Greldon
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« Antworten #2 am: 30.Oktober.2007, 15:36:35 » |
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Als Winfried und Ronald durch die Hofeinfahrt des kleinen Bauernhofes traten, wurden sie bereits von Winfrieds Vater erwartet: "Wen bringst'n do mit?" Dann wandte er sich an den Fremden: "Servus. Was mechst denn?" "Seid gegrüßt", erwiderte der Fremde. "Euer Sohn deutete an, dass ich hier wohl nächtigen könnte, um morgen bei Tagesanbruch die Kutsche nach Passavia nehmen zu können. Er meinte weiterhin, zu Fuß sei es zu gefährlich in jene Stadt zu gelangen. Aber ich möchte Euch keine Umstände machen, mir würde ein warmer, trockener Platz zum Schlafen reichen, vielleicht im Stall..." "Bei d'Kiah?" fragte Winfrieds Vater langsam. Der Wortschwall des Fremden hatte ihn ein wenig aus dem Konzept gebracht, so viel sprach er sonst den ganzen Tag nicht und außerdem schätze er es gar nicht, wenn man ihn mitten bei seinem Weißbier störte. "Des passt scho'. Kumm eini." Er bat den Fremden in die Stube, sich dabei über die seltsame äußere Erscheinung des Fremden wundernd. Da er aber ein gastfreundlicher und höflicher Mensch war, fragte er nicht weiter nach. Das würde schon seine Frau übernehmen, die es verstand, an Informationen jeglicher Art heranzukommen. "Des is mei Frau, d' Gisela", stellte er sie vor. Er wurde nicht enttäuscht, denn als Winfried seinen Eltern die Situation erklärte, fing seine Mutter sofort an, ihren Gast auszufragen: " Sie san oiso aus der großen Stadt, aus Monacum?" "Nicht ganz", erwiderte Ronald. "Wie ich schon Eurem Sohn gegenüber andeutete, komme ich eigentlich aus einem fernen Land einer neuen Welt, die von hier viele, viele Tagesreisen entfernt ist. Ich musste sogar das große Wasser überqueren. Ich war in jener Stadt, Monacum genannt, um mich am Königshof zu bewerben, aber auch, um Frieden in dieses Land zu bringen, dessen Ruf bis auf die andere Seite des Wassers gedrungen war. Aber leider hatte man keine Verwendung für mich." "Na ja", lachte Winfrieds Vater, "nix für ungut, aber in dem G'wand da, dad i sie a net nemma, Sie schaugn ja aus wia Kasperl." "G'wand?" fragte der Fremde. "Ihre Kleidung", übersetzte Winfrieds Mutter lächelnd, "des hat man vielleicht in dieser neuen Welt an, aber bei uns im Woid lauf' ma anständig rum." "Kein Problem, meine Dame, mein Herr. Ich bin diese Reaktion gewöhnt, Ihr beleidigt mich nicht. Es freut mich sogar, dass Ihr über mein Aussehen lacht, denn so soll es tatsächlich sein." Winfrieds Eltern waren alle erstaunt: Der Fremde freute sich darüber, dass man über ihn lachte? "Warum?" fragte Gisela. "Ich bin eine Art Hofnarr", erklärte der Fremde. "In dieser Eigenschaft hatte ich mich am Hofe des Königs beworben: Hofnarr und Koch, aber auch Diplomat, das alles zusammen verkörpere ich. Meine Künste vereinen die Menschen auf der ganzen Welt." "Nachdem ich jedoch ein paar Kunststücke vorgeführt hatte", fuhr Ronald nach einer kurzen Pause fort, "meinte der Hofkämmerer, ich solle doch woanders hingehen. Wo das Publikum nicht so anspruchsvoll sei und er nannte mir die Stadt namens Passavia. Ich soll mich dort an den Bischof wenden." "Was?!? Spinnt der?!?" fuhr Gisela auf. "Der soll bloß..." "Lass geh', Gisela. Des sag'n de auf Passavia eam dann scho", sagte ihr Mann gelassen und wandte sich dann an Ronald: "Jetzt trink ma erstamoi a Weißbier. Magst was essen?" "Wir haben allerdings nicht viel zur Auswahl, aber es langt für uns alle", warf Gisela ein. "Danke für das Angebot. Aber nur etwas zum Trinken würde reichen, Speise habe ich selber genügend dabei. Der Koch des Königs persönlich war so gnädig, dass er mir meinen Wanderbeutel reichlich füllte mit Käse und Fleisch und einer Vielzahl anderer, erlesener Leckereien. Ich würde das alles gerne mit Euch teilen." Als er seinen Rucksack leerte und ein Päckchen in der Hand hielt, das in einer Art Papier eingewickelt war, das den Bauernleuten völlig unbekannt war, meinte Ronald: "Ich muss jedoch zugeben, bei diesem hier", er legte das Päckchen auf den Tisch, "weiß ich nicht, um welche Art Fleisch es sich handelt. Man sagte mir, dass es sich um eine besondere Spezialität von Monacum handeln würde, zudem des Königs Leibgericht. Vinzenz, so ist übrigens der Name dieses Kochs, sagte jedoch auch, dass es sich nicht sehr lange halten würde, wie zum Beispiel geräucherte Würste." In der Stube sprach niemand ein Wort und Ronald fuhr fort: "Vinzenz meinte jedoch auch, und das ist das, was für mich sehr rätselhaft ist, ich dürfte diese Spezialität unter keinen Umständen im Freien verkosten, angeblich würde sie dabei besonders verderblich sein..."
Die Stille in der Stube war nahezu greifbar und Ronald verstummte, peinlich betreten. Ob er was Falsches gesagt hatte, die Leute auf irgendeine Weise beleidigt? Auch Winfried entging der besorgte Blick seines Vaters keineswegs, als Ronald von dieser Spezialität sprach. Schließlich brach Winfrieds Vater das Schweigen: "Zeig amoi." "Gerne", erwiderte Ronald und entfernte das Papier. "Ich wollte es ohnehin mit Euch teilen." Auf dem Tisch lag nun ein kastenförmiges Stück Fleisch, oben dunkler als auf der Seite. Gisela stieß einen erstickten Schrei aus und Vater und Sohn bekreuzigten sich rasch. "Gott steh uns bei", murmelte Winfrieds Vater. Dann rief er: "Schnell, macht's Tür auf!" Er packte die Fleischspezialität und warf sie in hohem Bogen aus dem Haus. "Macht's Licht aus und Deckung, damit er uns nicht sieht!" schrie er. Er packte den verdutzten Ronald und stieß in unsanft unter die Bank. "Aber was...", stammelte der Hofnarr. "Still!" zischte Gisela. "Sonst hört er uns und es ist aus mit uns."
Noch bevor Ronald etwas sagen konnte, erschütterte ein schauriges Brüllen die Luft und schwere, schlurfende Schritte näherten sich dem Bauernhaus. Irgendetwas war da draußen und es musste riesenhaft sein. Ein triumphierendes Grollen war zu hören, gefolgt von einem geräuschvollen Schmatzen. Das Holz der Türe splitterte unter lautem Getöse, als etwas großes, schwarz Geschupptes in den Raum zuckte. Ronald meinte gerade noch einen zuckenden, pfeilförmigen Schwanz erkannt zu haben, mit dem das mächtige Wesen die Tür eingeschlagen hatte. Doch noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, dröhnte auch schon eine tiefe, furchteinflößende Stimme: "Lasst Euch das eine Lehre sein, das nächste Mal werde ich nicht so gnädig sein. Und sagt dem Weib, dass es nicht noch einmal wagen soll, einen Fremden zu schicken, der nicht weiß, was er da tut!" "Mir vorzuenthalten, was meines ist, so wie es seit jeher Tradition ist..." Die Stimme verklang in der Ferne, als sich das gewaltige Tier langsam vom Haus entfernte.
"Was war das", fragte Ronald nach einer Weile. Sein Gesicht hatte die Farbe von Haferschleim angenommen. "Sog's Du eam, Gisela", sprach Winfrieds Vater und nahm einen kräftigen Schluck von seinem Bier. "Das war der Grund, weshalb man dieses Fleisch nicht im Freien essen darf", sagte Gisela leise. "Das war der Drache Korbinianus." "Aber... Aber Drachen gibt es doch gar nicht mehr", sagte Ronald sichtlich verwirrt. Er wusste nicht, was er da eben mit eigenen Augen gesehen hatte. "Vielleicht net in da neuen Welt bei Euch drüb'n", brummte Windfrieds Vater, als er aufstand und aus einem Schrank drei kleine Gläser und eine große Flasche mit einer klaren, durchsichtigen Flüssigkeit herausholte. "Auf den Schreck hin brauch i jetzt wos g'scheit's." Er füllte die Gläser und setzte sich zu dem immer noch ungläubig dreinschauenden Ronald.
"Dieser Drache lebte schon immer bei uns im Woid, aber er war bisher nie eine Bedrohung für uns. Erst seit ungefähr drei Jahren terrorisiert er uns", erzählte Gisela. "Warum, darüber können wir nur spekulieren. Vielleicht, weil ihm ein noch viel schrecklicheres Untier sein Revier streitig macht: Der Wolpertinger. Der Drache hat wohl daraufhin das Gebiet weiter erkundet, er wurde sogar in der Nähe der großen Stadt gesichtet. Dort muss er wohl zugegen gewesen sein, als man bei Hofe jene Spezialität frisch aus dem Rohr herausgeholt hatte. Man berichtete von einem gewaltigen, schwarzen Monstrum, das das Fleisch an sich gerissen und noch an Ort und Stelle verschlungen hatte. Kurz darauf verschwand einer der Hofköche spurlos. Wahrscheinlich ist er vom Drachen entführt worden." Während Gisela erzählte, kramte Winfrieds Vater in seinem Beutel und zog etwas Tabak und eine Pfeife heraus. Er stopfte sie und bot Ronald, der schweigend zugehört hatte, noch einen Schnaps an. "Jedenfalls, der Drache, der seit Menschengedenken Korbinianus genannt wird, wollte sich nun in der großen Stadt, eben Monacum, niederlassen, aber den Soldaten des Königs ist es unter großen Verlusten gelungen, ihn aus den Stadtmauern zu jagen. Daraufhin kehrte er leider wieder in diese Gegend zurück. Seitdem ist es lebensgefährlich, diese Fleischspezialität auch nur beim Namen zu nennen, geschweige denn, etwas davon bei sich zu haben. Seine hochempfindlichen Sinne sind vollständig auf diese Art von Nahrung eingestellt. Unser Nachbar hatte einmal versucht, diesen Fleischlaib selber zu backen; er dachte wohl, der Drache würde es nicht bemerken." "Verzeiht", unterbrach sie Ronald an dieser Stelle, "von welchem Nachbarn sprecht Ihr? Auf dem Weg hierher ist mir keine andere Behausung aufgefallen." "Jetzt eh nimma", brummte Winfrieds Vater mürrisch. "Natürlich bemerkte der Drache diesen Verrat und tauchte auch prompt bei unserem Nachbarn auf. Doch dieser machte den Fehler und weigerte sich, den Laib dem Untier zu geben. Der Drache Korbinianus hat ihn sich dann ohne weitere Umstände selber geholt. Es blieb kein Stein auf dem anderen", klärte ihn Gisela auf. "Aber was unternimmt denn Euer König gegen dieses Untier? Oder dieser Bischof in Passavia? Gewiss leiden die Menschen dort unter dieser Geißel genauso?" Gisela schüttelte den Kopf: "Unser König? Pah! König Edmund ist unfähig und von der Kirche kann man ohnehin keine Hilfe erwarten. Nein, wir einfachen Leute müssen uns selber helfen." "Ja, aber was macht Ihr? Offensichtlich habt Ihr ihn noch nicht besiegen können." "Wir haben alles versucht, so manche Ritter aus der Gegend, die ein Herz für uns einfache Leute haben, sind ausgezogen, ohne Erfolg. Man versuchte, Feuerwände gegen ihn zu errichten, die ihn bannen sollten. Es hat nichts geholfen, den Ritter Dirk den Dicklichen fand man tags darauf in seine Einzelteile zerlegt vor der Drachenhöhle. Ritter Peter von Purzeln rückte mit gewaltigen Netzen an, auf das sich der Drache Korbinianus darin verstrickte - er ward nie mehr gesehen. Der reiche Junker Willibald der Bärtige war besonders kühn: Er lockte den Drachen mit französischem Essen aus seiner Höhle. Doch der Drache Korbinianus kostete nur ein wenig davon und kam zu dem Entschluss, dass ihm das bei weitem nicht ausreichte und so verschlang er den armen Willibald gleich mit Haut und Haaren. In unserer Not wandten wir uns auch an einen Söldner aus dem Norden, doch der Freiherr von Beck mit seinen Truppen wurde ebenfalls vernichtend geschlagen. Nicht einmal das edle Burgfräulein Marion, das freiwillig in seine Höhle ging, um ihn bei einem Spiel mit neun Hölzern und einer Kugel zu ermüden, konnte den Zorn des Untiers dämpfen." "Das ist ja entsetzlich!" entfuhr es dem Hofnarr, der nun sehr blass im Gesicht war. "Es muss doch ein Mittel gegen diese Bedrohung geben." "Das gibt es in der Tat", bestätigte Gisela. "Der Drache Korbinianus selbst unterbreitete uns ein Friedensangebot: Jeden Tag muss die Hofköchin Anna aus der großen Stadt dem Drachen pünktlich um halb zehn einen Ochsenkarren voll dieser Fleischspezialität liefern und ihn damit füttern. Was er nicht zu fressen schafft, hortet er in seiner Höhle. Erfüllen wir nicht diese Bedingung, dann müssen wir es büßen mit Gut und Blut, denn der Drache Korbinianus vergisst nicht. Nur, auf Dauer können wir uns das nicht mehr leisten, obwohl der König ein ganz klein wenig aus seiner königlichen Schatzkammer beisteuert, denn der Drache ist mittags und abends erneut hungrig und verlangt nach seiner Leibspeise. Wir wissen einfach nicht mehr weiter. Und nun will der König auch noch diese paar Taler täglich einsparen und seine Beihilfe weiter kürzen." Bei diesen Worten traten ein paar Tränen in Giselas Antlitz. "Es is scho spät", warf Winfrieds Vater ein, als er seinen Sohn gähnen sah. "Gemma schlafen und morgen bring i di selber zum Bischof nach Passavia mit dem Fuhrwerk."
[Fortsetzung folgt]
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