immer. Du bist nicht schuld, das er so etwas tut. Du hast damit gar nichts zu tun.“
„Aber...warum sollte er das sonst tun?“
Nikki konnte darauf nur schweigen. Sie wusste selbst nicht, wie jemand zu so etwas fähig war, nur das ihr Freund auf keinen Fall daran schuld war. Doch das schien sich tief in seinem Kopf eingenistet zu haben. „Ich weis nicht, warum ein Mensch so was tut. Aber du bist nicht schuld, jeder ist mit mir einer Meinung, das du nicht Schuld bist. Bitte sag so was also nicht.“
Nikki wollte soviel fragen, aber sie wusste nicht, was sie ihn fragen konnte, ohne ihm wehzutun, und mit was sie ihm weh tun würde. Immer noch war es unfassbar. Sie wollte am liebsten selbst zu ihren Eltern und sich ausheulen. Aber das ging nicht. Lloyd war jetzt schlimmer dran als sie. „Warum hast du nie etwas gesagt? Warum bist du denn nicht früher zu mir gekommen?“
Lloyd schluchzte erbärmlich in ihren Armen. „Wie denn? Wie hätte ich es sagen sollen, Nikki? Das er mit mir spielt, als wäre ich nur irgendein Ding, mit dem er tun könnte was er wollte? Das er nachts in meinem Bett liegt, und ich nackt bin? Wie stellst du dir das vor! Ich hab schon genug...“ Nikki hielt Lloyd den Mund sanft zu. Sie war ratlos und hatte mindestens genauso viel Angst wie er: „Und warum bist du jetzt zu mir gekommen, hm?“
Lloyds grüne Augen leuchteten in der Dunkelheit. Sie sahen Nikki genau in die Augen. Man konnte all seine Angst, seine Panik, sein Unbehagen und seinen Schmerz darin sehen. Doch man sah auch, das er tapfer kämpfte, nicht die Fassung zu verlieren.
Wie gerne hätte er alles rückgängig gemacht. Dann wäre er nicht zu ihr gekommen, und sie hätte niemals alles erfahren. Das wäre besser gewesen. Sie weinte genau wie er. Es kam ihm vor, wie ein schlechter Gruselfilm. Warum war er überhaupt auf diese verdammte Idee gekommen, ihr das Buch zu geben? Tagebücher waren nur dazu da, das man in ihnen schrieb, nicht das jemand anders in ihnen las. Aber wenn er jetzt nicht zu ihr gekommen wäre, hätte er sich sicher etwas angetan. Er hatte die Nacht darüber nachgedacht, wie er es tun sollte. In der Schule hatten sie das Thema einmal behandelt. Selbstmord. Nach irgendwelchen Statistiken brachten sich die meisten um, indem sie sich erhingen. Doch das konnte er sich nicht vorstellen. Er hatte eher darüber nachgedacht sich vor einen Zug zu schmeißen.
Aber dann waren ihm seine Mutter und Schwester und Nikki in den Sinn gekommen. Wenn er sterben würde, dann würde man nach Gründen suchen, Und dann würde am Ende doch alles rauskommen, und jeder würde schlecht über ihn denken, jeder würde ihn hassen.
Warum er dann auf die Idee gekommen war, Nikki sein Tagebuch zu geben, wusste er nicht. Er hatte jemandem alles erzählen wollen. Er hatte Angst vor dem Tod.
„Ich will nicht sterben.“ Nikki war sich sicher, die Worte richtig verstanden zu haben. Doch das war vollkommen verrückt. Warum sollte er so etwas sagen? Wollte sein Vater ihm noch mehr antun? „Lloyd, wollte dein Vater etwa?“ Sofort antwortete er mit einem heftigen Kopf schütteln. Sein Vater würde ihn nie umbringen wollen. „Ich...“ Nikki bekam schreckliche Angst. Sie drückte Lloyd nur fester an sich. Ihr Freund hatte daran gedacht sich umzubringen? Das konnte einfach nicht sein. Sie versuchte sich immer wieder einzureden, das das nur ein schlimmer Scherz sei, überhaupt nicht mehr komisch.
Doch das funktionierte nicht. Nikkis blick fiel auf das Tagebuch. „Lloyd...wir müssen es jemandem erzählen.“ Wieder antwortete ihr Freund nur mit heftigem Kopfschütteln. Nein, niemand sonst durfte es noch erfahren. Es reichte doch jetzt. Er hatte sich ihr anvertraut, mehr wollte er nicht. Wenn es jetzt noch jemand weis, dann wüssten es bald alle. „Niemand darf davon wissen! Versprich mir das, Nikki!“ Doch er spürte, wie sie ihn an den Schultern packte, und soweit aufrichtete, das er ihr ins Gesicht sah. Sie wuschelte ihm beruhigend durch die Haare. Sein Blick war flehend, doch gegen Nikkis Entschlossenheit schien er nicht anzukommen. „Das kann ich nicht versprechen, jetzt wo ich davon weis. Ich will nicht, das er das wieder tut! Ich lass das nicht zu!“ Ihre Stimme war sehr laut gewesen, und hatte ihn zusammenfahren lassen. Das war sonst nicht Nikkis Art.
Sie sah deutlich, wie ihm ihr Auftreten gerade Angst gemacht hatte, aber es gab keine anderen Möglichkeit. Sie würde ihn in Sicherheit bringen, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt nur wage Vorstellungen von dem Wort Sicherheit hatte. Hatte er nicht geschrieben, das er die Adresse seiner Mutter hatte? Wäre er dort nicht in Sicherheit? Bei ihr konnte er schließlich nicht bleiben, und er hatte ja auch geschrieben, das er gerne zu seiner Mutter wollte.
„Wir gehen zu deiner Mutter.“ Nikki sprang auf die Beine, und rannte in den Flur, um ihre Jacken und Schuhe zu holen. Lloyd sah ihr nach, und folgte ihr schließlich: „Das geht nicht.. ich kann nicht! Sie kennt mich doch gar nicht...“ Doch Nikki schien das nicht zu beeindrucken. Sie hielt ihm seine Sachen hin, und rannte schließlich in ihr Zimmer. Da stand sie nun. Ob es wirklich das richtige war? Nein, es gab keine andere Möglichkeit. Sie atmete ein paar Mal tief ein und suchte anschließend ihren Rucksack um das Tagebuch einzupacken. Sie hoffte nur, das Lloyd sich nicht noch mehr weigern würde, mit ihr zu kommen. Sie hätte sich lieber noch mit ihm unterhalten, ihn getröstet, aber sie heilt es jetzt für wichtiger ihn zu seiner Mutter zu bringen. Nikki war der festen Überzeugung, das er lieber mit seiner Mutter reden wollte, als mit ihr, auch, wenn sie sich kaum kannten.
Schnellen Schrittes ging sie aus dem Haus, Lloyd vor sich her schiebend da er wie gelähmt war, nicht zuletzt, weil sich alles in ihm sträubte, irgendjemand anderes einzuweihen. Nikki nahm seine Hand und zog ihn die Treppe herunter. Lloyd musste aufpassen, das er nicht stolperte und auf sie fiel, in dem Tempo, wie sie herunterrannte und ihn mit sich riss. Er wollte gerne zu seiner Mutter, solange sie das von ihm nicht wusste. Er hatte es jahrelang in sich versteckt und es immer verdrängt. Und nun wurde er gezwungen, dem Menschen der ihm so viel bedeutete, und von dem er nur geliebt werden wollte, das alles zu erzählen. Danach, würde seine Mutter ihn hassen. Er war an ihrer Scheidung Schuld gewesen, schließlich gingen sie kurz nach seiner geburt schon auseinander. Er musste einfach Schuld sein.
„Du hast ihre Adresse, ja?“, Nikki riss ihn aus den Gedanken. Er nickte. Sie waren am Bahnhofsgebäude angekommen, und sie suchte einen Fahrplan. Sie hielt noch immer seine Hand und schleppte ihn durch die Menschenmengen. Es war wie am Morgen. Niemand interessierte sich für die beiden. Niemand hier wusste von seinem Geheimnis, und er hoffte inständig das niemand hier es erfahren würde.
Nikki hatte endlich einen Fahrplan ins Auge gefasst, und versuchte verzweifelt, ihn zu entschlüsseln. Sie war bisher nicht oft Zug gefahren, und wenn, immer nur in Begleitung. Ihre Eltern waren zwar kaum da, aber wenn sie Ausflüge gemacht hatten, waren sie immer Auto gefahren. Oder Nikki war mit dem Fahrrad unterwegs. Von Zugfahrplänen hatte sie keine Ahnung. Also wandte sie sich an Lloyd, der brav neben ihr stand. Vielleicht stand er nur so brav da, weil sie immer noch seiner Hand umklammerte. Als Lloyd ihren Blick bemerkte, verstand er sofort. „Meine Mutter wohnt in der nächsten Stadt, wir können direkt in die U-Bahn steigen. Der Zug kommt jetzt gleich, es ist besser, wenn wir schon mal zum Gleis gehen.“
Nikki lächelte. Lloyd war wieder gefasst, und ihr Zug würde gleich kommen, und dann wäre alles gut. Lloyd führte sie durch die Menschenmenge zur Treppe, die in den Untergrund führte. Von unten stach Nikki ein verrotteter Gestank in die Nase. U-Bahn fahren war wirklich nicht ihre Lieblingsbeschäftigung.
Autors Note: Das ist es... Nikki und LLoyd sind auf dem Weg zu Lloyds Mutter. Das 3 und 4 Kapitel ließen sich einfach schreiben. Das 5 hab ich mehr oder weniger aus mir rausgequetscht... Wenn ich noch Leser übrig habe, dann freue ich mich, wenn ich etwas Feedback bekomme, ja?
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