Ja, es ist so weit, ihr müsst mal wieder als Tester für meinen...ähm..."Einfallsreichtum" herhalten, bevor ich die Geschichte, die diesmal etwas länger wird, veröffentlichen kann.
Ich hab versucht sie ausführlicher und düsterer zu gestalten, aber mal sehen wie's geworden ist...
Tränen für die VerdammtenEpilog
„Was ist ein Fluch? Anfangs dachte ich, die Verbannung wäre der Fluch, tatsächlich aber, sind es die vielen unwichtig erscheinenden Details, die den wirklichen Fluch darstellen.
In gewisser Weise wurde ich belohnt: Herr eines eigenen Reiches, Anführer einer eigenen Truppe an treuen Gefolgsleuten, und so weiter.
Allerdings, mein Reich ist die Hoffnungslosigkeit, die Kälte, der Hass.
Meine Gefolgschaft sind verlorene Seelen. Erzdämonen, Todsünden, das sind zwei Namen aus ihrem sehr reichen Namensreservoir. Die Einen kamen mit mir, weil sie an mich glaubten, die Anderen, weil sie meine Freunde waren, einige, weil sie mich liebten.
Süße Ironie. Mich, das einzige Geschöpf, das die Fähigkeit zu Lieben eingebüßt hat, dass empfinden sie als begehrenswert.
Was ist es? Ist es meine schöne Gestalt? Mein Gesicht? Meine Art zu Reden? WAS IST ES?
Verfluchtes Dasein!
Dreimal verfluchtes Dahinvegetieren auf dieser elenden Welt! Tod und Feuer will ich über alles bringen, was mich erzürnt, Krieg und Verderben unter die, die mich hierher verbannten!
Und im Zeichen der Rache werde ich mich höher erheben als sie es jemals zu denken wagten, auf dass sie erkennen, dass Luzifer Morgenstern, der glorreiche Dunkle Engel, keine Spiele mit sich spielen lässt.
Feuer ist mein Blut, Eis sind meine Augen. Wie ein Schwert will ich unter meine Peiniger fahren. Der Verräter wird büßen, mein Schöpfer wird für seinen Verrat zahlen, bei allem Heiligen, das ist mein Schwur. Egal wie viele Jahre vergingen und egal wie viele noch vergehen werden, ich werde nicht rasten. Die Welt der Menschen ist das Tor, das Tor meiner Rache. Ich werde es aufstoßen und eine grausame Herrschaft üben, bis sich der Verräter endlich zeigt. Mein ist die Rache, so steht es schon in der Bibel. Mein ist die Rache...Mein1 MEIN! Niemand treibt seine Spiele mit mir, nichts verbannt mich in ein Exil. Das es trotzdem passiert ist, ist für mich eine Schmach, die es auszugleichen gilt.
Doch noch ist es nicht soweit... Noch bin ich nichts als Satan, ein Schatten meiner selbst...
Allerdings, wer weiß, vielleicht ist die Zeit bald gekommen. Zeit, wir haben noch so viel Zeit.“
Ein Pergament dieses Textes wurde 1998 bei einer Razzia in der Villa eines reichen Sammlers gefunden und von der Polizei sichergestellt. Ein neutraler Sachkundiger hatte das Dokument im Dienste dieses Sammlers auf Echtheit und Alter geprüft und kam zu dem Schluss:
„Echt und nahezu 1000 Jahre alt. In einem Anhang, der in anderer Sprache verfasst wurde, wird erkennbar, dass die Worte von einem Verrückten in einem mittelalterlichen Dorf gesprochen und vom dortigen Pfarrer niedergeschrieben wurden. Ich würde mir keine Gedanken über die Echtheit des Pergaments machen, sondern über die des Textes.“
Eine gesonderte Kommission, die auf Anraten der katholischen Kirche aus Sachverständigen einiger Institutionen, sogar des FBIs, hinzugezogen wurde, stellte diesen Bericht in Frage und fertigte einen Eigenen an. Er klang ein wenig anders.
Die öffentliche Stellungnahme war:
„Eine äußerst raffinierte Fälschung, jedoch konnte die Entstehung genau auf das 18 Jhd. datiert werden, in dem einige solcher Fälschungen gefertigt wurden. Das Dokument wird als nicht länger relevant eingestuft und bereits vernichtet.“
Nichts von Alledem geriet in irgendeiner Form an die Öffentlichkeit. Bereits fünf Jahre nach Entdeckung des Textes hatte sich das Feld der Leute, die das Pergament gesehen oder es sogar berührt hatten bereits durch ungeklärte Straßenüberfälle, Verkehrsunfälle und sogar Geiselnahmen halbiert. Acht Jahre danach gab es schon niemanden mehr, der bezeugen konnte, dass der Text überhaupt existiert hatte. Die Leute auf die es ankam, schienen vom Pech verfolgt. Bis in den Tod.
Kapitel 1
Irgendwo, in irgendeiner Schule, vor 11 Jahren
„Und wieder voll abgeräumt...“
„Mach dir nix draus, Mike.“
„
Mann, ich mach mir was draus! Der Typ gibt mir ne 6 grinsend auf die Hand, aber schau dir das doch an! Überhaupt kein Fehler, trotzdem durchgestrichen. Und dann die Bemerkung: Falscher Ansatz! PAH! FALSCHER ANSATZ!“
„Mein Gott, dann geh doch zum Gerner hin und frag ihn danach.“
„Das mach ich auch.“ Versprach Mike und wandte sich dann wütend seinem Matheheft zu.
Sein Mathelehrer, Rudolf Gerner, teilte weiterhin die Schulaufgaben aus... Schon zum zweiten Mal in diesem Halbjahr. Fast nicht mehr auszugleichen. Vermutlich würde das Zeugnis einen Mathe 5, wenn man optimistisch war höchstens eine 4, beinhalten. Nicht sehr toll, denn dieses Zeugnis war seine Mittlere Reife.
Endlich war Gerner mit dem Austeilen fertig.
„Ich fürchte, einige von euch werden das Schuljahr nicht überstehen.“ Meinte er und seufzte gespielt. Gemeinerweise fügte er nach dem Seufzer noch laut hinzu: „Vor allem du solltest aufpassen, Parker. Bloß weil deine Mutter Amerikanerin ist, musst du nicht denken, dass du über allem stehst.“
„Ich hab nie irgendetwas ähnliches gedacht“ wollte Mike über die ganze Klasse hinweg schreien, aber die Empörung ließ ihm nur den Mund aufklappen.
„Mensch, denk halt einfach an deine Hanna, dann geht’s dir bestimmt gleich besser.“ meinte sein Banknachbar
„EINEN
WERD ICH DENKEN!“ gelang es Mike endlich zu rufen, dummerweise hörte ihm niemand mehr zu.
Der Rest der Stunde floss dahin wie zäher Brei. Gerner erzählte etwas von vergessenen Werten und verglich die „Jungend von heute“ sogar mit Logarithmen. Eigentlich alles wie immer...typisch verrückter Lehrer halt.
Endlich unterbrach das befreiende Klingeln der Schulglocke den einschläfernden Lehrer.
Mike eilte sofort zu ihm ans Pult, bevor Gerner wie so oft abhauen konnte ohne seine Notengebung zu begründen. Mike rempelte dabei einen Klassenkameraden an.
„Verfluchter Hundesohn, pass auf wo du deinen Fast Food Körper hinbewegst.“ Versprühte Maier seine Meinung über Mikes fast schon dürre Gestalt in Form eines Spukeregens in das Gesicht eines vorbeigehenden anderen Schülers.
Mike beachtete ihn nicht, sondern ging entschlossen auf Gerner zu.
„Herr Gerner, wieso habe ich wieder eine 6. In meiner Arbeit finde ich nichts als kleine Rechenfehler.“
Gerner hob ekelhaft grinsend seine Visage ins das Licht der Sonne und wischte sich fettige Haare von der Stirn.
„Dafür gibt es zwei Gründe, Parker. Zum ersten will ich dir damit zeigen, wie hart man arbeiten muss um zu etwas zu kommen, zum zweiten...“ er machte eine Pause, die das Gesagte besonders betonen sollte, das Ganze jedoch ins Lächerliche zog.
„Und weiter?“ fragte Mike schwer schluckend.
„Zum Zweiten hab ich dich auf meiner Liste. Du wirst dieses Jahr nicht überstehen. Und wenn’s nach mir geht und ich dich nächstes Jahr auch noch kriege, dann das Nächste auch nicht!“ damit wandte er sich zum gehen und hinterließ einen völlig perplexen Mike.
Perplex zumindest, bis ihn jemand hart an der Schulter herumriss.
„Ey, wenn ich mit dir rede hörst du zu!“ brüllte Maier und schubste ihn gegen die Tafel.
„Was soll das, hm? Ich will keinen Ärger, also bitte...“
„Keinen Ärger, hm? Der Yankee will keinen Ärger. Ich sag dir was...“ begann Maier, wurde jedoch von einem halbgekreischten Ruf unterbrochen:
„Hubsi, da bist du jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!!!!“
Ein in grelles Gelb gekleidetes Etwas flog an Mike vorbei und warf sich in Maiers Arme, der genervt zur Decke sah und leise flüsterte: „Wir sehen uns, Parker.“
Der Wirbelwind konnte ohne den durch Bewegungsenergie verursachten Verschwimmeffekt als Presswurst in gelbem Kleid und nach reiflicher Überlegung als Lissy Hospel klassifiziert werden, was Mike noch einen Grund gab schnell zu verschwinden.
Pause stand an...
„Ich weiß nicht mehr, was wir mit dir machen sollen, mein Sohn.“ Sagte sein Vater monoton und versuchte hilflos den Kragen seines Hemds zurecht zuzupfen.
„Es ist nicht meine Schuld,“ betonte Mike, „aber Gerner hat mich auf dem Kieker und will...“
„Vielleicht wäre Nachhilfe das Richtige.“ Mischte seine Mutter sich ein und band seinem Vater die Krawatte.
„Aber ich sagte doch, dass es nicht m...“ begann Mike.
„Meinst du das passt so, Schatz?“ fragte sein Vater dazwischen.
„Hallo? Gerner will mich aus der Klasse haben und...“
„Ich denke schon. Das Jackett passt gut.“
„Hört ihr mir überhau...“
„Natürlich mein Sohn, ich denke wir werden uns mal nach einer Nachhilfelehrerin, für dich umsehen. Deine Mutter und ich müssen jetzt los, du weißt ja, der Termin mit den Bankleuten.“ Mikes Vater grinste, als hätte er einen Brüller von der Stange gelassen, von dem Mike sich erst erholen musste und war dann schon samt Autoschlüssel im Flur verschwunden.
„Wir werden erst morgen Mittag zurückkommen, Michael, also pass auf deine Schwester auf. Bis morgen, mein Kleiner.“
„Ich bin nicht dein Kleiner, du Schlampe, du!“ Murmelte Mike vor sich hin, als seine Eltern draußen waren, und ging enttäuscht die Treppe zum Zimmer seiner Schwester hinauf.
Das war der einzige Mensch in diesem Haus, der nicht irgendwelche Probleme hatte. Mike hatte schon begonnen sich zu fragen, ob seine Eltern vielleicht in ihrem jeweiligen Büro lebten und nur hin und wieder zuhause Ferien machten, um nach ihren Kindern zu sehen.
Seine Schwester lag ruhig da und schlief.
Er versuchte sich zu erinnern, ob er von seinen Eltern auch so allein gelassen wurde, als er vier Jahre alt war. Hoffentlich nicht, denn er hatte keinen großen Bruder gehabt, der auf ihn aufpassen konnte.
Die Probleme häuften sich...
Mike wusste sich keinen Rat mehr und griff zum Telefon.
Hanna konnte helfen. Sie konnte immer helfen, wenn es ihm schlecht ging, was in letzter Zeit schon Standart geworden war. Sie hatte nie Probleme, nie Ärger. Vielleicht, weil sie etwas hatte, woran sie glauben konnte. An Gott glaubte Mike schon lange nicht mehr.
Er wusste noch, wie er früher oft gebetet hatte, nur um dann am nächsten Morgen enttäuscht zu werden.
Mit 16 Jahren beginnt man zu zweifeln, das ist normal, das macht die Jungend.
Mike zweifelte nicht, er wusste. Wenn es einen Gott gab, dann war es Satan, denn dem allein würde er es zutrauen immer wieder mit neuen Schikanen auf ihn zu warten. Einen guten Gott konnte es nicht geben, wenn überall auf der Welt Leute starben, Hungersnöte ausbrachen und Mike von Schicksalsschlag zu Schicksalsschlag lief!
Hanna glaubte jedoch fest daran, das einzige, was ihn irgendwie an ihr störte.
Und trotzdem liebte er sie. Zwar waren sie durch nahezu 400 km Entfernung bei jedem Gespräch auf ein Telefon angewiesen, doch bei den wenigen Gelegenheiten, an denen er sie sehen konnte, stellte er immer wieder aufs Neue fest wie viel sie ihm bedeutete.
„Ress.“ Meldete sich die Stimme von Hannas Mutter, die exakt so klang wie die ihrer Tochter, doch etwas mehr Akzent hatte.
„Hallo, ich bin es, Michael. Ist Hanna da?“
„Ja, sie ist in ihrem Zimmer. Warte kurz, ich gebe sie dir.“
Mike bedankte sich nicht. Das ließ seine Laune nicht zu.
„Hey.“ Begrüßte Hanna ihn mit ihrer melodischen Stimme.
„Hey. Wie geht’s dir?“ fragte Mike etwas tonlos.
„Ganz gut soweit. Was ist denn los bei dir? Du klingst so niedergeschlagen.“
Er wollte ihr alles erzählen, doch Mike konnte es nicht.
„Es ist...nichts.“ sagte er und verfluchte sich in Gedanken dafür.
„Das klingt aber ganz anders. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.“
„Ich sagte doch, es ist nichts. Weißt du, der Tag war ‚anstrengend’.“ Er hoffte inständig, dass ihr die Betonung des Wortes „anstrengend“ nicht auffiel.
Hm...ich werde euch Männer nie verstehen.“ Seufzte Hanna in den Hörer.
„Ja, vielleicht ist das auch gut so.“ murmelte Mike so, dass sie es nicht hören konnte.
Mittlerweile war er schon kurz davor einfach aufzulegen. Es war ein dumme Idee gewesen sie anzurufen. Was hatte er sich davon erhofft? Trost? Wie sollte das gehen, wenn er ihr nicht mal sagen konnte, was los war.
Er dachte an seinen heutigen Tag.
Begonnen hatte es eigentlich wie immer. Der Schulbus war ihm vor der Nase weggefahren und Mike musste auf den nächsten Zug warten. Mit dem Ergebnis, eine Stunde zu spät zur Schule zu kommen.
Die Geschichte mit der Matheschulaufgabe wollte er nicht einmal in Gedanken ein weiteres Mal durchgehen.
Zumal die Pause auch nicht ohne gewesen war. Maier hatte ihn aufgesucht, wohl um ein weiteres Mal zu beweisen, wer der Klassenrüpel war. Hätte Mike sich nicht in weiser Voraussicht auf die Bank in der Nähe des Lehrerzimmers gesetzt, wäre die Pause mit Prügeln geendet.
Obwohl er alles andere als schwach war, wusste Mike, dass er gegen Hubert Maier keine Chance hatte. Sein tägliches Training war schon ein Fixpunkt in seinem ziemlich verkorksten Leben geworden, aber trotzdem: Kraft hilft nicht viel, wenn man sie nicht einzusetzen weiß, und Mike war kein Schläger.
Er hatte sich noch nie geschlagen.
Vielleicht wurde es ja Zeit.
„Hallo? Ich rede mit dir!“ Hannas Stimme rief ihn in die Gegenwart zurück.
„Was? Entschuldige, ich habe kurz nicht zugehört.“
„Ich fragte, ob wir uns treffen sollen.“
„Was? Aber wo? Es sind doch sechs Stunden Zugfahrt von mir bis zu dir.“
„Schon, aber ich kann mir dieses Wochenende Zeit nehmen, wenn du möchtest.“
„Ja, das würde mich freuen. Treffen wir uns wieder in diesem Dorf, das genau auf halbem Weg liegt?“
„Ja. Ich freue mich, wir haben uns schon ewig nicht mehr gesehen.“
„Das ist toll. Die Züge wie beim letzten Mal?“
„Ja.“
„Perfekt.“
„Bis dann.“
„Bis bald, ich liebe dich.“ Beendete Mike das Gespräch und legte auf ohne abzuwarten, was sie entgegnen würde.
Er erhob sich und ging im Zimmer auf und ab.
Ein wirklich grandiose Idee mit dem Anruf. Bestimmt hatte er ihr jetzt Sorgen und Befürchtungen aufgehalst.
Andererseits würde er sie jetzt sehen. Bald schon. Noch Donnerstag und Freitag rumbringen, dann würde er sie sehen. Und er hatte dann zwei halbe Tage und eine Nacht mit ihr...
Als er und Hanna sich übers Internet kennen lernten, dass wusste Mike noch genau, hatten sie beschlossen sich in einem kleinen Kaff, das genau in der Mitte zwischen seinem und ihrem Zuhause lag, zu treffen. Da hatten sie sich dann auch liebengelernt, und schließlich sogar noch in einer Pension dort übernachtet.
Das war vor einem halben Jahr.
Mike schob mit einiger Willenskraft diese Gedanken beiseite und ging in den Keller des Hauses.
Seine Eltern waren ziemlich reich und hatten sich dort einen kleinen Schießstand einbauen lassen. Vielmehr sein Vater hatte das getan, seine Mutter hatte erst davon erfahren, als das Ding schon zur Hälfte fertig war.
Mike hasste es, dass seine Eltern genug Geld hatten, um Probleme einfach aus dem Weg zu zahlen. Wie gerne hätte er sich selbst eine Zukunft erarbeitet, selbst wenn es hart war, doch sein Vater nahm das alles in die Hand. Es schien ihm nicht einmal aufzufallen, dass er seinen Sohn damit total weltfremd erzog.
Der Schießstand allerdings, war ein guter Einfall gewesen, zumal Mike ein exzellenter Schütze war. Sein Vater besaß einen Waffenschein und einen Revolver, zwei Pistolen und sogar eine MP.
Mike hatte keine Ahnung wie die Dinger hießen, aber schießen konnte er damit. Anfangs hatte sein Vater nur sehr widerwillig mitangesehen, wie sein Sohn auf Scheiben schoss, mittlerweile ermutigte er ihn doch endlich einem Verein beizutreten.
Jetzt stand Mike vor dem Waffenschrank und fragte sich, ob man bei einem Kopfschuss noch Schmerzen verspürte.
Kapitel 2
Der Tag begann wie die meisten. Mike erwachte von Piepsen des Weckers, duschte und zog sich dann schnell an. Seine Schwester hatte ihn in der Nacht mehrmals gefordert.
Nun sollte sich die Haushälterin, ein junges Mädchen, das während der Arbeit mit Vorliebe Metal hörte, und sich nur allzu gerne von schweren Jungs abschleppen ließ, auf sie aufpassen.
Die kam jedoch nicht, und solange sie nicht da war konnte Mike nicht weg.
Schließlich erschien das Mädchen doch, wenn auch eine Viertelstunde zu spät.
Und trotz allem hätte Mike den Bus noch erwischt, wenn ihn nicht der Fahrer schon von Weitem gesehen hätte, um dann die Tür kurz bevor er ganz an der Haltestelle angekommen war zu schließen und davonzufahren, so als würde er den gestikulierenden 16-jährigen am Straßenrand nicht sehen.
Mike hätte am Liebsten geheult. Schon wieder den Bus verpasst. Das konnte heiter werden...
Allerdings, in diesem Moment sah er ihn zum ersten Mal.
Der Mann stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und sah herüber.
Eigentlich konnte Mike gar nicht erkennen, ob der Kerl tatsächlich hersah, denn seine Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen.
Die Brille war schwarz, genau wie alles andere an ihm auch. Er trug schwarze Lederstiefel, die ihm bis zum Schienbein gehen mussten, und um die sich blitzende silberne Ketten schlängelten. Seine Hose war ebenfalls aus schwarzem Leder, jedoch vom Knie abwärts an der Seite aufgeschnitten und mit blitzenden Lochnieten durchstoßen.
Das blutrote Hemd war mit Sicherheit aus Seide und kam unter dem ledernen Kutschermantel zum Glück nur wenig zur Geltung, sonst hätte das ganze Outfit sofort wie das eines Zuhälters gewirkt.
So machte es aus seinem Träger eine imposante Erscheinung. Der Gürtel war Ausgangsort weiterer Ketten, die irgendwo in der Hose verschwanden oder sogar bis zu den Stiefeln fielen.
Bestimmt wurde jeder Schritt dieses Mannes mit einem lauten Klirren begleitet.
Mike hatte sich so in die Betrachtung der Klamotten dieses seltsamen Mannes vertieft, dass er erst zu spät erkannte, dass die Gestalt den Kopf leicht nach links, dann nach rechts wand und dann gemächlich am Bürgersteig entlang schritt, ganz so als ob dieses Aufzug völlig normal wäre.
Plötzlich fiel Mike siedend heiß wieder ein, dass er schleunigst zum Bahnhof musste, da er sonst den Zug auch noch verpasste. Einen Moment war seine Aufmerksamkeit nicht mehr bei dem Mann und sofort war dieser verschwunden.
Es konnte nicht mit rechten Dingen zu gehen – Mike hatte ja nicht mal weggesehen, sondern einfach nur nicht mehr auf die Gestalt konzentriert - und von einem Augenblick auf den nächsten war sie weg.
Und trotzdem, Mike verschob es, über dieses sehr ungewöhnliche Erlebnis nachzudenken.
Sein Zug wartete nicht.
Wäre die Zugfahrt länger gewesen, hätte Mike noch etwas über diesen Mann sinniert, so hatte er leider nur 5 Minuten.
Schon merkwürdig. Der Bus fuhr fast eine halbe Stunde, während der Zug nach 5 Minuten im Nachbardorf war, aber wie um das auszugleichen, erst viel später abfuhr.
Mike stieg gedankenverloren aus und schlug sofort einen schnelle Schritt in Richtung seiner Schule an. Erhatte keine Chance mehr pünktlich zu kommen, aber wenigstens wollte er nicht mehr als die erste Stunde verpassen.
Die Schule war ein erstaunlich großes Gebäude, obwohl es von außen eher eng erschien.
Wenn man sie zum ersten mal sah, kam einen sofort die Vorstellung eines kleinen Hauses, an das in jede Himmelsrichtung ein Mehrfamilienkomplex angebaut wurde, und wieder und wieder etwas modernisiert wurde, bis der einstige Steinbau unter blanken Stahlträgern und gläsernen Überdachungen versteckt war.
Mike lief schon fast gegen die Eingangstür. Dieses verdammte Plexiglas war nahezu unsichtbar, noch dazu wenn man zu spät kam.
Er öffnete die Tür vorsichtig und spähte in die Aula. Hier kam der moderne Baustil am Besten zur Geltung.
Ein hoher Raum, in dem meistens die Schulkonzerte abgehalten wurden, führte in den Innenhof und über je eine weite Treppe links und rechts in den ersten Stock.
Mike wollte sich gerade auf den Weg zu seinem Klassenzimmer machen, als leise die Musik von „Over The Hills And Far Away“ von Nightwish an sein Ohr drang.
Erschrocken dreht er sich, auf das Schlimmste vorbereitet: eine Begegnung mit dem Direktor, herum, doch stattdessen lehnte an der Wand neben dem Eingang zur Sporthalle der Mann von vorhin.
Mike wäre fast der Mund aufgeklappt, als sich der, mittlerweile mit MP3-Player bestückte Schemen von seinem Platz löste und auf ihn zuging. Anders als erwartet kam kein Geräusch von den Ketten, die blitzend und glitzernd von ihm herab hingen, wie silbernes Lametta von einem Weihnachtsbaum.
Mit einer fließenden Bewegung holte der Mann den MP3-Player aus einer Tasche seines Stoffmantels, schaltete ihn sorgsam aus, zog sich die Ohrstöpsel aus den Ohren und – warf das Gerät lieblos von sich.
Es flog den Bruchteil einer Sekunde durch die Luft und machte dann Bekanntschaft mit der Wand.
Mike war völlig perplex. Vielleicht war das der Grund, weshalb ihm statt einer Begrüßung oder Frage nur ein leises: „Nightwish, hm?“ herausrutschte.
„Gute Musik. Ich liebe Tarja.“ Meinte der Mann leichthin.
„Sag mal, verfolgen sie mich?“
„Mein Name ist Astarod.“
„Bitte was?“
„Astarod. Und du kannst du zu mir sagen.“ Astarod sah sich ruhig um.
„Gut, dann stelle ich die Frage anders: Verfolgst du mich?“ fragte Mike
Von Astarod kam nur ein leises Kichern.
„Du gefällst mir, Michael. Bis auf den Namen bist du recht cool.“
„Was gibt’s an meinem Namen auszusetzen?“
„Ach, nichts. Ich hab da nur immer so ein kleines Déjà vu.“ Erklärte Astarod grinsend und sah zur hoch über ihnen liegenden Decke, als würde er sich an etwas Lustiges erinnern.
„Okay, bekomme ich jetzt eine Antwort.“ Mike bewunderte sich selbst für seine Unverfrorenheit.
„Nein.“ Sagte Astarod kurzangebunden und wollte noch etwas hinzufügen, doch Mike fiel ihm ins Wort,
„Astarod...den Namen kenne ich doch. Is das nich der Name eines Engels, oder so?“
Astarod sah ihn an als hätte er grade gefragt, ob eins und eins vierzehn ist.
„WIE BITTE? Engel...das war ein Kapitalverbrechen, Junge.“ Grollte er.
„Ja, aber is das nich so?“ fragte Mike lächelnd, woraufhin Astarod sich die Hand gegen die Stirn schlug.
„Verdammt, Junge: DÄMON. Es ist der Name eines Dämons.“ Kam es von irgendwo unter der Hand.
Mike gab vorerst keine Antwort, sondern nahm sich Zeit seinen gegenüber zu betrachten.
Astarod sah ziemlich gut aus. Die rabenschwarzen Haare, das markante, edle Gesicht, die große aber sehr muskulöse Statur. Trotzdem gab es etwas, das die Menschen auf der Straße unweigerlich vor ihm fliehen machen musste: Seine Augen.
Astarods Augen waren kalt. Wie zwei tiefe Seen strahlten sie Schwärze aus. Sie hatten offenbar keine echte Farbe, sondern passten sich dem Licht an. Je nachdem wie es auf sie fiel, schillerten sie bunt oder wurden finster.
Zudem zog sich noch eine kaum sichtbare Narbe von seiner Augenbraue bis zur Wange. Vermutlich ein Schnitt, oder etwas in der Art.
Plötzlich nahm Astarod seine Hand vom Gesicht und betrachtete Mike.
Diesem kam es so vor, als wäre das alles zu geplant, einem Theaterstück zu ähnlich. Astarod hatte dieses Gespräch genau so, wie es jetzt verlief, geplant. Seine Gestik war absichtlich so gewählt um Mike Zeit zu geben.
„Ich habe dich heute schon getroffen.“ Beendete Mike das Schweigen.
„Ja, ich hab dich beobachtet. Du lässt dir einiges gefallen, nicht wahr...“ Das war keine Frage, aber auch keine Aussage.
„Ich...“
„Alle fallen sie über dich her. Verachten dich, schubsen dich herum...und du siehst ihnen zu. Dabei weißt du ganz genau, was in dir steckt. Du bist mehr als man auf Blick sieht. Du bist mehr.
Ein Waffenschrank zuhause als besten Freund. Die Eltern empfinden nichts für dich. Deine Liebe ist zu weit weg als dass du ihr, abgesehen von Schmerz, etwas für sie erübrigen könntest.“ Bestätigte Astarod, als er Mikes Zweifel sah.
„Ich bin doch ein Verlierer.“ Gab Mike resignierend von sich.
„Falsch. Aber glaub mir, du wirst es in einer Minute selbst sehen. Sie warten auf dich. Ich bin nur gekommen um dir eins zu sagen: Nutze die Zeit, die dir bleibt. Du bist jetzt alt genug, um mehr zu sehen, von dem, was dich umgibt, und dich umgibt mehr als nur dieses Kaff, dieses Land, dieser Kontinent. Nutze die Zeit und tue das, was du schon immer tun wolltest, denn das kannst du richtig gut. Es liegt dir sozusagen im Blut.“
Astarod sah erschöpft aus, als hätte er seine ganze Überzeugungskraft in diesen letzten Satz gelegt.
Instinktiv spürte Mike, dass Astarod recht hatte. Er hatte den Sachverhalt so kühl und klar dargelegt, dass es mit keiner Logik der Welt zu widerlegen war. Er hatte auf eine gefühllose Art und Weise ausgedrückt, was Mike schon lange spürte.
Dieser war total geschockt. Erst begann der Tag so toll wie immer, dann sprach ihn ein seltsamer Fremder an, der den Namen eines Dämons trug, ihm sagt, dass er von hier abhauen sollte und offenbar die Gabe ausstrahlte, dass er immer und überall die Wahrheit sagte.
Astarod wandte sich zum Gehen und sah nicht mehr zu Mike zurück. Dieser wollte ihm zwar noch folgen, wurde dann allerdings von einem erstaunlich lauten :“PARKER!“ von seinem Vorhaben abgehalten.
Maier stand am Fuße der Treppe, flankiert von zwei massigen Kerlen seiner Clique.
„Da ist er. Endlich. Ich wusste, dass er wieder zu spät kommen würde.“ Murmelte er feixend zu seinen Jungs, jedoch so laut, dass Mike es mithören musste.
„Was willst du?“ fragte Mike kalt.
„Ohoooooooooooo, hat Mister Cool uns Mut gemacht?“ Maier deutete Astarod hinterher, der in diesem Moment durch die Tür Schritt. Doch damit nicht genug, Maier wusste wohl nicht, wann genug war. Er rief Astarod noch hinterher: „Ja, verschwinde besser, wir haben hier zu tun und können dich nicht brauchen. Lauf, sonst schlag ich dich zusammen!“
Astarod ließ sich nicht anerkennen, ob er zugehört hatte. Er setzte nur etwas gelangweilt seine Sonnebrille auf, ungeachtet des Schnees, der noch überall lag, und ging davon.
„Jetzt zu dir, Parker. Du hättest gestern nicht abhauen sollen.“ Begann Maier eine voraussichtlich sehr lange Rede, wurde dann aber von Mike unterbrochen, der im Moment wirklich keine Lust auf diesen Schwachsinn hatte:
„Halts Maul, Maier. Geh mir aus dem Weg, verdammte
, wie bist du überhaupt aus dem Unterricht geflohen.“
Maier klappte der Mund vor Erstaunen auf.
Leider brauchte er nur den Bruchteil einer Sekunde um sich zu erholen.
Er warf sich regelrecht auf seinen frechen Gesprächspartner und schlug ihm mit aller Kraft in den Bauch.
Mike ging röchelnd zu Boden. Der Schlag hatte seinen Rippenbogen gestreift, was ihm stechende Schmerzen durch den ganzen Körper schießen ließ, die die aufkommende Übelkeit nur noch verschlimmerten.
Aber unter den Schmerzen war noch etwas anderes...eine leise Stimme. Eine leise Vorahnung, die sich empört über diesen Angriff aufschwingen wollte, heraus wollte, Kontrolle erlangen wollte. Mike wehrte sich dagegen, doch er spürte, dass er keine Chance hatte.
Was auch immer es war, es war zu stark. Mike konnte fühlen, wie es sich regte und windete, ein Spalt in seiner Seele sich öffnete und etwas nicht wirklich böses ausspuckte, aber unsagbar fremd und unbekannt. Kalt.
Maier holte bereits zu einem weiteren Schlag aus, als die Stimme aufkam. Fast glaubte er schon Astarods Stimme im Kopf zu haben.
Na Kleiner? Du lässt dich schon wieder rumschubsen. Hast du nicht Verlangen danach, diese Kerle zu verhauen? Sie zu Staub zu zerquetschen? Verbrennen, ertränken, erhängen...
„Was zur Hölle...?“ fragte sich Mike in Gedanken, und prompt kam die Antwort.
Die Hölle ist kein Ort, den du sehen möchtest. Komm schon Bruder, wir sind uns zu ähnlich.
„Was? Nein! Du bist nicht mein Bruder!“ rief er in Gedanken aus.
Als Maiers Faust seine Schläfe traf, begann Mikes Dunkler Bruder zu lachen.
Erst umfing Mike fast schon wohltuende Schwärze, dann wurden die Bilder vor seinen Augen wieder klarer und er konnte von einem Moment auf den anderen eine Welle von Schmerz spüren. Sein Kiefer war taub und heißes Blut floss ihm über die Lippen, auf die er sich wohl gebissen hatte.
Zum Glück beließ Maier es dabei.
„Ich sags dir noch mal, Parker. Yankees haben hier nur eine Erlaubnis zu Leben, wenn sie mir nicht in die Quere kommen.“ Sagte er, mit Spott auf dem fetten Gesicht.
Er und seine drei Kumpane gingen zufrieden die Treppe hoch, bestimmt zurück in den Unterricht. Sie hinterließen einen blutenden Mike in der Aula.
Erst horchte Mike in sich hinein, dann, als er sicher war, dass sein Dunkler Bruder still war, erhob er sich und wischte sich Blut von den Lippen.
Seine Brust tat weh als wollte sie zerspringen und in seinem Kopf dröhnte eine ganze Musikkapelle. Trotzdem klopfte er sich ab und ging wütend zur Bibliothek. Er würde auf keinen Fall in den Unterricht gehen.
Wenn er bis zur Pause wartete, konnte er behaupten, er wäre beim Arzt gewesen, oder irgendwas in der Art. Der Hausarzt hatte Mike schon öfter mit einer, natürlich nachträglichen, Bescheinigung ausgeholfen. Einer der Vorteile, wenn der Vater ein wohlhabender Bankier war.
Und fast hätte Mike es auch geschafft sich eine ruhige Zeit zu machen, wäre da nicht die Bibliothekarin gewesen.
Auch sie war nicht gut auf ihn zu sprechen. Ganz und gar nicht.
„Parker. Was ist los wieso bist du nicht im Unterricht?“
„Ich ähhh...wollte kurz...“
„Schwänzen wolltest du, gib es doch zu. Ich muss das melden.“
Und ich muss einen Verweis kassieren, wegen dir, du Schlampe! Dachte Mike, doch sagte er das natürlich nicht.
„Nein, nein, Frau Wendler, ich muss dringend eine Ausarbeitung in Physik schreiben und es wäre hilfreich, wenn ich dazu in den Ruheraum der Biblo dürfte.“
„Biblo, heißt das so bei euch?“ Die Bibliothekarin sah Mike schief an, schloss dann jedoch auf. Zum Glück hatte sie seine aufgeplatzte Lippe nicht bemerkt.
Mikes Eltern kamen nicht heim. Sie hatten so viel Geschäftliches zu erledigen, dass sie gleich auswärts in einem Hotel übernachteten und erst in drei Tagen zurückkommen wollten.
Mike war froh darum, denn so hatte er Zeit sich seinen Entschluss zu überlegen.
Astarod hatte wohl recht. Überall war es besser als hier. Aber war das wirklich ein Grund abzuhauen? Eher nicht.
Zumindest war das Mikes Einstellung an Tag eins, den seine Eltern außerhalb verbrachten. Für solche Fälle ließen sie ihm immer eine Entschuldigung per Telefon ausstellen, damit er sich um seine Schwester kümmern konnte.
An Tag zwei kam der Brief von Hanna.
Mit ihm viel Mikes Entschluss...
Kapitel 3
Los Angeles, Gegenwart
Der Mann hob den Kopf und betrachtete das Gebäude kritisch. Eine alte heruntergekommene Bar. Cherry war sich sicher, dass im Moment nur die Japaner, der Inhaber und seine Tochter da waren.
Vorsichtig bewegte er sich an der Wand entlang. Von hier aus konnte er die Bar gut im Auge halten. Er spürte das vertraute Gewicht der Beretta 93R unter seinem Jackett. Er spürte den sanften Wind durch die Straße wehen. Eigentlich ein schöner Abend. Viel zu schön um zu arbeiten.
Er zog die Pistole, lud sie durch, nahm das Magazin heraus und steckte noch eine Kugel hinein. Ein Schuss mehr, den er vielleicht gleich brauchen konnte.
Dann steckte er die Pistole wieder weg und holte stattdessen die UZI aus dem Metallkoffer neben sich. Bei ihr verfuhr er genauso und steckte sie dann neben die 93R an seinem Rücken unter die Hose.
Genauigkeit, die man sich schnell angewohnte. Er wusste, dass das Messer in seinen Schuhen scharf wie eine Rasierklinge war. Er wusste, dass die Unterarmwurfmesser in seinem Ärmel schnurgerade flogen. Er wusste, dass es in zwei ein halb Minuten Regnen würde.
Schon merkwürdig...er mochte den Regen.
Langsam bewegte er sich über die Straße. Die Tanzschuhe drückten leicht.
Ausgerechnet heute! Eigentlich wollte er heute noch in irgendeinem Club gehen und dort die Nacht versitzen. Womöglich auch noch einen Rausch antrinken.
Und jetzt noch arbeiten.
In diesem Aufzug. Unwillkürlich musste er sich an die Brusttasche greifen. Die verspiegelte Sonnenbrille war noch da. Natürlich, wo auch sonst.
Er setzte sie auf. Wenn schon keine Jeansjacke oder zumindest eine ganz gewöhnliche Jeans, dann wenigstens das.
Vor der Tür blieb er noch einmal stehen.
Im Glas der Tür kontrollierte er den Sitz seiner Krawatte. Schien zu passen. Die Haare? Perfekt. Ah, auf dem Jackett war ein Fleck. Kaum sichtbar, aber an einer ziemlich dummen Stelle. Außerdem sah es so aus, als ob das Blut wäre.
Ein kleiner Risikofaktor, gegen den er aber nichts tun konnte. Das war wieder typisch für Carlo, ausgerechnet den Anzug an dem noch Blut klebte verlieh er.
Langsam betrat der Mann die Bar.
„Geschlossene Gesellschaft.“ Knurrte jemand von der Theke in der Ecke herüber, aber die imposante Gestalt, die gerade den Raum betreten hatte, beraubte dem Barkeeper der erhofften Wirkung.
Eine Bar konnte man das nur mit viel gutem Willen nennen. Es war im Grunde nicht mehr als ein kleiner Raum, angefüllt mit Tischen und Stühlen und einer kleinen wirklich kaum der Rede werten Bar, abgelegen im hinteren Teil.
Neben dieser Bar führte eine Tür weiter. Beschildert waren die Toiletten und ein zweiter Saal.
In Gedanken ging der Mann noch mal alles durch. Jeder Schritt war berechnet, aber das hieß nicht, dass er diesem Plan folgen musste. Allein die mürrische Reaktion des Typen an der Bar machte den Ablauf schwieriger.
Er ging zur Bar und lehnte sich lässig dagegen.
„Was willst du, verflucht ich sagte doch ‚Geschlossene Gesellschaft’, oder etwa nicht! Kannst gleich wieder abhauen.“ Sagte der Kerl hinterm Tresen und wischte auf der Theke herum. Das war der Inhaber dieses Drecksloches.
„Ich möchte was trinken.“ Antwortete der Mann. Seine Stimme klang auf eine schwer zu fassende Art rauchig, war aber sehr angenehm. Bestimmt konnte man ihr stundenlang zuhören ohne dass es langweilig wurde.
Der Barkeeper sah nun etwas entspannter aus.
„Was willst du denn?“
Der Mann entfernte sich wieder etwas vom Tresen.
„Fünf Schritte. Optimale Entfernung.“ Dachte er. Seine Hand glitt in den Ärmel der anderen.
„Ich dachte an einen Schluck Whiskey.“
„Hab ich nur noch einen...warte ich...“ der Rest des Satzes ging in einem feuchten gurgelnden Laut unter. Aus der Kehle des Barkeepers ragte das Heft eines Wurfmessers.
Die Klinge war auf den Punkt genau durch den Kehlkopf eingedrungen. Zwar ein langsamerer Tod als ein Wurf in den Kopf, aber verräterische Schreie oder Töne wenn die Stimmbänder sich nach dem Gehirntod verkrampften wurden vermieden.
Dem Barmann blieb nicht einmal mehr die Chance sich festzuhalten. Er sackte zu Boden, zuckte noch etwas und lag dann still.
Der Mann wandte sich ab. So wie die Leiche lag, lag sie gut. Das Messer war frei von Erkennungsmerkmalen, Fingerabdrücken oder DNA Spuren, er konnte es stecken lassen.
Er zog die 93R und stellte sie auf Burst. Drei Schuss in schneller Folge aus dieser Pistole ließen auch Kevlar tragende Gegner zumindest mit Rippenbrüchen zu Boden gehen.
Der kritische Blick durch den Raum. Keine Kameras. Kein Tonband.
Nicht dass es wirklich etwas gebracht hätte. Eine Kamera konnte mittlerweile so klein sein, dass er sie nie gesehen hätte, aber trotzdem konnte er sich den sichernden Blick nicht abgewöhnen.
Der Mann ging durch die Tür. Dahinter lag ein kurzer enger Gang. Rechts die Toiletten, links eine weitere Tür.
Dahinter mussten die Japaner sein.
Er überlegte kurz. Schüsse würden an seinen Handschuhen Schmauchspuren hinterlassen. Aber ein Messereinsatz war zu gefährlich. Drei, wenn nicht viel Leute sollten im Moment hinter der Tür sein.
Vorsichtig legte er ein Ohr an die Tür.
Seine Erfahrung hatte ihn nicht getrogen und das Glück war ihm hold. Die Stimmen dahinter befanden sich so, dass hin und wieder ein gedämpftes und kaum hörbares Herzschlaggeräusch direkt von der anderen Seite der Tür ausging. Ein Leibwächter auf Posten, der sich gegen die Tür gelehnt hatte.
Der Mann stellte die 93R wieder auf Einzelfeuer und legte die Mündung frontal auf die Tür.
Leise, ganz leise fuhr er daran hinab. Auf der anderen Seite der Tür verhielt sich der Leibwächter so unprofessionell, wie er es erwartet hatte.
Er traute seinen Ohren nicht. Die Stimmen verstummten. Denn hörte er wie der Bodyguard auf der anderen Seite ebenfalls sein Ohr an die Tür legte.
Eine Sekunde nahm der Mann sich Zeit die Pistole auszurichten, dann drückte er ab.
Die Kugel fuhr durch das Holz, trat bei der einen Schläfe des Bodyguards ein und bei der anderen wieder aus.
Sofort trat er die Tür ein. Drei Männer saßen in einer Runde am Tisch, völlig überrascht von den Ereignissen.
Die zwei am Rand des Tisches warn tot bevor sie den Mund aufmachen konnten und der Bodyguard auf dem Boden zum Liegen kam.
Der Mann ging gelassen aber mit erhobener Waffe auf den Dritten Japaner zu.
„Ich bringe Grüße von Mister Cicio. In unserem Revier werden keine Drogen vertickt. Nicht von uns und schon gar nicht von Kleinganoven.“
Damit schoss er dem Japaner in den Bauch. Die Kugel ging glatt durch, genau wie gewollt.
Der kleine Gauner würde es überleben, denn schon in diesem Moment war Cherry gerade dabei einen Notarzt zu rufen.
Aber es würde ihm eine Lehre sein.
Der Mann wandte sich um und verließ die Bar.
Ein weiterer Job erledigt.
Draußen wartete Carlo in einem Sportwagen mit laufendem Motor. Der Mann steig ein, nahm die Sonnenbrille ab und zog die Handschuhe aus.
„Ah, Michele, wieder Nachtschicht, habe ich recht?“ fragte Carlo mit einer etwas öligen Stimme.
„Voll und ganz, es ist alles wie immer.“
„Und nun? Der Abend ist jung. Wir werden nicht mehr gebraucht heute, capisce?“ Carlo stieß während er losfuhr mit dem Ellenbogen leicht nach seinem Beifahrer, bis dieser erwiderte:
„Nein, heute nichts mehr. Fahr mich nach Hause. Ich werde mich hinlegen.“
„Ah, ich verstehe... Schade, aber muss wohl sein, eh? Hehe... Ah, ich hab da noch eine Frage.“
„Stell sie.“
„Ist der Fleck da auf dem Anzug Blut? Das Beschmieren meiner Anzüge kostet extra.“
„Gentlemen, Michele hat uns mit dem letzten Job Luft verschafft, aber es steht wieder was Neues an.“ Begann Paul die Runde.
Don Cicio hob leicht die Hand, ein Zeichen, dass er weitersprechen wollte.
Der Don war schon alt. Paul war zwar sein Sohn, aber ihm lag nichts daran, die Geschäfte zu übernehmen, solange sein Vater noch dazu fähig war. Paul fehlte wohl der Ehrgeiz, der in dieser Art von Business nötig war.
Offiziell hieß das Unternehmen „Cicio Import Export“, doch unter diesem Namen versteckte sich nicht etwa eine einzige Firma, ganz im Gegenteil. Die Familie Cicio besaß mehrere Bars in der Stadt, zwei Kinos, hatte Anteile an einem Theater und einer Privatschule, unter dem Namen verbargen sich so viele Geschäfte, dass niemand außer Cicios Buchhalter alle aufzählen konnte.
Das allerdings war Cicios jüngster Sohn Antonio.
Einen kleinen Teil seines Geldes jedoch verdiente sich Cicio mit Hilfe der Familie.
Unwissende nannten es Mafia, aber das war ein furchtbares Wort.
Die Cosa Nostra ist nicht wie die Japaner oder die Russen. Michele wusste genau, wer sich an die Omerta hielt stand auf der festen Seite. Keine Geldsorgen, keine Probleme. Gut, hin und wieder erforderten die Situationen es, dass man sein Gewissen etwas dehnte, aber das war eher selten. Die meiste Zeit lief alles glatt, was vor allem an den ungeschriebenen Gesetzen lag, eben der Omerta.
Schwierig wurde es, wenn jemand aus der Familie die Regeln brach.
Verrat war gar nicht mal das Schlimmste, das Schlimmste waren Drogen. Wenn jemand wegen Drogen Ärger mit seiner Familie bekam, dann hatte er die Wahl’: Gestehen und sich von der Polizei einsperren lassen, oder steif bleiben und von seinen eigenen Leuten umgelegt werden.
Natürlich musste er dafür bestraft werden, aber schließlich konnte Cicio niemanden ins Gefängnis stecken oder Bußgelder verlangen.
Das unterschied die Cosa Nostra von den anderen Organisationen. Es war ihr Verhalten in eben diesem Punkt. Drogen bringen viel Geld, aber noch viel mehr Elend. Deshalb war Cicio in diesem Punkt unerbittlich.
Es war eigentlich sehr ungewöhnlich, aber bei Drogenproblemen verlangte er sogar von ihnen, dass sie die Sache persönlich in die Hand nahmen. Ein Capo wurde mit der Sache beauftragt. Der nahm sich eine Hand voll seiner Leute und bereinigte das Ganze meistens wirklich persönlich. Kein Aufheben, kein Drama.
Im Moment war es zwar nicht so eine Situation, aber zumindest eine Ähnliche...
„Jungs, Michele hat den Japanern eine Lehre erteilt.“ Er deutete leicht auf ihn und die anderen am Tisch nickten zustimmend, halb bewundernd, halb geistesabwesend „ Aber nun stehen wir vor einem andern Problem. Ich fürchte wir haben einen Fehler gemacht. Die Tochter von diesem Bastardo von Barmann will aussagen. Natürlich würde das in einschlägigen Kreisen sofort den Verdacht auf uns lenken...“
Cicio lehnte sich zurück und atmete einige Male durch. Er legte Paul die Hand auf die Schulter.
Dieser übernahm nun das Wort:
„Was mein Vater sagen will ist, dass wir sie zum Schweigen bringen müssen. Die Sache wird verkompliziert, da sie von den Japanern geschützt wird. Die sind sehr scharf darauf, dass wir Ärger bekommen. Zwar haben sie ihren Drogenhandel eingestellt, aber einige ihrer Nutten lungern schon in unserem Revier herum. Das Mädchen muss weg.
Und das ist unser nächstes Problem. Wir könnten sie zwar einfach umlegen, aber das kommt bei einer 15 jährigen nicht gut. Anfangs war unser Gedanke, sie in bezahlten Urlaub zu schicken, aber auch das wird wohl unmöglich sein. Tja, so oder so, wir haben leider keine Wahl.
Wir werden ihr das genau so erklären, hoffen darauf, dass sie alt genug ist es zu verstehen und hören auf ihre Antwort. Verspricht sie zu schweigen gibt es natürlich eine Belohnung, tut sie es nicht werden wir leider Gewalt anwenden müssen. Trotz allem, es gibt keine Toten, capisce? Keine Toten. Wir müssen ihr nur zeigen, dass wir es ernst meinen und dass wir sehr großzügig sein können.“
Kapitel 4
„Et toi, petit garcon, du nimmst natürlisch wieder das Baby, eh? Mit Laserpointer, comme toujours.“ Jean-Paul legte eine Spezialanfertigung auf den Tisch.
„Non, aujourd’hui je prends un autre chose. Ich dachte an eine UZI, Pauli.“
“Ah, schon gut, isch glaub dir ja, dass du Französisch kannst, Migg.“
„Schön zu hören.“
„Wie isch sehe hast du disch neu eingekleidet? Sehr gut...das wird heute nischt leischt.“ Jean-Paul hatte das „h“ schon sehr gut drauf, aber ein „ch“ machte ihn nach wie vor verrückt.
„Das kann ich mir denken. Der Don will keine Toten, aber es wird Tote geben, ich spür das in meinem Blut.“ Meinte Michele leichthin.
„Blut, ah? Natürlisch.“ Jean-Paul sah ihn schief an.
Michele wurde erst jetzt bewusst, was er gerade gesagt hatte und er lief leicht rot an.
„Na ja, es stimmt schon. Ich spüre das, weißt du. Meine Adern brennen dann so, als hätte mein Blut um einige Grad zugelegt. An guten Tagen kann ich dir mit diesem Gefühl sogar sagen, wen es erwischt.“
„Bah, isch glaube dir nischt du Traumtänzer. Pass auf, isch soll dir die Sache noch mal nahe legen. Also, du gehst rein und achtest auf Wachen, Bodyguards und Spitzel, du hast also gar nischts zu tun. Nur dastehen und warten, mehr nischt. Du brauschst keine Waffe und musst disch nicht bemühen, also wird es ausch keine Toten geben. So einfasch ist das. Cherry kommt dann mit zwei Mann und geht bis zu dem Zimmer, das sisch angeblisch im vierten Stock befindet. Du bist dann schon wieder draußen.
Wie du siehst, der Plan ist narrensischer. Paul hat ihn sisch ausgedascht.“
„Capo Paul macht sich die Mühe das auszudenken? Das muss das wirklich sehr wichtig sein.“
„Natürlisch! Die Japaner sind kein Problem für die Familie, aber die Polizei kann uns das Genick breschen. Wenn wir beide gegen uns haben ist es sowieso schon vorbei.“
Michele ging etwas nervös in der kleinen Kammer auf und ab.
„Na aber trotzdem, wir werden doch kein Problem damit haben ein Mädchen zu überzeugen.“
„Oder au nischt.“ Gehetzt sah Jean-Paul sich um. Sein Dialekt brach immer mehr durch, das bedeutete er war aufgeregt, „’Ör zu. Isch erwarte was ganz großes. Paul nimmt nur unsere besten Leute für den Job. Du bist dabei, das sollte schon genug sein, weißt du. Aber da sind Cherry und Jade, die neben dir die Besten sind. Und gerade die sind au dabei. Mascht disch das nischt stutzisch?“
„Nein. In den 11 Jahren hab ich eines gelernt: Niemals nachdenken. Man tut was der Don sagt und alles ist in Ordnung. Aber sobald man darüber nachdenkt stellt man den Befehl in Frage.“
Michele wartete nicht auf Jean-Pauls Antwort, sondern nahm die Spezialanfertigung vom Tisch. Es war eine umgebaute FiveseveN. Jean-Paul hatte ihr ein etwas größeres Kaliber verpasst und den Lauf so gearbeitet, dass sie leiser war.
„Jetzt gibst du mir noch fünf Magazine dafür, dann kanns losgehen.“
Jean-Paul legte die Munition der Reihe nach und mit einigem Zögern auch noch auf den Tisch.
„Isch hoffe du rischtest kein Massaker an, sonst nimmt diese Geschischte ein böses Ende.“
„Geschichte ist nichts weiter als eine Lüge über die sich alle einig sind.“ Meinte Michele kühl.
„Napoleon.“ Entgegnete Jean-Paul sofort.
„Oui.“ Michele lächelte.
Das Handy klingelte. Michele holte es heraus und nahm den Anruf an.
„Aye.“
„Es geht los. Geh zur Tür rein, links ins Foyer.“
„Aye aye.“
Schon war das Gespräch beendet.
Michele setzte sich in Bewegung. Unterwegs prüfte er den Sitz seiner Schuhe. Leicht locker, aber nicht schlüpfrig. Die Hose lag eng an, das Leder war geschmeidig und gab kein Geräusch von sich. Das graue Hemd schlabberte leicht während die Jeansjacke, trotz der Pistole darunter perfekt passte.
Vor der Tür des Hotels blieb er noch einmal stehen und wählte auf dem Handy Jades Nummer.
„Abend Mieze.“ Begrüßte er sie.
„Miaou Tiger. Bist du auf deinem Platz?“
„Noch nicht. Gib mir noch eine Minute.“ Sagte Michele leise und vergewisserte sich, dass die Pistole, die bloß unter seinem Gürtel steckte, durchgeladen war.
„Und bitte Tiger, pass auf wo deine Kugeln fliegen, ich kenne ihre Wirkung.“
„Ich würde dir doch niemals weh tun, Süße.“
„So leicht bist du zu haben? Eine heiße Nacht und du verlierst deinen Verstand.“
„Ah, Frauen und ihre Arbeitsauffassung. Dabei müsstest du doch genau wissen, dass ich meinen Freunden niemals weh tue.“
„So lange, bis Cicio es befielt.“
In der Zwischenzeit war Michele im Foyer angelangt.
„Ich hab’s.“ Sagte er leise in sein Handy, „Wird mein Kätzchen heute ihre Krallen zeigen?“
„Wenn’s nicht nötig wird dann nicht. Ich hab’s jetzt auch. Cherry wartet mit dem Wagen und Capo Paul auf uns. Ich mache den Job und gehe mit dir raus. Du bist eigentlich unnötig, Süßer.“ flötete Jade und legte auf.
Michele ließ sich langsam in einen Sessel sinken. Die Pistole zwickte.
„Ah, ich muss aufpassen mit wem ich in Zukunft schlafe.“ Murmelte er vor sich hin.
Er setzte sich etwas bequemer hin und ließ die Blicke schweifen. Das Foyer war vollkommen leer.
Und genau in diesem Moment erklangen die Schritte.
Schwere Stiefel auf teppichgedeckten Marmor und dazwischen ein leises Pfeifen.
Da pfiff jemand im Takt von „She Is My Sin“ von Nightwish.
„Entschuldige, darf ich mich zu dir setzen?“ fragte jemand. Michele kannte diese Stimme.
Es war Astarod. Dieser wartete gar nicht erst eine Antwort ab sondern ließ sich sofort gegenüber von Michele nieder. Michele erinnerte sich noch gut an Astarods Aussehen. Nichts hatte sich verändert. Astarod hatte keine Falte dazubekommen. Er war kein bisschen gealtert. Nur die Ketten an Astarods Kleidung waren weniger geworden.
Astarods nahm gemächlich die Sonnenbrille von den Augen und schaltete den Player aus.
„Ah, du wirfst ihn nicht mehr durch die Gegend.“ Sagte Michele spontan.
„Wie ich sehe hast du mich nicht vergessen. Mehr noch, du bist meinem Rat gefolgt. Ich wusste ja, du bist etwas Besonderes. Ach ja...“
Astarod machte es sich in dem Sessel so richtig bequem und zündete sich eine Zigarette an.
„Du rauchst?“ fragte Michele.
„Nein.“ Antwortete Astarod ernsthaft und warf die Beine auf ein kleines Tischchen.
„Ja, das sieht man.“
„Oh das, nun, dieser Körper raucht, ich nicht.“
„Bitte was? Körper?“
„Ach, das verstehst du auch noch. Nun...wir müssen reden.“
„Reden...“
„In der Tat. Ah, erst konnte ich es gar nicht glauben. Ich hätte mir nicht mal träumen lassen, dass du wirklich deine Heimat verlassen würdest.“
„Ja, mit meinen Freunden und meiner Familie.“ Meinte Michele ironisch.
„Ach, so kann man das nicht sehen, weißt du. Familie bleibt Familie und so weiter und so weiter. Tjaja nun, deshalb bin ich hier. Mein Herr möchte dich sehen.“
„Dein Herr?“ fragte Michele vorsichtig, da er sich nicht vorstellen konnte, dass eine imposante Gestalt wie Astarod ein Diener war.
„Allerdings. Und du willst natürlich wissen wer es ist.“ Lockte Astarod mit einem Lächeln und zog gemächlich an seiner Kippe.
„Natürlich nicht! Ich arbeite.“ Entgegnete Michele etwas gereizt. Es behagte ihm nicht mit jemanden zu reden, der das Gespräch allein durch seine Anwesenheit völlig dominierte, aber genau so verlief das Gespräch mit Astarod.
Dieser schwang die Beine blitzschnell unter das Tischchen und beugte sich bis auf wenige Zentimeter zu Michele vor.
„Glaubst du an Gott, Mike?“
„Nein.“
„Dann liegst du falsch. Gott ist existent. Wenn auch anders als ihr glaubt. Gott hat das alles geschaffen. Den Planeten, die Menschheit, dich, mich. Alles hier...“ seine Hände schweiften in einem gewagten Bogen umher und er lehnte sich wieder gemütlich zurück, „Aber es kümmert ihn nicht. Gott ist ein Voyeur. Er sitzt in seinem Reich und beobachtet euch Menschen in eurem sinnlosen Kreislauf. Er wartet und prüft euren Glauben, doch er mischt sich nie offen ein. Ganz anders als mein Herr.“
Michele ahnte die Richtung, die Astarod einschlagen wollte.
„Willst du sagen, dass du für den Teufel arbeitest?“ fragte er ungläubig.
„Ah, ein Kenner.“ Sagte Astarod spöttisch, „Nun, Teufel ist möglicherweise etwas verfänglich. Reden wir doch lieber von Luzifer.“
Michele brach in entgeistertes Lachen aus.
„Du bist verrückt, völlig verrückt.“
Auf Astarods Gesicht trat ein Lächeln.
Eines, das einem das Blut gefrieren lassen konnte.
„Und du, du bist in meiner Hand, Junge, also reize mich nicht.“
„Ich? In deiner Hand?“
„Allerdings. Es ist das erste Mal, dass du so unvorsichtig bist. Irgendwie enttäuschst du mich damit sogar.“ Ein gespielter Seufzer entrang sich seiner Kehle.
Michele sah sich um. Wieder dachte er sich, das Foyer wäre viel zu leer, aber erst jetzt erkannte er, dass er recht hatte.
Es wäre vielleicht noch normal gewesen, wenn niemand im Foyer säße, aber hinter der Rezeption war nicht mal ein Portier. Außerdem war der Computer dahinter abgeschaltet.
„Ah, und langsam bricht dein berechnendes Wesen durch, nicht wahr.“
Michele sprang aus dem Sessel. Bevor er selbst wusste was er tat, hatte er die Pistole in der Hand und richtete sie auf Astarod.
„Und du wirst mir jetzt sagen, was hier gespielt wird, verfluchte Hölle! Steh auf!“
„Droh mir nicht.“ Meinte Astarod kalt und erhob sich mit versteinertem Gesicht.
„Und ob ich dir drohe! Was wird hier gespielt, verdammt!“ rief Michele zornig, doch bevor er eine Antwort erhielt hatte Astarod die Zigarette gehoben und sie Michele entgegen geworfen. Kurz bevor sie Micheles Gesicht traf verwandelte sie sich in eine gewaltige Stichflamme.
Michele warf sich zurück und rollte quer über den Teppich. Die Flamme war ihm wie ein glühendes Eisen über das Gesicht gefahren, es aber trotzdem nicht verbrannt. Die Pistole flog in hohem Bogen davon.
„Nun, sieh das Ganze als Test, Mike. Wenn du dich gut machst wirst du Dinge sehen, die du nie zu träumen wagtest. Du wirst Dinge erleben, die du nie zu träumen wagtest.
Die hier wirst du brauchen.“ Mit dem Fuß schob er Michele die Pistole zu.
„Was zur Hölle?“ rief Michele und stand vorsichtig wieder auf.
„Ja, Hölle ist ganz passend.“ Meinte Astarod und setzte sich wieder in einen Sessel, „Ich sehe schon, du bist neugierig. Ihr Menschen ähnelt euch in einem Belang alle: Ihr wollt unbedingt wissen, warum ihr Dinge tut. Ihr könnt nicht damit leben, dass ihr sie einfach macht, ihr müsst immer wissen wofür, warum, wie, wann, wie lange, wo... Dabei klärt sich doch das meiste von selbst.“
„Ich glaub du hast ein Rad ab.“ Michele begann damit sein Gesicht abzutasten.
„Tjaja.“ Lachte Astarod, „Damit bekommst du so bald keine mehr ab. Ach, nein, Scherz, ich weiß schon wie ich meine Kräfte einsetzen muss. Auch wenn sie in diesem Körper unglaublich gering sind.“ Fügte er düster hinzu.
„Gering.“ Michele war mittlerweile etwas verwirrt.
„Aber wo wir grade bei Frauen sind, wusstest du, dass ich dich schon seit elf Jahren beobachte?“
„Du beobachtest mich?“ Jetzt war Michele endgültig verwirrt.
„Ja. In elf Jahren vier Frauen, die etwas weiter oben mit dabei. Du lebst enthaltsam, Kleiner. Oder du lebst ganz für deinen Job. Interessant ist, dass du in den ersten drei Jahren zwei hattest und in den restlichen acht wieder nur zwei. Als du in diesem Land ankamst mit nichts weiter als bisschen von diesem Geld.“ Astarod winkte leicht mit der Hand und hielt für wenige Sekunden fünf Hundert Dollar Scheine darin, die aber sofort verschwanden als er die Hand wieder sinken ließ,
„Ähm...“ antwortete Michele.
„Ah, die Geschichte mit der Einen, ich glaub sie war blond, nicht wahr? Ja, ich entsinne mich. Du hast sie in der Bar aufgeklaubt. Oh, und Barbesuche wurden bei dir auch immer weniger. In den ersten beiden Jahren Jahr noch 107, dann nur noch 153 auf neun Jahre.
Die Genusssucht wurde ständig weniger. Sehr traurig mit anzusehen, weißt du. Du tatest mit irgendwie leid. Hätte denn hin und wieder etwas Spaß so sehr geschadet.“
„Man kann sich dann nicht konzentrieren.“
„Ahhhhh, sooooooooo... Natürlich, das stimmt.“ meinte Astarod gedankenverloren.
„Du scheinst ja ein gaaaaanz toller Kerl mit den Frauen zu sein.“ Sagte Michele langsam etwas streitlustig werden.
„Naja, sagen wir so, wo ich herkomme ist es meistens sehr sehr langweilig und es gibt so gut wie nichts zu tun, aber irgendwas muss man tun, nicht wahr. Also gibt es nur wenig Möglichkeiten. Man beschäftigt sich mit sich selbst: Man denkt nach, man trainiert, man philosophiert oder man wird wahnsinnig. Die zweite Option ist: Man beschäftigt sich untereinander. Und auch da gibt es nur sehr sehr wenig Möglichkeiten. Eine davon ist Sex.
Hast du schon mal was von den Todsünden gehört? Eine davon ist Wollust.“
„Wie viele waren das gleich noch mal?“ fragte Michele, der von der Absurdität dieser Szene beeindruckt war.
„Sieben....Ich sehe schon, ich muss dir noch einiges beibringen: Hoffart, Geiz, Unkeuschheit, Zorn, Unmäßigkeit, Neid und Trägheit, das sind die sieben Todsünden. In die heutige Zeit versetzt finde ich allerdings Zorn, Neid, Habsucht, Hochmut, Wollust, Völlerei und Trägheit besser.“ Begann Astarod zu philosophieren
„Und das sagt mir jemand, der Nightwish hört.“ Meinte Michele lakonisch.
„Ich geb dir gleich so ein Ding aufs Maul, Menschenwesen. Wofür haltest du dich? Wofür haltet sich eure ganze verfluchte Rasse? Ihr seid nichts als Tiere, so wie jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten auch nur ein Tier ist. Ihr seid hier nur geduldet. Die Natur duldet euch in einem wackligen Gleichgewicht und doch führt ihr euch auf als wärt ihr die Herrscher über sie. Ihr schlägt ihr Wunden wo immer es geht, ihr vernichtet den Boden, auf dem ihr und eure Kinder gehen müsst, ihr verpestet die Luft, die ihr und eure Kinder atmen müsst und ihr vergiftet das Wasser, das ihr und eure Kinder trinken müsst.
Soll ich weitermachen, Menschlein? Soll ich dir weiterhin die Geschichte deiner Rasse erzählen?
Das wirklich Ironische an der ganzen Sache ist doch, dass ihr das alles unter bestem Blick der Konkurrenz macht. Gott hat diesen Planeten geschaffen, das ist richtig, doch es war Zufall, dass ihr und all das Leben hier entstandet. Gott kümmert sich nicht um euch, er sitzt in seinem kleinen Gemüsegarten und freut sich am Gesang seiner Engel. Und ihr? Ihr haltet euch für Gottes eigene Schöpfung. NACH SEINEM ABBILD GEFORMT! Verrecken sollt ihr in eurem eigenen Blut, ihr größenwahnsinnige Laune der Natur.
Denkst du wirklich Gott steht über dir und wacht über deine Schritte? Oh nein, du interessierst ihn nicht. Es ist egal wie du dich hier benimmst, denn Himmel und Hölle sind zwar existent, doch sie sind nicht für euch gedacht.
Gott hat euch allein gelassen. Nimmt man die Sachen genau war er nie bei euch. Nur einige von seinen Dienern wohl gestreute Gerüchte haben euch überhaupt wissen lassen, dass es ihn überhaupt gibt. Und du denkst es läge ihm etwas an euch. Pah...!
Passiert etwas Tolles preist ihr den Herrn, passiert etwas Furchtbares sind seine Wege unergründlich. Wirklich sehr gerecht. Aber nun sage ich dir etwas: Du bist einer der ganz wenigen Menschen, die die Chance bekommen das System zu durchschauen. Gib mir deine Hand und ich nehme dich mit zu meinem Herrn, wo du nicht nur deinem vorbestimmten Schicksal entgehen kannst, nämlich dem Tod ohne Hoffnung auf Erlösung und Vergebung, denn das gibt es nicht. Reich mir die Hand und ich zeige dir wie es wirklich steht. Siehst du diesen Körper? Es ist nicht meiner, denn in dieser Welt kann ich nur existieren, wenn ich einen der euren unterwerfe, doch allein die Anwesenheit meines Geistes hat ihn unbeschreiblich schön werden lassen. Du glaubst es nicht? Wenn ich möchte müsstest du dich von mir geblendet auf dem Boden herumrollen. Mein Geist hat diesen Körper mächtiger werden lassen, zwar nicht so wie meinen Wahren, doch hinreichend. Du glaubst mir wieder nicht? Wenn ich wollte wäre es eine Kleinigkeit dieses Hotel mit einem Schlag in seinen Grundfesten zu erschüttern, doch es wäre ebenso gering es nach seinen Zusammenfall wieder aufzubauen. Du siehst, dir stünde ein grandioser Pfad offen, alles was du tun müsstest, wäre meine Hand zu nehmen.
Astarod streckte Michele die Hand entgegen und plötzlich schien es als würde die Welt um beide herum im Nichts versinken. Von einer Sekunde auf die andere gab es das Hotel nicht mehr. Es gab keine Erde mehr und keine Menschheit, es gab nur noch Astarod und Michele.
Und ganz wie Astarod sagte machte er eine Veränderung durch. Aus den Tiefen seiner mit blitzenden Ketten besetzten Kleider wehte ein Wind hervor und machte im aufkommenden Nichts um sie herum ganz klar das Bild zweier gewaltiger schwarzer eisenbeschlagener Flügel deutlich.
„Reich mir deine Hand, Mike. Verschreibe dich der Seite, die sich für die Menschen interessiert.“ Flüsterte Astarod und fast wäre Mike versucht gewesen ihm zu folgen.
Aber da fiel der Schuss.
Irgendwo in den oberen Stockwerken fiel erst einer, dann eine ganze Schussfolge, die ebenso abrupt endete, wie sie aufgekommen war.
„Jade.“ War das Einzige, das Michele dazu einfiel.
Kaum hatte das Wort seinen Mund verlassen kehrte die Realität mit der Wucht eines Hammerschlages zurück. Astarod sank schwankend zu Boden als hätte er all seine Kraft aufgebraucht.
„Mike! Geh nicht dort hinauf. Du findest nichts dort oben, nur den Tod!“
Doch Michele hörte schon nicht mehr. Für den Moment dachte er, der Weg sei frei, doch kaum wähnte er sich weit genug von Astarod weg, da traf ihn ein harter Schlag zwischen den Schultern.
„Du gehst hier nicht weg!“ fauchte Astarod mit einer schreckenden Kälte in der Stimme und vor Wut verzerrtem Gesicht, „Ich bin nicht dein Schutzengel, ich bin überhaupt kein Engel! Ich sagte dort oben ist der Tod und es ist so. Wenn du dort hin gehst bist du verloren. Ich könnte dich ja nicht mal beschützen in diesem schwächlichen Menschenkörper.“
„Was auch immer mit Jade passiert ist, ich muss nachsehen.“ Rief Michele mit aller Kraft, doch Astarod hielt ihn fest.
„DIE FRAU IST TOT, JUNGE! Sieh es ein. Du kannst nichts tun.“
„Halts Maul!“
Michele hatte sich wieder losgerissen und aufgerappelt.
„Kleiner, wenn dir etwas zustößt müssen wir wieder Jahrhunderte warten.“ Schrie Astarod gequält.
„Von mir aus könnt ihr versauern, wer auch immer ihr seid!“ schrie Michele zurück und lief so schnell es ging durch das Foyer zur Treppe nach oben.
Astarod sah ihm eine Sekunde nach, dann ließ er alle Vorsicht fahren und zog ein Handy aus der Tasche. Er überlegte noch eine kostbare Sekunde, dann steckte er es wieder weg. Er spürte, dass ihre Anwesenheit in dieser Welt bereits bemerkt worden war. Er musste jetzt schnell handeln.