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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Kapitel 5: Skeyra wird bevölkert
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am: 11.August.2011, 18:46:28
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Voller Eifer machten sich die Geschwister an die Arbeit, wobei sich jeder der Drachen in einen entlegenen Winkels Skeyras zurück zog, um ungestört zu planen, zu probieren und zu erschaffen. Sie waren überein gekommen, dass sie einander mit den Ergebnissen überraschen wollten und jeder von ihnen respektierte die Geheimhaltung des anderen. Nur bei der Erschaffung Skeyras Flora und Fauna arbeiteten sie sozusagen Tatze in Tatze, damit jeder von ihnen das Zusammenspiel der Elemente mit den Neuschöpfungen erleben konnte und auf diese Weise dann wertvolle Erfahrungen für die Erfüllung ihrer Aufgabe sammeln konnten. Das erste Tier, an dem Pyr zusammen mit Hilfe seiner Geschwister versuchte, war der Feuersalamander, seine quirlige Schwester schuf einen Adler, der sich aber dummer Weise sofort den Salamander als seine erste Beute auserkor. Durch diesen Vorfall klug geworden, versuchte sich Sel unter den neugierigen Blicken seiner Geschwister gleich an einem Elefanten, während Myria ihren Bruder daraufhin mit einem Blauwal übertraf. Die vier Drachen hatten ihre helle Freude daran und so erschufen sie ein Tier nach dem anderen und eine Pflanze nach der anderen begann die Welt zu begrünen: Gräser, Büsche, Bäume und Blumen aller Art. Ihre Eltern beobachteten das Treiben von den Monden aus voller Zufriedenheit und konnten es kaum erwarten, bis sie sich endlich an die Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe machten.
Endlich war der Augenblick gekommen und die vier Geschwister verabschiedeten einander und Glückwünschen und neckischen Zankereien, um sich in Klausur zu begeben. Auch würden sie in der nächsten Zeit keinerlei Kontakt zu ihren Eltern pflegen, die als Schiedsrichter nur in absoluten Notfällen eingreifen würden, sollten die Schöpfungen außer Kontrolle geraten und Skeyra zu zerstören drohen.
Obgleich Sel, der Erddrache, eher still und ruhig, ja geradezu von gemächlichem Wesen her war, so war er es, der die ersten Resultate zustande gebracht hatte. Die wundersame Kraft der Erde spiegelte sich in den beiden Halbgöttern Furan und Malath wieder, wobei der erste eher die lichte Seite der Schöpfung verkörperte und aufrecht gehend daher kam, während Malath ein canidenartiges Aussehen hatte und auf diese Weise mit vier Beinen sehr bodenständig geworden war. Der väterliche Klaps auf seinem Hinterkopf hatte bei ihm am besten gewirkt und er hatte nur allzu gut die Arbeit jenes abstrakten Wesens im Gedächtnis. Diesem nacheifernd formte er aus feuchtem Lehm die Menschen und hauchte ihnen durch Mund und Nase Leben ein. Da er selbst von einer lichten und dunklen Seite geprägt war, mag es kaum verwundern, dass auch die von ihm geschaffenen Halbgötter und die Menschenrasse von beiden Seiten etwas in sich trugen, was insbesondere bei den Menschen als Charakterzüge zum Vorschein trat: Die einen waren freundlich und hilfsbereit, während andere eher von düsterem Naturell waren und sich schon sehr bald schädliche Einflüssen ausgesetzt sehen sollten.
Auch wenn die vier Elementdrache Stillschweigen über ihre Schöpfungsprozesse vereinbart hatten, so war es unvermeidlich, dass sie Sels Schöpfungen zu Gesicht bekamen, denn es war menschliches Naturell, sich auf der Welt sehr schnell auszubreiten und dabei rücksichtslos von der Flora und Fauna, die die Drachen gemeinsam erschaffen hatten Gebrauch zu machen.
Selbst Myria, die jüngste der Elementardrachen, bekam in den Tiefen eines Ozeans einen Menschen zu Gesicht, der aus irgendeinem Grund auch immer versucht hatte, sich nicht nur das Land sondern auch das Wasser untertan zu machen und dabei freilich gescheitert war. Der leblos durch das Wasser treibende Körper inspirierte sie und sie begann mit einem Geschöpf der Tiefsee, mystisch und geheimnisvoll, doch so düster wie die schwarzen Tiefen des Ozeans. Das gewaltige Resultat war Dyn, die Seeschlange. Als lichten und leichten Kontrast schuf sie das wundersame Einhorn, dessen wallende Mähne und Fesselbehaarung die Farbe von Meeresschaum hatte und das Horn weißbläulich strahlte wie das sonnenbeschienene Meer im hellen Sonnenlicht, dem es entsprang. Auch wenn Myria als Wasserdrachin natürlich dem Wasser verbunden war, war sie mit ihren Schöpfungen nicht an die Meere, Seen und Flüsse gebunden, auch wenn ihre Schöpfungen vom Wesen her diesem Element entsprachen, nämlich zumeist still und unergründlich. Das halbgottgleiche Einhorn durchstreifte fortan die Wälder und dessen Anmut und Schönheit entwickelte sie noch weiter, fügte Intelligenz dazu und schon hatte auch sie ihre Aufgabe mit der Erschaffung der Elfen vollständig erfüllt. Die Elfen sollten einen eleganten und weisen Gegenpart zu Sels doch etwas plumpen Menschengeschlecht darstellen.
Der Feuerdrache Pyr hatte sich tief in einen Vulkanschlot zurückgezogen, doch auch seiner Aufmerksamkeit waren Sels Menschen nicht entgangen und er nahm einen von ihnen mit zu sich zum Studium. Als er aber sah, dass dieser in einem Lavastrom nicht bestehen konnte, wusste er, dass er für seine Schöpfung einen etwas anderen Weg beschreiten musste. Außerdem wollte er, gemäß seines hitzigen und impulsiven Temperamentes, etwas erschaffen, das so kämpferisch und unüberwindbar war wie ein Drache und etwas, das so zerstörerisch und so verschlingend wie eine Feuersbrunst war. Des Resultat waren der Halbgott Branx, ein Riese, und als düsteres Gegenstück dazu Atmon, ein dreiköpfiges Ungeheuer. Von jenem Menschen hatte Pyr außerdem noch von der Existenz der Elfenrasse erfahren. Doch da er weder mit der Schwächlichkeit der Menschheit noch mit der Schönheit von Elfen etwas anfangen konnte, wollte er eine Rasse schaffen, die praktisch veranlagt war und auch schwerste Arbeiten verrichten konnte. So erschuf er die Zwerge, denen die Berge zur Heimat und Arbeitsstätte wurden. Ein angenehmer Nebeneffekt war, dass diese dann für ihn im tiefsten Felsen nach allerlei Bodenschätzen und Edelmetallen graben konnten.
Auch wenn sich Aeris, die Winddrachin, nicht aktiv darum bemühte, kam ihr doch schon recht bald zu Ohren, welche Rassen ihre Geschwister geschaffen hatten. Im Gegensatz zu dem eher behäbigen Sel oder ihrem feurigen Bruder Pyr war sie ein rastloser Geist, der, kaum war er an einem Ort, sich schon wieder an einem anderen wünschte. Daher war es für sie nur allzu logisch, dass ihre Geschöpfe geflügelt sein mussten. Ihre flugfähigen Halbgötter trugen die klingenden Namen Kryatos und Corbid. Da Aeris sich am liebsten hoch in den Lüften herumtrieb, fühlte sie sich bisweilen recht einsam in den blauen unendlichen Weiten von Skeyras Himmel. Ihre Geschwister gesellten sich nur selten zu ihr und ab und an hatte ihr Vater Lux als Spielgefährte in den Wolken herhalten müssen. Inspiriert durch Sels Menschenschöpfung kreierte sie die Avior, eine Kreuzung aus Mensch und Vogel, die ihr in den luftigen Höhen Unterhaltung bringen konnten.
Alle vier Elementardrachen hatten ihre Aufgaben zur vollen Zufriedenheit ihrer Eltern ausgeführt und alle waren gespannt, wie sich nun die einzelnen Rassen und Völker Skeyras weiter entwickeln würden. Doch auch Chorath beobachtete interessiert die Vorgänge auf dieser Welt und er fühlte, dass nun bald seine große Stunde schlagen würde. Auch Brenell behielt das Geschehen auf Skeyra genauestens im Auge, schon aus dem Grund heraus, falls er rettend eingreifen musste, falls Chorath irgendwelchen Unfug anstellen sollte. Jene sogenannten Halbgötter waren von den Geschwistern mit großen körperlichen Kräften, aber auch mit enormen magischen Fähigkeiten ausgestattet worden. Selbstverständlich waren sie nicht in der Lage, sich mit den Drachen darin zu messen, aber sie waren allesamt befähigt, das Schicksal Skeyras aktiv nach ihrem Willen zu gestalten, was auch noch geschehen sollte.
Den Halbgöttern fiel die Aufgabe zu, ihrerseits nun wieder jeweils zwei Wesen zu erschaffen, so genannte Dienstgeister, die ihnen zur Hand oder Tatze gehen sollten, und diese Dienstgeister wiederum sollten jeweils eine weitere, neue Rasse kreieren, die ebenfalls diese Welt bevölkern sollten und mit den anderen Schöpfungen interagieren konnten.
Die Drachen waren mehr als gespannt auf das, was nun auf sie und auf Skeyra zukommen wollte, denn die Entwicklungsmöglichkeiten waren mannigfaltig. Da jeder der Elementardrachen jeweils eine lichte und eine dunkle Halbgottheit geschaffen hatte, wurde jeder jener Dienstgeister, die die Halbgötter erschufen, ebenfalls dementsprechend von lichtem oder dunklem Wesen. Und genau das war die Chance, auf die Chorath so lange gewartet hatte, denn die aktuelle Konstellation barg den allerersten Keim der Zwietracht in sich.
In den Chroniken Skeyras ist sehr ausführlich beschrieben, wer nun wen weiter geschaffen hat oder wer oder was sich im Folgenden mit wen oder was auch immer paarte und was daraus resultierte. Hier soll nur kurz zusammengefasst sein, welche zum Teil wundersamen Kreaturen das Licht Skeyras erblicken sollten.
Sels lichter Halbgott Furan formte Ermid und Calfas als seine Dienstgeister. Ermid, der die Gestalt eines Menschen besaß, war Begründer der Rasse der Gnome, emsige Tüftler mit scharfem Verstand. Calfas wurde zum Vater der Satyrn, die in den Wäldern zu Hause waren.
Malath, Sels dunkle Schöpfung, erschuf Gorath und Necosis, den Finsterwolf. Gorath wiederum brachte die Argesen ins Spiel, die ihm gleich waren. Necosis begründete die Rasse der Werwölfe, der hetzende Schrecken der Nacht, seine Kinder.
Aeris Kyratos erschuf den Pegasis, das fliegende Pferd mit einem Horn auf der Stirn, und Feras, den Phoenix. Pegasis seinerseits brachte die Rasse der Zentauren hervor, welche die Ebenen besiedeln sollten. Feras hauchte den sogenannten Bogs das Leben ein, die an die Nacht gebunden sein sollten, jedoch mit Feuer im Herzen.
Corbid, Aeris dunkler Bote, kreierte Ifris, den Dschinn, und Tarnath. Ifris rief die Rasse der Geister ins Leben, sie waren körperlos wie er und doch beseelt von einem dunklen Drang. Tarnath erschuf die Vampire, äußerlich wie Menschen zwar, doch gleich ihm Fürsten der Finsternis.
Der von Pyrs beseelte, riesenhafte Branx war den Schriften nach der Schöpfer von Argos und Morion. Argos, der Manticore, erschuf wiederum die Goblins und wurde ihr Schutzpatron. Morion, der Minotaure, war etwas weniger kreativ und fertigte nur Kopien seiner selbst an, die Minotus. Pyrs düsteres dreiköpfiges Ungeheuer Atmon, gebar Lyr und Thorn. Lyr, der Geist der dunklen Magie, beschwor die Skeletonen herbei, der Finsternis verhaftet und von den Kraftströmen der Magie abhängig. Die Burmecian, jene unheimlichen Rattenwesen, die Skeyra nun bevölkerten, waren das Werk Thorns.
Schließlich kamen auch Myrias Halbgottheiten ihren schöpferischen Pflichten nach und so schenkte das lichtgestaltige Einhorn Sheera Selene und Brannoc das Leben. Selene machte sich daraufhin ans Werk und konnte als Resultat die Nixen vorweisen, das legendäre Volk der Meerjungfern und Wassermänner. Brannoc erschuf die Rasse der Halblinge.
Dyn, die Seeschlange, brachte Skylla und Sinis aus den dunklen Tiefen hervor. Skylla begründete das legendäre Volk der Fischmenschen, die Lurgi. Sinis hatte die Incubi und Succubi zu verantworten, welche sich von der Kraft der Sterblichen nähren.
Bald schon verloren Lux und Noctira das Interesse an diesen Schöpfungsvorgängen auf Skeyra, denn enttäuscht waren sie zur Erkenntnis gelangt, dass sie all diese Geschöpfe bereits anderorts des Öfteren schon gesehen hatten und offensichtlich die Schöpfung einer Welt mit ihren Lebewesen stets nach gleichem Muster und mit gleichen Inhalten ablief. Sie zogen sich nahezu vollständig auf ihre eigenen Monde zurück und nur der stetige Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit zeugt bis zum heutigen Tage von ihrer Gegenwart.
Auch die Elementdrachen verloren irgendwann das Interesse an dem, was sie initiiert hatten, doch das Rad der Zeit drehte sich unaufhörlich weiter und allmählich fing das System an, aus den Fugen zu geraten. Denn nun war für Chorath, dem chaosliebenden Urdrachen endlich der richtige Zeitpunkt gekommen, in Erscheinung zu treten, auch wenn er freilich nach wie vor die direkte Konfrontation mit den Elementardrachen und insbesondere mit Noctira und Lux vermeiden musste. Chorath blickte voller Hass und Missgunst auf die nun bevölkerte Welt, in der nun Sterblichkeit und Magie sich in einen harmonischen Status Quo einpendelten. Er wollte den Urzustand der Welt erreichen, noch bevor sie durch Noctira zur Ruhe gebracht worden war, er trachtete nach deren wilder, ungeordneten, zügellosen Energie. Von Lurz, dem Chaosmond aus, arbeitete er unbemerkt von allen, an seiner eigenen Schöpfung, die ihm seinem Ziel näher bringen sollte. Im Schutze der Dunkelheit und in den abgelegensten Winkeln Skeyras gestaltete er weitere Wesen, die den von den Elementardrachen initiierten Geschöpfen das Leben schwer machen sollten. Chorath schuf als eine Art Testlauf zunächst die Kobolde, freche, unangenehme Quälgeister, die den anderen Wesen nachstellen sollten. Als nächstes versuchte sich der rote Drache an den Trollen, Ogern und den Orks, grobschlächtige Gestalten voll von Kampfeswillen und roher Wildheit. Auch die Sergals waren eine Schöpfung Choraths, wilde Kreaturen mit diabolischer Intelligenz. Sein finsterstes Meisterwerk und die schlimmste Geißel für Skeyra waren jedoch die Dämonen, die nur ihm allein gehorchten.
Anfangs waren all diese unheilvollen Geschöpfe noch deutlich in der Unterzahl und sie blieben von dem Rest der Welt unbemerkt. Sie blieben im Verborgenen, bis ihre Anzahl schließlich so groß geworden war, um allen anderen Wesen Skeyras offen entgegen treten zu können. Sie warteten nur noch auf das entscheidende Signal von dem finsteren Chorath, der nun, bestens gerüstet, auf seinem finsteren Mond mit finsteren Absichten auf den idealen Zeitpunkt wartete.
Doch auch der stillste und kleinste der vier Urdrachen war währenddessen nicht untätig geblieben. Brenell liebte die Welt, wie sie nun war und er wollte diese unter allen Umständen erhalten. Er war ebenfalls in aller Heimlichkeit zugange und koordinierte alles von seinem Mond Falkan. Unter seiner Regie entstanden einige Populationen, denen es bestimmt sein sollte, Choraths furchtbaren Kreaturen entgegen zu treten, wenn die Zeit dafür kommen würde. Zum einen erschuf er die Zaki, schlaue und flinke fuchsartige Wesen, die kaum jemand einfangen konnte und die für ihre Wachsamkeit berühmt werden sollten. Zum anderen brachte er die Rasse der Katynkas ins Spiel, katzenartige, eng mit der Natur verbundene Geschöpfe. Weitere Bewahrer der Natur und zudem die Hüter der Geheimnisse der Magie wurden die Lapinras. Schließlich brachte er noch die Zecha, jenes legendäre und geheimnisvolle Volk der Wüste, und die Ferlok, echsenartige Wesen, die ihm glichen, hervor. Die Tanusi als versteckt lebende Bewahrer der Wälder waren der Schlusspunkt seines Schöpfungswerkes.
ENDE des ersten Buches der Chroniken von Skeyra.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Kapitel 4: Die vier Elementdrachen
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am: 11.August.2011, 18:43:38
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Doch auch in den jahrhunderte währenden Drachenleben gibt es immer wieder Überraschungen verursacht durch schicksalhafte Zufälle. Hier wollte es der Zufall, dass sich Noctira und Lux gleichermaßen, jedoch völlig unabhängig voneinander, einen ganz bestimmten See, dessen tiefes Wasser herrlich frisch und klar war, als Lieblingsbadesee auserkoren hatten.
Lux liebte es, sich am steinigen Ufer langsam ins kühle Nass gleiten zu lassen und, sein Kinn auf einen Felsvorsprung abgestützt, zu ruhen. Irgendwann entdeckte er, dass es sich sehr angenehm anfühlte, sich an den Steinen, die den Grund des Sees bedeckten, zu reiben. Abgesehen davon, dass er auf diese Weise seine Bauchschuppen auf Hochglanz polieren konnte, gab es noch einen anderen für ihn recht entspannenden Nebeneffekt.
Einmal jedoch hatte Lux sein ausgiebiges Bad später und auch noch etwas länger als üblich genossen, während Noctira ein wenig ihrer Zeit voraus war und sich beide Drachen am Seeufer begegneten. Offensichtlich war Lux die unverhoffte Begegnung ein wenig peinlich und nach geraumer Zeit wusste die Drachin auch, weshalb. Anfangs gefiel ihr es überhaupt nicht, guter Hoffnung zu sein und sie ließ ihren Unmut darüber Lux nur allzu deutlich spüren. Die Folge waren sintflutartige Regenfälle und Sturmwinde, die das Landschaftsbild Skeyras erneut ein wenig veränderten. Doch Noctira wusste auch, dass sie sich dem Schicksal stellen musste und so erblickte der erste Elementdrachen das Licht der Welt oder genauer gesagt, die Dunkelheit des Mondes Luneria. Die beiden Altdrachen kamen überein, dass es für das Drachenjunge am besten wäre, wenn es direkt auf Skeyra aufwachsen würde, denn dort konnten sich Vater und Mutter zusammen in ihrer jeweils zugestandenen Zeit um den Sprösslingen kümmern.
Da die Färbung seiner Schuppen dem mystischen Grün jenes Badesees entsprach und er das erste auf Skeyra gezeugte Geschöpf war, nannten ihn seine Eltern liebevoll Sel und Auf die junge Welt ihren ersten Bewohner und dementsprechend wurde der frisch geschlüpfte Drache Sel genannt und als Erstgeborenem stand ihm automatisch das Privileg zu, der Beschützer und Bewahrer Skeyras zu werden.
Lux und Noctira waren stolz auf ihren Nachwuchs, der sich unter ihrer abwechselnden Obhut prächtig entwickelte und bald erkannten sie, dass es eigentlich schade war, dass sie auf diese anonyme Art und Weise Nachwuchs bekommen hatten. Noctira lud Lux zu sich auf Luneria ein und dem ausgedehnten Liebesspiel entsprang eine Schwester für Sel, eine quirlige Drachin, deren Schuppen wie frisch poliertes Silber glänzten. Ihre schlangenartige Form, die sie den Himmel Skeyras gleichsam durchschwimmen ließ, und ihr stürmisches Temperament sollte sie zur Herrscherin der Lüfte erheben und dementsprechend erhielt sie den Namen Aeris.
Natürlich besuchte Noctira auch einmal Lux auf dessen Mond Amelund und daraus entsprang, an sich wenig verwunderlich, der orangefarbene Feuerdrache Pyr, dessen Heißblütigkeit keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, dass sein Element das Feuer sein würde.
Da es natürlich noch eines vierten Elementes bedurfte, sich Lux und Noctira bereits abwechselnd auf ihren Heimatmonden gepaart hatten und auch eingedenk des Umstandes, dass ihr erster Sprössling in ihrem Badesee ohne aktives Zutun zustande gekommen war, beschlossen sie, sich bei einem gemeinsamen Bad in ihrem See zu lieben. Myria, die Wasserdrachin, hatte herrlich blaue Schuppen mit Musterungen in den verschiedensten Grüntönen. Ihr Wesen war so vielschichtig, dass sich sehr viel später daraus einmal das bekannte Sprichwort entwickelte, wonach stille Wasser angeblich besonders tief seien.
Wie diese vier so grundvierverschiedenen Drachen nun genau aufwuchsen, ist nicht überliefert. Als gesichert kann nur angenommen werden, dass bei so viel unterschiedlichen Temperamenten die Dracheneltern alle Tatzen voll zu tun hatten bei der Erziehung ihres Nachwuchses. Von ihren Monden aus beobachteten sie das mitunter sehr wilde Treiben ihrer Sprösslinge auf Skeyra. Pyr hatte schon bald die immer noch brodelnden Lavaströme als bevorzugten Spielplatz ausgemacht und recht schnell war ihm das Wesen des Feuers vollständig vertrat. Er konnte es nach Belieben entfachen und eindämmen, und Pyrs älterer Bruder Sel entdeckte in dieser Herrschaft des Feuers ein sehr großes Potential für sein eigenes Spiel mit dem Gestein und der Erde. Zusammen gestalteten sie die Oberfläche Skeyras nach ihrem Gutdünken und ab und zu luden sie auch ihre Schwester Myria dazu ein, ihr Element, das Wasser in das Spiel mit einzubringen. Inseln entstanden auf diese Weise und Riffe und Wasserfälle. Zuweilen zeigte Aeris ihnen, wie man den Spaß, den man mit Wasser, Feuer und Erde haben kann, noch durch Wind verstärken kann. Am liebsten aber beobachtete sie aus den luftigen Höhen das Treiben ihrer Geschwister und vergnügte sich mit den Wolken, wie es einst ihr Vater getan hatte, zumindest hatte er ihr das einmal erzählt... Natürlich gab es auch so manche Zankerei und die dabei entfesselten Elemente konnten manchmal nur noch von den Eltern selbst unter Kontrolle gebracht werden. Noctira und Lux hätten es sich niemals träumen lassen, dass man selbst als Urdrache bei der Kindererziehung ins Schwitzen kommt und des Öfteren hatten sie den Verdacht, dass Chorath heimlich versuchte, Einfluss auf die vier jungen Drachen zu nehmen. Zu ihrem großen Bedauern war hingegen keinerlei oder so gut wie kein Einfluss Brenells bei den Drachenjungen zu spüren und Noctira musste so manche Feuersbrunst, die nach dem Spielen einfach uninteressant geworden war, mit ihren mächtigen Schwingen ausdrücken oder Lux musste Licht in dunkle Höhlen bringen, wenn sich beispielsweise Sel zu sehr in sein Spiel vertieft hatte und irgendwo tief im Gestein steckte. Manchmal mussten Lux oder Noctira trösten oder schimpfen, je nachdem, wer gerade an der Reihe war, wenn sich Aeris und Myria zum wiederholten Male zusammengetan hatten und ein Sturm hohe Wellen vor sich her peitschte, just wenn die beiden männlichen Drachen mit großer Mühe am Strand irgendeines Ozeans eine brennende Wand aus Felsen und Lava errichtet hatten und das Feuer unter den Wassermassen zischend erlosch. In solchen und ähnlichen Situationen kullerte auch die eine oder andere salzige Drachenträne und durch Regen und Wind gelangten diese in den Boden, in das Grundwasser und letztlich auch ins Meer.
So vergingen die Jahre, aber irgendwann bemerkten die vier jungen Drachen, dass sie sich nur miteinander beschäftigen konnten und es niemand anderen gab, mit dem sie hätten spielen können. Zwar lagen sie ihren Eltern des Öfteren damit in den Ohren, dass sie gerne weitere Geschwister hätten, doch Lux und Noctira lehnten dies kategorisch ab: Vier Drachenkinder seien genug und selbst für die mächtigsten Urdrachen nur schwer zu handhaben. Aber sie gaben ihren Kindern Recht darin, dass die Welt unter ihnen nach wie vor leer und bei näherer Betrachtung sogar öd und eintönig war. Als sich dann Pyr sehr zum Entsetzen seiner Eltern mit einem sehr anzüglichen Blick auf Myria erkundigt hatte, ob nicht die vier Elementdrachen selbst für neue Spielgefährten sorgen dürften, beschlossen Lux und Noctira, ihren Sprösslingen andere Welten und Universen zu zeigen, damit sie ihren Horizont erweitern und Ideen sammeln konnten. Denn die beiden alten Drachen wollten ihren Nachwuchs durchaus dazu ermutigen, die Gestaltung Skeyras in ihre eigenen Tatzen zu nehmen.
Hierhin und dorthin führten sie ihre langen Reisen, anfangs blieben sie dabei noch alle zusammen, doch langsam streiften sie schon alleine durch die Welten und irgendwann unternahm jeder auf eigene Faust seine Streifzüge, freilich jedes Mal froh, seine Geschwister auf Skeyra wieder zu sehen. Doch schon bald obsiegten wieder Langeweile und Streitereien, bis schließlich die Eltern ihre Jungen für reif und alt genug befanden, sich einer sinnvollen, kreativen Aufgabe zu stellen und dabei ihre Fähigkeiten und Naturelle unter Beweis zu stellen. Die Idee dazu kam ihnen, als sie in den unendlichen Tiefen des Alls an einem blauen Planeten vorbeigekommen waren und aus sicherer Entfernung beobachteten, wie ein selbst für Drachen sehr abstraktes Wesen quasi per Fingerzeig und Atemeinhauchen aus den wenig vorhandenen Dingen, nämlich Boden und Wasser, Dinge schuf, die man als Pflanzen und Tiere bezeichnete. „Da, seht zu und lernt!“ hatte Noctira ihre Jungen aufgefordert und Lux gab jedem von ihnen mit seiner mächtigen Pranke einen Hieb auf den Hinterkopf, damit sie sich ja diesen Anblick einprägten. Jetzt saßen die vier Drachen artig nebeneinander auf Skeyra, als ihnen Lux ihre Aufgabe erklärte. Jeder von ihnen sollte jeweils zwei Wesen erschaffen, die ihren Eltern ähnlich waren. Zwar sollten es keine Drachen werden, aber doch mächtige Gestalten, wobei die eine dunkle und die andere helle Charakterzüge tragen sollte. Später würden diese Wesen als Halbgötter bezeichnet werden. Außerdem sollte jeder der Elementdrachen eine eigene Rasse erschaffen, die fortan auf Skeyra leben und sich entwickeln sollte – freilich nicht so mächtig wie die Drachen, aber doch von Intelligenz getrieben. Zum Einüben sollten sie jedoch damit beginnen, die Welt erst einmal mit herkömmlichen Pflanzen und Tieren zu füllen, so wie sie es auf ihren Reisen gesehen hatten.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Kapitel 3: Tag und Nacht
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am: 11.August.2011, 18:42:36
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Tage und Nächte tobte das Unwetter über die gesamte Welt Skeyras, die Wassermassen ergossen sich in Sturzbächen, die schließlich zu reißenden Strömen wurden und in Meere und Seen. Durch das Wasser verschoben sich weiterhin die Landmassen, Stürme und Erosion taten ihr Übriges – die junge Welt nahm Formen an.
In den Chroniken Skeyras finden sich keine zuverlässigen Aussagen über die tatsächliche Dauer dieses gigantischen Unwetters. In den Augen eines der Urdrachen spielte es auch keine Rolle, ob es sich um Wochen oder Monate oder gar Jahre handelte. Noctira jedenfalls ließ den großen Regen mit stoischer Ruhe über sich ergehen, Über all die Jahrhunderte, die sie in den unendlichen Weiten des Alls umhergeschweift war, hatte sie so viel Weisheit und Erfahrung sammeln können, dass sie gar nicht erst den Versuch unternahm, etwas dagegen zu unternehmen. Abgesehen davon wusste sie auch, dass Lux gar nicht anders handeln konnte, dass auch dieser weiße Drache dem ewigen Gesetz des Ausgleichs folgen musste. Andererseits regte sich in ihr das typische Drachennaturell, wonach Drachen nicht gerne teilen. Skeyra war ihre Welt, sie hatte diesen Sternehaufen zu erst entdeckt und für sich beansprucht. Sie hatte es geduldet, dass sich die anderen Urdrachen ihr genähert hatten und dass Lux sogar eine Tatze auf diese Welt gesetzt hatte. Aber nun wollte sie doch, dass er sich einen anderen Spielplatz suchte. Das Problem war nur, dass der Lichtdrache gar nicht daran dachte, Skeyra in absehbarer Zeit (in Drachenmaßstäben, versteht sich) zu verlassen. Und so nahm der Groll in ihren Herzen in all dieser Zeit immer mehr zu, während Lux immer mehr Orte dieser Welt mit seinem Licht überflutete und sich mit den Wolken am Himmel vergnügte. Irgendwann entschied schließlich Noctira für sich, dass Kux nun lange genug ihre Geduld strapaziert hatte und sie beschloss, ihn von dieser Welt zu verjagen. Sie breitete er ihre gewaltigen Schwingen aus und stieg mit kraftvollen Flügelschlägen in die Luft. Sie war größer und schwerer als Lux und aus diesem Grund wollte sie ihn von oben überraschen und zu Boden zwingen. Wie eine riesige schwarze Wolke verdunkelte sie das Land auf ihrer Suche nach dem Störenfried. Natürlich versuchte Chorath auch diesmal, für sich einen Nutzen aus den Gegebenheiten zu ziehen, und wollte Noctira mit seinem giftigen Gedankengut verderben. Doch der Drachin ging es nicht um Rache oder um den Willen, Lux zu töten. Sie wollte ihn lediglich vertreiben, um wieder ihre Ruhe zu haben und auch dieser Welt Ruhe und behütende Dunkelheit zu schenken. Sie blockte die negativen Gedanken des Chaosdrachen und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Die Welt ist schon viel zu hell geworden, stellte sie missvergnügt fest. Wirklich allerhöchste Zeit, dass er von hier verschwindet.
Endlich hatte sie ihn ausfindig gemacht. Doch er schien sofort die Lunte zu riechen und wich ihrem Angriff geschickt aus. Es begann eine wilde Verfolgungsjagd hoch in den Wolken, die in ein zahlreiche Jahre lang währende Fehde um die Vorherrschaft über Skeyra münden sollte. Lux und Noctira kämpften unerbittlich miteinander, ein Zusammenprall von gewaltigen Kräften, der die Welt in ihren Grundfesten erschütterte. Endlich hatte Chorath seinen epischen Kampf und er genoss es, den beiden Kontrahenten zuzusehen. Doch zu seinem großen Bedauern ließen sich beide nicht von ihm beeinflussen und so wogte der Kampf immer wieder hin und her. Doch weder die Drachin der Dunkelheit noch der Drache des Lichts konnte gegenüber den anderen triumphieren. Noctira war zwar deutlich größer und stärker als ihr Gegner, auch war sie ihm an Weisheit und Kampfgeschick überlegen, doch Kux war dafür wendiger und flink wie ein Wiesel, zudem beherrschte er die Magie wie kein anderer der vier Urdrachen. Auf diese Weise waren ihre Kräfte in gewisser Weise im Gleichgewicht. Dazu kam, dass keiner der beiden den Kontrahenten vernichten wollte, da beide wussten, dass sie zwei Seiten der gleichen Medaille waren, dass sie zusammen die beiden Aspekte Leben und Tod, Licht und Dunkelheit verkörperten. Dass Lux aufgrund seines jugendlichen Gebarens auch noch gewisse Mutterinstinkte in ihr weckte, kam erschwerend hinzu. Und Lux hegte eine heimliche Bewunderung, ja gar Verehrung für die alte Drachin. Obwohl ihre Kampfhandlungen über die Jahre hinweg immer mehr irgendwelchen Ritualen, geprägt von gegenseitigem Respekt füreinander, ähnelten, wurden bei diesen solch gewaltige Energien freigesetzt, dass sich die Welt unter ihnen weiter verformte: Vulkane brachen aus und erloschen wieder, zahlreiche neue Gebirge erhuben sich und Meere füllten sich, während sich die einzelnen Kontinente Skeyras herausbildeten. Im Laufe der Zeit musste Noctira einsehen, dass Lux keinesfalls mehr diese Welt verlassen wollte und auch die Drachin dachte nicht daran, sich zurückzuziehen. Doch beide wurden des Kämpfens schließlich müde und sie trafen schließlich ein Abkommen.
Man wollte fortan gemeinsam über die Geschicke der noch jungen Welt wachen und zwar jeder von seinem eigenen Refugium aus. Noctira wählte den Mond Luneria als ihre Heimat aus, auch Schattenmond genannt, während Lux sich auf Amelund, dem Lichtmond einrichtete. Sie versicherten einander feierlich, niemals uneingeladen in das Territorium des jeweils anderen einzudringen. Und da den Drachen ein gegebenes Versprechen über alle Maßen heilig ist – es handelt sich dabei schlicht um eine Frage der Ehre -, geschah es auch so. Was die Welt Skeyra selbst anbelangte, so hatten sie sich auf einen Kompromiss geeinigt, der beide Drachen zufrieden stellte, da er für keinen von ihnen einen Gesichtsverlust bedeutete und sich vor allem bereits mehrfach bei der Schöpfung anderer Welten, an denen sie beteiligt gewesen waren, bestens bewährt hatte: Lux würde eine Hälfte der Zeit beherrschen, die den Namen Tag bekam, und Noctira durfte ihre gewaltigen, dunklen Schwingen während der anderen Zeithälfte über Skeyra ausbreiten und auf diese Weise Dunkelheit und Ruhe über die Welt bringen. Diese Zeit der Dunkelheit bezeichneten sie als Nacht. Diese Bezeichnungen haben bis zum heutigen Tage universalen Bestand, den beiden Urdrachen, jenen Schöpfern der Welt, zu Ehren. Aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten, die Noctira und Lux gemeinsam erforscht hatten, passten sie auch ihre tägliche und nächtliche Herrschaftsdauer akribisch an und die Zeiträume, an denen die Zeitspannen von Tag und Nacht identisch waren, werden auch heute noch von den Bewohnern Skeyras gefeiert.
Auf diese Weise lebten sie jahrelang einträchtig nebeneinander und erfreuten sich an der Schönheit des noch jungen Planeten. Beiden war durchaus bewusst, dass die beiden anderen Monde, die die Welt Skeyra umkreisten, von den anderen Urdrachen bewohnt waren, doch sahen sie in Chorath keine akute Bedrohung, unter anderem weil sie auch um Brenells Präsenz wussten. Jahrzehnte vergingen auf diese Weise und gelegentliche, zufällige Begegnungen waren geprägt von gegenseitigem Respekt und Einvernehmen, aus dem mit der Zeit trotz des völlig unterschiedlichen Wesens der beiden Drachen und der grundsätzlichen drachentypischen solitären Lebensweise eine gewisse Sympathie für einander entsprang. Insbesondere in Lux regte sich mit der Zeit ein gewisser Drang und er machte entsprechende Avancen, doch Noctira hegte eher mütterliche Gefühle für ihn denn leidenschaftliche.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Kapitel 2: Die Geburt Skeyras
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am: 21.Juli.2011, 11:29:05
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Etwas kitzelte an ihren Nüstern. Noctira nieste und öffnete ein wenig verdattert ihre Augen. Nicht etwa Staub hatte sie zum Niesen gebracht, sondern Sonnenlicht war es, das über sie hinweg glitt. Unwillig reckte sie ihren Kopf und blickte gen Himmel. Ich hätte es mir denken können, grollte sie grantig, als sie den hellen Kometenschweif hoch über sich im All erblickte. Nur dass es sich nicht um einen Kometen handelte. Mühselig erhob sie sich und ihr Schweif wedelte langsam hin und her. Wird denn dieser Tunichtgut niemals erwachsen?
Als der älteste der vier Urdrachen war Noctira das einzige Geschöpf des unendlichen Universums, das die Herkunft des Lichtdrachen Lux kannte und sie hatte ihn heranwachsen sehen. Freilich war sie niemals in seiner unmittelbaren Nähe gewesen, dennoch waren beide durch ihr Naturell untrennbar miteinander verbunden und viele Welten waren durch ihr beider Zusammenwirken geboren und geformt worden, so wie viele eben dieser Welten durch Choraths Wesen verdorben worden waren. Aber sie hatte Lux nicht in nach Drachenmaßstäben so kurzer Zeit erwartet und sie hasste es, so unvermittelt aus ihrem Schlummer gerissen zu werden. Nun, sie würde ihm eine kleine Lektion dafür erteilen. Diese Welt hier war ihr ureigenster Besitz und sie würde sie sich nicht von einem in ihren Augen Drachenjungen aus den Pranken nehmen lassen.
Selbstverständlich war Lux alles andere als ein Drachenjunges, auch wenn Noctira ihn in einer Mischung aus mütterlicher Zuneigung und geschwisterlichem Hass so bezeichnete. Auf vielen Welten verehrt, war er sich seiner Macht, insbesondere was das Wesen der Magie anbelangte, und seiner Stärke wohl bewusst. Doch er war nach Drachenmaßstäben in der Tat noch jung und seinem Alter entsprechend ein wenig übermütig. Dazu kam seine unbändige Neugier und Abenteuerlust und so war es nicht weiter verwunderlich, dass ihn die absolute Schwärze unter sich, die sein Scheinen einfach absorbierte anstatt zu reflektieren, geradezu anzog. Es waren Noctiras schwarze Schuppen, und ihre gewaltigen Schwingen, die sie immer noch schirmend ausgebreitet hatte, die das von Lux ausgehende Licht verschluckten, als sie sich schwerfällig erhoben hatte, um dem unwillkommenen Störenfried in seine Schranken zu weisen. Wie ein Blitz stieß der gleißend helle Drache in die Dunkelheit unter ihm hinab und überhörte geflissentlich das warnende Grollen der Drachin, die er mittlerweile erkannt hatte. Lux liebte und verehrte Noctira schon seit er zum ersten Mal ihre Präsenz und ihr Wirken wahrgenommen hatte, doch machte er sich auch einen Spaß daraus, sie zu foppen und sie herauszufordern, wann immer sich eine Gelegenheit dazu ergab. Geschickt wich er ihrem gewaltigen Prankenhieb aus, drehte sich im Flug um seine eigene Achse, vertrieb die Finsternis um sich herum und rief übermütig mit einer Stimme, die dröhnte wie ein Bronzegong: „Diese Welt braucht mehr Licht, findest Du nicht auch?“ „Das wagst Du nicht, Du fliegender Silberwurm“, knurrte Noctira und erhob sich, nach dem langen und für sie doch noch viel zu kurzen Schlaf ein wenig schwerfällig, in die Luft. Lux lachte und schnaubte einen Ball reinsten Lichtes auf die dunkle, öde Landfläche unter sich. Er verfehlte nur knapp Noctiras Schweifspitze, was ihren Zorn bloß noch mehr schürte.
Diese Vorgänge blieben nicht unbemerkt. Wachsame Blicke waren auf die beiden Kontrahenten gerichtet. Chorath hatte Gefallen gefunden an dem jungen Drachen. Dessen Heißblütigkeit dünkte ihm als idealer Nährboden für seine dunklen Pläne. Von seinem Versteck auf Lurz sandte er mentale Ströme, zart wie die seidenen Fäden eines Spinnengewebes, in Richtung Skeyra, die sehr wohl von Lux aber auch von Noctira empfangen wurden. Gehört würde es nicht treffen, denn Chorath bediente sich keiner Sprache, auch nicht mental, wie wir sie kennen. Als Chaosian bezeichnen die Schriften die Art der Kommunikation, derer sich Chorath im Gegensatz zu den anderen Drachen, die tatsächlich eine eigene Sprache, nämlich Draconian, hatten, bediente. Dieses Chaosian, das nur der Chaosdrache selbst beherrsche, beruhte schlicht und einfach auf der mentalen Kontrolle seiner meist unfreiwilligen Konversationspartner.
Gleich einem Asteroiden schlug der Feuerball auf dem harten Boden auf und das bedeutete den eigentlichen Geburtsmoment Skeyras. Der Einschlag ließ die Welt erbeben und aus dem tiefen Krater sprudelte glühend heiße Lava, jene lebensspendende Energie und Kraft, die sich so lange unter Noctiras Obhut tief unter der Oberfläche angesammelt hatte. Die Luft erglühte in rötlichem Schimmer und die Atmosphäre kochte, als sich schier unendlich der Lavastrom immer weiter ergoss und in züngelnden Feuerströmen das Land bedeckte, Geröll und Steine vor sich her schiebend, schmelzend und formend. Noctiras Schweif peitschte wütend von einer Seite auf die andere und sie schlug mit ihren Flügeln in der verzweifelten Hoffnung, das Feuer zum Erlöschen zu bringen. Doch zu Lux Vergnügen trat genau der gegenteilige Effekt ein und die Flammen breiteten sich immer weiter aus, ließen die brennenden Landstriche in flackerndem Schein hell wie der lichte Tag erleuchten, purpurrote Blitze in dichten Rauchschwaden zuckten durch die Atmosphäre. Nach einiger Zeit gestand sich die mächtige Drachin ein, dass ihr ein Teil dieser Welt entglitten war.
Jede einzelne Faser in Choraths Körper war angespannt. Nun würde es endlich so weit sein, denn Lux schien Gefallen daran zu finden, Noctira immer weiter zu provozieren, indem er einen Lavastrom nach dem anderen mit seinem Feuerodem auslöste, und die Drachin der Dunkelheit kochte vor Wut, das konnte er genau spüren. Endlich würde das geschehen, was bei so vielen Weltenschöpfungen schon geschehen war und in unzähligen Schriften bereits quälend langatmig in blumigen Worten beschrieben worden ist. Doch Choraths Erwartungen einer Schlacht epischen Ausmaßes wurden zutiefst enttäuscht, als sich Noctira, die negativen Einflüsse des roten Drachens mit einem müden Augenzucken einfach ausschließend, ohne viel Aufhebens, freilich verärgert über diese rüde Störung ihrer Ruhe, auf die andere Seite der Welt zurückzog und die Dunkelheit dort um sich herum versammelte. Gut, sie hatte nun einen Teil Skeyras an das junge Drachenmännchen so wie es aussah für alle Ewigkeit verloren, doch sie war weise genug, diese Entwicklung als das anzusehen, was sie war, nämlich als unausweichlich. Schließlich konnte selbst sie sich nicht des ehernen kosmischen Gesetzes des Ausgleichs entziehen.
Lux tollte im Schein der hellen Flammen übermütig herum. Im Gegensatz zu Noctira liebte er Wärme und Licht. Als er zufällig besonders heftig mit seinem Schweif auf den Boden trommelte, sprudelte glucksend überraschend kühles, klares Wasser aus dem entstandenen Riss heraus. Interessiert betrachtete der junge Drache diesen Vorgang, denn damit hatte er nicht gerechnet - nicht auf dieser öden, leblosen Welt, die er nun aus ihrem Schlummer zu holen gedachte. Er suchte sich eine andere Stelle aus und schlug seine Klauen tief in den Boden. Auch hier quoll aus dem geborstenen Grund augenblicklich Wasser heraus. Lux kauerte sich nieder und mit langen Schlägen seiner Zunge, die er wie einen Löffel benutzte, stillte er seinen Durst aus der schier unerschöpflichen Quelle. Das Wasser schmeckte herrlich frisch und rein. In der Mulde, die der Drache geschaffen hatte, sammelte sich immer mehr dieses köstlichen Nasses und bildete bald einen kristallklaren See. Beim Trinken betrachtete er darin zufrieden sein Spiegelbild, wie alle Drachen ein wenig eitel, wohl wissend, was für prächtige Geschöpfe sie waren und mächtig obendrein. Wenn es hier Wasser gibt, sinnierte er, als er zusah, wie das Wasser von seinen Barteln, die sein Maul säumten wie bei einem Waller, tropfte, so kann hier auch Leben gedeihen. Wasser, Licht und Luft. Mal sehen, ob das überall so ist.
Es bereitete Lux großes Vergnügen, an verschiedensten Orten seine Pranken oder seinen Schweif in den Boden zu schlagen oder direkt nach Wasser zu graben und zu beobachten, wie sich das segensreiche Nass in den Mulden und Vertiefungen sammelte und in kristallenen Kaskaden dahinfloss. Schon bald vermengte sich das Wasser mit den Lavaströmen und zischend stiegen Dampfwolken empor, entwuchsen in die Atmosphäre. Lava kühlte aus, begann zu stocken und sich zu verkrusten und zu verschorfen, die Luft war voll von statischer Elektrizität, die ein kribbelndes Gefühl auf Lux Schuppen erzeugte, und immer mehr Blitze zuckten in den dampftrüben Himmel Skeyras. Fasziniert betrachtete Lux das Naturschauspiel um sich herum und erfreute sich an dem aufsteigenden weißen und perlmutternen Wasserdampf, erinnerte dieser ihn doch an seine eigenen, funkelnden Schuppen. Außerdem konnte man mit den Dampfwolken herrlich spielen. Lux war aufgestiegen und trieb die Wolken vor sich her. Hätte ihn Noctira dabei gesehen, hätte sie ob seines doch für einen würdigen Drachen unpassenden Verhaltens entrüstet ihren Kopf geschüttelt und sich gefragt, wie ausgerechnet so ein verspieltes Drachenjunges bei so vielen Völkern anderer Welten, an deren Schöpfung er maßgeblich beteiligt gewesen war, Verehrung erfahren konnte. Wie die Chroniken Skeyras noch zeigen werden, bilden auch die künftigen Völker dieser Welt darin keine Ausnahme und Lux, dem Lichtdrachen, wie er voller Ehrfurcht genannt wird, wird bis zum heutigen Tage noch gehuldigt als dem Urvater Skeyras, dem Gott des Lebens und des Lichts. Wer kennt ihn nicht, den Ausspruch Lux sei Dank!, den man erleichtert ausruft, wenn etwas gerade nochmal gut gegangen ist. Momentan jedoch war Lux von der göttlichen Erhabenheit, was sein Benehmen betraf, noch weit entfernt und er tollte wie ein Schlüpfling in den Wolken und Rauchschwaden herum. Durch den immer dichter werdenden Dunst war Lux jedoch bald in seiner Sicht eingeschränkt und nur so war es zu erklären, dass er bei einer Drehung um seine eigene Achse mit einer Flügelspitze den Boden streifte und abstürzte. Wie es immer in so einer Situation der Fall ist, prallte er nicht einfach nur auf dem harten Boden auf, sondern er rutschte mitten in einen Haufen aus Asche und Staub. Ächzend richtete er sich wieder auf und schüttelte sich. Meine schönen, schimmernden Schuppen, dachte er bekümmert und spreizte seine Flügel um zu sehen, ob er sich nicht weiter verletzt hatte. Ich hasse es, wenn ich schmutzig bin.
In der Zwischenzeit nahmen die Wolken immer mehr Wasser auf, verdichteten sich, hingen tief am Himmel, bis sie schließlich ihre Fracht nicht mehr länger halten konnten. Zwar nahm Lux erleichtert zur Kenntnis, dass die Regentropfen seine staubigen Schuppen säuberten, doch widrige Umstände ließen die Wolken ziehen – just in die Richtung, in der sich Noctira zurückgezogen hatte.
Mürrisch grummelte Noctira, als ihr die ersten Tropfen auf Rücken und Kopf klatschten. Was hat dieses elende Drachenjunge denn jetzt schon wieder angestellt? Kann ich denn keinen Augenblick meine Ruhe haben auf diesem verdammten Planeten? Sie blickte zum wolkenverhangenen, dunklen Himmel hinauf und stieß einen tiefen Seufzer aus, der das Land rings um sie herum erzittern ließ. Erst macht der Lümmel Licht, dann auch noch Wolken mit Regen. War ja zu erwarten. Nur nicht provozieren lassen. Aber ich will meine Ruhe haben… Ich habe eine Idee…
Träge schlug sie ihren gewaltigen Schwanz in den festen Boden und auch bei ihr sprudelte Wasser aus dem entstandenen Spalt. Das hat mir gerade noch gefehlt! Jetzt wird auch noch mein Bauch nass. Sie erhob sich angewidert und schlug mit ihrem Schwanz noch einmal in die Spalte, so tief diesmal, dass die Erde bebte. Wie mit einer riesigen Schaufel bewegte sie gigantische Massen an Fels und Gestein und schob alles zur Seite, der Boden warf unter unvorstellbaren Kräften Falten und auf diese Weise war das erste Gebirge auf Skeyra entstanden. Verbissen arbeitete die Drachin weiter, türmte um sich herum immer mehr dieser Erdmassen auf, um endlich wieder ungestört im Dunklen ruhen zu können.
Doch die relative Ruhe sollte nicht lange währen, denn Lux folgte den dahin ziehenden Wolken und es wurde draußen auf diese Weise zunehmend heller, trotz des Regens. So war für Noctira an Schlaf nicht mehr zu denken. Außerdem hatte es den Anschein, dass Lux die Wolken absichtlich genau in das Gebirge schob, das der Drachin Schutz und Ruhe bieten sollte. Als der Regen schließlich sturzbachartig auf sie herab prasselte, riss ihr der Geduldsfaden. Sie war eine alte, weise Drachin und kaum durch etwas aus der Ruhe zu bringen, aber steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Sie reckte ihren massigen Schädel gen Himmel und stieß ein wütendes Gebrüll aus, das selbst Chorath auf seinem Mond, ja sogar noch Brenell auf Falkan hören mussten. Mit einer ungeheuren Wucht, die buchstäblich Berge versetzen konnte, fegte der ausgestoßene Atem als Taifun über das Land, riss Erde und Gestein mit sich, türmte diese Massen an weit entfernten Orten zu riesigen Gebirgen auf, während anderswo sich Furchen und Gräben auftaten, aus denen erneut Lava hervortrat oder die sich schnell mit Wasser füllten und zu Ozeanen heran schwollen. Doch selbst von diesem infernalischen Chaos wurde das leuchtende Strahlen Lux nicht vollständig verschluckt. Noctiras Augen glühten voller Triumph in der Dunkelheit. Sie hoffte, Lux eine kleine Lektion erteilt zu haben und endlich wieder Ruhe zu haben.
Lux war tatsächlich beeindruckt von den Fähigkeiten der Drachin, aber seinem Übermut tat das kaum einen Abbruch. Geduldig wartete er darauf, bis langsam die Erdmassen und der Sturm zur Ruhe kamen und beobachtete dabei, wie sich erneut die Wolken mit Wasser vollsogen. Schließlich legte er nun seinerseits seinen Schädel in den Nacken und stieß einen Ball gleißenden Lichtes in die dichten, regenschweren Wolken. Unter gewaltigem Donnerknall, das sogar das Zornesgebrüll der Drachin in den Schatten stellte, entlud sich sofort ein heftiges Gewitter, bei dem Blitze unaufhörlich den Himmel über ganz Skeyra durchzogen. Unvorstellbare Energien entluden sich und der Donner hallte dumpf wieder von berstenden Felsen. Feuer und Wasser überzogen die gesamte Welt, Staub und Asche wurden weggeschwemmt, die Luft gereinigt. Und inmitten des Regens zwei gewaltige Drachen, der eine schwärzer als die tiefste Nacht und der andere weißgolden schimmernd, und an beiden perlten die Regentropfen in Kaskaden ab, ließen ihre Schuppen glitzern und glänzen. Das Drachenmännchen hatte sein Maul zu einem fröhlichen Grinsen verzogen, während die Drachin grollend die unfreiwillige Dusche über sich ergehen ließ. Ganz langsam streckte sie ihre Pranke aus und zupfte dem weißen Drachen schmerzhaft am Bart. Doch dieser lachte nur, stieß sich mit seinen kräftigen Hinterläufen ab und schraubte sich mit kraftvollen Flügelschlägen in die Wolken, während Noctira auf dem Boden zurück blieb und dem jüngeren Drachen nachblickte. Ich hoffe, Du hast Dich nun genug ausgetobt. Verschwinde von hier, dies ist meine Welt! Du hast ihr ohnehin schon viel zu viel Helligkeit gebracht. Sie wusste selbst nicht, ob sie diese Worte nur gedacht hatte oder sie das tatsächlich dem anderen Drachen nachgerufen hatte. Wie auch immer, Lux hätte sie ohnehin nicht beherzigt, denn er war bereits drauf und dran, diese neue Welt weiter zu erkunden.
[Fortsetzung folgt...]
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Die Chroniken von Skeyra - Buch I
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am: 21.Juli.2011, 11:22:11
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Kapitel 1: Die vier UrdrachenUnzählige Welten befinden sich in den unendlichen Weiten des Universums. Welten, die am Vergehen sind und Welten, die im Begriff sind zu entstehen. Energien werden frei gesetzt, Energie kommt aus dem All und Energie formt das All. Ein beständiges Pulsieren, ein beständiges Leuchten und Verglühen im Fluss der Zeit. Unsere Geschichte hebt an mit der Entstehung der Welt, die in den Schriften Skeyra genannt wird. Und wie bei allen Neuanfängen lag auch die Geburt dieser Welt im Dunkel des Weltalls, ein reißender, alles verschlingender Malstrom aus Materie und Energie, ein durch das All wirbelnder Haufen aus Sternenstaub und Chaos, der noch der Formung und Gestaltung harrte und der bereits die Aufmerksamkeit einiger wundersamer Wesen erregt hatte. Es handelte sich nicht um Gottheiten, wie man sie hinlänglich aus verschiedenen Schöpfungsmythen und dergleichen kennt. Es handelte sich um Geschöpfe aus Fleisch und Blut, freilich so gewaltig und unvorstellbar, dass der Mensch nicht umhin kann, diese mit Gottheiten gleichzusetzen. Immer wieder verließen die Drachen ihre angestammte Heimat weit entfernt in einer der unzähligen Galaxien, auf der Suche nach neuen Welten. Sie kamen hier hin und dort hin, jeder noch so entlegene Winkel des Universums wurde erkundet und sie gaben ihr unermessliches Wissen weiter an die Bewohner verschiedener Welten. Sie bedienten sich der alten Kräfte der Magie und sie lebten außerhalb der Zeit: Für die Drachen war ein Jahrtausend kaum mehr als ein Lidschlag, und sie sahen Generationen von Leben, ja, ganze Welten, entstehen und vergehen. So war es nur eine Frage der Zeit, dass sie ihre Reisen in diese eine Galaxis führten, die jene noch ungeordnete Welt in sich barg, von deren Entstehung in diesem Kapitel erzählt wird. *** Glühende Feuerzungen umschmeichelten den scharlachrot geschuppten Drachenleib, der lautlos durch das All glitt. Er war einer jener vier Urdrachen und er war der heimliche Herrscher über alle Welten, denn es gab keinen Winkel in der Unendlichkeit des Universums, den er nicht schon verdorben hatte: Chorath war eine Ausgeburt des Chaos, das Böse schlechthin und er trachtete danach, bestehendes Leben zu verderben oder gar zu vernichten. Der chaotische Sternenwirbel zog ihn gerade zu an, denn endlich hatte er eine Welt gefunden, die seinem Naturell entsprach, zu ungeordnet und chaotisch, um Leben überhaupt erst entstehen zu lassen. Er hauchte seinen Feuerodem in das wirbelnde Chaos, Materie verschmolz zu einer Masse, die Rotation tat ihr Übriges und das war der Geburtsmoment Skeyras und seiner vier Monde, gleichsam Abfallprodukte der Schöpfung, die den Planeten als Satelliten in einiger Entfernung umkreisten. Wüst, flach und leer war dieser Planet, kein Leben würde darauf entstehen können, doch genau das war es, was Chorath so liebte. Endlich hatte er die Möglichkeit gehabt, eine Welt zu schaffen, die seinem Abbild entsprach. So unwirtlich war diese Welt, dass er sicher sein konnte, dass nichts und niemand Interesse daran haben würde, sie ihm streitig zu machen und er konnte nun endlich, fernab von den anderen Drachen, die ihm mehr verhasste Konkurrenz als willkommene Gesellschaft waren, ein Leben in boshafter Abgeschiedenheit führen. Diese Welt sollte ihm als Basis dienen für weitere Streifzüge durch das Universum, von dort wollte er Schrecken und Chaos über alle Welten bringen. Doch Chorath war nicht der einzige Drache, der auf diesen besonderen Punkt im Weltall aufmerksam geworden war. Und so musste er zähneknirschend mit ansehen, dass sich sein Vorhaben nicht erfüllen sollte, zumindest vorerst nicht. Einer Vorahnung gleich fühlte er die stärker werdende Präsenz in Form verschiedener Energieströme seiner Konkurrenten und wohlwissend, dass er bei einer direkten Konfrontation mit den anderen der vier Urdrachen unweigerlich den Kürzeren ziehen würde, zog er sich, noch bevor er entdeckt werden konnte, auf den dieser Welt abgewandtesten Mond zurück, der später in die Analen Skeyras als Lurz, der Chaos-Mond, eingehen sollte. Schwärzer als die Schwärze des Alls und von unvorstellbarer Größe glitt ihr geschmeidiger Schuppenleib durch das Universum. Ihre Schuppen waren weich wie Samt und absorbierten das ohnehin spärliche Licht der Sterne, nur ihre Augen waren grünglühende Punkte in der Dunkelheit. Ihre zeitlose Reise brachte sie schließlich zu jener chaotischen, vor Dunkelheit starrenden Welt, die von vier Monden umgeben war. Zwar spürte nun auch sie die Präsenz des anderen Drachens, der sich auf einen dieser Monde zurückgezogen hatte, aber sie war sich ihrer Stärke und Macht bewusst und achtete nicht weiter auf Chorath, als sie herabglitt und schließlich ihre Schwingen über der jungen Welt ausbreitete, gleich einer Mutter, die ihre Jungen beschützte. Das Chaos, das auf diesem öden Planeten herrschte, die tobenden Stürme und das immerwährende Brausen, ebbten, sehr zum Missfallen Choraths, langsam ab. Erdmassen und Gestein fügten sich zu festen Schichten, kamen zur Ruhe, Landmasse entstand. Ein Kokon aus Dunkelheit und Stille umschloss jetzt diese Welt und im Schutz der gewaltigen Drachenschwingen konzentrierten und sammelten sich die Energien am Boden. Noctira, die Drachin der Finsternis, wie die Urmutter Skeyras genannt wird, hauchte ihren heißen Atem über die Welt und zwang die chaotischen Energien in feste Bahnen, die fortan als glühende Lavaströme tief im Inneren der Welt flossen, auf diese Weise den Weg ebnend für neues Leben, das in dieser unwirtlichen Gegend unter ihrem mütterlichen Schutz dereinst gedeihen sollte. Viele Jahrhunderte harrte die dunkle Welt in dieser stillen Liebkosung der Mutterdrachin. Es ist ein ehernes Gesetz aller Universen, dass alles und jedes in einem globalen Gleichgewicht stehen muss, dass es zu allem und jedem in welcher Form auch immer einen Ausgleich geben muss. Yin und Yang, Sonne und Mond, Mann und Frau, Licht und Dunkel, Gut und Böse, stetes bedingt das Eine auch das Andere. Dunkelheit, verkörpert durch Noctira, war bereits über Skeyras gekommen und auch Chorath lauerte auf seine große Chance, diese junge Welt wieder in das anfängliche Chaos zurückzustoßen. Unbemerkt von Chorath hatte sich Brenell, ein weiterer Urdrache, wenngleich auch nicht so mächtig wie die anderen des Quartetts, ebenfalls auf den Weg nach Skeyra gemacht. Brenells Wesen war die Ordnung, die Tugendhaftigkeit und die Freundschaft, die in bedingungsloser Hingabebereitschaft gipfelte. Stets war er auf den Spuren Choraths, um dessen destruktivem Wirken entgegen zu wirken oder um zumindest die Auswirkungen der verderbenden Kräfte des Chaosdrachen abzumildern. Was ihm an körperlicher Überlegenheiten fehlte, machte er auf andere Weise mehr als wett: Als einzigem Drachen überhaupt war ihm die Fähigkeit gegeben, zumindest in einem gewissen Rahmen über die Zeit zu herrschen, indem er die Chronologie beeinflussen konnte. Mittels einer besonderen Art von Sprache, derer nur er mächtig war und die die alten Chroniken als Rewolan bezeichnen, konnte er je nach Bedarf Ereignisse beschleunigen oder verzögern und auf diese Weise hatte er sogar die Möglichkeit, ein wenig in die Zukunft zu sehen. Selbstverständlich durfte er nicht willkürlich in den Lauf der Dinge eingreifen und bis dato gab es auch keinerlei Aufzeichnung darüber, ob Brenell jemals einen derartigen Kniff angewandt hatte. Gemäß seines sanften und stillen Naturells beanspruchte er lediglich Falkan, den kleinsten der vier skeyranischen Monde, als seine neue Heimat, von dem er über den Fortbestand der jungen Welt Skeyra wachen und bei Notwendigkeit in deren Geschicke eingreifen wollte. Hätte es auf Skeyra in jener dunklen Vorzeit schon Leben gegeben, wären die Skeyraner Zeugen eines imposanten kosmischen Schauspiels geworden: Gleich einem gleißenden Kometen, der mit feurigem Schweif am Himmel seine Bahnen zieht, näherte sich der mächtigste und zweifelsohne imposanteste der vier Urdrachen Skeyra. Alles an diesem Drachen war prächtig, strahlend weiße Schuppen und sein golden glänzender Bauch reflektierten das Licht der fernen Sonne und verstärkten dieses auf unvorstellbare Art und Weise, so dass die bisher in samtiger Dunkelheit schlummernde Welt in hellen Schein getaucht wurde.
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Taverne / Stammtisch / zu verschenken: Klapp-Gästebett (nur an Selbstabholer)
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am: 05.Juli.2011, 20:10:34
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Biete ein Klapp-Gästebett für Selbstabholer im Münchner Westen.
Es ist gegen Selbstabholung GRATIS abzugeben.
Das Bett besteht aus einem schwarzen Metallgestell mit Holz-Lattenrost und einer Federkern-Matratze. Ausgeklappt ists geschätzt ca. 80..90 mal 200 und 40 cm hoch . Ich messe bei Bedarf aber gerne nochmal nach. Zusammengeklappt ca. 80..90 mal 110 und 30 dick. Zum leichteren verschieben hat es Rollen montiert.
Das Bett wurde nur 4 bis 5 mal benutzt, ist in Top-Zustand und aus Platzmangel nach einem Umzug nun übrig.
Wenn weitere Infos benötigt werden, ruhig fragen.
Wer es brauchen kann, möge sich bei mir bitte per PM melden, dann bekommt er die genaue Adresse wo ers abholen kann.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Re: Drachen-Achat
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am: 27.Juni.2011, 20:11:02
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8. Der Verdacht
Toni konnte nicht verstehen, was die Marktfrau genau von sich gab, aber der misstrauische Blick auf die Silbermünze und ihre schrille Stimme, die man im ganzen Burghof hören musste, konnte nichts Gutes bedeuten. Auch wenn es sich nach Fidinius Worten um die geringwertigste Münze, die er in seinem Hort hatte, handelte, so war es anscheinend für die damaligen Verhältnisse sehr viel Geld. Geld, das nach Meinung der Marktfrau ein einzelner Junge - dabei war er nach mittelalterlichen Maßstäben bereits im Mannesalter - gar nicht besitzen konnte oder wenn, dann nur mittels eines Verbrechens, oder, noch schlimmer, mittels Zauberei. Er kam zu dem Schluss, dass es besser war, auf das Essen zu verzichten und auch die Münze abzuschreiben. So gut es ging versuchte er, unauffällig in der Menschenmenge unterzutauchen und vom Burggelände zu kommen, ein Unterfangen, das gar nicht so einfach war, da noch immer zahlreiche Menschen herbeiströmten, die sich an den feilgebotenen Waren und Attraktionen ergötzen wollten. Das mittlerweile sirenenhafte Gezeter der Marktfrau übertönte sogar die lärmende Menschenmasse. Immer wieder rempelte er Leute an auf seinem Rückzug zum Burgtor, einige gaben erboste Laute von sich und ein besonders zerlumpter, stinkender Mann spuckte ihn gar an. Toni würgte es vor Ekel. Nein, das Mittelalter war aus der Sicht der modernen Menschen vielleicht romantisch, aber es war bestimmt keine Zeit, in der man leben mochte. Und es sollte noch Schlimmer kommen!
Nur noch wenige Meter trennten Toni von dem Burgtor und dem dahinter beginnenden Waldstück, als sich die Menschenmenge teilte und vier Männer auf schnaubenden Kampfrössern freigab. Ihre Armbrüste waren auf ihn gerichtet. Zwischen ihnen, unberitten, befand sich ein Mönch, der auf Toni zeigte und aufgeregt zu einem der Reiter sprach. Toni verstand genug, um das Wort Hexerey zu identifizieren. Zwar konnte er sich beim besten Willen nicht erklären, warum dieser Begriff im Zusammenhang mit ihm fiel - dass er eine Silbermünze zum Bezahlen verwenden wollte, konnte einfach nicht der Grund dafür sein. Ihm fiel ein, was der Drache Fidinius gesagt hatte in Bezug auf Unauffälligkeit. Vielleicht hätte er diese Warnung ernster nehmen sollen, aber er hatte doch ohnehin schon versucht, so unauffällig wie möglich zu sein. War den Menschen wirklich aufgefallen, dass sich das, was er am Leib trug, so sehr von ihrer Kleidung unterschied? Zumindest im einundzwanzigsten Jahrhundert waren Menschen viel zu unaufmerksam und viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, was sich unmittelbar vor ihrer Nase abspielte. Mittlerweile hatten die Reiter ihre Pferde an ihn herangebracht und grob riss man Toni in die Höhe. „Haltet den Dieb!“ klang es vielstimmig in seinen Ohren.
Auch wenn er den genauen Wortlaut nicht verstand, vom Sinn her war es wohl: „Was haben wir denn da?“ Die Stimme war drohend wie Donnergrollen am fernen Horizont. „Wohin so eilig, Bursche? Der Mann von der Wache schüttelte Toni wie eine Ratte und schleuderte ihn in einer verächtlichen Bewegung wieder zu Boden. „Durchsucht die Taschen des Balges“, gab er die Order an die anderen, die bereits abgestiegen waren. Beherzt griffen sie in die Taschen seiner Jeans, obwohl Toni spürte, dass er den Männern zumindest unheimlich war. Jeansstoff und Baumwolle kannte man mit Sicherheit noch nicht und auch das, was sie aus seinen Taschen fischten, war zwar für die Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit, aber für das Volk hier war alles davon absonderlich und wirkte wie Zauberutensilien. Nicht einmal die fahrenden Händler, die nun wirklich weit gereist waren, kannten diese wundersamen Dinge. Damit war für alle klar, dass es sich um teuflisches Blendwerk handeln musste...
Zwischen zwei Fingern hielt der eine Wächter eine noch geschlossene Packung Papiertaschentücher hoch, doch sowohl der Mönch als auch die anderen bewaffneten Männer zuckten nur ratlos mit den Schultern. Nur der gaffende Mob brabbelte unaufhörlich. Toni fiel auf, dass sie noch gar nicht seine wertvolle Taschenuhr aus der Hosentasche gefischt hatten. Er was sich sicher, dass er sie in die gleiche Tasche zusammen mit den Taschentüchern gesteckt hatte. In der Drachenhöhle hatte er sich definitiv noch gehabt. Andererseits hatte er nun wahrlich andere Sorgen als die verschwundene Uhr. Wahrscheinlich war er allen Warnungen Fidinius zum Trotz Opfer eines Diebes geworden, der die Uhr einfach für eine extravagante Kostbarkeit gehalten hatte. Er sollte nie erfahren, dass just dieser Dieb zufälligerweise den Familiennamen Henlein trug und dessen Urenkel später einmal das sogenannte Nürnberger Ei erfinden sollte... Mittlerweile fischten sie Tonis Handy aus seiner Tasche und hielten es ihm unter die Nase. Offensichtlich wollte man von ihm wissen, was das sei. Unglücklicherweise berührte der Wächter das Display, so dass dieses aus dem Standby-Modus erwachte und für einige Augenblicke das letzte Foto zeigte, das Toni damit gemacht hatte. „Drache!“ schrieen die Wächter entsetzt auf und als just in diesem Augenblick auch noch der Umstand, dass nun der Akku endgültig leer war, durch ein lautes Piepen eines Alarmtons kundgetan wurde, schleuderte der Mann das Handy auf den dreckigen Boden und zertrampelte es, als ob er Ungeziefer zertreten wurde.
9. Die Rettung
„Ja! Der Drache! Bringt Euch in Sicherheit!“ „Drache!“ Entsetzen machte sich unter den Menschen breit, Pferde bäumten sich auf und wieherten lauthals ihre Angst heraus. Die Sonne wurde verdunkelt durch einen gewaltigen Schatten und das brausende Tosen schlagender Schwingen übertönte den Lärm. Staub und Dreck wurde aufgewirbelt. Im gleichen Augenblick packten Toni üblicherweise todbringende Krallen mit überraschender Sanftheit an der Schulter und er wurde nach oben gerissen. „Ich habe durch den Sehkristall gesehen, dass Dir möglicherweise Unheil droht!“ Der Wind pfiff um Tonis Ohren und er fühlte diese Worte mehr in seinem Kopf, als dass er sie wirklich gehört hätte. Er wunderte sich, wohin ihn der Drache brachte, denn er hätte den Zugang zu der Drachenhöhle an einer ganz anderen Stelle vermutet. Allerdings sah aus der Vogelperspektive sowieso alles ganz anders aus, als er in Erinnerung hatte. „Ich werde Dich nicht zurück in meine Höhle bringen, denn ich befürchte, dass sie uns folgen. Es tut mir sehr leid, aber unsere Wege müssen sich hier und jetzt trennen. So lebe denn wohl, mein Freund, und vergiss mich nicht!“ Doch bevor Toni noch etwas erwidern konnte, wurde ihm schwarz vor Augen und samtige Dunkelheit ummantelte ihn.
Er prallte gegen etwas Hartes, Metallisches und taumelte leicht benommen einige Schritte zurück, nur um in etwas Warmes, Weiches zu fallen. „Hey, spinnst Du? Pass doch auf!“ „Was ist denn mit dem los? Hat er sie noch alle?“ „Wo kommt der denn auf einmal her?“
Langsam drangen diese Stimmen, die ihm alle miteinander vertraut vorkamen, in Tonis Bewusstsein. Er fühlte sich so, als ob er unvermittelt aus einem tiefen Schlaf gerissen worden wäre und rieb sich die Stirn. Er war gegen die Stirnfront des Reisebusses geprallt, der abfahrbereit da stand. „Braucht der Herr vielleicht eine Extraeinladung zum Einsteigen?“ fragte sein Klassenlehrer mit schneidender Stimme. Mit eingezogenem Kopf erklomm Toni die vier steilen Stufen und setzte sich auf den Platz, den er auch bei der Hinfahrt innegehabt hatte. „Wir haben schon überall nach Dir gesucht! Warum hast Du nicht reagiert auf unser Rufen? Dass wir Dich gar nicht gesehen haben...“ Sein Sitznachbar verstummte, als die beiden begleitenden Lehrkörper durch den Bus gingen und ihre Schützlinge abzählten. „Wir sind jetzt vollzählig und können abfahren.“
Toni lehnte sich zurück und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Er konnte sich immer noch nicht so richtig erklären, was eigentlich geschehen war. Er hatte sich eine Pizza gekauft und war damit in das Kellergewölbe der Burgruine hinab gestiegen. Und da saß ein Drache und hatte auf ihn gewartet, besser gesagt, auf seine Pizza… So ein Unfug! Bäume, Felder und Wiesen zogen an ihm vorbei, während der Bus langsam in Richtung Autobahn zockelte. Hoch im immer noch wolkenlosen Himmel glitzerte etwas golden im Licht der Sonne, doch Toni wusste, dass nur er alleine dies gesehen hatte, denn schon im nächsten Augenblick war es verschwunden. Ein wohliges Gefühl durchfloss seinen Körper ausgehend von seiner Hand, die er immer noch - wie er jetzt erst bemerkte - krampfhaft um etwas geschlossen hielt. Wärme ging davon aus und Trost.
„Oh, was hast Du denn da? Hast Du den gefunden?“ fragte sein Sitznachbar neugierig. „So kann man es nennen, ja“, erwiderte Toni seufzend und blickte auf den dreifarbigen Achat in seiner flachen Hand...
ENDE
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Re: Drachen-Achat
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am: 27.Juni.2011, 20:09:39
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5. Das Foto
Fidinius bedeutete dem Jungen mit einer knappen einer Geste, sich zu setzen. Während Toni es sich bequem machte, verschwand der Drache in einer stockfinsteren Ecke seiner Höhle, nur um nach einigen Augenblicken mit einer Art Kristall, der von innen heraus dunkelblau schimmerte, zurückzukehren. „Es würde natürlich viel zu lange dauern, zumindest vom Standpunkt von Euch Menschen aus, Dir die Geschichte von dieser Burg hier, die eng mit dem Schicksal von uns Drachen verknüpft ist, zu erzählen. Aber das hier wird mir dabei helfen, Dir im wahrsten Sinne des Wortes einen Einblick zu gewähren. Und vielleicht kannst Du dieses Wissen später einmal an andere Menschen weitergeben, damit das Leben für uns Drachen wieder angenehmer wird.“ Vorsichtig legte der Drache den kubischen Kristall zwischen seine Vordertatzen und ließ sich majestätisch nieder. Toni starrte fasziniert auf den Kristall und ihm kam eine verrückte Idee. Er taste in seiner Hosentasche nach seinem Handy und fischte es heraus. „Oh, der Akku ist fast leer“, murmelte Toni, „aber für ein paar Bilder müsste es reichen.“ Fidinius starrte gebannt auf Toni und meinte erstaunt: „Ihr Menschen habt auch solche Sehkristalle?“ „Sehkristalle?“ „So etwas“, der Drache legte behutsam eine Tatze auf den kristallenen Kubus und zeigte mit der anderen Tatze auf Tonis Handy. „Oh, nein“, lächelte Toni, „bei uns gibt es nichts Magisches mehr. Nein, das ist ein Handy. Damit kann ich mit anderen Menschen sprechen, auch wenn sie nicht in meiner Nähe sind. Und ich kann Fotos damit machen. Darf ich Euch...Dich... Sie.. fotografieren?“ Fidinius überging Tonis Problem bezüglich der korrekten Anrede eines Drachens einfach und fragte: „Was ist fotografieren?“ „Ein Bild machen, nur dass es nicht gemalt wird. Das Bild ist dann gespeichert und man kann es sich später immer wieder ansehen oder auch anderen Leuten zeigen.“ „Oh, ich verstehe“, sagte der Drache und schnaubte einen kleinen Rauchkringel aus seinen Nüstern. „Aber warum willst Du mich anderen zeigen oder mich später wieder anschauen? Gefalle ich Dir? Sicherlich, wir Drachen sind die prächtigsten Geschöpfe unter Skeyras Himmel, und schon alleine meine goldenen Schuppen sind...“ „Und genau diese Pracht würde ich gerne einfangen mit einem Bild, wenn ich darf“, unterbrach Toni durchaus ein wenig unhöflich, aber er hatte in mehreren Büchern bereits über die Eitelkeit von Drachen gelesen. Außerdem wollte er Fotos machen, solange sein Handy noch genügend Saft hatte. „Vielleicht zusammen mit diesem Sehkristall. Das sieht toll aus, wie er zwischen den Drachenpranken liegt.“ Toni war noch im Reden aufgestanden und machte etliche Schritte zurück, bis er schließlich den Drachen halbwegs zufriedenstellend im Sucher hatte. „Warte, vielleicht solltest Du nicht... Oh!“ Das unerwartete Blitzlicht der Handykamera ließ Fidinius die Augen zusammenkneifen und er gab ein irritiertes Grollen von sich. „Entschuldigung“, sagte Toni und kam wieder zum Drachen zurück, dabei einige Male auf die Handytasten drückend. Er hielt dem Drachen das Handy vor die Schnauze, damit dieser sein Konterfei auf dem winzigen Display betrachten konnte. „Das ist Zauberei!“ rief Fidinius aus, „Du kannst mit diesem Kästchen mit anderen Menschen sprechen und Du kannst damit mein Spiegelbild einfangen! Ich hätte niemals gedacht, dass Menschen sich soweit magisch weiterentwickeln können. Freilich, auch bei uns in Skeyra gibt es den einen oder anderen Zauberer, aber diese werden wie wir Drachen immer seltener, seitdem die Menschen auf die neuen Lehren hören, die ihnen irgendwelche andere Menschen fast schon aufzwingen. Diesen Sehkristall habe ich auch von einem Zauberer bekommen. Zu seinem Glück starb dieser Mann vor vielen Jahren schon, noch bevor das neue Zeitalter angebrochen ist. Sieh her.“
6. Burg Wolfstein
Zunächst sah Toni nur blaue Nebelschleier, die träge in dem Kristall waberten, doch langsam verzogen sich diese und wurden zu einem wolkenlosen Sommerhimmel, der sich über eine gebirgige Landschaft wölbte. Felder, auf denen goldgelb der Weizen üppig wuchs, in der Ferne ein dicht bewaldeter Felsen, auf dem eine Burg thronte. Toni gab einen erstickten Laut der Verzückung von sich, als er zwei prachtvolle Drachen gemächlich darüber hinweg gleiten sah. Die Menschen, die auf den Feldern arbeiteten, schienen sich dadurch nicht stören zu lassen. „Du musst wissen“, begann Fidinius seine Ausführungen, „einst war das hier alles ein sehr reiches, fruchtbares Land und die Feste Wolfstein war hoch angesehen. Es hieß, jeder, der in diesen Mauern Zuflucht suchte, dem wurde Schutz gewährt und wer hungrig an die Pforte klopfte, dem wurde Einlass gewährt. Auch lebten die Menschen mit der Natur und damit auch mit uns Drachen in Einklang, wie es eigentlich in ganz Skeyra gewesen ist.“ „Ist Skeyra ein Land?“ wollte Toni wissen. „Nein, Skeyra ist eine ganze Welt. Oh, ich verstehe Dein Erstaunen, aber Du musst wissen: Die Welt, in der Du lebst, ist nicht die einzig existierende. Es gibt unzählige Welten, die alle auf unterschiedliche Weisen miteinander verbunden sein können. Ich selbst kenne auch nur diese hier und auch ein wenig die Deine, denn widrige Umstände zwingen mich dazu, diese Höhle nur selten zu verlassen. Du solltest vielleicht wissen, dass in all diesen Welten auch die Zeit unterschiedlich ist. Ihr Menschen würdet es wohl sehr vereinfacht so ausdrücken: Skeyra ist eine Parallelwelt zu der Menschenwelt. Die Burganlage, die Du hier im Sehkristall siehst, unter der wir gerade sitzen, ist die gleiche, die Du in Deiner Welt gerade mit Deinen Freunden am Besuchen bist. Nur ist Wolfstein bei Euch bereits verlassen und eine Ruine, während hier noch das herrscht, was Ihr Menschen als das Mittelalter bezeichnet.“
Fidinius machte eine kurze Pause und als Toni verstehend mit dem Kopf nickte, berührte er mit einer Tatze leicht den Sehkristall und das Bild änderte sich. „In anderen Teilen Skeyras leben die Drachen immer noch mit den anderen Völkern Skeyras in Eintracht und guter Nachbarschaft, ja, vielerorts werden sie sogar verehrt und hoch geachtet. Aber Skeyra ist im Wandel und hier, im Herrschaftsbereich Wolfstein, hat sich jener Wandel bereits vollzogen. Wir Drachen sind hier nicht mehr länger erwünscht, im Gegenteil, man hält uns für das Böse schlechthin. Viele meiner Artgenossen fanden einen elenden Tod unter den Lanzen, Speeren und Schwertern von Rittern und Abenteurern, die für einen Beutel Goldmünzen Jagd auf uns machen.“ „Was ist passiert?“ „Das hier.“ Der Sehkristall zeigte das Bild von einem gigantischen, feuerroten Drachen, der so grimmig aussah, dass Toni erschrocken ausatmete. Er füllte den gesamten Himmel aus und unter ihm wälzte sich eine gewaltige Armee über das Land. Toni benötigte einige Augenblicke um zu begreifen, was er da sah: Es war keine Menschenarmee, sondern Unholde wie Oger und Trolle, die anscheinend alle unter dem Kommando dieses tödlich schönen Drachen standen, bewegten sich auf die Burg zu. Hinter sich ließen sie eine Schneise der Verwüstung und des Todes zurück. Entsetzt wandte er sich ab.
„Es war unvorstellbar. Dieser große Krieg, der an verschiedensten Orten Skeyras gleichermaßen tobte, füllt viele Bände der Chroniken von Skeyra, die niedergeschrieben wurden. Doch das würde zu weit führen, Dir das alles im Detail zu erzählen, außerdem können das die Bänkelsänger viel besser als ich. Ich bin kein großer Geschichtenerzähler, im Gegenteil. Wenn man von mir verlangen würde, dass ich die Chroniken Skeyras verfassen sollte… Doch ich schweife ab.“ „Also, ich finde, Du erzählst einfach toll.“ Der Drache warf dem Jungen einen sonderbaren Blick zu, räusperte sich und fuhr dann fort: „Wie dem auch sei, unter Choraths Führung, das ist der Name dieses roten Drachens, brachten Monsterhorden und Dämonen Tod, Zerstörung und Not über dieses Land, das sich derzeit davon mit Mühe und Not davon erholt. Doch Menschen erkennen leider keine Zusammenhänge und für sie ist aufgrund der Bosheit dieses einen Drachens namens Chorath nun jeder Drache böse und muss ausgerottet werden. Einige Menschen nutzten diese chaotischen Zeiten und den Irrglauben der anderen für ihre Zwecke aus und so brach ein neues Zeitalter heran, das Zeitalter des Glaubens. Darin gibt es keinen Platz mehr für die Natur und damit auch keinen Platz mehr für uns Drachen. Fürst Gottfried stand diesem neuen Gedankengut sehr aufgeschlossen gegenüber und es gelang ihm, eine Armee aus Gleichgesinnten aus ganz Skeyra aufzustellen, die diese Monsterhorden schließlich bezwingen konnte. Was er nicht wusste war, dass die Drachen, die hier in dieser Gegend lebten, in aller Heimlichkeit an diesem Kampf teilgenommen haben. Ich will nicht unbescheiden sein, aber die Wahrheit muss gesagt werden: Nicht Gottfrieds Menschenarmee hat Wolfstein gerettet, sondern wir waren es, wir Drachen, unter meiner Führung. Aber ich bin des Kämpfens einfach müde und so lasse ich die Menschen in dem Glauben, dass wir Drachen das Übel Skeyras sind.“ Das Bild in dem Sehkristall trübte sich ein, der Kristall flackerte kurz auf und erlosch. Fidinius erzählte Toni dann noch einige weitere Details darüber, wie die Menschen nun lebten in und um Wolfstein, wie sie ihr nur noch karges Dasein organisiert hatten, über die Rechtsprechung und natürlich über das Zeitalter des Glaubens.
„Das ist alles wahnsinnig aufregend“, sagte Toni schließlich und war aufgesprungen. „Kann ich mich draußen ein wenig umschauen? Das wäre die perfekte Ergänzung zu dem, was ich eben alles gehört habe. Und ich brauche das doch für die Schule.“ „Ich habe Dir doch gesagt, dass ich meine Höhle nur ungern verlasse in diesen drachenfeindlichen Zeiten“, grummelte Fidinius ein wenig grantig. „Ich kann doch alleine gehen, einfach mal in die Burganlage hinein, ein wenig umschauen und dann wieder zu Dir zurück. Und dann muss ich aber zurück in meine Welt.“ „Und wie willst Du an der Wache vorbeikommen?“ „Ach, das kriege ich schon hin. In meiner Welt mache ich ja so was auch.“ Fidinius seufzte: „Ich halte das für keine gute Idee. Andererseits freue ich mich über Deinen Wissensdurst.“ Der Drache schloss die Augen und dachte konzentriert nach. „Also gut, ich denke, es kann wirklich nichts schaden, dass Du Dich hier umsiehst und später dann das Wissen um Skeyra in Deiner Welt verbreitest. Aber sieh Dich vor. Verhalte Dich unauffällig, mische Dich unter das Volk. Vor allem lasse Dich auf keinerlei Streit ein, hörst Du? Ich werde hier auf Dich warten.“
Es wurde doch noch ein kleiner Vortrag, wie Toni sich im Falle eines Falles zu verhalten habe, bis er schließlich aus der Höhle ins Freie trat.
7. Markttag
Die Wache am großen Burgtor interessierte sich nicht im Geringsten für Toni, als er einfach an ihr vorbeiging. Sie war viel mehr damit beschäftigt, einen Ochsenkarren zu kontrollieren. Erst als der Fahrer den beiden grimmig dreinblickenden Männern den obligatorischen Obolus in ihre schmutzigen Hände gedrückt hatte, durfte er weiterfahren. Aber da war Toni bereits in der Menschenmenge untergetaucht. Er war überrascht, dass ein solcher Andrang herrschte, und die hohen Burgmauern bedrückten ihn. Die Sommersonne konnte die Schatten kaum vertreiben. Der Gestank ungewaschener Leiber und der Exkremente verschiedenster Tiere raubte ihm den Atem. Kein Wunder, dass sich damals die Pest so rasch verbreiten konnte, dachte er sich und war ganz froh darüber, dass bei den mittelalterlichen Veranstaltungen, die er bisher besucht hatte, zwar nicht weniger Menschen anwesend waren, aber zumindest im Regelfall die hygienischen Verhältnisse deutlich besser waren. Als er um eine Ecke kam, erschloss sich ihm das rege Treiben. Offensichtlich war gerade Markttag oder eine Art Volksfest, jedenfalls boten fein gewandete Händler und bäuerlich gekleidete Marktfrauen mannigfaltige Waren feil, Musikanten ließen ihre Lauten erklingen und trugen teils schwermütige, teils anzügliche Balladen und Verse vor, Gaukler vollführten ihre Kunststücke und der unangenehme Geruch wurde zumindest an diesem Platz überlagert von dem Duft frisch gebackenen Brotes und eines Ochsen, der an einem gewaltigen Drehspieß über einem offenem Feuer gebraten wurde. Toni lief das Wasser im Munde zusammen. Fidinius vertrat die Meinung, dass man am besten Erfahrungen sammeln konnte, wenn man sich unter das einfache Volk mischte und das eine oder andere von den Gerichten, die hier zubereitet und verkauft wurden, probierte. Aus diesem Grund hatte er Toni eine silberne Münze gegeben, mit der er sich etwas kaufen konnte. Freilich hatte er ihn darauf hingewiesen, dass er mit einer solchen Münze wohl einen halben Ochsen bekommen müsste und ihn eindringlich vor der Gefahr von Dieben und anderem lichtscheuen Gesindel gewarnt. Toni erblickte an den Ständen Früchte und Gemüse, das er in dieser Form noch nie gesehen hatte und er sich fragte, ob der Magen eines Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts überhaupt mit einer solchen Kost fertig werden würde. Ihm erbarmte das in engen Holzkäfigen zusammengepferchte Federvieh und er ekelte sich vor einer übel riechenden Paste, die ein Quacksalber als Allheilmittel verkaufte. Angeblich enthielt diese Salbe echte Einhornleber und war, zumindest verstand er es so, nach einem Rezept der Hildegard von Bingen gemischt worden. Er fühlte er sich deplaziert an diesem Ort und vor allem musste er erkennen, dass er die Sprache, in der sich die Menschen um ihn herum unterhielten, kaum verstand. Es klang wie ein unverständlicher Dialekt. Als er an einem Holztisch vorbeikam, auf dem gerade eine ältere Frau frische Teigfladen aufreihte, die ihn an Flammkuchen erinnerten, knurrte sein Magen vernehmlich und ihm wurde wieder bewusst, dass die Pizza, die er sich in einer anderen Zeit gekauft hatte, einen völligen anderen Weg als den in seinen Magen genommen hatte. Er löste sich aus der Menschenmasse und betrachtete die Flammkuchen. Eigentlich ist das ja auch so eine Art Pizza, dachte er sich und als er sich kurz umblickte, fiel ihm auf, dass er vor nicht allzu langer Zeit so ziemlich an der gleichen Stelle tatsächlich eine Pizza gekauft hatte – nur ein paar Jahrhunderte später.
Ein Paar eisgrauer Augen hatte Toni ins Visier genommen. Doch bevor der Junge überhaupt bemerkte, dass man ihn beobachtete, hatte der Beobachter seine Kapuze wieder tief in das Gesicht gezogen und verschwand in der Menschenmenge. Dem Mann, ein Mönch, war dieser Junge sofort aufgefallen, als dieser durch das Burgtor hereingekommen war. Seitdem war er ihm wie ein Schatten gefolgt. Etwas an diesem Jungen störte ihn. Er war so ganz anders gekleidet als die Menschen hier und auch seine Statur fiel aus dem Rahmen. Vor einigen Wochen hatte er Gerüchte über eine Drachensichtung aufgeschnappt und nun dieser eigenartige Fremde... Schnell bekreuzigte sich der Mönch und machte sich auf, um die Wache zu alarmieren. Nicht auszudenken, wenn es sich bei diesem Jungen, wenn er denn überhaupt einer war, um einen Abgesandten des Leibhaftigen handeln würde...
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9
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Re: Drachen-Achat
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am: 27.Juni.2011, 20:08:43
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Drachen-Achat 1. Das ErwachenDie Sonne stand schon hoch am Himmel, als einige ihrer Strahlen die Dunkelheit der geräumigen Höhle durchdrangen und dessen tief und fest schlafenden Bewohner in den Nüstern kitzelten. Brummelnd und grummelnd öffnete er erst das eine, dann das andere Auge und erhob seufzend seinen massigen, mit Stacheln und Hörnern gezierten Schädel. Er reckte den Hals und prüfte schnuppernd die Luft, doch wurden seine Erwartungen in Bezug auf ein drachenwürdiges Frühstück enttäuscht. Zwar drangen die Gerüche von Vieh und Menschen an seine Nüstern, aber schon lange gelüstete es ihn nicht mehr nach dem Fleisch von domestiziertem Getier und der Genuss von Zweibeinern führte bei Drachen in der Regel zu Zahnfäule. Außerdem gab es da noch jenen unangenehmen Nebeneffekt, dass, sobald die Kunde von einem Menschen, der angeblich einem Drachen zum Opfer gefallen war, ging, sich Männer in Eisenrüstungen auf den Weg machten und das gesamte Gebiet in weitem Umkreis auf der Suche nach dem vermeintlichen Übeltäter auf den Kopf stellten. Er hasste die damit verbundene Unruhe und aus den Erfahrungen längst vergangener Tage wusste er, wie lästig und mühselig es war, die abgebrochenen Spitzen der Lanzen aus den Schuppenzwischenräumen zu ziehen. Er hatte sich immer schon gefragt, ob die Menschen wirklich glaubten, dass ein nach ihm geschleudertes, spitz zulaufendes Eisen, das auf eine lange Holzstange montiert war, ihm Harm antun würde. Den einzigen Nutzen, den er darin erkannte, war, dass diese Lanzen vorzüglich dazu geeignet waren, irgendwelche Überreste, die sich im Laufe der Zeit zwischen den scharfen, spitzen Zähnen festgesetzt hatten, zu entfernen... Nein, ihm gelüstete es nach etwas anderem und das war auch der Grund, weshalb er schon vor sehr langer Zeit sich genau dieses gewaltige Höhlensystem als seine Behausung auserkoren hatte. Zwar residierte er auf diese Weise in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Menschen, genauer gesagt, direkt unter ihnen, denn auf dem Berggipfel war eine große Burganlage errichtet, aber bisher war es ihm gelungen, stets unbehelligt zu bleiben. Freilich gab es den einen oder anderen Menschen, der seinen prachtvollen Schuppenleib am Himmel erspäht hatte, doch entweder traute dieser dann seinen eigenen Augen nicht, oder aber, man glaubte ihm dann nicht, wenn er von dieser Sichtung erzählte. Widrige Umstände zwangen ihn dazu, sein Leben größtenteils in dieser Höhle zu fristen, doch ab und zu hatte er das Verlangen nach der Sonne und dem frischen Wind unter seinen Schwingen. Auch wenn er damit ein großes Risiko einging, verließ er dann seinen Unterschlupf für einige erquickliche Stunden im Freien. Dabei gab er sich leichtsinnigerweise nicht einmal sonderlich Mühe, sich vor den Menschen zu verbergen, das war ihm einfach zu unbequem und umständlich, genauso wie die Jagd auf Hirsche oder Rehe in den Wäldern. Auch das Anhäufen von Reichtümern, vornehmlich Edelsteinen, Gold und Geschmeide, bedeutete ihm im Gegensatz zu seinen Artgenossen nicht allzu viel. Freilich hatte auch er in all der Zeit einen beachtlichen Schatz angehäuft und das ein oder andere wertvolle Kleinod funkelte in der dunklen Höhle vor sich hin, aber ihm war es einfach zu anstrengend, selbst danach zu suchen. Immer wieder waren fahrende Händler auf dem Weg zur Burg, um dort ihre Ware feilzubieten, und bisher hatte noch keiner von ihnen die Herausgabe eines Stückes, das, was jedoch selten genug war, dem Drachen gefallen hatte, verweigert. Auch konnte er die derart um Teile ihrer Ware gebrachten Händler stets davon überzeugen, Stillschweigen über den Vorfall zu wahren... Ein wenig schwerfällig hatte er sich erhoben und schüttelte sich wie ein Hund, dann trottete er tiefer in seine Höhle hinein. Es war reiner Zufall gewesen, dass er diese Entdeckung gemacht hatte und er konnte sich auch gar nicht mehr an die näheren Umstände erinnern, doch hatte er schon sehr bald deren praktischen Nutzen erkannt. Ein Kribbeln lief seine Schuppen entlang und er konzentrierte sich, als er mit einer erhobenen Tatze vor seiner Schnauze in der Luft herumtastete. Plötzlich zuckte er zurück und grollte leise. Das war die fragliche Stelle! Auch wenn er sich tief im Inneren des Felsens befand, so umfing ihn hier keine vollständige Finsternis. Irgendwelche fluoreszierende Moose und Flechten an den Felswänden sorgten für ein diffuses Licht. Doch an einer winzig kleinen Stelle wurde dieses Licht absorbiert, so dass es aussah, als würde ein schwarzer Punkt inmitten der Luft stehen. Dass dieser in einem steten Rhythmus pulsierte, war mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Vorsichtig streckte der Drache eine messerscharfe Krallenspitze aus, drückte sie gegen diesen Punkt, um ihn langsam zu einem silbernen Strich, der nun an einen Spalt erinnerte, auseinander zu ziehen. Sofort drang ein verführerischer Duft in seine Nüstern und sein Magen grollte vernehmlich. Weshalb aber nur in so schwacher Konzentration? wunderte er sich. Vor ihm lagen steinerne Treppen, die nach oben in das Tageslicht führten, doch niemand schickte sich an, diese herunter zu steigen, wie es doch ansonsten zu dieser Zeit üblich war. Seufzend ließ sich der Drache an der Stelle, wo er war, nieder. Er würde also auf sein Frühstück warten müssen und nichts hassten Drachen mehr als zu warten - insbesondere wenn sie hungrig waren. In regelmäßigen Abständen zog er den pulsierenden Punkt zu einem Schlitz auseinander und spähte lauernd hinaus. Immerhin war der verführerische Duft nun stärker geworden als zuvor. Hoffnung keimte in ihm auf. 2. Der SchulausflugDas Wetter meinte es gut mit der Schulklasse, die mehr oder weniger interessiert mit ihren beaufsichtigenden Lehrern den Ausführungen des eigens für diesen Tag bestellten Fremdenführers lauschte: Es war ein wolkenloser Frühsommertag und doch brannte die Sonne nicht erbarmungslos auf den geschotterten Hauptplatz der Burgruine. „Hier, vis à vis von dem sogenannten Richtplatz seht Ihr die Burgkappelle, sie wurde erbaut in der...“ „Hast Du gestern die Simpsons angeguckt?“ „Nö, meine Schwester hatte ihren Freund da, die haben sich dann...“ „... war ein bedeutender Baumeister. Das kulturelle Leben auf Burg Wolfstein war für die damaligen Verhältnisse sehr beeindruckend und...“ Jemand hielt Toni ein Handy der neuesten Generation unter die Nase: „Schau mal, was ich vorhin auf Facebook gefunden habe...“ Toni seufzte. Es könnte so schön sein: Er hatte ein Faible für Burgen und das Mittelalter, zumindest wie es durch die einschlägigen Bücher aus dem Fantasybereich, die er so gerne las, vermittelt wurde. Er war auch gerne mit seinen Mitschülern zusammen. Aber er konnte sich einfach nicht auf das konzentrieren, was ihnen Wissenswertes über Wolfstein erzählt wurde, wenn etliche in der Gruppe das Fernsehprogramm oder irgendwelche sozialen Netzwerke interessanter fanden und dies auch relativ lautstark kundtaten. Dabei sollten sie doch alle Obacht geben, denn das war die Schattenseite dieses Klassenausflugs: Sie würden über das, was ihnen hier erzählt wurde, später Referate halten müssen. Die Themen hatte der Lehrer ihnen schon vorab zugeteilt und Toni hatte es mit der Rechtsprechung im Mittelalter getroffen. Bei dem Wort Richtplatz hatte er aufgehorcht, aber dann kamen ihm die Simpsons in die Quere... Die Gruppe marschierte weiter und Toni blickte sehnsüchtig auf eine Tafel, die darauf hinwies, dass man gleich um die Ecke Souvenirs kaufen konnte. Wer weiß, vielleicht verkaufte man hier auch Bergkristalle. Außerdem lag ein verführerischer Duft in der Luft, der an sich so gar nicht zu dem mittelalterlichen Ambiente passte. Obwohl, vielleicht gab es ja zur Zeit der Wolfsteiner bereits ein Äquivalent zur Pizza... Seine Hand ertastete in der Hosentasche einen Geldschein und einige Münzen, die ihm seine Mutter in der Früh zugesteckt hatte. Das sollte locker für ein Stück Pizza reichen und vielleicht auch noch für ein Eis hinterher. Wobei ohnehin das Gerücht kursierte, sie würden nach der Burgbesichtigung im Ort selbst noch in ein Eiscafe gehen. So ein leckeres Schokoladeneis würde einen solchen Tag bestimmt wundervoll abrunden. „...und da wurde nicht lange gefackelt. War man zu der Überzeugung gelangt, dass der Delinquent der Schuldige war, wurde er unverzüglich dem Scharfrichter überantwortet und...“ Verdammt! Genau das wäre der für ihn und das Referat entscheidende Part gewesen. Nun gut, musste er eben zu Hause nachlesen, zum Glück gab's ja Google und Wikipedia... Der geführte Rundgang schien zum Ende zu kommen, denn seine Mitschüler begannen einzeln oder in Grüppchen über den Burghof zu schlendern. Irgendwo schnappte er ein um Vierzehn Uhr am Bus auf. Er steuerte schnurstracks auf den Souvenirstand zu, doch zu Tonis großer Enttäuschung war dieser unter der Woche geschlossen. Besonders ärgerlich war daran, dass er durch die Glasscheibe im Ladeninneren diverse Edelsteine, Quarze und Kristalle glitzern sah. Das vernehmliche Knurren seines Magens brachte ihn auf andere Gedanken und der immer noch präsente Duft von Pizza und anderen Leckereien, die eher schlecht als recht zu dem mittelalterlichen Ambiente passten, taten ihr übriges. Einige seiner Klassenkameraden hatten sich auch bereits zu der zu der Burganlage gehörenden Wirtschaft begeben. Er folgte ihrem Beispiel, fragte jedoch, ob er die Pizza zum Mitnehmen haben könnte, da er die noch verbleibende Zeit nutzen wollte, um sich auf eigene Faust in der Anlage umzusehen. Schließlich musste er an sein Referat denken und der letzten halben Stunde der Führung hatte er doch nicht mehr die Aufmerksamkeit schenken können, wie er es gerne getan hätte. Wie nicht anders zu erwarten an einem solchen Ort, handelte es sich um eine einfache Nullachtfünfzehn-Pizza, wie sie jeder Gefriergutlieferdienst im Sortiment hatte und wie sie beispielsweise auch an Bahnhofskiosken verkauft wurde. Sie war nicht besonders groß und vor allem war sie noch sehr heiß, als Toni mit der Pizza in der Hand über den kiesigen Burghof ging. Während der Führung war ihm eine Steintreppe aufgefallen, die anscheinend in die Kellergewölbe der Burg, oder was von ihnen noch übrig war, hinabführte. Rasch schlüpfte er unter der einfachen Eisenkette hindurch und übersah dabei das an der Kette hängende Hinweisschild Zutritt wegen Renovierungsarbeiten gesperrt geflissentlich. Schade, dachte er sich, das wäre sicherlich interessant gewesen. Langsam stieg er die Treppe hinab und ein modrig feuchter Geruch vermischte sich mit dem köstlichen Pizzaduft. Die Treppe machte eine Biegung nach rechts und schien sich in dämmriger Dunkelheit zu verlieren. Die Stufen waren teilweise verwittert und verrottende Blätter, hölzerne Stieleisstäbchen und anderer Unrat hatten sich angesammelt. Das Licht wurde immer spärlicher und Toni musste aufpassen, dass er nicht stolperte. Er kramte in seiner Hosentasche nach seiner Uhr, zog sie an dem Kettchen heraus und warf einen kurzen Blick drauf. Es war noch genügend Zeit. Er würde sich auf die unterste Stufe setzen, dort die Pizza verspeisen und sich dann ein wenig umsehen, vorausgesetzt, er war dort unten alleine. Eine kleine Taschenlampe als Schlüsselanhänger hatte er immer dabei. Am unteren Treppenende angekommen beschlich ihn das vage Gefühl, beobachtet zu werden. Er blickte zurück, aber niemand war gefolgt. „Ist da wer?“ rief er zögernd ins Dunkel. Als keine Antwort kam, ließ er sich auf der Stufe nieder und schickte sich an, herzhaft in die Pizza zu beißen... 3. Die BegegnungEin heißer Lufthauch wie von einem Fön traf ihn von hinten und etwas Schweres scharrte über den mit Schutt bedeckten Steinboden. Aber das konnte nicht sein! Hinter ihm war lediglich die Treppe, die er gerade heruntergekommen war, und ihm war niemand gefolgt. Im gleichen Augenblick vernahm er ein kehliges Grollen und Zischen und Rauchschwaden waberten um ihn herum. Elektrisiert sprang er auf, die Pizza immer noch in der Hand, und drehte sich um. Die Treppe war verschwunden, dafür blickte er in einen gewaltigen, geifernden Rachen, der zu einem ungeheuerlichen, gehörnten und stachligen Schädel gehörte. Rubinrote Raubtieraugen glommen gespenstisch und fixierten ihn. Er konnte nur den riesigen, schuppenbesetzten Leib in der hinter dem Geschöpf liegenden absoluten Dunkelheit erahnen und die gigantischen Schwingen, die Staub und Dreck aufwirbelten, verrieten ihm etwas, was gar nicht sein konnte: Im einundzwanzigsten Jahrhundert waren Drachen nur in Büchern und im Kino zu Hause, nicht aber in den Gewölben einer mittelalterlichen Burgruine, die jährlich tausende von Besuchern anlockte. Und schon gar nicht begegneten Drachen einem Jugendlichen mit einer Pizza in der Hand. Toni schossen die aberwitzigsten Gedanken durch den Kopf, während die Zeit um ihn herum still zu stehen schien. Der Drache machte einen Satz auf ihn zu, packte Toni und riss ihn von den Füssen. Ein knatterndes Geräusch drang an Tonis Ohren und um ihn herum tanzten weiße und blaue Funken. Statische Elektrizität ließ seine Haare zu Berge stehen und seine Haut fühlte sich an, als ob zig Ameisen auf ihr herumkrabbeln würden. Gleichzeitig hatte er den Eindruck, als ob er durch eine durchsichtige Geleewand schreiten würde. Der Geruch von geschmolzenem Eisen überlagerte den Pizzaduft. Allmählich konnte Toni ein wenig genauer erkennen, mit was er es zu tun hatte und dass er dem prächtigsten, aber wohl auch tödlichsten Geschöpf, das man sich vorstellen konnte, gegenüberstand. „Ich... ich...“, mehr brachte er nicht hervor und der Drache blickte mitleidig auf ihn herab. Sein gewaltiger Leib war von goldenen Schuppen ummantelt, seine Brust und sein Bauch wurden durch hellere, sich überlappende Hornplatten bedeckt, die härter waren als Titan und sich doch geschmeidig weich ausnahmen. „Oh, Du zitterst. Aber ich sehe schon, Dir ist kalt - hier!“ Ein gut gezielter Feuerstrahl aus den Drachennüstern schoss haarscharf an Toni vorbei und versengte den hinter ihm liegenden Felsen. Die Hitze war enorm. „Ich denke, das sollte Dir zeigen, mit wem Du es zu tun hast. Und jetzt her damit!“ „Ich... ich verstehe nicht...“ „ Das!“ Eine klauenbewehrte Tatze schoss nach vorne und riss Toni die Pizza aus der Hand. „Aber...“ „Abgerechnet wird später, mein Freund“, knurrte der Drache gierig schmatzend. Sein Schweif peitschte vor Aufregung und Freude hin und her. Das Warten hatte sich gelohnt, auch wenn es sich gerade einmal um einen Appetithappen gehandelt hatte. Irgendetwas sagte Toni auf einmal, dass er nicht in Gefahr war. Aber er wurde sich auch der Absurdität seiner Situation bewusst: Ein Drache hatte ihn angegriffen wegen einer Pizza! „Hinten in meiner Höhle habe ich jede Menge Goldschätze, davon kannst Du Dir später nehmen, was Du willst“, fauchte er zwischen den Bissen und leckte sich, als die Pizza bis zum letzten Krümel vertilgt war, seine Lefzen. Sinnend betrachtete er den Jungen, der vor ihm stand, und schnupperte schließlich an ihm herum. „Du hast nicht zufällig etwas mehr davon bei Dir?“ Doch dann zog er seinen Kopf zurück, schüttelte sich und besann sich darauf, dass er ein stolzer Drache war. „Aber wo habe ich denn nur meine Manieren. Verzeih mir diesen Überfall, aber diese Art von Köstlichkeit schätze ich so sehr, dass mit mir manchmal mein Temperament durchgeht. Man nennt mich in der Spreche der Menschen Fidinius. Mit wem habe ich die Ehre?“ „Toni“, erwiderte der Junge und fügte zögernd hinzu: „Aber ich glaube, ich muss wieder zurück zu den anderen.“ „Ja, Ihr trefft Euch ja am Bus um vierzehn Uhr. Das habe ich auch gehört“, erwiderte der Drache und ließ sich in einer fließenden Bewegung auf seine Hinterläufe nieder und wickelte gleich einer Katze seinen Schweif sorgsam um seine Beine. „Du hast also noch genügend Zeit, Dir etwas aus meinem Schatz als Gegenleistung für den Leckerbissen auszusuchen. Wobei ich aber bemerken muss“, und hier erhob der Drache eine Kralle in einer dozierenden Geste, „dass es sich eher um ein Lecker bisschen gehandelt hat.“ „Naja, ich habe darauf leider keinen Einfluss. Darf ich was fragen?“ „Natürlich.“ „Nun ja, wieso..., also, ich meine... ein Drache ernährt sich doch nicht von Pizza, oder? Zumindest kein Drache, den ich kenne.“ „Wirklich nicht?“ Fidinius brachte seine Schnauze dicht vor Tonis Gesicht: „Welche Drachen hast Du denn schon kennen gelernt und was fressen die denn?“ Toni errötete: „Naja, kennen ist vielleicht das falsche Wort. Aber man kann zumindest überall lesen oder hören, dass Drachen auf Jagd gehen oder eben halt auch den Bauern irgendwelches Vieh stehlen, Ziegen, Kühe, Pferde oder so.“ „Manchmal verspeisen wir auch Einhörner“, ergänzte der Drache. Es klang ein klein wenig gekränkt. „Einhörner gibt es doch gar nicht“, erwiderte Toni entschieden. „Steht das auch in den Büchern, die Ihr Menschen lest? In den gleichen Büchern, in denen auch geschrieben steht, dass wir der Bauern Vieh rauben?“ Toni errötete. „Tut mir leid“, murmelte er. „Schon gut“, lenkte der Drache ein und nickte mit seinem Kopf nach hinten. „Hier, suche Dir etwas aus, was Dir gefällt.“ Ein wenig ungelenk erhob er sich und führte den Jungen zu dem hinteren Teil der Höhle, die zu Tonis großer Überraschung teilweise mit Fellen bedeckt waren, was dem Drachenunterschlupf eine durchaus behagliche Note verlieh. „Wir Drachen lieben nun einmal Komfort und Behaglichkeit“, erklärte der Drache beinahe entschuldigend. Toni verschlug es den Atem, als er den Drachenhort erblickte: Eine gewaltige Ansammlung von Goldmünzen, Ringen, Geschmeide, kupferner und silberner Pokale breitete sich bunt durcheinander gewürfelt und in dem diffusen Höhlenlicht munter vor sich hin glitzernd und funkelnd aus. Dazwischen lagen Edelsteine und Waffen, Teile alter Ritterrüstungen, teilweise rostig, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs. Ein wenig ratlos blickte Toni auf den Drachenschatz. Fidinius, der Tonis Zögern und Ratlosigkeit falsch deutete, schlug ein wenig verlegen mit seinem Schweif auf den Boden und sagte leise: „Ich weiß, für einen Drachen meines Alters ist das geradezu peinlich bescheiden, was ich hier herumliegen habe.“ Hastig schüttelte Toni den Kopf: „Nein, nein, das ist überwältigend. Aber ich wüsste nicht, was ich davon nehmen soll, vor allem, irgendwie erscheint mir das nicht fair.“ „Fair?“ „Nun ja, richtig. Gerechtfertigt. Ich meine, es war nur eine Pizza für ein paar Euro, und ich stehe nun einem leibhaftigen Drachen gegenüber und...“ „Was ist Euro?“ Das Interesse des Drachens war geweckt. „Damit bezahlen wir unsere Waren.“ Der Drache starrte den Jungen entgeistert an: „Was soll das heißen? Bisher habe ich immer alles mit diesen Goldmünzen bezahlt, vielleicht auch noch mit Silber. Und das tun auch die Menschen, die ich beobachte.“ „Du musst Dich irren. Kein Mensch zahlt mit Gold oder so.“ Der Drache schnaubte einige Rauchkringel aus: „Also, als ich vor drei oder vier Sonnenaufgängen von einem fahrenden Händler diese Truhe dort genomm... ich meine, als ich mit dem fahrenden Händler ein Geschäft abwickelte, führte er als Zahlungsmittel nur diese Münzen mit sich und er akzeptierte auch nur solche von den Menschen, denen er seine Ware feilbot.“ Nun war es an Toni, den Drachen anzustarren: „Ich verstehe nicht...“ „Was gibt es daran nicht zu verstehen?“ fragte Fidinius und ließ sich nieder. „Ein fahrender Händler liefert Ware und die Menschen kaufen diese, indem sie mit ihren goldenen und silbernen Münzen bezahlen. Manchmal...“ „Nein, nein, das meine ich nicht!“ rief Toni erschrocken aus. „Aber, wo sind wir hier?“ „Du bist bei mir“, antwortete der Drache, „kein Grund zur Besorgnis. Du müsstest gemerkt haben, dass ich Dir keinen Harm zufügen möchte.“ „Nein, ich meinte, wo ich hier bin?“ „Du kannst seltsame Fragen stellen. Du bist in einem Höhlensystem, das sich unter der Burg Wolfstein befindet. Ich weiß, das ist eher eine abgelegene Ecke Skeyras, aber ich liebe die Zurückgezogenheit und...“ Einige Münzen kamen klimpernd und klirrend ins Rutschen, als sich Toni sehr plötzlich und ein wenig unsanft auf den Hosenboden setzte. Der Drache senkte seinen Kopf und brachte seine Schnauze auf Augenhöhe mit dem Menschen. „Alles in Ordnung mit Dir?“ fragte Fidinius besorgt. „Ich verstehe das nicht“, sagte Toni und Panik machte sich in ihm breit. „Wie komme ich hierher? Oder vielmehr, wie komme ich wieder zurück nach Hause?“ „Was meinst Du damit?“ „Ich kann doch nicht hier bleiben!“ „Das musst Du doch gar nicht“, gab der Drache erstaunt zurück. „Ich halte Dich doch nicht fest, ich wollte Dir lediglich als Entgelt für den Leckerbissen etwas von meinem Hort...“ „Das meine ich doch gar nicht!“ rief Toni und war aufgesprungen. „Ich meine, dass ich irgendwie von der Burg Wolfstein nach Skürr.... oder wie das heißt...“ „Skeyra“, beeilte sich Fidinius zu helfen, „Du bist in Skeyra.“ „Sag ich doch. Also, dass ich hierher gekommen bin.“ „Das ist doch nichts Besonderes, ich besuche ja auch des Öfteren das Land auf Deiner Seite des Überganges.“ „Was?“ „Ich gehe von Zeit zu Zeit den gleichen Weg, den Du gekommen bist. Heimlich in tiefster Nacht natürlich, denn auch bei Dir sind die Menschen nicht anders als hier: Immer will man sich aus der Haut eines Drachens eine Reputation schneiden. Das einzige, was ich bei Euch schätze, sind die Leckereien, die es bei Euch gibt. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich hier niedergelassen habe. Hier bin ich diesen Leckerbissen sehr nahe und es ist für mich sehr bequem, wenn man mir die Beute direkt in meine Höhle bringt. „Ich verstehe das nicht...“ „Was gibt es daran nicht zu versteh... ach, nun verstehe ich!“ rief der Drache aus. „Ich dachte, alle Ihr Menschen wisst darüber Bescheid.“ „Über was?“ „Über die Übergänge.“ „Was für Übergänge?“ „Übergänge eben. So einer, wie Du ihn benutzt hast, als Du hierher gekommen bist.“ Langsam beruhigte sich Toni wieder, doch er brauchte eine Weile, um das, was er gerade gehört hatte, zu verarbeiten. Schließlich folgerte er: „Du meinst, ich kann also ohne Probleme zurück, da wo ich hergekommen bin?“ „Natürlich! Warum auch nicht? Wenn Du möchtest, bringe ich Dich augenblicklich zurück. Aber willst Du Dir jetzt nicht etwas aussuchen?“ Sichtlich erleichtert wandte Toni seine Aufmerksamkeit wieder dem Drachenschatz zu. Er wusste wirklich nicht, was er sich nehmen sollte. „Gefallen Dir meine Schätze nicht?“ Die Enttäuschung, die in Fidinius Stimme lag, war nicht zu überhören. „Doch, das ist alles wunderschön. Aber... nun ja, was soll ich sagen... Wenn ich hiervon etwas nehmen würde und mitnehmen, dann würde das Fragen aufwerfen.“ „Was für Fragen?“ „Naja, woher ich das hätte. Und ich kann doch niemanden erzählen, dass ich das von einem Drachen im Tausch für eine Pizza bekommen habe.“ „Was ist Pissssa?“ „Pizza. Der Leckerbissen, den Du eben gegessen hast.“ „Ach, so nennt Ihr das? Gut zu wissen, dann kann ich künftig eine meiner Maiden genauer anweisen, was sie mir zu besorgen hat.“ „Maiden?“ „Ja, von Maid. Jungfrau.“ „Oh!“ „Du weißt nicht allzu viel von Drachen und wie wir leben?“ „Eigentlich nicht.“ „Dann suche Dir endlich ein Stück aus und danach können wir ein wenig plaudern. Und keine Sorge, Du kommst rechtzeitig zurück.“ 4. Der AchatToni nickte und schickte sich an, etwas auszusuchen. Er wollte sich schon nach einem hübschen Ring bücken, als sein Blick auf einige wunderbare Steine fiel. Einer davon schimmerte geheimnisvoll, orange, grau und weiß abgestuft. „ Den würde ich gerne nehmen.“ „Diesen Stein?“ fragte Fidinius verwundert. „Nimm doch lieber etwas von dem Gold. Oder diesen Rubin dort oder...“ „Nein, nein, ich will diesen hier. Ich sammle Steine und so einen hübschen Achat findet man selten.“ „Du weißt, dass das ein Achat ist?“ „Natürlich.“ „Für die meisten ist das einfach nur ein Stein.“ „Ich mag Achate.“ „Dann soll er ab sofort Dein sein. Weil Du aber offensichtlich der Gier nach Gold noch nicht anheim gefallen bist, will ich Dich zusätzlich belohnen. Hier, lege den Achat auf diesen Stein.“ Toni tat wie ihm geheißen und trat dann einige Schritte zurück. Doch wenn er nun damit gerechnet hatte, dass aus den Drachennüstern ein Feuerstrahl schießen würde, der den Stein einhüllen und ihn in irgendeiner Art und Weise veredeln würde, sah er sich in seinen Erwartungen enttäuscht. Fidinius stimme eine Art Singsang an, der von den Höhlenwänden dunkel widerhallte, und berührte den Achat dabei leicht mit der Spitze einer ausgestreckten Kralle. Der Stein glühte für einige Augenblicke in goldenem Glanz auf. Als das Glühen erloschen war, zog der Drache seine Kralle zurück und erklärte feierlich: „Nimm nun diesen Achat, mein Freund, und trage ihn stets bei Dir. Wann immer Du die Stärke eines Drachens brauchst, wirst Du sie durch diesen Stein spüren können. Auf diese Weise stehst Du unter dem Schutz der Drachen.“ „Oh! Danke schön!“ Ergriffen sah Toni den Achat an und strich behutsam mit seinen Fingern darüber. Er fühlte sich wunderbar glatt an und er verspürte eine angenehme Wärme, die von innen heraus zu kommen schien. Sorgfältig wickelte er den Stein in ein sauberes Taschentuch ein und verstaute ihn in seiner Hosentasche. „Und nun erzähle ich Dir etwas über das Leben der Drachen und auch über Burg Wolfstein. Das heißt, wenn Du es möchtest, natürlich.“ Toni fischte seine Uhr heraus und blickte auf die Uhr. „Was hast Du denn da an dieser Kette?“ „Eine Taschenuhr.“ „So etwas habe ich gelegentlich an Türmen von einigen Menschenbauten gesehen, jedoch nicht in so winziger Form. Wozu trägst Du eine Uhr bei Dir?“ „Damit ich, egal wo ich bin, weiß, wie spät es ist.“ „Faszinierend, wobei ich mich aber immer noch frage, weshalb Ihr Menschen versucht, die Zeit zu messen. Meint Ihr, dass Ihr auf diese Weise Herr darüber werdet? Ich habe eher das Gefühl, dass Ihr Menschen auf diese Weise immer mehr zu Sklaven der Zeit werdet. Aber wie dem auch sei. Die Zeit verläuft hier anders als dort, wo Du herkommst, auf der anderen Seite Wolfsteins. Mache Dir keine Sorgen. Du kannst so lange hier bleiben, wie Du willst, Du wirst immer rechtzeitig zurück sein bei den anderen, darauf gebe ich Dir mein Wort. Das Wort des Drachen.“ „Meinst Du, ich kann mich dann hier auch noch ein wenig umsehen?“ „Warum nicht“, schmunzelte Fidinius über den plötzlichen Eifer des Jungen. „Habe ich Dein Interesse geweckt?“ „Nun ja, in gewisser Weise. Aber ich müsste mehr über Wolfstein erfahren, über das Leben hier, denn ich brauche das für die Schule.“ „Und natürlich auch über Euch Drachen“, schob Toni schnell hinterher, als er den enttäuschten Ausdruck in Fidinius Gesicht sah.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Drachen-Achat
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am: 27.Juni.2011, 20:07:36
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Ich melde mich mal nach längerer Auszeit zurück mit einer diesmal relativ kurzen Geschichte, einer Comission. Ich nehme derzeit nur in absoluten Ausnahmefällen Schreibaufträge an, aber diese Comission wurde nicht von einem Otherkin / Fur... in Auftrag gegeben, sondern von einer lieben Arbeitskollegin, die meine Geschichten und Bücher kennt. Die Geschichte ist für einen elfjährigen (?) Firmling...
Viel Spaß beim Lesen.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 03.August.2008, 19:18:34
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Während Greldon die Truhen und Kisten wieder in das mittlerweile vor Sauberkeit blitzende Kellergewölbe brachte, pflückte Khirdras im Schein des silbernen Mondlichts einundzwanzig Erdbeeren. Behutsam legte er sie in eine kupferne Schüssel und brachte sie in sein Arbeitszimmer. Dort füllte er mit geschickten Bewegungen das gebraute, geruchsneutrale Gegenmittel in die zuvor aufs Gründlichste gereinigte Gartenspritze und besprühte die prallen, roten Früchte mit einem feinen Nebel, immer und immer wieder. Er hatte genug von dem Antidot gebraut, um damit später sein gesamtes Erdbeerfeld zu behandeln, wohl wissend, dass der Drache nie wieder sich ungefragt an seinen Früchten gütlich tun würde. Die Erdbeeren glänzten vor Feuchtigkeit, als sie Khirdras in die große Vorhalle brachte. Der Drache war immer noch damit beschäftigt, den Keller wieder einzuräumen und das Alicorn lauschte befriedigt den Geräuschen der harten, körperlichen Arbeit, während es einen bizarr anmutenden Apparat aufbaute. Greldon kam gerade die Treppe hoch, als Khirdras die letzte der beiden Truhen mit den runden Scheiben neben dem Apparat in Position gebracht hatte. „Fertig“, keuchte Greldon und ließ sich ermattet auf seinen Bauch plumpsen. „Das hast Du gut gemacht“, lobte der Magier und konnte der Versuchung nicht widerstehen, dem Drachen mit weicher Hand sanft über die schuppige Schnauzenspitze zu streicheln. Greldon war viel zu müde, um darüber empört zu sein.
Der herrliche verführerische Duft von frischen Erdbeeren erreichte die Drachennüstern. „Hier, die sind für Dich, mein Freund“, bot sie der Magier dem Drachen an. Misstrauisch schnupperte Greldon über die Früchte. Gier blitzte trotz der bleiernen Müdigkeit in seinen Augen auf und doch, etwas ließ ihn zögern. „Ich habe getan, was Du wolltest“, sagte er leise. „Nimm bitte den Fluch von mir.“ „Aber das will ich doch gerade tun“, entgegnete Khirdras ein wenig verwundert. Eigentlich hatte der Zauberer damit gerechnet, dass sich Greldon ohne langes Zaudern sofort über die Erdbeeren hermachen würde. Hatte die ihm erteilte Lektion tatsächlich sogar die drachentypische Gier ausgetrieben? „Du musst die Schale leeren, ich habe die Erdbeeren mit dem Gegenmittel behandelt. Und während Du die Erdbeeren genießt, führe ich Dir den Menschenzauber vor.“ Immer noch ein wenig skeptisch griff Greldon nach der ersten Frucht und führte sie an sein Maul, während der Magier eine der silbernen Scheiben in eine Lade auf der Stirnseite dieses eigentümlichen Apparates einlegte. Augenblicklich war der Raum erfüllt von harmonischen Klängen, die dem Drachen offenbar gefielen, denn er zuckte vor Verzückung mit seiner Schweifspitze, die immer noch eine Erdbeerquaste war. „Iss nur, iss. Die müssen alle weg. Und wenn Du später noch mehr Erdbeeren willst, kannst Du gerne noch welche haben“, forderte ihn das Alicorn auf.
„Diese Scheiben und den Apparat kannst Du, wenn Du magst, Deinem Hort hinzufügen. Ich habe keine Verwendung mehr für diese Dinge.“ Doch die Worte des Magiers drangen an Greldons Ohren nur noch wie durch einen Schleier. Eine bleierne Müdigkeit hatte den Drachen befallen in dem Augenblick, als er die letzte Erdbeere zerkaut und geschluckt hatte. Eine wohlige Wärme umhüllte den Drachenleib, als Khirdras eine Formel rezitierte und schließlich leise sagte: „Schlaf Dich gesund, mein Freund. Und wenn Du erwachst, dann habe ich eine Überraschung für Dich.“
Greldon wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Doch zum ersten Mal seit wie es ihm schien einer Ewigkeit, wachte er auf, ohne die pickenden und beißenden Schmerzen an seinem Schweifende zu spüren. Auch drang kein zänkisches Gekrächze mehr an sein Gehör, dafür wurde seinen Nüstern ein Duft zugetragen, dezent und doch so verlockend. Ein Duft, wie ihn Greldon schon so lange nicht mehr gerochen hatte und den er doch so sehr schon vermisst hatte. Gleichzeitig fühlte er eine zärtliche Nähe, nach der er sich insgeheim so sehr verzehrt hatte. Langsam öffnete er seine Augen und blickte in die Augen seiner Gefährtin, die ihre Schnauzenspitze liebevoll gegen die seine gedrückt hatte. „Endlich bist Du wieder Du selbst geworden. Endlich ist mein Greldon, der stolze Vater unseres Nachwuchses, zurückgekehrt.“
Noch ein wenig benommen richtete sich Greldon auf. Zaghaft bewegte er seinen Schweif hin und her – das Gefühl war ein völlig anderes als in den letzten Tagen, in denen die Quaste jene prachtvolle Erdbeere gewesen war. Vorsichtig warf er einen Blick über seine Schulter zurück. Sie war weg! Greldons Herz machte einen Freudenhüpfer. Anstatt der lästigen Frucht endete sein Schweif wieder wie früher in einer geschmeidigen, eleganten Quaste. Auruliyuth lächelte ihn an: „Du bist wirklich wieder ganz der Alte. Und so gefällst Du mir auch am Besten.“ Zärtlich küsste sie ihren Liebsten, doch dann blickte sie ihm direkt in die Augen. „Ich hoffe aber“, begann sie mahnend“, dass diese Geschichte für Dich eine Lehre sein wird. Dass Du in Zukunft die Finger von verbotenen Früchten lässt. Hier! Khirdras hat vor der Höhle ein Pfund Erdbeeren für Dich hingestellt. Dir missgönnt ja keiner Deine Erdbeeren. Aber lerne, sie zu schätzen und verschlinge sie nicht einfach in Deiner Gier.“ „Oh, Erdbeeren!“ rief Greldon erfreut aus und stürmte aus der Höhle. Was für ein prächtiger Morgen. Er hatte seine richtige Gestalt wieder, keine Plagegeister, die auf ihn herumhackten, eine ordentliche Portion Erdbeeren und das Wichtigste: Seine geliebte Auruliyuth war wieder bei ihm. „Greldon! Was habe ich Dir gerade gesagt?“ tadelte die Drachin, die neben ihn getreten war und zusah, wie der Drache die Erdbeeren mit gierig blitzenden Augen vertilgte. „Aber ich wertschätze und genieße sie doch“, schmatzte Greldon und sein Schweif zuckte vor Verzückung hin und her. Als er alle Erdbeeren verputzt und die Schüssel fein säuberlich ausgeschleckt hatte, blickte er sich zufrieden um. „Wo sind wir eigentlich? Das ist nicht meine Höhle.“ „Khirdras war so nett und hat uns einen Nistplatz zur Verfügung gestellt. Er wollte unsere Jungen auf seinem Gelände aufwachsen sehen. Ich habe ihm versprochen, dass Du ihm dafür gelegentlich hilfreich zur Hand gehst.“ „Na toll“, grummelte Greldon. „Komm, stell Dich nicht so an. Khirdras tut uns schließlich einen großen Gefallen. Da wird Dir schon kein Zacken aus der Krone fallen, wenn Du ihm ab und an eine helfende Tatze gibst. Er hat Dir auch von dem einen Drachen erzählt, den er bei sich aufgenommen hatte? Wir Drachen müssen doch schließlich alles daran setzen, unseren guten Ruf zu wahren.“ „Du hast ja Recht“, sagte Greldon kleinlaut und dann fiel sein Blick auf die beiden Truhen vor der Höhle und auf die eigenartig anmutende Apparatur. „Oh!“ rief er freudig aus und öffnete mit raschen Griffen die beiden Truhen. „Greldon, was ist das? Diese Sachen hat Khirdras noch vorbei gebracht, während Du geschlafen hast. Er meinte, Dir hätte das gefallen und Du dürftest das behalten.“ „Da ist Musik drauf. Schau her.“ Voller Enthusiasmus legte Greldon eine der silbernen Scheiben ein – nicht ohne sich zuvor an den farbigen Reflexionen zu erfreuen, die das Licht der Morgensonne auf die Scheibenoberfläche zauberte. „Oh, Auruliyuth, sieh nur… Da haben einige dieser Scheiben die gleiche Bezeichnung und eine fortlaufende Nummerierung.“ Greldon packte mit Feuereifer die Scheiben aus der Truhe und legte sie fein säuberlich nebeneinander auf den Boden. „Da fehlen einige Nummern, wie es den Anschein hat.“ Rasch verräumte der die Scheiben wieder und erhob sich. „Ich werde Khirdras fragen, ob er die fehlenden Nummern hat oder weiß, wer sie haben könnte. Ich muss diese Sammlung unbedingt vervollst…“ „Greldon?!“ rief Auruliyuth und klappte nachdrücklich die Kiste zu. „Ja, Liebes?“ fragte Greldon unschuldig. Die Drachin kannte den Blick ihres Gemahles. Jede Faser in seinem Körper schrie danach, die Sammlung zu vervollständigen. Drohend senkte Auruliyuth ihren Kopf und grollte: „Kein übermäßiger Erdbeergenuss mehr und keine weiteren Silberschreiben – und auch keine weiteren von diesen schwarzen Scheiben hier: Haben wir uns verstanden?“ „Aber“, wagte Greldon den Widerspruch, „nur die paar fehlenden Silberscheiben mit diesen Nummern?“ „Ich sagte: Keine“, schnaubte Auruliyuth und Greldon wusste, dass jedes weitere Wort in dieser Angelegenheit sinnlos sein würde, zumal sich seine Gefährtin gerade anschickte, mit geschickten Bewegungen die Silberscheibe, die noch in dieser geheimnisvollen Maschine gesteckt hatte, mit Greldons seidiger Schweifquaste zu verflechten.
ENDE
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 03.August.2008, 19:14:22
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Diese unglaubliche Respektlosigkeit, mit der man ihm begegnet war, nagte an seinem Drachenstolz und wütend stieß er mehrere Feuersalven gegen die Krähen, die ihm nach wie vor nachstellten, aus. Der Geruch verbrannter Federn verriet ihm, dass seinem Zorn der eine oder andere Plagegeist zum Opfer gefallen war, doch sofort tauchten buchstäblich aus dem Nichts neue, gefiederte Störenfriede auf. Die Worte Anselmos hatten sich in sein Gehirn gebrannt: „Nur ein Meistermagier kann diesen Fluch lösen.“ Greldon wusste so gut wie jedes andere Wesen auch, dass es keinen Magier gab, der an die Fähigkeiten Khirdras heranreichen konnte. Doch Greldon war nun einmal ein Drache. Unmöglich konnte er zu diesem Magier gehen, der zu allem Überfluss auch noch eine Art Pferd war, zwar geflügelt und gehörnt – und mit Zauberkräften obendrein versehen, aber immer noch im Grunde nach ein Pferd. Nein, es musste doch einen anderen Weg geben. Greldon konnte keinen klaren Gedanken fassen, während er ziellos über Wälder und Wiesen unter ihm flog. Immer wieder erschien ihm das Bild seiner geliebten Auruliyuth. Würde er sie wieder sehen? Würde sie zu ihm zurückkehren? Er liebte sie über alles und er wollte sie nicht verlieren – um keinen Preis der Welt. Doch sie hatte ihm klar gemacht, was sie von ihm und seinem Verhalten hielt und sie ließ ihm praktisch keine andere Wahl – wenn er sie wieder sehen wollte. Doch einfach war es nicht. Andererseits, momentan war nicht mehr viel von seinem Stolz und seiner Würde geblieben: Die Menschen hatten die Unverfrorenheit besessen, ihn zu verspotten, ja ihn tatsächlich zu berühren – das klang besser als ein Stück aus seiner Schweiferdbeere zu schneiden -, er litt Hunger, weil er kaum mehr Beute schlagen konnte und zu allem Überfluss verbreitete ein dahergelaufener, wölfischer fahrender Händler Halbwahrheiten und Unrichtigkeiten über den Drachen, die ebenfalls seinem Ruf schadeten. So konnte es nicht weitergehen. Nur, was sollte er tun? Zu dem Anwesen des Zauberers fliegen, an der Tür klopfen und sagen: „Hallo, ich bin der Drache, der Deine Erdbeeren gefressen hat. Bitte vergib mir und nehme diesen Fluch von mir.“ Das würde vielleicht ein Mensch tun, oder dieser Windhund von einem Händler, aber niemals ein stolzer Drache. Eine andere Option wäre natürlich, Teile des Anwesens in Schutt und Asche zu legen, den Zauberer aus seinen schützenden Mauern heraus zu holen und ihn unter Anwendung geeigneter Maßnahmen zur Rücknahme des Fluches zu bewegen. Bestimmt war auch ein Meistermagier nicht besonders hitzebeständig oder aber der Meistermagier würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht besonders schätzen, wenn scharfe Drachenkrallen sein makelloses Fell durchfurchen würden oder gar das Horn abgebrochen würde… Greldon verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Ein solcher Akt der Rohheit könnte sich weiter negativ auf seinen Ruf auswirken und abgesehen davon, wenn Khirdras nur halb so mächtig war, wie alle behaupteten, würde sich das Alicorn mit Sicherheit zu wehren wissen. Und selbst wenn es Greldon gelingen würde, in einem Kampf den Zauberer zu besiegen, welchen Nutzen hätte das schon? Khirdras würde eher sterben als ihm zu helfen und er würde für alle Zeiten als Erdbeerdrache das Gespött der ganzen Welt sein. Nein, diese Option war keine und daher dachte Greldon weiter über seine Situation nach. Vor lauter Sinnieren bemerkte er gar nicht, wie er auf Khirdras Anwesen zusteuerte.
Endlich hatte Greldon sich einen Plan zurechtgelegt, als er landete. Immer wieder hatte er mögliche Entschuldigungen formuliert, diese kurz überdacht und dann verworfen. Es war eine delikate Angelegenheit, denn schließlich war der Drache es gewesen, der dem Alicorn Schaden zugefügt hatte, auch wenn es sich nur um Erdbeeren gehandelt hatte. Der Zauberer hatte daraufhin nur eine Maßnahme ergriffen, sein Eigentum zu schützen, indem er dem Erdbeerdieb eine ordentliche Lektion erteilte. Andererseits gehörte der Zauberer aber einer Spezies an, die von Standpunkt der natürlichen Ordnung aus an sich Beutecharakter hatte.
Leise seufzend setzte Greldon ein wenig unbeholfen auf. Er würde den Zauberer aus seiner Behausung heraus bitten, um den entwürdigenden Akt des Entschuldigens so schnell wie möglich hinter sich zu bringen – hoffentlich wurde er dabei von niemandem beobachtet. Greldon hatte noch nicht einmal seine Flügel ordentlich hinter seinem Rücken gefaltet, als Khirdras bereits vor ihm stand. „Wie schön, der Erdbeerdrache ist schließlich doch noch zu mir gekommen. Und da Du mich so inständig um Verzeihung für Deinen Frevel an meinen Erdbeerpflanzen bittest, will ich Dir vergeben. Doch Strafe muss sein, bevor ich den Fluch von Dir nehmen kann.“ „Wie? Was? Ich…“, stammelte Greldon verwirrt. Khirdras eigenartige Begrüßung hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht und trotzdem tat ihm das Alicorn einen unschätzbar großen Gefallen damit. Auf diese Weise konnte Greldon sein Gesicht vor dem Magier wahren, da er nun nicht von sich aus um Verzeihung bitten musste. Aber jetzt wartete Khirdras auf eine entsprechende Antwort. „Ja… in der Tat.“ Greldon versuchte eine möglichst reuevolle Mine aufzusetzen, was ihm jedoch gründlich misslang. Aber nun war es endlich ausgestanden. Khirdras lächelte: „Siehst Du, das was doch gar nicht so schwer. Und wie der Zufall so will, bin ich gerade dabei, ein entsprechendes Gegenmittel zu brauen, damit Du bald wieder Deine ursprüngliche, prachtvolle Gestalt zurück erhältst.“ „Wirklich? Das ist nett von Dir.“ Greldons Mine hellte sich auf. Bald würde er wieder ein normaler Drache sein, seine geliebte Auruliyuth würde zu ihm zurückkommen und er hatte sein Gesicht vor diesem Alicorn gewahrt. „Nicht so hastig, mein Freund“, dämpfte Khirdras Greldons Euphorie. „Du erinnerst Dich? Ich habe auch von Bestrafung gesprochen. Ohne die geht es nicht, mein Freund.“ „Wieso? Bin ich nicht schon gestraft genug gewesen? Sieh mich doch mal an! Autsch!“ Genau diesen Augenblick hatten Greldons ständige Begleiter ausgesucht, um sich erneut an seiner Quastenbeere zu verköstigen. Außerdem riss ein weißfelliges Hermelin kleine Stücke aus der sich gerade wieder regenerierenden Erdbeere. „Ja, ich sehe schon. Darum liegt es sicherlich in Deinem Interesse, so bald wie möglich Buße zu tun, denn die Absolution wird die Aufhebung des Fluches sein.“ „Also schön“, lenkte Greldon verzagt ein. „Was verlangst Du von mir zur Sühne?“ „Sei nicht so theatralisch, mein Freund. Du sollst mir ein wenig Deine Drachenstärke zur Verfügung stellen, Deine Kraft und Ausdauer. Mehr verlange ich gar nicht von Dir. Warte hier.“ Einen Augenblick später kehrte Khirdras mit einer großen, noch ungebrauchten Sense zurück. Er machte eine vage Geste in Richtung des Erdbeerfeldes. „Siehst Du das hoch gewachsene Unkraut am Feldrand und in der daran angrenzenden Wiese? Das muss alles weg. Ich reagiere allergisch, wenn ich mit dem Unkraut in Berührung komme und auf magische Weise bekomme ich es nicht weg.“ Greldon glotze ungläubig. Er was sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte, was der Magier von ihm verlangte. „Was ist?“ fragte Khirdras und drückte dem verdutzten Drachen die Sense in die Tatze. Da, wie bei jedem anderen Drachen auch, seine Daumenkralle den vier Fingerkrallen gegenüberstand, konnte Greldon genauso geschickt etwas greifen oder ein Werkzeug gebrauchen wie jedes andere anthropomorphe Geschöpf. „Schau mich nicht so entgeistert an. Du nimmst jetzt diese Sense in die Hand und mähst das Unkraut.“ Greldon konnte nicht mehr länger an sich halten: „Ja, wer bin ich denn?“ rief er aus. Khirdras duckte sich geschickt unter dem aus Versehen ausgestoßenen Feuerstrahl weg und erwiderte gelassen: „Ein verzauberter Drache, der seiner eigenen Gier zum Opfer gefallen ist. Und jetzt legt es dieser Drache offensichtlich auch darauf an, seinem eigenen Stolz zum Opfer zu fallen.“ Das hatte gesessen. Greldon grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und machte sich dann schließlich an die Arbeit, während Khirdras in das Haus zurückkehrte, um nach dem Gebräu zu sehen, das mittlerweile kurz vor seiner Vollendung stand.
Die Sonne stand schon tief am Horizont, als Greldon ein wenig außer Atem die Sense an die Hauswand lehnte. „Komm, reinigen musst Du sie schon noch, Du Schlamper“, wies ihn Khirdras an, der wieder plötzlich aufgetaucht war. Der Magier machte sich sofort daran, die Arbeit des Drachens zu kontrollieren und stellte hoch erfreut fest, dass Greldon das gemähte Unkraut feinsäuberlich auf einem großen Komposthaufen zusammengetragen hatte. „Brav, Brav“, lobte der Magier und bedeutete dem Drachen, ihm ins Haus zu folgen. „Weißt Du übrigens, was für eine prächtige und kluge Gefährtin Du hast? Aurylia, oder wie war doch gleich ihr Name?“ „Auruliyuth“, entgegnete der Drache und kniff seine Augen zu engen Schlitzen zusammen. „Wie kommt es, dass Du meine Gefährtin kennst?“ „Ach, nur flüchtig. So, da wären wir. Gleich löse ich den Fluch.“ Sie standen vor Khirdras verschlossenem Arbeitszimmer und gerade so als ob ihm etwas einfiel, schlug sich das Alicorn mit flacher Hand auf die Stirn: „Ach, wie dumm von mir, ich habe tatsächlich noch eine wichtige Zutat vergessen. Schaust Du rasch mit in den Keller und hilfst mir suchen? Ich lagere meine Vorräte dort unten.“ „In den Keller?“ Greldon blickte den Magier zweifelnd an. „Ist da überhaupt Platz für mich unten?“ „Bestimmt“, lächelte Khirdras und stieg vor dem Drachen die Treppe hinab.
„Ach Du meine Güte! Wie sieht es denn hier aus?“ entfuhr es dem Drachen, der in seiner Höhle stets peinliche Ordnung hielt. Schließlich verabscheuten Drachen nichts mehr als Unordnung. „Ja, das habe ich ganz vergessen, ich war hier schon so lange nicht mehr unten. Ich fürchte, das wird nun eine kleine Ewigkeit dauern, bis wir in dem Durcheinander die fehlende Zutat finden“, sagte Khirdras verlegen. „Was für eine Zutat soll das eigentlich sein?“ fragte Greldon und hatte ein ungutes Gefühl. „Eine Buchecker“, erwiderte Khirdras leichthin. „Irgendwo habe ich hier noch eine rumliegen gehabt.“ „Eine Buchecker? Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder? Warum nicht gleich eine Backerbse?“ maulte der Drache und sah zu, wie sich Khirdras abmühte, eine schwere Holztruhe zur Seite zu schieben. Er nieste heftig, als eine Staubwolke in seine Nüstern geriet. „Eine Backerbse? Eigentlich keine schlechte Idee. Aber ich habe keine mehr, soweit ich mich erinnere. Aber die Buchecker ist hier unten irgendwo. In einem kleinen, ovalen Döschen“, antwortete das Alicorn und fügte dann beiläufig hinzu: „Wenn hier unten mal aufgeräumt wäre, das ganze Gerümpel hier verschwunden wäre, dann würde man viel leichter und schneller etwas finden.“ Greldon nickte stumm und sah weiterhin Khirdras bei der Arbeit zu. Offensichtlich hatte er den dezenten Hinweis nicht verstanden. Das Alicorn seufzte und fuhr im Plauderton fort: „Ich bin zwar ein mächtiger Zauberer, aber leider ist es mir bis zum heutigen Tage nicht gelungen, einen Zauberspruch zu finden, der mir hilft, Ordnung zu halten. Das ist ganz ähnlich wie mit dem Unkraut draußen im Garten.“ „Ach so?“ kommentierte Greldon und ließ sich dazu herab, mit der linken Klaue einen Stapel Holzbretter beiseite zu schieben, damit Khirdras dahinter nach der Buchecker suchen konnte. „Da fällt mir ein, was ich Dich noch fragen wollte. Sind eigentlich alle Drachen so… wie soll ich sagen… so stolz?“ führte das Alicorn die etwas einseitige Konversation munter weiter. „Stolz?“ Greldon posierte ein wenig prahlerisch, soweit das in dem unaufgeräumten Kellergewölbe und vor allem in der gegenwärtigen erbarmungswürdigen Gestalt möglich war. „Nun ja, wenn man nicht gerade ein Erdbeerdrachen ist, so wie Du eben“, fügte Khirdras rasch hinzu. Das hatte gesessen. „Was? Nun, wir Drachen sind nun mal die prachtvollsten und stärksten und weisesten Geschöpfe auf dieser Welt, egal was andere, uns unterlegene Spezies, auch immer behaupten. Und nun mach schon, ich will endlich wieder meine richtige Drachengestalt haben. Außerdem habe ich durch den Staub hier schon einen ganz rauen Hals.“ „Wenn Du mir suchen helfen würdest, wären wir vielleicht schon längst dabei, den Trank zu vollenden“, gab Khirdras freundlich zurück und fuhr fort: „Weißt Du, ich habe deshalb gefragt, weil ich vor einiger Zeit einmal einen Drachen in Not bei mir aufgenommen hatte.“ „Ein Drache in Not? Und der kommt zu einem aufrecht gehenden Pferd mit einem Horn auf der Stirn und einem Paar Federflügel?“ erkundigte sich Greldon verächtlich. „Wahrlich, weit haben es manche Drachen gebracht. Und, was war mit dem?“ „Nun ja. Er war eines der prachtvollsten Geschöpfe, die ich bis damals je zu Gesicht bekommen hatte. Darauf war er zu Recht stolz. Nur leider ging sein Stolz soweit, dass er jede Hilfe zur Selbsthilfe ablehnte.“ „Wie meinst Du das?“ „Nun ja, ich riet ihm, sich eine Beschäftigung zu suchen, damit er nicht vor Langeweile in Trübsal verfällt. Ich selber hätte genügend Aufgaben für ihn gehabt, als er seine Zeit bei mir verbrachte, aber er hatte das geflissentlich ignoriert und es vorgezogen, sich stattdessen in ein abgelegenes Zimmer zurückzuziehen und Trübsal zu blasen. Ein befreundeter Kaufmann, den ich aufsuchte, weil ich – ich erinnere mich daran noch so gut als ob das Ganze erst gestern gewesen wäre – ein wenig Zauberöl und einige magische Kerzen für ein Experiment benötigt hatte, erzählte mir, dass er händeringend nach einer Hilfskraft suchen würde. Natürlich dachte ich da gleich an meinem Gast und hocherfreut gab mir der Händler etwas mit für den Drachen. Aber meinst Du, mein Gast hätte auch nur das geringste Interesse daran gezeigt? Er hätte nur auf einige Fragen dieses Kaufmanns antworten müssen. Aber das lag anscheinend unter seiner Würde.“ „Das ist nicht schön, wenn er seine Dankbarkeit, dass er bei Dir bleiben durfte, auf diese Weise gezeigt hat. Und was ist dann passiert?“ „Nun ja“, erwiderte Khirdras leichthin, „da ich selbst ein hoch beschäftigter Meistermagier bin, konnte ich mich nicht viel mit ihm beschäftigen. Er hat sich dann in seine eigene Höhle zurückgezogen. Man sagt, er seinem eigenen Stolz zugrunde gegangen.“ Greldon sog geräuschvoll die Luft ein: „Also gut“, sagte er leise, denn diesen Wink mit dem Zaunpfahl hatte er sehr wohl verstanden. „Trete beiseite, ich helfe Dir. Alles verbrennen?“ „Verbrennen? Nein, um Gotteswillen, nein!“ rief Khirdras und hob abwehrend die Hände. „Hier unten sind auch Schriften, Bücher und Folianten von unschätzbarem Wert. Wenn Du mir wirklich helfen möchtest, dann würde ich Dich bitten, all diese Truhen und Kisten ins Freie zu bringen. Auch das Gerümpel, das hier überall herum liegt. Dann können wir sehen, was man davon alles wegwerfen kann und ich bin mir sicher, dass wir auf diese Weise die Buchecker auch weitaus schneller finden werden.“ Greldon blickte zweifelnd auf die nächstbeste Truhe. Sie war aus massivem Eichenholz gefertigt, verstärkt durch mehrere Riemen aus Eisen. Sie machte einen sehr schweren Eindruck. „Leider funktioniert mein Levitationszauber nicht, da dieser im Zusammenhang mit Ordnungmachen stehen würde“, erklärte Khirdras und fügte dann leise hinzu: „Aber für einen Drachen mit seinen gewaltigen Kräften müsste das doch das reinste Kinderspiel sein. Ich könnte mir vorstellen, dass jede Kuh, die so ein Drache als seine Beute in seine Höhle schleppt, weitaus schwerer ist als irgendeiner der Gegenstände hier.“
Der Mond schien hell vom wolkenlosen Nachthimmel. Zusätzlich spendeten unzählige magische Leuchtkugeln, die Khirdras erschaffen hatten, Licht. Der Drache hatte tapfer Kiste um Kiste, zahllose Truhen, Alteisen und andere schwere Gegenstände aus dem Keller ins Freie geschafft. Erschöpft und enttäuscht ließ er sich auf den Boden neben dem Gerümpel plumpsen, denn die Buchecker hatten sie freilich nicht gefunden. „Kopf hoch, mein Freund. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie noch finden werden. Ich würde vorschlagen, dass Du in all diesen Kisten hier suchst. Räume am Besten alles aus und schaue genau nach. Wenn Dir dabei Dinge auffallen, die man nicht mehr gebrauchen kann, dann lege diese am Besten auf einen eigenen Haufen. Ich selber werde mich nun im ausgeräumten Keller noch einmal gründlich umsehen“, teilte das Alicorn munter die Arbeit auf und schnippte mit den Fingern. Aus dem Nichts tauchten ein gefüllter Wassereimer, mehrere Putzlappen und ein großer Besen auf. Khirdras griff danach und erklärte: „Und wenn ich schon gerade mal den Keller so schön leer habe, dann kann ich dort auch gleich ein wenig sauber machen.“ „Aber… was ist mit dem Gegenmittel?“ fragte Greldon unglücklich und reckte seinen Schweif. Jetzt erst fiel ihm auf, dass schon seit längerer Zeit kein Quälgeist mehr an seiner Erdbeerquaste geknabbert hatte. „Gemach, gemach, mein Freund. Alles zu seiner Zeit: Aufräumen, Buchecker finden und dann der Trank, nicht wahr?“ Noch bevor der Drache erwidern konnte, was das Alicorn mit den Putzutensilien wieder im Haus verschwunden. Seufzend machte sich Greldon ans Werk und öffnete die erste Truhe.
Die Arbeit entpuppte sich für Greldon als gar nicht einmal so unangenehm, wie dieser zunächst befürchtet hatte. Akribisch schlichtete er Bücher und Gewand, irgendwelche Utensilien und allerlei andere Dinge wieder zurück in Truhen und Kisten. Die Buchecker war ihm allerdings noch nicht unterkommen. Es gab noch ein anderes Problem, das Greldon zu schaffen machte: Zwar hatte ihm Khirdras aufgetragen, Dinge, die nicht mehr benötigt wurden, sofort auszusondern, doch, woher sollte ein Drache wissen, was ein Magier in Zukunft noch gebrauchen konnte oder nicht. Kaputtes und Angeschlagenes, das war eindeutig und Greldon hatte bereits einen beträchtlichen Stapel mit nutzlosem Abfall angehäuft. Doch bezüglich des Restes würde er Khirdras fragen müssen. Der Inhalt zweier schwerer Holztruhen hatte ihn besonders fasziniert. In der einen waren dutzende, wenn nicht gar hunderte silbern glänzende Scheiben gelagert, allesamt mit dem gleichen Durchmesser, der circa zwölf Zentimeter messen mochte, und alle hatten ein gleich großes Loch in der Mitte. Im Mondlicht glitzerten und funkelten diese Scheiben wie Diamanten und Greldons Sammelinstinkt war geweckt worden. In der anderen Truhe waren ebenfalls Scheiben gelagert, nur dass diese weitaus größer und aus einem anderen Material gefertigt waren. Die meisten von ihnen waren schwarz und glänzten im Gegensatz zu den Silberscheiben nicht. „An die habe ich gar nicht mehr gedacht“, ließ sich eine bekannte Stimme vernehmen. Greldon zuckte zusammen. Erneut war Khirdras neben ihm aufgetaucht, ohne dass der Drache etwas von dem Nahen des Alicorns bemerkt hatte. „Was ist das?“ fragte der Drache. „Ich habe so etwas noch nie gesehen, aber es sieht wunderschön aus.“ „Das ist eine besondere Art Zauber, eine der wenigen Zauber, zu denen das Menschengeschlecht fähig ist“, erklärte Khirdras und nahm aus beiden Truhen jeweils eine Scheibe heraus. „Auf beiden ist Musik enthalten und mit einer bestimmten Apparatur, die ebenfalls von Menschenhand geschaffen wurde, kann man die Töne, die auf diesen Scheiben enthalten sind, zum Leben erwecken. Wenn Du magst, kann ich Dir das später vorführen.“ Greldon schüttelte den Kopf: „Es würde mich interessieren, aber ich… nun, ich würde gerne den Fluch gelöst haben.“ „Das kann ich verstehen“, entgegnete Khirdras. „Und ich habe eine gute Nachricht für Dich. Ich habe die Buchecker gefunden und der Trank ist bereits fertig. Er muss nur noch auskühlen. Vorher müssten aber diese ganzen Sachen wieder in den…“ „Ich habe schon verstanden“, erwiderte Greldon resigniert. „Warte noch!“ bremste ihn der Magier, als der Drache sich die erste Truhe geschnappt hatte.
Eilig musterte das Alicorn noch etliche Gegenstände aus, die es mit Sicherheit nicht mehr benötigen wurde. „Siehst Du, mein Freund, jetzt ist es nicht mehr so viel, was in den Keller zurückgehört. Den Rest hier“, Khirdras deutete mit einer lässigen Handbewegung auf einen zu einem auf recht stattliche Größe angewachsenen Stapel, „würde ich Dich bitten, morgen, nachdem Du Deine richtige Gestalt wieder erlangt hast, mit Deinem mächtigen Feueratem restlos zu vernichten. Und diese beide Truhen hier, die lass mal in der Eingangshalle stehen."
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 03.August.2008, 19:11:01
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Die Milch zauberte filigrane Wölkchen in den Tee, als der Meistermagier gedankenverloren in seiner Tasse umrührte. Dabei wippte anmutig sein spiralförmiges Horn auf seiner Stirn. Dass er Besuch bekommen würde, daran hatte er nicht im Geringsten gezweifelt, aber er hatte nicht mit dieser Besucherin gerechnet. „Natürlich hast Du vollkommen Recht, meine hoch verehrte Auruliyuth. Zumal gerade in Deinem Zustand solche Aufregungen nicht gerade förderlich sind und in der Tat brauchst Du einen zuverlässigen Gatten mehr denn je, der nun einen geeigneten Nistplatz für die Aufzucht Eurer Jungen findet. In diesem Punkt kann ich Dir auch behilflich sein. Aber bezüglich der Lösung des Fluchs, nun, ich fürchte, da muss sich Greldon schon persönlich bei mir einfinden. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich ihm eine Buße nicht ersparen werden kann. Die Drachin nickte zustimmend und ihre hellen, sandfarbenen Schuppen glitzerten im Sonnenlicht wie geschmolzenes Gold. Doch ihre zuckende Schwanzspitze verriet ihre Unzufriedenheit, wobei sie sich selbst nicht darüber im Klaren war, ob sich ihr Unmut gegen Khirdras wendete oder gegenüber ihren Gemahl, der sie in diese missliche Lage gebracht hatte. Drachen waren nun einmal unsagbar stolze Kreaturen und es hatte sie ein großes Maß an Überwindung gekostet, den Meistermagier in dieser Angelegenheit aufzusuchen. Doch hatte er ihr die buchstäblich goldenen Brücken gebaut und hatte einen Kompromiss angeboten, den auch der stolzeste Drache in dieser Situation eigentlich nicht ablehnen konnte. Sie setzte sich auf ihre Hinterbeine und blickte durch das weit geöffnete Fenster in das düstere Arbeitszimmer direkt in die Augen des Alicorns. Es war nicht Unhöflichkeit oder gar Ablehnung der Grund dafür, dass Khirdras seine Besucherin nicht herein gebeten hatte – es lag schlichtweg an Auruliyuths Größe. Zwar waren die Eingangshalle und das pompöse Stiegenhaus, ja sogar die Kellergewölbe groß genug, dass darin ein ausgewachsener Drache genügend Platz finden konnte, aber nicht die einzelnen Zimmer. Außerdem hatte es auch Auruliyuth vorgezogen, lieber im hellen Sonnenlicht zu sitzen als in der kahlen, kühlen Eingangshalle. Daher unterhielten sich Alicorn und Drachin durch das Fenster. „Also, mein Gemahl soll Dir für eine bestimme Zeit als Dein Sklave dienen und im Gegenzug nimmst Du den Fluch von ihm und wir dürfen uns, bis unser Nachwuchs groß gezogen ist, auf Deinem Grundstück einrichten?“ Khirdras lächelte: „Es wäre mir eine große Ehre, wenn auf meinem Grund und Boden neue Drachen das Licht der Welt erblickten, in der Tat. Du hast den dichten Wald gesehen, er würde genug Nahrung und Schutz für Euch bieten. Aber es stimmt nicht, dass Dein Gemahl mir als Sklave dienen soll. Er soll mir nur bei einigen Aufgaben behilflich sein, seine helfenden Tatzen geben, um es so auszudrücken.“ Auruliyuth schnaubte auf: „Du kannst Dir nicht vorstellen, wie stur Greldon sein kann. Sein Stolz geht ihm über alles, mit Mitteln der Vernunft wird man nicht zu ihm durchdringen können. Allerdings habe ich auch keine Lust, ihn anzubetteln, auf Deinen Vorschlag einzugehen.“ Ihre Augen blitzen und sie fügte grollend hinzu: „Außerdem habe ich ihm klipp und klar gesagt, dass er mich erst dann wieder zu Gesicht bekommt, wenn er Vernunft angenommen hat.“ Khirdras seufzte. Nicht nur Greldon war stolz und stur. Drachen eben. Er trank die Tasse leer und erhob sich. Aus einer eleganten Glasvitrine holte er eine etwas kürbisgroße Kristallkugel und stellte sie auf einen kleinen, mit Runen verzierten Holztisch. Er murmelte einige Worte und blickte konzentriert in die Kugel, in der sich langsam ein Bild manifestierte. Gespannt blickte ihm die Drachin über die Schulter und schnaubte überrascht einen Rauchkringel aus ihren Nüstern, als sie ihren Gemahl erblickte. Es war ein trauriger Anblick. Der einstmals so stolze Drache lag am Boden und sprach mit zwei Menschen, einer jungen, südländisch aussehenden Frau und einem Mann, während freche Krähen mit scharfen Schnäbeln immer wieder auf die leuchtend rote Erdbeere, die einst eine Schweifquaste gewesen war, einhackten. Auch andere Waldbewohner taten sich gütlich an dieser Frucht. „Ich denke mal“, kommentierte Khirdras das Geschehen, „Du brauchst ihn gar nicht lange überreden, zur Vernunft zu kommen. Das tun schon diese beiden Menschen und, ohne es zu wissen natürlich, die Krähen.“ Khirdras räumte die Kugel wieder an den für sie vorgesehenen Platz, nicht ohne sie zuvor mit einem Lederlappen rituell gesäubert zu haben und fuhr fort: „Greldon wird mir schon sehr bald einen Besuch abstatten. Du kannst Dir in dem Wald schon einen geeigneten Unterschlupf suchen. Ich verspreche Dir, Auruliyuth, es wird alles in Ordnung kommen.“ Die Drachin nickte und trat einige Schritte zurück. Sie nickte Khirdras huldvoll zu und wandte sich in einer eleganten, fließenden Bewegung, die dem Alicorn vor Bewunderung den Atem stocken ließ, um. Mit ihren Hinterbeinen stieß sie sich ab und schwang sich mit kraftvollen Flügelschlägen hoch in den wolkenlosen Himmel. Khirdras blickte Auruliyuth hinterher, bis von ihr nur noch ein winziger, unbedeutender Punkt zu sehen war, und machte sich anschließend an die Arbeit. Er wusste, dass er spätestens am nächsten Tag noch einmal Besuch haben würde und er wusste auch, dass das Brauen des entsprechenden Antidots weitaus aufwendiger und komplizierter sein würde als die Erstellung des ursprünglichen Erdbeerschutzmittels.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 01.August.2008, 18:02:56
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Seit ihrer Auseinandersetzung war Auruliyuth immer noch nicht zu Greldon zurückgekehrt. Nicht, dass es dem Drachen etwas ausgemacht hätte. Freilich, sie fehlte ihm sehr, doch wusste Greldon auch, dass sie ihm weiterhin ständig Vorhaltungen machen würde, solang er derart verunstaltet war. Aber genau das wollte Greldon nicht ertragen - von dem Ärger, den er bekommen würde, weil er für ein paar Maulvoll Erdbeeren den Kelch, das Hochzeitsgeschenk, hergegeben hatte, ganz zu schweigen. Das Glücksgefühl der unerwarteten Erdbeerlieferung hatte sich mittlerweile wieder verflüchtigt. Greldons Magen knurrte vernehmlich, denn die Erdbeeren hatten noch weniger gesättigt als es die vereinzelten Krähen taten, die versehentlich zwischen den Drachenzähnen endeten, wenn die Plagegeister in ihrer Dreistigkeit gar zu nahe an Greldons Maul vorbeiflatterten. Immerhin hatte der Drache gelernt, den Schmerz des Angeknabbertwerdens zu ignorieren. Nur fiel es ihm schwer, Beute zu jagen. Ständig hatte er den lärmenden Vogelschwarm zur Begleitung, wodurch jedes in Frage kommende Beutetier in weitem Umkreis gewarnt wurde. Seine ständigen Misserfolge bei der Jagd veranlassten Greldon schließlich, sich am Herdenvieh der Menschen gütlich zu tun. Das wiederum führte zu zahlreichen unliebsamen Begegnungen zwischen Bauern und dem Drachen, wobei es Greldon nicht entging, dass die Zweibeiner kaum mehr Respekt vor ihm zeigten. Noch vor einigen Wochen hätte es niemand gewagt, auch nur in seine Nähe zu kommen, geschweige denn, ihm seine Beute streitig zu machen, doch nun versuchten sogar schon Kinder, die irgendwelche Herdentiere hüteten, ihn mit Stöcken und Steinschleudern zu verjagen. Freilich hielten sich solche Übergriffe noch in Grenzen, zumal er solche Angreifer stets sofort Mores lehrte, aber es war nichtsdestotrotz eine bedenkliche Entwicklung. Dennoch dachte Greldon nicht daran, sich die Blöße einer Entschuldigung bei dem Alicorn zu geben.
Wie ein Raubvogel kreiste er hoch am Himmel, die Krähen wie eine Wolke hinter sich herziehend. Es dauerte nicht lange und seine scharfen Augen machten eine etwas abseits gelegene Weide aus, auf der genüsslich einige Haflinger grasten und auch einige Kühe waren zu sehen. Der appetitliche Duft seiner Mahlzeit in Spe lag in der Luft. Er konnte sich nur nicht entscheiden, ob Rind oder Pferd, beides duftete verführerisch. „Na schön, heute frische Kuh“, traf Greldon schließlich die Wahl, sich voller Vorfreude die Lefzen leckend. Schnell schnappte er noch nach einer besonders aufdringlichen Krähe, bevor er in einen rasanten Sturzflug überging. Er hatte eine Kuh ausgewählt, die träge herumlag und sein Kommen nicht einmal bemerkte. Erst als sich seine todbringenden Krallen tief in ihren Rücken gruben und er sie vom Boden riss, muhte sie erschrocken auf. Er schleuderte sie kraftvoll über den Weidezaun und sie blieb mit gebrochenem Rückgrat liegen. Sowohl der Drache als auch die Krähen und verschiedene Nagetiere hatten sich ihre Bäuche vollgeschlagen und Greldon wollte sich gerade zu einem kleinen Verdauungsschläfchen zusammenrollen, als ihm der Wind den Geruch sich nähender Menschen zutrug. Offensichtlich hatte der Lärm des durch den Angriff aufgeschreckten Herdenviehs den rechtmäßigen Eigentümer alarmiert. Greldon hatte keine Lust auf eine erneute Konfrontation mit Menschen, so seufzte er mürrisch und stieß sich mit seinen kraftvollen Hinterbeinen ab. Schwerfällig schraubte er sich mit matten Flügelschlägen in die Luft, selbstverständlich die immer hungrigen Krähen im Schlepptau. Greldon hatte längst die Hoffnung aufgegeben, dass diese Vögel einmal genug bekämen von seiner sich immer wieder erneuernden Quastenerdbeere. Seinen gelegentlichen Feuerbällen wichen sie stets geschickt aus und mehr als einmal hatte er sich mit dem Drachenfeuer an verschiedenen Körperstellen selbst versengt.
Als Greldon über eine Lichtung hinweg flog, vernahm er eine Stimme, die ihm wohl vertraut war und das fröhliche Lachen einer jungen Frau. Neugierig ging der Drache ein wenig tiefer und kreiste über der Lichtung. Langsam formte sich in seinem Kopf eine wunderbare Idee: Ein Barde kam schließlich weit herum und würde mit Sicherheit eine Lösung für sein Erdbeerproblem wissen. Vielleicht hatte er ja irgendwo mal etwas aufgeschnappt, wie man Flüche lösen konnte. Doch als er das Lied hörte, das der Barde gerade seiner Liebschaft oder wer auch immer dieses Mädchen sein mochte vorgetragen hatte, keimte Ärger in dem Drachen auf. Offensichtlich hatte ihn dieser Wolf, der ihm die Erdbeeren verkauft hatte, hintergangen und Gott und der Welt von dem Erdbeerfluch erzählt – und nun sangen sogar schon die Barden davon…
Das donnernde Rauschen der Schwingen riss die Liebenden aus ihrem Schäferstündchen. Doch diesmal wirkte der Barde nicht im Geringsten verängstigt und auch die junge Frau zeigte keinerlei Anzeichen von Furcht, ein Umstand, der dem Drachen nicht entging, genauso wenig wie der forsche Ton, den der Sänger anschlug. „Diesmal muss ich Dir aber nicht erklären, was Gekröse ist, nicht wahr? Diesmal willst Du mich direkt berauben, so wie Du den armen Wolf überfallen und ausgeraubt hast, nicht wahr?“ „Wie bitte, was?“ Greldon wurde durch diese verbale Attacke völlig aus dem Konzept gebracht. Doch fing er sich sofort wieder und blickte feste in die Augen des Menschen vor ihm, der so gar keine Scheu vor ihm zeigte. Ob das an seinem verunstalteten Äußeren lag? „Ich weiß nicht, wovon Du sprichst, Mensch. Du solltest besser Deine Zunge hüten, wenn Du mit einem Drachen sprichst.“ „Das würde ich, wenn ich mit einem Drachen sprechen würde. Nicht aber, wenn ich es mit einem gemeinen Dieb zu tun habe, der über wehrlose fahrende Händler herfällt und ihn seiner einzigen Ware, die er hat, den Erdbeeren, beraubt.“ Nun meldete sich auch die Frau zu Wort, die bisher schweigend daneben gestanden hatte. „Du hast gehört, was mein Liebster gesagt hat. Und nun verschwinde, bevor ich Dir Deine Schuppen gerbe.“ Zu Greldons großer Überraschung hatte sie nach einem dicken Ast gegriffen, den sie nun wie ein Schwert vor seiner Schnauze hin und her schwang. Der Drache konnte sich die feindselige Haltung der beiden Menschen nicht erklären: Dieser Frau war er im Leben nie zuvor begegnet und dem Barden hatte er niemals ein Leid zugefügt. Genauso wenig wie jenem Wolf, von dem der Barde gerade gesprochen hatte. Um ihn herum hüpften die Krähen krächzend und sich um seine Quastenbeere zankend. Müde schlug er mit einer Tatze nach ihnen und wandte sich dann mit einem plötzlichen Aufblitzen in seinen Augen an die beiden Menschen. „Du hast Dich ganz schön verändert, seit ich Dich das letzte Mal gesehen habe“, sagte er mit honigsüßer Stimme zu der Frau. „Vor allem, waren Deine Haare nicht bei unserer Begegnung blond wie das Sommerkorn im hellen Sonnenlicht? Und wo hast Du Deine liebreizende Schwester gelassen?“ „Wir haben uns nie gesehen. Und ich habe keine Schwester“, antwortete sie und beobachtete voller Misstrauen den Drachen. „Nicht? Ob ich mich da geirrt habe? Aber Du sagst doch, der da wäre Dein Liebster. Und er hat Dir doch auch seine Liebe geschworen. Ich habe das genau gehört. Er verwendete die gleichen Worte, wie bei unserem Zusammentreffen. Sogar die Geschichte von dem Ritter und dem Pferd, das er zähmen wollte, hat er Dir noch einmal erzählt.“ Das war natürlich ein gewaltiger Bluff, denn tatsächlich hatte der Drache nur das Lied über ihn selbst gehört und ein paar Wortfetzen aus dem Liebesgesäusel der beiden aufgeschnappt. Doch seine Lebenserfahrung hatte ihm einiges an Weisheit beschert und er kannte die Vorgänge in einem Menschenhirn. Menschen waren in ihrem Verhalten so vorhersehbar. Seine Rechnung ging auf. „Was redest Du da?“ Die Frau blickte nun ihren Geliebten an, der mit hochrotem Kopf und hängenden Schultern wie ein begossener Pudel dastand. „Das ist ein Missverständnis“, sagte er leise und warf dem Drachen einen Blick zu, der Bände sprach: Eine Mischung aus bodenlosem Zorn und auch Verzweiflung. „So ist das also“, rief die junge Frau und warf dem Prügel auf den Boden, um stattdessen ihre Faust zu ballen. „Du hast also noch mindestens eine andere. Und ich habe Dir geglaubt, ich habe Dich geliebt, ich…“ „Aber, cara mia, Liebes, ich… lass mich erklären. Ich…“ „Vergiss es!“ Und zu Greldons aber auch zu Anselmos absoluter Verblüffung hatte sie dem Barden eine schallende Ohrfeige versetzt, die ihn rückwärts taumeln ließ. Da ließ Greldon ein donnerndes Gebrüll vernehmen, das sogar die Krähen erschrocken aufflattern ließ. „Schluss jetzt! Hört mich an, alle beide.“ Frau und Barde wussten, dass der Drache keinen Widerspruch dulden würde und trotz seines lächerlichen Aussehens ging von ihm genügend Autorität aus, dass sie beide verstummten und ihn reglos anblickten. „So ist es schon besser“, grollte Greldon zufrieden und setzte sich auf seine Hinterbeine, seinen pflanzlichen Schweif so um sich wickelnd, dass die beiden Menschen zumindest nicht die Erdbeere am Schweifende erblickten, die bereits wieder voller Genuss von einigen Krähen aber auch von einem Igel beknabbert wurde. „Ich wollte Euch nur eine Lektion erteilen. So wie sich Deine Gefährtin hier von meinen Worten beeindrucken hat lassen, hast Du Dich von den Worten von irgendjemandem beeindrucken lassen, ohne den Wahrheitsgehalt dieser Worte zu hinterfragen.“ „Worauf willst Du hinaus, Drache?“ fragte die Frau. „Du hast Deinem Gefährten Misstrauen entgegen gebracht, nachdem ich eine Behauptung aufgestellt hast, die Du nicht hinterfragt hast. Doch genau das hättest Du tun müssen, denn vielleicht ist die Wahrheit eine ganz andere, als meine Worte Glauben machten? Ich habe davon gesprochen, dass ich Deinem Gefährten begegnet bin und er damals eine andere Begleitung bei sich hatte. Aber ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass er Dich betrügen würde. Und wenn ich in das Herz dieses Sängers blicke, weiß ich, dass es voller Liebe zu Dir ist.“ Greldon blickte den Barden an: „Du siehst, was Worte ausrichten können. Doch Du darfst Deiner Freundin, die wirklich wunderschön ist, keinen Vorwurf machen. Denn auch Du hast irgendwelchen Worten vertraut, die Dir jemand gesagt hat und nun verurteilst Du mich, ohne mich überhaupt zu kennen.“ „Das stimmt so nicht!“ rief der Barde und sprang auf. „Ich habe recherchiert. Ich war bei dem Magier Khirdras und er erzählte mir, nachdem ich von dem Fluch gehört habe, der über Dich verhängt worden ist, was geschehen ist: Von Deiner unnatürlichen Gier nach Erdbeeren, dass Du vor lauter Gier sogar seine Erdbeerpflanzen zerstört hast und er deshalb Dir eine Lektion erteilen wollte. Er meinte auch, dass Du…“ „Dass ich jemandem brutal überfallen hätte und ihn seiner Erdbeeren beraubt habe?“ „Nein“, widersprach Anselmo sofort. „Das hat Khirdras niemals geäußert. Diese Aussage stammte von dem Wolf, dem ich begegnet bin.“ „Einem Wolf?“ fragte Greldon, dessen Verdacht sich nun bestätigte. „Erzähle mir mehr von dieser Begegnung.“
Anselmo erzählte dem Drachen, wie er auf seiner Wanderung den umgeworfenen Verkaufswagen entdeckt hatte und von dem zerlumpten, erschöpften und offensichtlich verstörten Wolf, der aus dem Dickicht gekrochen war. Dass dieser davon berichtet hatte, von einem Drachen angesprungen worden zu sein und dass dieser Drache all seine Vorräte an Erdbeeren verschlungen hatte. Dieser Anblick sei so traumatisierend für ihn gewesen, dass er nun keine Erdbeeren mehr verkaufen könne. „Nachdem er dann den Drachen beschrieben hatte, der ihn angeblich überfallen hatte, habe ich mich an unsere erste Begegnung erinnert. Daran, dass Du ja auch an meinen Erdbeeren… Interesse gezeigt hast. Außerdem gab es bereits Gerüchte, dass ein Drache mit einem Fluch belegt worden war. Ich dachte sofort daran, das Gehörte zu einer Ballade zu verarbeiten. Als ich mich vergewissert hatte, dass der Wolf keine weitere Hilfe mehr benötigte, habe ich sofort den Magier Khirdras aufgesucht, denn er war der einzige Zauberer, dem ich eine solche Macht zugeschrieben hatte. Denn ich bin schon jemand, der sich erst einmal Hintergrundinformationen beschafft, bevor ich ein Ereignis vertone. Nun ja, nach dem Besuch bei Meister Khirdras hatte ich dann den Text zu meiner Ballade, doch erst meine Gefährtin hier inspirierte mich zu der richtigen Melodie. Das war die Moritat vom Erdbeerdrachen, die Du eben gehört hast.“ „Immerhin hast Du Dir die Mühe gemacht, Dir weitere Informationen zu verschaffen. Doch leider hast Du nicht den Wahrheitsgehalt der Worte dieses Wolfes hinterfragt. Denn dazu hättest Du denjenigen, der auf so üble Weise beschuldigt worden ist, aufsuchen müssen und Dir dessen Version dieser Geschichte anhören müssen. Erst wenn Du beide Seiten der Medaille hast, kannst Du sie zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen und Dir dann darüber ein eigenes Urteil bilden.“ „Dann lass uns hier nicht dumm sterben“, forderte Anselmo den Drachen auf. „Erzähle uns Deine Sicht dieser Geschichte und ich werde gegebenenfalls den Text meiner Moritat ändern.“ Greldon schüttelte den Kopf: „Das wird nicht nötig sein, mein Freund.“ Er erhob sich und baute ich in einer leicht prahlerischen Pose vor den beiden Menschen auf. „Ihr müsst wissen, meine Freunde, dass das, was der Wolf gesagt hat, stimmt. Ich bin in der Tat auf ihn zugestürmt und habe seine Erdbeeren vertilgt und dabei wohl auch in meinem Eifer den Verkaufswagen umgestoßen, vielleicht sogar zerstört. Das lag nicht in meiner Absicht, genauso wenig, wie ich die Erdbeerpflanzen des Zauberers zerstören wollte. Es mag auch sein, dass dieser Händler durch meinen Anblick zu Tode erschrocken ist. Aber er hat, aus welchen Gründen auch immer, nicht erwähnt, dass ich ihn für diese Erdbeeren mit einem Kleinod, einer Kostbarkeit aus meinem Hort, mehr als reichlich dafür entschädigt habe. Ich habe diesen Händler zu meiner Höhle genommen und dort durfte er sich aussuchen als Preis für die verzehrten Früchte, was immer sein Herz begehrte. Er hatte sich für einen Kelch entschieden, der als Hochzeitsgeschenk für meine über alles geliebte Gemahlin Auruliyuth und mich speziell angefertigt worden war. Ich habe sofort erkannt, dass er für einen so schmächtigen Wolf - der Arme schien seit Tagen schon keine ordentliche Mahlzeit mehr im Bauch gehabt zu haben - viel zu schwer und zu unhandlich zu tragen gewesen war. Ich habe ihm angeboten, ihm ein kleineres Stück von gleichem Wert zu geben, aber er bestand darauf, dass er genau diesen Kelch wollte und so ließ ich ihn von dannen ziehen. Hatte er den Kelch denn nicht dabei, als Du ihm begegnet bist?“ „Leider nein. Aber es würde erklären, weshalb er so mit Schlamm besudelt war und seine Hände waren verkrustet mit Dreck. Wahrscheinlich hatte er ihn irgendwo im morastigen Waldboden vergraben, weil er mich für einen Banditen hielt oder irgendetwas in der Art.“ „Wie dem auch sei“, schloss der Drache, „ich bin nicht gekommen, um mich in irgendeiner Weise zu rechtfertigen und auch nicht, um Dir einen Vorwurf zu machen oder die moralische Klaue zu heben. Ich habe Dich gestört, weil ich Deine Moritat über mich vernommen habe und gehofft habe, dass Du mir helfen kannst. Ich wollte Dich um Hilfe bitten.“ „Wenn ich helfen kann, will ich es gerne versuchen.“ „Sieh mich an“, forderte Greldon den Barden auf. „Ich kann so nicht bleiben. Ich kann nicht mehr auf Jagd gehen, weil mich dieses lärmende Vogelpack auf Schritt und Tritt verfolgt und verrät. Ich kann meinen eigenen Anblick nicht länger ertragen. Und, was das Schlimmste ist, meine Geliebte Auruliyuth hat mich verlassen. Sie wird erst zurückkommen, wenn ich wieder der alte Greldon bin.“ „Aber, wie soll ich Dir da helfen? Ich bin ein fahrender Sänger, kein Magier. Nur ein mächtiger Zauberer wird den Fluch brechen können.“ „Das ist mir schon klar. Aber ich dachte, vielleicht hast Du auf all Deinen Reisen… etwas gehört, was mit weiterhilft. Vielleicht weißt Du jemanden, an dem ich mich wenden kann in meiner Not.“ Der Barde lächelte: „Hast Du es schon mal mit dem Zauberer versucht, der Dich mit diesem Fluch geschlagen hat?“ „Du meinst, Meister Khirdras?“ Greldon kratzte sich verlegen seine rote, erdbeerartige Brust. „Das geht nicht“, sagte er leise. „Wieso sollte das nicht gehen?“ fragte Anselmo verständnislos. „Das verstehst Du nicht. Ich kann nicht einfach zu ihm gehen und ihn darum bitten, dass er den Fluch von mir nimmt.“ „Und warum nicht? Ich denke mir, dass er es sogar tun wird, wenn Du ihn darum bittest. Vielleicht wartet er sogar darauf. Natürlich wirst Du ihn für den wiederholten Erdbeerdiebstahl um Verzeihung bitten müssen.“ „Du redest schon genauso einen Unsinn wie meine Auruliyuth“, grollte Greldon und stieß einen Rauchkringel aus seinen Nüstern aus. „Strapaziere nicht meine Geduld – autsch! Was war das?“ Ärgerlich blickte der Drache zu seinem Schweif und war überrascht, dass er dort neben den üblichen Krähen auch die Gefährtin des Sängers erblickte. Mit einem großen Messer hatte sie einfach ein großes Stück Fruchtfleisch aus seiner Erdbeerquaste herausgeschnitten. „Doch, das ist wirklich lecker. Möchtest Du auch ein Stück probieren, Anselmo?“ Sie grinste und Greldon tat sein Bestes, um seinen Schweif in Sicherheit zu bringen. „Und Du bist Dir wirklich sicher, dass Du es nicht über Dich bringen kannst, mit dem Meistermagier zu sprechen? Eine Schande. Andererseits, ein Erdbeerdrache hat seinen Vorteil. Und wie ich sehe, wächst die Frucht auch gleich wieder nach. Cara mia“, der Barde blickte nun die junge Frau an, „bitte probiere doch mal ein Stück Frucht von seiner Brust.“ „Was erlaubt Ihr Euch eigentlich!“ brüllte Greldon zornig und breitete im gleichen Augenblick seine Flügel aus. Kraftvoll stieß er sich mit seinen Hinterbeinen ab und ließ zwei Menschen zurück, die sich anblickten und lachten. Sie sahen den von seiner Kräheneskorte umgebenen Drachen von dannen ziehen und als er außer Sichtweite war, beschäftigten sie sich wieder mit sich selbst, die Welt um sich herum vergessend.
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[nachher geht's weiter]
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 01.August.2008, 17:52:35
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„… und mit viel Getöse fuhr der Huf in sein Gekröse. Somit die Moral von der Geschicht’: Wilde Hengste zähmt man nicht.“
„Der arme Ritter“, kicherte das Mädchen von dem fahrenden Volk und lehnte ihren Kopf an die Schulter des Barden, der sorgfältig sein Instrument beiseite legte. Zufrieden lächelnd lehnte er sich zurück und zog die Maid mit sich. Erneut hatte sich das Lied hervorragend zum Erringen von Mädchenherzen geeignet. Alle Frauen, die Anselmo kannte, liebten Geschichten von prachtvollen Hengsten und strahlenden Rittern. „Nun“, lächelte er und strich der Frau eine schwarze Locke aus ihrem hübschen, südländischen Gesicht, „das war eine Episoden aus dem viel besungenen Leben dieses edlen Recken. Natürlich werden nur die Heldentaten des Ritters Georg besungen, vor allem sein Sieg über den gewaltigen Lindwurm. Aber wie Ihr jetzt wisst, hatte er auch einige Fehlschläge einzustecken. Oder sollte ich sagen Tiefschläge?“ „Solange nicht Du an einer empfindlichen Stelle von einem Pferdehuf getroffen wurdest“, kicherte sie und beugte sich nach vorne. Die Nachmittagssonne beschien ihren üppigen Busen. Anzüglich lächelnd strich sie mit kräftiger Hand über sein Beinkleid aus dünnem Stoff und er fühlte eine bekannte Regung. „Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war noch alles in bester Ordnung“, grinste der Sänger und überließ sich nun ganz den geschickten und geübten Händen seiner Bewunderin.
Es dauerte nicht lange und gedämpfte Geräusche von Lust und Leidenschaft vermischten sich mit dem Surren von Insektenflügeln und dem allgegenwärtigen Vogelgezwitscher. Doch noch bevor der Barde am Gipfelpunkt des Genusses angelangt war, hielt sie inne und grinste ihn keck an. „Und ich bin wirklich Deine erste große Liebe?“ „Aber natürlich, meine Blume.“ „Dann inspiriere ich Dich doch sicherlich?“ Zärtlich streichelt er über ihr hübsches Gesicht: „Und wie. Zur Zeit arbeite ich an einer Ballade, den Text hatte ich schon, nur die Musik wollte mir nicht so Recht einfallen. Doch Deine Schönheit ließ die Melodie in mir fließen und nun denke ich, habe ich es geschafft.“ „Wirklich?“ lächelte sie zuckersüß und setzte sich auf. „Dann lass mal hören.“ „Wie Du wünscht, meine Blume“, seufzte der Barde und griff nach seiner Fiddel. „Und danach“, versprach sie, „werde mich um Dein anderes Instrument kümmern.“ Der Sänger lächelte und begann mit dem Vortrag.
Die Moritat vom Erdbeerdrachen
Greldon war ein stolzer Drache ne Zierde seiner Art doch hat er auch ne große Schwäche sind Erdbeer’n ganz apart Wo er die Beeren findet, schluckt er sie gierig rein für ihn da könnt kein anderer Duhuft so arg verlockend sein. Eines schönen Tages fand er ein Erdbeerfeld für ihn da gab es nix schönres auf dieser weiten Welt
Das Einhorn das die Pflanzen heget, bekam gar einen Schreck wo vorher alles rot und prall war, war nichts mehr alles weg Du schlimmer, böser Drache, schimpft er bei sich auwei doch half das alles nichts mehr, die Pflanzen warn entzwei Um dies forthin zu hindern, das Einhorn wob voll List nen Zauber der den Garten schützet wenn jemand davon isst.
In folgender Nacht schleicht sich schon wieder ein Schatten auf das Feld, Verputzt die Beeren ganz klammheimlich, was ihm sehr gut gefällt. Zurück in seiner Höhle, schläft er sogleich dann ein, der Zauber tuet seine Wirkung, wird drüber nicht sehr glücklich sein. Am nächsten Morgen trinkt er den halben Bach gar leer, sein Spiegelbild das er erblicket erschreckt ihn dabei sehr.
Am ganzen vorher schönen Körper hat er wie Streusel jetzt, ganz viele rote duft'ge Beeren, sein Rücken ganz besetzt. Sein ganzer Bauch sieht aus jetzt, wie seine Lieblingsfrucht, die er da im verbotnen Garten die Nacht vorher gesucht. Zum Gespött der Leute, es wurmet ihn gar sehr, prangt an der Spitze seines Schweifes ne große rote Beer.
Drum seid gewarnt ihr lieben Leute ich sage Euch es laut wer in des Einhorns Garten wildert, ihm seine Erdbeer'n klaut. der wird gar sehr bestrafet, es lohnet sich ja nicht, hast Du die Früchte Deines Raubes fortan im Angesicht. Drum lasst den armen Drachen ein warnend' Beispiel sein, wildert nicht in fremden Gärten sie könnten verzaubert sein.
Niemand achtete auf das Krächzen zahlreicher Krähen hoch im Himmel.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 01.August.2008, 17:42:47
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„Ah, endlich hört der Regen auf!“ rief der fahrende Sänger erfreut und packte seine Fiddel aus seinem Rucksack aus. Schon seit Tagen versuchte er, für eine neue Ballade eine Inspiration zu finden und so wie die Sonnenstrahlen durch das nasse Blätterdach der Bäume brachen, dachte er, würde ihm schon bald das Schicksal eine passende Idee bescheren. Eine Melodie hatte er bereits vor Tagen gefunden, allein der Text fehlte ihm. Er spielte gerade die Anfangsakkorde auf seinem Instrument, als sein Blick auf einen umgestürzten, verwaisten Verkaufswagen fiel. Der weiche Waldboden war von Spuren durchfurcht. Offensichtlich hatte ein schwerer Kampf stattgefunden. Der Barde legte seinen Rucksack und seine Fiddel ab und blickte sich ängstlich um. „Hallo? Ist da wer?“ fragte er und blickte sich um. War da nicht ein leises Wimmern und Stöhnen aus dem Unterholz zu hören? Es klang beinahe wie Mist, der verdammte Drache hatte Recht gehabt. Er ist wirklich viel zu groß für mich. Aber ich musste ihn unbedingt haben. Das hab ich nun davon.
Der Barde war aufs Höchste erstaunt, als im nächsten Augenblick ein völlig verstört wirkender, am Ende seiner Kräfte stehender Wolf mit zerrissenem und besudeltem Gewand vor ihm stand. „Was ist denn mit Dir passiert, mein Freund? Ist das Dein Wagen dort? Bist Du von Banditen überfallen worden?“ fragte er besorgt und blickte sich ängstlich um, ob nicht vielleicht hinter dem nächsten Busch eine Horde wilder Räuber hervorspringen würde. „Nein, nein, keine Räuber“, keuchte der Wolf. „Es war ein Drache. Er...“ Doch hier verstummte der Händler, denn er wollte auf keinen Fall jemandem etwas von dem prachtvollen Pokal, den er von dem Drachen bekommen hatte, erzählen. Er überlegte kurz und fuhr fort. „Es war ganz furchtbar. Wie eine Furie ist dieser Drache über mich hergefallen und er hat mir alles geraubt, was mit Wichtig gewesen ist. Er hat all meine Habe genommen, obwohl ich mich nach Leibeskräften gewehrt hatte. Ich habe um mich geschlagen, nach ihm geschnappt, laut um Hilfe gerufen, doch er war so viel größer als ich, so dass er mich schließlich hochgehoben und in seine Höhle verschleppt hatte. Nur durch eine List konnte ich ihm entkommen. Wer weiß, was er mir sonst noch angetan hätte, und das, obwohl in mir selbst Drachenblut fließt, ich auf magische Weise mit Drachen verbunden bin!“ „Ein Drache sagst Du?“ fragte der Barde erstaunt. Es war das erste Mal, dass ihm eine solche Geschichte zu Ohren gekommen war. Schließlich galten Drachen als ehrenwerte und überaus friedfertige Geschöpfe, die nur im Falle eines Angriffs zu solchen Zornausbrüchen neigten. „Wie sah er denn aus?“ „Mein inneres Drachenwesen, meinst Du? Nun, ich…“, begann der Händler und setzte zu einem Vortrag an über Magie und der metaphysischen Verbundenheit zwischen Wolf und Drachen, über gespaltene und zugleich verwandte Seelen, über Schatten und Licht und der gleichen mehr. Der Barde winkte jedoch sogleich ab: „Nicht das. Ich möchte wissen, wie der Drache, der über Dich hergefallen ist, ausgesehen hat. Was für eine Art Drache das war. Das sind die Dinge, die uns Dichter interessieren, weil es das ist, was unser Publikum zu seiner Unterhaltung hören möchte.“ In Anselmos Kopf nahm eine bestimmte Idee immer mehr Gestalt an: Wäre das Ganze nicht ein wundervolles Thema für eine Ballade, eine Moritat? „Wie er aussah? Ein wahrer Alptraum. Eine Chimäre. Und doch, würde man ihn sehen, würde man nicht glauben wollen, um welche Bestie es sich handelt.“ „Inwiefern?“ „Nun, er war zwar ein stattlicher Drache, doch hatte ihn wohl ein Zauberer verwünscht, so genau weiß ich das auch nicht, woher sollte ich auch, aber dieser Drache sah irgendwie aus wie eine zu groß geratene Erdbeere. Zumindest hatte er eine Art Schwanzquaste, die wie eine Erdbeere aussah.“ „Wie eine Erdbeere?“ In dem Barden keimte ein Verdacht auf. „War der Drache vielleicht silberfarben und an Brust und Bauch mit Fell bedeckt? Und seine Hörner ein wenig nach vorne gebogen?“ „Silberfarben war er wohl und auch seine Hörner waren so, aber sein Fell, wenn es eines war, leuchtete rot und erinnerte ebenfalls an eine Erdbeere. Geduftet hat er verführerisch, das gebe ich zu, aber ansonsten war es eine mordlüsterne Bestie, wie sie nur aus den tiefsten Höllengründen entsprungen sein konnte. Ein wahrer Alptraum, der mich mein Leben lang verfolgen wird. Nie wieder werde ich den Anblick von Erdbeeren ertragen können ohne an die schrecklichsten Momente meines Lebens in den Klauen dieser Bestie denken zu müssen. Es war einfach furchtbar. Ich kann gar nicht sagen, was er mit mir...“ Hier sank der Wolf schluchzend in die starken Arme des Barden, der ihn geistesgegenwärtig auffing. „Nun beruhig Dich erst einmal. Ich werde Dich in das nächste Dorf bringen, wo Dir sicherlich ein Heiler helfen kann, das schreckliche Geschehen zu verarbeiten. Mein Gott, was musst Du gelitten haben.“ Besorgt schüttelte der Barde seinen Kopf, doch eigentlich hatte er einen Grund zum Jubeln: Das Schicksal hatte ihm in der Tat eine Inspiration beschert, nämlich in Form dieses Unglückswolfs. Anselmo hatte bereits einen Titel für diese Moritat: Der Erdbeerdrache. Freilich musste er nun dieser Geschichte genauer auf den Grund gehen, denn seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, fahrenden Händlern, insbesondere Wölfen, nicht so ohne Weiteres Glauben zu schenken, neigten sie doch alle zu Übertreibungen und farbenprächtigen Ausschmückungen. Er war sich sicher, dass es sich bei diesem Drachen um jenen gehandelt hatte, er ihn vor einiger Zeit nach dem Gekröse befragte, doch auch wenn der Drache geradezu versessen auf Erdbeeren gewesen war, so strahlte er doch jene drachentypische Würde aus, die die geschilderte Untat beinahe unmöglich erscheinen ließ. Aber wieso sollte dieser Drache nun wie eine Erdbeere aussehen? „Und Du meinst, der Drache sei von einem Zauberer verhext worden, mein Freund?“ fragte der Barde mit zunehmendem Enthusiasmus. „Ich glaube schon, denn wie sonst sollte ein Drache wie eine Erdbeere aussehen? Das wäre ja absurd. Sehe ich so aus, als ob ich mir so etwas ausdenken könnte? Und um auf Deine Frage von eben zurück zu kommen. Bitte lass mich hier nur ein wenig ausruhen. Ich denke, ich komme dann auch alleine zu Recht. Ich muss nur das schreckliche Ereignis noch ein wenig verdauen. Wenn Du vielleicht etwas zu trinken für mich hättest?“
Als sich der Barde zum wiederholten Male vergewissert hatte, dass der Wolf wirklich keiner Hilfe bedurfte, verließ er ihn eiligen Schrittes. Ihm war nur ein einziger Magier bekannt, der einen solch kraftvollen Zauber wirken konnte, und den würde er nun aufsuchen. Vielleicht würde ihm dieser erzählen, was es mit diesem Erdbeerdrachen auf sich hatte.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 30.Juli.2008, 22:34:49
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Der Regen prasselte unbarmherzig hernieder und Greldon tat sich, wie schon so oft in den letzten Tagen, selber leid. Natürlich hatte seine Gemahlin Recht gehabt: Seine Erdbeergestalt war alles andere als förderlich für seinen Jagderfolg. Sobald er seine Höhle verließ, hatte er einen Krähenschwarm im Schlepptau und deren Gekrächze vertrieb jedes potentielle Beutetier in weitem Umfeld. Sein Magen knurrte erbarmungswüdig, die Kuh, die ihm Auruliyuth vor gut einer Woche überlassen hatte, war seine letzte ordentliche Mahlzeit gewesen. Wurzeln und Rinde waren einfach keine adäquate Nahrung für einen Drachen - nicht einmal Erdbeeren waren in der Nähe seiner Höhle zu finden. Selbstverständlich kamen die Erdbeeren aus dem Zaubergarten des Alicorns auch nicht mehr in Frage. Unter keinen Umständen wollte er dem Magier begegnen, denn er konnte sich nicht sicher sein, welches Unheil ihn dort noch über den Fluch hinaus erwarten würde. Plötzlich schreckte Greldon auf: Der Wind wehte ihm den durchdringenden Geruch eines nassen Hundes - oder war es ein Wolf - an seine Nüstern. Prüfend hob der Drache seine Schnauze in die Luft und genau in diesem Augenblick vernahm er eine samtig weiche, honigsüße Stimme. „Erdbeeren! Frische Erdbeeren!“ Greldon war wie elektrisiert. Er hatte die Stimme sofort erkannt. Sie gehörte einem fahrenden Händler, ein prachtvoller, schwarzer Anthrowolf, der sich selbst zu Recht aufgrund seiner königlichen Würde als Wolfsprinz bezeichnete. Seit wann verkauft der Wolfsprinz Erdbeeren? wunderte sich Greldon und leckte sich die Lippen. Bisher hatte er doch nur selbstgebraute, freilich nicht wirksame Zaubertränke verkauft und war das, was die Menschen als einen Quacksalber bezeichneten. Eigentlich spielte das aber keine Rolle, dem Drachen knurrte der Magen und der schiere Gedanke an Erdbeeren ließ ihm das Wasser im Maul zusammen laufen. Hastig durchsuchte er seine Höhle nach einigen Goldmünzen, fand diese aber nicht auf die Schnelle. Aber das war ihm egal. Er würde den Wolf in seine Höhle führen, damit er sich selbst ein Stück aus dem wertvollen Drachenschatz aussuchen konnte - natürlich nur, wenn die Erdbeeren den hohen Qualitätsansprüchen des Drachens genügten. „Erdbeeren, frische Erdbeeren. Erdbeeren aus dem fernen Mediterranea.“ Unermüdlich rief der Wolf und schwang in seiner rechten Hand eine kleine, verbeulte Glocke, während er seinen Verkaufswagen über den holprigen Waldboden schob. Die Geschäfte liefen schlecht und normalerweise hätte er niemals diesen Weg durch den Wald genommen - schließlich gab es beunruhigende Gerüchte über einen Drachen, der hier hausen sollte und arme, wehrlose Händler zu überfallen pflegte. Aber ihm war zu Ohren gekommen, dass irgendwo in diesem Wald eine versteckte Siedlung lag, in der man Erdbeeren über alles schätzte und diese buchstäblich mit Gold aufwog. Er hatte sich auf den Verkauf von Obst umstellen müssen, da man ihn in den umliegenden Ortschaften als Scharlatan entlarvt hatte und ihn verjagte, nachdem man ihm seine sogenannten Zaubertränke abgenommen und vernichtet hatte. Frisches Obst konnte er schließlich ohne größere Probleme aus Gärten zusammenklauben. Das Geräusch brechender Zweige ließ ihn im Glockenschwingen innehalten. Doch noch bevor er seinen Kopf in die entsprechende Richtung wenden konnte, schoss aus dem Unterholz ein gewaltiger Schatten auf ihn zu und dessen Gebrüll ließ ihn vor Schreck erstarren. Mit gewaltigem Getöse kippte der Wagen zur Seite und die Erdbeeren kullerten über den Waldboden! „Oh ja! Erdbeeren! Heute ist mein Glückstag“, vernahm der Händler und jetzt erst erkannte er den gewaltigen Drachen, der sich an den verstreuten Früchten gütlich tat. „Hey, das sind meine Erdbeeren. Die kannst Du nicht so einfach vertilgen“, rief der Wolf erbost, als er seine potentiellen Tageseinnahmen im Maul des Drachens verschwinden sah. „Abgerechnet wird später, mein Freund“, knurrte Greldon gierig schmatzend. Sein Schweif peitschte vor Aufregung und Freude hin und her. Endlich konnte er seinen Magen füllen. „Ich habe in meiner Höhle jede Menge Goldschätze, davon kannst Du Dir später nehmen, was Du willst“, fauchte er und verschwieg klugerweise, dass es sich um die Schätze seiner Gemahlin handelte. Er selbst hatte niemals etwas für Gold oder ähnlichem Tand übrig gehabt. „Gold sagtest Du?“ Die Augen des Wolfes blitzten gierig auf. Etwas Besseres konnte ihm gar nicht passieren, schließlich galten Drachen stets als unermesslich reich. „Ja, Gold“, grunzte Greldon und verschlang gierig die restlichen Erdbeeren. Akribisch leckte er auch noch die Körbe aus. Als der Drache seinen Hunger gestillt hatte - zum Glück hatte der Wolf bisher noch keine Erdbeeren verkauft gehabt und dessen Warenlager war reich gefüllt gewesen - setzte er sich auf seine Hinterbeine und blickte zufrieden auf den Wolf herab. „Verzeih bitte, falls ich Dich erschreckt haben sollte. Aber mein Magen knurrte und Erdbeeren kann ich einfach nicht widerstehen. Doch nun folge mir in meine Höhle, damit ich Dich angemessen für Deine Früchte entschädigen kann - Autsch!“ Greldon hatte vor lauter Freude über die unverhoffte Erdbeermahlzeit die Quälgeister, die mittlerweile seine ständigen Begleiter geworden waren, vergessen. Doch nun hatten die scharfen Krähenschnäbel erneut die Quastenbeere zerpickt. Der Händler warf einen erstaunten Blick auf Greldons Schweifspitze und jetzt erst fiel ihm auf, dass dieser so gar nicht dem entsprach, was er über diese Wesen bisher gehört hatte. „Was ist denn mit Dir passiert? Du siehst ja schrecklich aus? Sind das meine Erdbeeren gewesen? Denn falls Du auf Erdbeeren allergisch sein solltest, kann ich Dir einen Trank geben, den ich zwar momentan nicht bei mir habe, aber wenn Du mich im Voraus bezahlst, kann ich Dir gerne einige Flaschen davon zukommen lassen.“ „Nicht allergisch“, seufzte der Drache. „Aber das ist eine lange und tragische Geschichte. Ich erzähle sie Dir auf den Weg zu mir, wenn Du sie hören möchtest.“ „Aber gerne doch“, entgegnete der Wolf. Zwar hatte er noch keine konkrete Vorstellung, aber die Geschichte eines Erdbeerdrachens, oder was auch immer dieses Geschöpf war, würde sich mit Sicherheit auf irgendeine Weise als profitabel erweisen. „... und schließlich habe ich Deinen Ruf gehört“, schloss der Drache seine Erzählung, gerade als sie die Drachenhöhle erreicht hatten. „Und da sind wir schon. Suche Dir aus, mein Freund, was immer Dir gefällt.“ Das ließ sich der verschlagene Händler nicht zweimal sagen und schon nach kurzer Zeit kehrte er mit einem wunderschönen goldenen, über und über mit funkelnden Edelsteinen besetzten Pokal zurück. „Darf ich den hier haben?“ fragte der Händler mit unterwürfigem Blick. „Den?“ Greldon kniff die Augen zusammen. „Das ist das Hochzeitsgeschenk von Auruliyuths Vater. Und außerdem, ist dieser Pokal nicht etwas zu groß und schwer für Dich? Deine edle, zierliche Gestalt erweckt nicht den Anschein, im Umgang mit so großen Dingen geübt zu sein. Erlaube mir, Dir einen kleineren, jedoch nicht minder wertvollen Kelch zu geben.“ „Nein, nein, ich bin durchaus in der Lage, diese Bürde zu tragen, noch dazu, wenn diese von einem so edlen Spender wie Dir kommt. In der Tat, ebenso für mich ist es ein Glücksfall, Dir begegnet zu sein, denn auch in mir fließt teilweise Drachenblut. Ich bin mir sicher, dass das Schicksal uns zusammen geführt hat. Heißt es nicht, zwei zueinander verwandte Seelen würden einander rufen? Ich mag zwar äußerlich wie ein Wolf erscheinen, doch fühle und empfinde ich tief im Inneren zunehmend wie ein Drache.“ Greldon nickte stumm und seufzte: „Nun denn, wie Du willst.“ Die Andeutung des Händlers, er würde auch etwas Drachisches in sich haben, hatte Greldon geflissentlich überhört. Allzu oft schon hatte man versucht, sich bei ihm einzuschmeicheln, indem man auf eine - wie auch immer geartete - Verflechtung mit dem Drachenwesen verwies. Außerdem plagten Greldon nun ganz andere Gedanken: Ausgerechnet dieser Pokal. Wie sollte er das nur seiner Gemahlin erklären. Andererseits, er hatte dem Wolf ja angeboten, dass sich dieser nehmen könne, was er wollte. Und die Ehre eines Drachens verbot es, sein Wort zu brechen. Zufrieden und schwer beladen machte sich der Händler auf den Weg zurück zu seinem Wagen. Er stöhnte und ächzte unter der Last seiner Entlohnung, schließlich war der Pokal beinahe so groß wie er selbst, und schon bald trat ihm der Schweiß auf die Stirn. Niemals aber hätte er vor dem Drachen zugeben können, dass dieser Pokal zu schwer und zu groß für ihn war. Die Gier dieses Wolfes war zuweilen unermesslich. Schon bald stolperte er durch den Wald und verfluchte seine eigene Maßlosigkeit. Seine Arme und sein Rücken schmerzten und bis zu seinem Wagen war es noch weit. Er wunderte sich, dass der Drachen ihn aus so großer Entfernung überhaupt hatte hören können. Als seine Beine nachgaben und er der Länge nach auf den matschigen Waldboden hinschlug, beschloss er, den Pokal irgendwo zu verstecken und den Wagen herzuholen. ***
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 29.Juli.2008, 18:11:02
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Gierig riss Greldon Fleischfetzen aus der von Auruliyuth geschlagenen Kuh. Der Flug zu seiner Höhle war der reinste Spießrutenlauf gewesen – sogar in die Höhle hinein waren die Plagegeister dem Drachen gefolgt. Schließlich hatte Auruliyuth, eine äußerst praktisch denkende Drachin, über Greldon eine Art Schutzdach aus Steinen und Holz errichtet, so dass kein Tier mehr, abgesehen von Insekten, die Erdbeerquaste erreichen konnte. Von Vorne sah es so aus, als ob Greldon in der Höhle eingezwängt sei, ähnlich einer zu fetten Maus, die in ihrem eigenen Mauseloch stecken geblieben war. Auruliyuth beobachtete ihren Gemahl mit zusammengekniffenen Augen. „Du brauchst nicht glauben“, stellte sie klar, „dass ich Dich nun durchfüttern werde und zusehe, wie Du hier schließlich bewegungslos immer fetter wirst, bis Du wirklich fest steckst. Ich überlasse Dir diese Beute nur deshalb, weil ich viel zu weichherzig bin. Erzähle mir nun genau, was passiert ist.“ Greldon blickte auf und seufzte. Vor diesem Augenblick hatte er sich gefürchtet, denn nun musste er zugeben, dass er wider besseres Wissen zu dem Erdbeerfeld zurückgekehrt war, um erneut von den verbotenen Früchten zu naschen.
Auruliyuths Schweif peitschte wütend hin und her. Sie war aufgesprungen, sobald Greldon mit seinen Ausführungen an der Stelle angelangt war, als er sein Heil in der Flucht in das kühle Nass gesucht hatte. „Und Du wagst es, Dich hier von mir füttern zu lassen und Dich im Selbstmitleid zu suhlen? Du hättest schon längst bei diesem Zauberer sein können.“ „Das verstehst Du nicht!“ rief Greldon verzweifelt. „Er wird mich bestrafen wollen, weil ich seine Erdbeeren gepflückt habe.“ „Ja, und? Das würde Dir nur Recht geschehen. Aber nach der Bestrafung würde er vielleicht den Fluch von Dir nehmen.“ „Ich kann das nicht!“ „Was kannst Du nicht? Zu ihm hingehen und ihn um Verzeihung bitten, mit dem Ziel, dass er den Fluch von Dir nimmt? Das sollte wohl in Deiner Situation nicht zu viel verlangt sein.“ „Nichts da!“ rief Greldon trotzig und Drachenstolz glomm in seinen Augen. „Ich bin ein Drache! Drachen fragen nichts und sie erbitten auch nichts. Sie nehmen sich, was sie wollen.“ „Ach, wirklich?“ entgegnete Auruliyuth spitz und zuckte verächtlich mit ihren Flügeln. „Schau Dich doch nur an, Du wahrlich stolzer Drache. Glaubst Du wirklich, dass irgendwer vor Dir in Deiner gegenwärtigen Verfassung Respekt hat? Denke an die Vögel, die draußen auf Dich warten.“ „Trotzdem, ich werde mich niemals soweit erniedrigen, dass ich diesen Zauberer um etwas bitte. Zumal der nicht einmal ein Drache ist, sondern nur ein Pferd.“ „Offensichtlich aber ein mächtiges Pferd, wenn es zu solchen Zaubereien in der Lage ist. Abgesehen davon ist das kein Pferd sondern ein Alicorn. Sag mir nicht, mein dummer Gemahl, dass Du noch nie zuvor von dem mächtigen Magier Khirdras gehört hast.“ „Und wenn schon. Ich werde nicht zu ihm hingehen. Irgendwie werde ich schon klarkommen.“ Auch Greldon konnte ungeheuer stur sein. Statt einer Antwort brachte Auruliyuth schnuppernd ihre Schnauzenspitze an die rote, fleischige Brust ihres Gemahls und schnurrte leise: „Doch, ich muss zugeben, so Erdbeeren duften wirklich herrlich. Allmählich kann ich Deinen Appetit auf diese Früchte verstehen.“
Greldons Schmerzensgebrüll hallte ihr noch in den Ohren, als sich Auruliyuth in die Luft geschwungen hatte. Sie hatte herzhaft in die erdbeerartige Brust ihres Gemahles gebissen und ein Stück herausgerissen. Genau wie die Frucht an Greldons Schweif schloss sich diese Wunde sofort wieder. Er wird schon noch zur Vernunft kommen, dachte sie sich, als sie davon flog. Ich hoffe nur, dass er das bald tut. Denn ich liebe ihn trotz allem.
*** [Fortsetzung folgt]
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 29.Juli.2008, 18:07:18
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Rote und violette Blitze verfehlten fuhren rings um ihn hernieder, pastellfarbene Explosionen vor seinen Augen blendeten ihn und sein hämmerndes Herz drohte zu zerspringen. Er hatte die Orientierung verloren – hoch, tief, oben und unten. Hektisch schlug er mit seinen Schwingen, doch er fiel in eine wirbelnde Spirale aus Rot, Rosa und Weiß. Die Luft um ihn herum roch fruchtig und er schmeckte Erdbeeren und verzehrendes Feuer. Sein Fall war ungebremst, die Farben wogten, ein Rausch der Sinne – bis ihn irgendwann wohlige Wärme umgab und er ein einem Meer aus pinkfarbenen Schleiern trieb. Stöhnend trat er mit seinen Beinen in die Luft und irgendwann meldete ihm sein Unterbewusstsein, dass er gar nicht abgestürzt war, sondern er auf festem Boden lag – auf dem Rücken mit ausgebreiteten Schwingen, nicht gerade eine übliche Schlafstellung eines Drachens. Doch Greldon konnte nicht die Energie aufbringen, sich in eine bequemere Position zu bringen. Eine bleierne Müdigkeit drückte ihn nieder und wie ein Blitz in der Nacht durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass er sich kurz nach dem Verzehr der Erdbeeren unendlich müde und schlapp gefühlt hatte und ihn seine Flügel kaum noch in der Luft halten wollten. Doch schon im gleichen Augenblick, als er darüber nachdenken wollte, war er schon wieder eingeschlafen.
„Krah!“ „Krah!“ „Krah!“ Greldon öffnete langsam die Augen. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte, doch der Lärm sich zankender Krähen weckte ihn. „Was zum…“ Er brach ab und schloss rasch seine Augen, als das helle Sonnenlicht ihn blendete. Langsam öffnete er sie wieder und sah aus seinen Augenwinkeln heraus hastige Bewegungen und Geflatter. Offensichtlich war eine Horde Krähen, warum auch immer, in seine Höhle eingefallen – nur dass er sich nicht in seiner Höhle befand. Brennender Durst quälte ihn. Brust und Bauch juckten ihm und er bemerkte gar nicht, dass er sich ohne Unterlass kratze. Aber am allerschlimmsten war der stechende und hackende Schmerz, den er an seinem Schweifende verspürte, da wo sein Schuppenschwanz auslief zu einer eleganten Quaste, wie sie sonst nur Löwen haben. Er hatte sich eben nicht getäuscht: Er befand sich nicht in seiner Höhle, sondern lag - immer noch auf seinem Rücken - irgendwo im Freien, wie es sich anfühlte, auf einem Acker. Ärgerlich verscheuchte er mit einer Bewegung seiner Tatze einige Krähen, die unruhig und mit flatternden Flügeln auf seinem Bauch herumhopsten. Allmählich klärte sich auch sein Blick und er richtete sich auf, als ihn erneut eine Welle des Schmerzes von seiner Schwanzspitze her durchlief. Entsetzt brüllte er auf, als er die Ursache des Schmerzes sah. Die Krähen sprangen laut protestierend von ihm weg, als er sich hastig aufrichtete – nur, um sich wieder auf seine Schweifspitze zu stürzen. „Das ist ein Albtraum!“ rief er entsetzt und schlug mit seinem Schweif um sich, der so gar nicht mehr wie ein Drachenschweif aussah. Statt des Schuppenschwanzes spross aus dem Schweifansatz eine Art dicker, grüner, biegsamer Stängel, von dem in regelmäßigen Abständen Blätter herauswuchsen. Am Grauenvollsten jedoch war das Schweifende: Anstelle der ehemals prachtvollen Schwanzquaste lockte eine beinahe kürbisgroße, vollreife Erdbeere mit ihrem leuchtenden Rot die Krähen an, die gierig mit scharfen Schnäbeln darauf einpickten. Greldon wurde rasend vor Schmerz und entsetzt stellte er fest, dass jedes Mal, wenn die Krähen die Frucht an seinem Schweifende zerhackt und verschlungen hatten, die Erdbeere auf wundersame Weise sofort wieder nachwuchs.
Gehetzt blickt sich Greldon um und stieß einen Feuerstrahl nach dem anderen gegen seine gefiederten Peiniger aus. Doch die Krähen ließen sich nicht im Geringsten davon beeindrucken, zu sehr lockte die sich immer wieder erneuernde, pralle Beere. Wasser! Ich muss ins Wasser. Hoffentlich träume ich das nur, dachte sich der Drache und setzte sich in Bewegung. Mittlerweile wusste er, wo er sich befand. Von seiner Höhle war er immer noch ein gutes Stück entfernt und auf dem Weg dorthin würde er an einem kleinen See vorbeikommen. So gut es ging, stieß er sich mit seinen Hinterbeinen ab und mit mühsamen Flügelschlägen – die aufdringlichen Krähen weiterhin im Schlepptau – erreichte er endlich das Linderung verheißende Gewässer. Doch als er sein Spiegelbild in der stillen Wasseroberfläche erblickte, hallte sein schmerzerfüllter Schrei der Verzweiflung über den See: Nicht nur war sein Schweif zu einer Erdbeerranke und seine Quaste zu einer Erdbeere geworden. Sein cremefarbenes, mit ockerfarbenen Streifen durchzogenes, seidig weiches Bauchfell war von dem gleichen leuchtenden Rot wie die Frucht an seinem Schweifende. Als er mit einer Tatze vorsichtig über seine Brust strich, spürte er deutlich jene für die Erdbeerfrucht so charakteristischen, kleinen, gelbgrünfarbenen Samennüsschen. Er tauchte seinen Kopf in das eiskalte Seewasser, in der Hoffnung, dass er dadurch aus dem furchtbaren Albtraum erwachen würde. Doch es war bittere Realität. Verzweifelt wehrte er erneut die lästigen Krähen ab. „Was mach ich denn nur?“ rief er in das Krähengekrächze.
Greldon konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Dennoch war ihm klar, dass er nicht in diesem Zustand bleiben konnte. Abgesehen von den Schmerzen, die das Angeknabbertwerden verursachte, jedes Geschöpf im ganzen Land würde sich über ihn lustig machen. Greldon, der Erdbeerdrache – oder Schlimmeres. Er brüllte schmerzerfüllt auf, als erneut seine Quastenerdbeere von den Krähen zerpickt wurde, und zog sich in das Wasser zurück. Unter enttäuschtem und entrüstetem Gezeter zogen die gefiederten Plagegeister schließlich ab. Doch Greldon hatte nicht vor, den Rest seines Daseins in diesem See zu verbringen. Aber ihm war bewusst, dass er sofort wieder zahlreiche Peiniger, die ihn vernaschen wollten, am Hals haben würde, sobald er nur einen Schritt auf das trockene Ufer machte. Nur seine Schnauzenspitze schaut aus dem Wasser, als er angestrengt nachdachte. Es war offensichtlich, was passiert war. Seine Vorliebe für Erdbeeren hatte ihn in diese missliche Lage gebracht. Wahrscheinlich hatte dieser Zauberer, dem das prachtvolle Erdbeerfeld gehörte, die Früchte irgendwie verflucht. Was läge also näher, als diesen Zauberer aufzusuchen und ihn zu bitten – nein, zu zwingen, schließlich war Greldon ein prachtvoller Drache – diesen Fluch von ihm zu nehmen. Doch Greldon verwarf diese Idee sofort wieder. In dieser Erdbeerdrachengestalt würde er kaum den Magier beeindrucken, geschweige denn einschüchtern können. Aber um Hilfe zu bitten, kam ebenfalls nicht in Frage. Dazu war der Drache zu stolz. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Und was noch viel wichtiger war, seine geliebte Auruliyuth durfte ihn unter gar keinen Umständen in dieser lächerlichen Gestalt sehen. Doch wie es der Zufall so wollte, vernahm er just in diesem Augenblick die kraftvoll tönende Stimme seiner Gefährtin. „Greldon! Wo steckst Du denn? Ich warte schon seit Stunden auf Dich. Greldon? Bist Du am Ende wieder auf der Suche nach Erdbeeren? Du nichtsnutziger, verfressener...“ „Ich bin hier, hier im See“, rief Greldon Auruliyuth zu, als er sie hoch über ihm im Himmel kreisen sah. „Im See? Um diese Zeit?“
Auruliyuth faltete nach ihrer Landung ordentlich ihre Flügel zusammen und setzte einen besonders strengen Blick auf, als sie an das Ufer trat. „Bequemt sich mein Gatte jetzt endlich, sein Bad zu beenden?“ fragte sie spitz. „Ich... ich kann nicht“, erwiderte Greldon zerknirscht. „Was soll das heißen: Du kannst nicht?“ „Das heißt“, klagte der geplagte Drache, „dass ich nicht aus dem Wasser kommen kann. Zumindest nicht jetzt, so lange es hell ist.“ Auruliyuth kniff ihre Augen zusammen und setzte sich auf ihre Hinterbeine, ihren Schweif wickelte sie mit äußerster Sorgfalt um sie herum. Die Schweifspitze klopfte auf den Boden, für Greldon das sichere Anzeichen, dass seine bessere Hälfte nicht mehr sehr viel Geduld aufbringen würde. „Was ist das nun wieder für eine Spinnerei? Hast Du nun nach Deiner übermäßigen Erdbeerlust auch noch einen Badefetisch entwickelt?“ „Nein, so kann man das nicht nennen“, schüttelte Greldon den Kopf. Kleine Wellen plätscherten sachte an das Ufer, als er sich näher heran schob, dabei immer darauf bedacht, dass nur sein Kopf aus dem Wasser ragte. „Mir reißt gleich der Geduldsfaden! Wenn Du nicht augenblicklich herauskommst und Dich wie ein erwachsenes, verantwortungsbewusstes Drachenmännchen benimmst, dann...“ „Schon gut!“ lenkte Greldon seufzend ein und richtete sich langsam auf. „Aber bitte, erschrick nicht und vor allem, bitte keine Vorwürfe.“ „Um Himmels Willen! Greldon! Wie schaust Du denn aus?“
Greldon stand da wie der sprichwörtlich begossene Pudel und bot wirklich einen erbarmungswürdigen Anblick, als das Wasser von seinem entstellten Körper tropfte. Das Grünzeug, das einst sein stolzer Schuppenschweif gewesen war, war vom Wasser aufgeweicht – nur die übergroße Erdbeere war geradezu eine Einladung und prompt hatten sich auch schon wieder die Krähen und auch andere Vögel gierig darauf gestürzt. Resigniert zuckte der Drache mit seinem botanischen Körperanhängsel und stöhnte gequält auf, als die Frucht erneut zerpickt wurde. Doch die Vögel blieben unbeeindruckt und erst als Auruliyuth drohend auf sie zusprang, erhoben sie sich zeternd. Der Blick der Drachin durchbohrte Greldons Herz und er ließ seinen Kopf und seine Flügel noch tiefer hängen, die Standpauke erwartend, die auch prompt begann: „So. Offensichtlich hast Du nun ja Deinen Preis bezahlt für Deine krankhafte Erdbeersucht. Wie oft habe ich Dir gesagt…“ „Das hilft doch jetzt auch nichts mehr, geschehen ist geschehen“, wagte Greldon zu unterbrechen und fragte sich zum wiederholten Male, weshalb Drachenweibchen immer mit diesem ominösen hättest Du bloß oder ich habe es Dir doch gleich gesagt anfingen, nachdem bereits ein Unheil eingetreten war – darin standen sie in Nichts den Menschen nach, die in diesem Unfug wahre Meister waren. Auruliyuth knurrte verärgert ob dieser unqualifizierten Unterbrechung und fuhr fort: „Und wie gedenkst Du nun, auf Jagd zu gehen? Wie willst Du Dich unbemerkt der Beute nähern, wenn Du künftig als fliegender Obstkorb einen lärmenden Vogelschwarm nach Dir ziehst und am Boden auch noch anderes Getier anlockst? Einen Hirschen wirst Du aber nicht anlocken, das verspreche ich Dir. Und wie willst Du dann genügend Nahrung für mich und unser Junges heranschaffen? Ich werde bald gar nicht mehr jagen können, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.“ Wie zur Bestätigung ihrer Worte knabberten nun einige Ratten an Greldons Schwanzspitze und die Krähen, zusammen mit ein paar Amseln und Spatzen, fühlten sich ebenfalls wieder eingeladen. Schmerzerfüllt brüllte Greldon auf, als die scharfen Rattenzähne in ihrer Gier auch noch in andere Körperpartien schlugen, und was noch schlimmer war: Ameisen und anderes Getier krochen über seinen erdbeerartigen Bauch. Nur mit Mühe konnte Greldon den Drang widerstehen, ins Wasser zurückzukehren. Doch Auruliyuth hatte offensichtlich sein Vorhaben erraten und grollte: „Also, wie soll es nun weitergehen? Du kannst nicht den Rest Deines Lebens im Wasser verbringen.“ Erneut half sie ihm dabei, die Plagegeister abzuwehren und sagte dann: „Wir kehren in Deine Höhle zurück. Und dann erzählst Du mir genau, was passiert ist. Ich frage mich, warum ich überhaupt bereit bin, Dir zu helfen. Jedes vernünftige Drachenweibchen würde sich sofort von so einem törichten, verantwortungslosen Drachenmännchen trennen. Und nun komm, worauf wartest Du? Willst Du hier etwa Wurzeln schlagen?“ Auruliyuths Äußerung war gar nicht so falsch gewesen: Als Greldon seinen Schweif bewegen wollte, stellte er entsetzt fest, dass tatsächlich wurzelartige Auswüchse sich mit dem Boden zu verbinden begannen. Zwar waren diese Wurzeln nur fadenartig, doch musste der Drache tatsächlich etwas Kraft aufwenden, um die ungewünschte Verbindung mit dem Boden zu lösen. „Das kann ja heiter werden“, knurrte Auruliyuth und stieß sich ohne ein weiteres Wort vom Erdboden ab, ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen. Greldon folgte ihr schließlich in einigem Abstand.
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Atelier der Bewohner / Geschichten und mehr / Der Erdbeerdrache
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am: 29.Juli.2008, 17:57:45
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„Das ist doch wohl der Gipfel der Unverfrorenheit!“ rief Khirdras aus, als er in der Ferne eine Silhouette ausmachte und recht bald schon darin einen Drachen erkannte, der Kurs auf sein Anwesen genommen hatte. „So unverschämt, so tolldreist kann doch nicht einmal ein Drache sein“, wunderte sich das Alicorn und lief in sein Arbeitszimmer. Insgeheim bewunderte er aber den Drachen. Zu schade, dass dieser Drache so sehr irregeleitet war von seiner perversen Gier nach Erdbeeren. Khirdras griff nach einem kleinen Tiegel auf einem der Arbeitstische und gab etwas von einer gallertförmigen, geruchslosen Masse, die die Farbe von Hafergrütze hatte, in seine Hand. Langsam verrieb er die Substanz zunächst in seinem Gesicht und verteilte sie auch auf seinem restlichen Körper. Die Wirkung trat beinahe augenblicklich ein: Die Konturen des Alicorns begannen zu verschwimmen und er war kaum mehr von seiner Umgebung zu unterscheiden. Khirdras war stolz auf diese seine Erfindung: Zwar hatte er in all den Jahren keinen wirksamen Unsichtbarkeitszauber gefunden, aber die von ihm entwickelte Chamäleoncreme tat genauso gut ihren Zweck und hatte sich in Magierkreisen zu einem wahren Verkaufsschlager entwickelt. Sie hatte noch einen anderen entscheidenden Vorteil: Sein eigener Körpergeruch wurde vollständig unterdrückt, so dass ihn nicht einmal Wölfe aufspüren konnten. Derart präpariert trat er in den Garten und beobachtete in einer Mischung aus brodelndem Zorn, schelmischer Vorfreude und auch Ehrfurcht den ungeladenen Gast bei seinem Festmahl. Erdbeere um Erdbeere wanderte in den Drachenschlund und viele Pflanzen fielen Pranken und Zähnen und einem um sich schlagenden Schuppenschweif zum Opfer. Welch eine unbändige Kraft, was für ein prachtvolles Geschöpf, dachte sich Khirdras und wie so oft schon in seinem Leben wünschte er sich, ein solch prächtiges Wesen zum Gefährten zu haben – oder zumindest als Zauberlehrling oder auch als Gehilfen. So ein Drache konnte schließlich sehr nützlich sein: Mit seiner Körperkraft könnte er schwere Gegenstände bewegen – genau das richtige, wenn es darum ging, beispielsweise einen Keller zu entrümpeln. Darüber hinaus besaßen Drachen einen ausgeprägten Geschäftssinn, den sich Khirdras, der nicht nur diese Chamäleoncreme produzierte und vertrieb, sondern auch magische Beratungsleistungen für jeden, der Rat suchte, anbot – gegen ein entsprechendes Entgelt, versteht sich. -, zu Nutzen machen würde. Zu guter letzt könnte so ein Drache auch ohne weiteres die Stelle eines Wachhundes einnehmen: Allein schon die imposante Größe des Drachens könnte mögliche Eindringliche von seinem Grundstück fernhalten. Khirdras seufzte, wohl wissend, dass sich sein Traum in dieser Richtung wahrscheinlich niemals erfüllen würde, und widmete sich wieder seiner Vorfreude auf das, was nun mit dem frechen Erdbeerdieb passieren würde. Die Beschreibungen in dem alten Buch waren so ungenau gewesen und die Illustrationen so sehr verwaschen, dass er keinerlei Vorstellung davon hatte, wie sich das ausgebrachte Mittel nun tatsächlich auf den Drachen auswirken würde. Seinen Appetit schien es jedoch schon einmal nicht zu zügeln…
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