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Autor Thema: Einer neuen Zukunft entgegen (1) - Nordsee (als Buch)  (Gelesen 6839 mal)
Auruliyuth
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« am: 23.Mai.2018, 21:58:47 »

Hallo,  Grin
mancher von euch wird sich jetzt sicherlich denken "was soll das denn. Die Geschichte gibt es doch schon?!"
Recht habt ihr! Allerdings habe ich die Geschichte in den letzten Jahren überarbeitet und ergänzt. Manch einer (auf Wattpad) meinte, sie sei zu kurz, da würde so manches noch fehlen.
Hier also nun eine Geschichte, die sich fast Buch nennen könnte - also bei mir hatte sie nur 41 Seiten; ab 42 Seiten darf sich eine Geschichte auch "Buch" nennen.  Cool
Inzwischen war ich auch selber wieder in einer Reha, wo ein dritter Teil mit Jens und Steffi entstanden ist. Allerdings fehlt mir für diesen immer noch ein passabler Schluss. Doch zuerst gibt es nun die Nordseegeschichte in neuem Gewand. Viel Vergnügen beim Lesen.  Smiley

Einer neuen Zukunkt entgegen (1) - Nordsee

(c) Copyright Auruliyuth
Prolog

Der Hausarzt hatte gemeint, ein paar Wochen in einer Reha würden mir gut tun nach all der Trauer und dem Schmerz, den ich zur Zeit zu Hause durchlebt hatte. Zu alldem war bereits vorher schon der Stress mit dem gewaltigen Arbeitspensum im Büro und die Sorge um den Arbeitsplatz und die Standortfrage noch dazu gekommen.
Also hatte ich den medizinischen Rat meines Arztes befolgt, die Koffer gepackt und war hierher an die Nordsee in eine Reha-Klinik zur Therapie und Erholung gefahren.

Um nicht zu viel Hektik während der Fahrt ausgesetzt zu sein, hatte ich, wie fast alle hier, öffentliche Verkehrsmittel gewählt und meinen großen Koffer mit der Bahn voraus geschickt. Obwohl mir die vielen Menschen in den vollen Abteils und der Zeitdruck mit der Bahn beim Umsteigen zu wider waren, hatte ich doch bis zur Ankunft in der Klinik tapfer durchgehalten.

Meine Gedanken verweilten während der Fahrt immer wieder bei meiner Familie und dem unvermeidlichen, tragischen Flugzeugunglück. 'Warum hatte es mich nicht auch erwischen können? Wenn ich es doch nur hätte verhindern können!'
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Blitz in das Cockpit schlug und ein Flugzeug zum Absturz brachte? Es hieß doch, dass Fliegen die sicherste Art zu Reisen war – statistisch gesehen.

Ich hatte nicht einmal jemanden, auf den ich wütend sein konnte. höchstens auf mich selber. Meine Eltern und meine zwei jüngeren Geschwister waren jetzt tot. Und nur, weil ich nicht sofort Urlaub bekommen hatte, und somit nicht gleich mitfliegen konnte, hatte ich als einzige überlebt.
Eigentlich hätte ich ein paar Tage später nachfliegen sollen, und wir hätten uns im Urlaubshotel alle wieder getroffen. Stattdessen war ich nun ganz allein und auf mich gestellt. 'Was für einen Sinn hatte es überhaupt noch zu leben?!'

*****

« Letzte Änderung: 23.Mai.2018, 22:17:27 von Auruliyuth » Gespeichert

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« Antworten #1 am: 23.Mai.2018, 22:16:13 »

Kapitel 1 – In der Klinik angekommen

Am Spätnachmittag war ich mit einem Shuttlebus in der Klinik angekommen. Am Bahnhof hatte man bereits auf uns Patienten gewartet.
Ohne Zeit zu verlieren hieß es sofort, dass ich zur ersten Untersuchung kommen musste. Ein wenig überrascht war ich nun doch, dass man mir nicht einmal die Zeit zugestehen wollte, zuerst meinen Koffer auf meinem Zimmer auszupacken, damit ich etwas bequemeres anziehen konnte.

Selber kam ich in diesem Augenblick nicht auf die Idee zu sagen, dass man mir bitte etwas mehr Zeit und Freiraum lassen sollte. Dafür ging ich nach meiner Voruntersuchung beim Arzt gleich als erstes auf mein Zimmer zurück und erlaubte mir zunächst einmal selber durchzuatmen. Die ganze Anspannung des Tages fiel nun nach und nach langsam von mir ab.
Der Doktor hatte mich durchdringend gemustert. Und nach ein paar gezielten Fragen zum Unfall meiner Familie und zu meinem eigenen Wohlbefinden hatte er beschlossen, dass ich zur Zeit nicht akut suizidgefährdet wäre. Aber einen Vermerk diesbezüglich machte er dennoch in meiner Akte.

Während ich schließlich noch meine Utensilien im Badezimmer auspackte, sah ich zum ersten Mal seit Stunden wieder bewusst in einen Spiegel. Für einen Moment hielt ich inne und betrachtete mein Spiegelbild eingehend. Nein, da gab es wirklich keine besonderen Auffälligkeiten.
Obwohl ich unterwegs immer wieder den Eindruck gehabt hatte, dass mich alles aufdringlich und neugierig angestarrt hatte... ich sah aus wie immer... naja, vielleicht etwas abgekämpfter und blasser als sonst.
Mir schaute eine brünette, jugendlich wirkende Frau aus dem Spiegel entgegen. Zwar etwas müde und erschöpft, aber sonst ein Gesicht wie Millionen andere.

*****

Dabei hatte ich erst vor einigen Wochen dieses seltsame Erlebnis geträumt, das mich seit jenem Augenblick stark beschäftigt hatte und nicht mehr los ließ. Der Traum war so real gewesen. Es hatte sich angefühlt, als wäre ich wirklich direkt dabei gewesen.
Das Gefühl war sogar so extrem, dass es mich auch tagsüber nicht mehr in Ruhe gelassen hatte. Meine Familie konnte und wollte ich damit nicht bedrängen. Sie schmiedeten zu dem Zeitpunkt bereits Pläne, was sie alles am Urlaubsort unternehmen wollten.
Zuerst dachte ich deshalb noch über einen Arztbesuch nach, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Wenn ich ehrlich darüber nachdachte, hielt ich mich sogar selber in diesen Momenten für verrückt. Was sollte dann erst ein bodenständiger Mediziner anderes darüber sagen oder denken?

Ich hatte das beherrschende Gefühl gehabt nicht bei klarem Verstand zu sein. Ich meinte plötzlich, dass mir meine eigene Haut zu eng wäre. Ich fühlte mich in diesen Momenten um ein vielfaches Größer als ich es tatsächlich war.
Es begann damit, dass es auf meinem Rücken zwischen meinen Schulterblättern heftig zu jucken angefangen hatte. Auch sah ich „wie aus großer Höhe“ auf alles hinunter – es fiel mir manchmal sogar schwer zu laufen oder Treppen zu steigen. So als würde ich meine Füße ständig verwechseln.
Ich hielt das alles jedoch weiterhin für Sinnestäuschungen und Tagträume. Ich sollte nicht so viel Verrücktes lesen oder fern sehen. Deshalb versuchte ich all diese seltsamen Dinge hartnäckig zu verdrängen.

Doch leider war es wie verhext. Je mehr ich es vergessen wollte, desto intensiver waren meine Träume. Ich brauchte wohl tatsächlich ganz dringend eine Auszeit!

Meine seltsamen Träume hatten selbst nach dem tragischen Unfall meiner Familie nicht aufgehört. Es schien als sollten sie mich an irgendetwas erinnern. Aber, sowie ich über diese eigenartigen Träume nachdachte, waren sie wie weggezaubert. Ich konnte mich dabei nur an ein Gefühl von Freiheit und Fliegen erinnern.
Ein anderes Mal waren es Träume, die mir seltsam real erschienen, aber mit der eigentlichen Realität nichts zu tun hatten. Drachen im Familienverbund, und einer war für den anderen da.
Weil ich so gar nichts damit anfangen konnte, schaltete ich mein Notebook ein und forschte im Internet danach.

Nach langen Überlegungen, unzähligen Beiträgen in verschiedenen Internetforen und vielen, zum Teil, schlaflosen Nächten ging ich, beunruhigt von meinen wiederkehrenden fantastischen Träumen, schließlich doch zu einem Arzt. Dieser sah mich zunächst ungläubig an. Anschließend fragte er dann ganz logisch, wann meine letzte Auszeit gewesen sei.
Natürlich war mein letzter richtiger Urlaub schon geraume Zeit her, eigentlich sogar über fünf Jahre. Aus diesem Grund erschien die Diagnose für den Doktor recht einfach. Ich war völlig gestresst und überarbeitet, quasi kurz vorm Ausbrennen. Und dazu kam jetzt noch das schreckliche Unglück mit meiner Familie.

Zusätzlich zum Besuch beim Arzt hatte ich das elektronische weltweite Netz noch einmal genauer durchstöbert, nach allem, was mit meinen Symptomen und dem Gefühl, ein Drache zu sein, zusammen hängen könnte.
Ich war auf seriös erscheinenden Seiten, aber auch auf mysteriösen oder gar dubiosen Seiten gelandet. Auf einigen Seiten las ich sogar über Menschen, die meinten, nicht im richtigen Körper zu stecken.

Je mehr ich über dieses Thema las, desto weniger begriff ich meine eigene Situation. 'Was hatte das alles mit mir zu tun? Warum hatte ich diese Träume, und woher kamen sie? Oder bildete ich mir dies alles nur ein?!'

*****
« Letzte Änderung: 23.Mai.2018, 22:17:55 von Auruliyuth » Gespeichert

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« Antworten #2 am: 23.Mai.2018, 22:23:01 »

Kapitel 2 – Es war zum Verrückt werden!

Um mehr zu erfahren, hatte ich mich zunächst auf einigen Seiten mit dem Alias „Albino“ angemeldet. Das erschien mir logisch, ich kam mir schließlich ebenso andersartig und abnormal vor.
In einigen dieser Drachenforen und Internetforen für andersartige Wesen, den Otherkins, wurde ich dennoch freundlich, teils sogar herzlich begrüßt. Manche begegneten mir mit Neugier, andere allerdings auch mit einem gesunden Maß an Misstrauen.

Ein paar meiner Fragen konnten dort von den Bewohnern, wie sich manche nannten, beantwortet werden. Doch gleichzeitig warfen diese Antworten dafür viele neue, größere Fragen bei mir auf. Vereinzelt wurde mir sofort Kontakt angeboten. Aber alles ging so rasant schnell. Viel zu schnell für mich.
Ich zog mich noch verwirrter als zuvor wieder zurück. Ich wollte niemand anderer sein! Ich wollte auch nichts anderes sein! Ich war bisher eigentlich immer ziemlich zufrieden mit mir gewesen.

Ich brauchte dringend Abstand. Abstand vom Unfalltod meiner Familie, Abstand vom Beruf, aber vor allem Abstand von meinen wirren Gedanken, die mir beim besten Willen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten.
Ich sollte wirklich alles einmal setzen lassen! Es war zum Verrückt werden und aus der Haut fahren!

*****

Jetzt, nachdem ich eine ganze Prozedur an Terminen, Untersuchungen und Formularen für die Krankenkasse hinter mir hatte, war ich also hier in der Reha angekommen und sollte wieder zu mir selber finden, wie der Arzt gemeint hatte. Wie sehr er mit diesem Satz unbewusst Recht haben sollte, begriff ich allerdings erst sehr viel später.

Mein Spiegelbild blickte mich immer noch starr an. Ich war müde, gestresst und abgekämpft, auch wegen meiner noch nicht zu kontrollierenden Empathie. Aber ich musste gleich noch einmal zu den anderen Patienten, zur Begrüßungsrunde und zur Hausbesichtigung. Ich ermutigte mich selber: „Steffi Reimor, das bisschen schaffst du nun auch noch! Du bist schon so weit gekommen! Jetzt nur nicht schlapp machen!“

Die Gefühle, die mir kurz darauf, bei der Begrüßung, empathisch entgegen schlugen, waren ganz unterschiedlicher Art und hatten zum Glück nichts mit mir zu tun. Erst als es mir gelungen war, meinen mentalen Schutz davor zu errichten, ging es mir wieder besser. Ich hatte hierfür eine undurchdringliche Maske aufgesetzt, bei der ich mir meine Gefühlsregungen nicht anmerken ließ.
Das war auch so etwas seltsames. Neuerdings konnte ich die Gefühle anderer aufnehmen... leider konnte ich es jedoch noch nicht wirklich kontrollieren. Am Ende des Abends war ich froh, endlich in ein – wenn auch hartes – Bett zu sinken und schlafen zu dürfen.

*****

Der gleichmäßige und routinierte Klinikalltag hatte mich bereits nach wenigen Tagen fest im Griff.
Geregeltes Aufstehen und regelmäßige Mahlzeiten gaben den Tagesablauf vor. Da hinein gebettet lagen die zu Beginn vereinbarten Therapiestunden: Einzelgespräche, Gruppentherapien, Basteln, Musizieren, aber auch sportliche Betätigungen wie Schwimmen, Nordic Walking, Spazieren gehen und Gymnastik.
Langeweile kam so gut wie keine auf. Und dennoch blieb jedem genügend Freizeit, um abschalten zu können, oder zu sich selber zu kommen. Ich genoss diese Zeit für mich allein, die ich manches mal mit Spazierengehen am Strand verbrachte.

Nur gut, dass ich nicht ganz allein war. Jemand hatte mir angeraten, für alle Fälle mein Notebook mitzunehmen. „Es könnte gut sein, dass Du Hilfe brauchst, die Dir niemand in der Klinik bieten kann. Dann scheue Dich bitte nicht, uns auch zu fragen.“
Schöne Worte, nur wen sollte ich fragen und wem vertrauen? Die Leute in den Foren waren mir alle noch fremd. Ich beschloss, diese Frage zurück zu stellen und später zu klären. Vielleicht renkte sich auch so alles wieder ein...

*****

(Fortsetzung folgt)
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« Antworten #3 am: 25.Mai.2018, 00:46:55 »

Kapitel 3 – Eine Massage wirkt Wunder...

Ein paar Tage später hatte ich meine erste Massage, wie in meinem Therapieplan stand. Bisher lief mein Behandlungsplan normal und ruhig ab. Die eine und andere Anwendung hatte ich ebenfalls schon hinter mir.

Ich war neugierig und gespannt, was passieren würde. Jeder Masseur hatte schließlich seinen eigenen Stil. Aber zunächst einmal wurde ich unter ein rotes Wärmelicht gelegt, um meine Muskeln zu lockern.
Ganz entspannt ließ ich mich mit meinen Gedanken von der Wärme treiben und genoss dieses angenehme, warme Gefühl auf meiner nackten Haut. Nach einiger Zeit – ich musste wohl eingenickt sein – kam der Masseur, Jens Mattens, dazu und drehte den Apparat mit dem Wärmelicht an seinen Platz zurück.

Er schien seine Arbeit gern zu machen. Ich spürte bei ihm eine erfrischende Lebensfreude und Zufriedenheit mit seiner Tätigkeit.
Ein Großteil der alleinstehenden Frauen in der Klinik schwärmten für den sportlichen, unverheirateten Masseur. Dies hörte man zumindest abends, wenn die Patientinnen noch bei einem Schlummertrunk zusammen saßen.

Jens Mattens hatte nicht nur Charme und Witz, er sah zudem auch noch verboten gut und sportlich aus, und er war Solo, soviel gemunkelt wurde. Sein Einfühlungsvermögen war von ganz außergewöhnlicher Art. Wenn er massierte, konnte man den Eindruck gewinnen, dass er nicht nur den Körper, sondern auch die Seele mit massierte.

Auch ich schwärmte heimlich für ihn, seit ich ihn bei einer Gemeinschaftsveranstaltung gesehen und persönlich erlebt hatte. Er hatte irgendetwas besonderes an sich, das mich wie magisch anzog.
Allerdings würde ich meine Schwärmerei niemals öffentlich zugeben, weil ich das sehr albern fand. Außerdem würden sich unsere Wege vermutlich schnell wieder trennen, sowie ich meine Reha beendet und die Klinik verlassen hatte.

*****

Der Physiotherapeut begann mir mit einem wohlriechenden, anregenden Massageöl professionell und umsichtig über den Rücken zu streichen. Zuerst massierte er die eine Seite, und dann auch ausgleichend meine andere Seite. Er schien genau zu spüren, wo er harte Verspannungen lösen musste oder einfach nur den Stress weg zu kneten brauchte.

Als er von oben über meine Schultern, den Nacken und meinen Rücken entlang massierte, spürte ich eine beginnende Veränderung in meiner Muskulatur.
Es war ein sehr angenehmes Gefühl und gleichzeitig auch etwas seltsam Vertrautes. Ich fühlte etwas wie Schuppen und wie Flügelansätze, die unter der Massage ganz weich und flexibel wurden. In diesem Moment dachte ich nicht weiter darüber nach, sondern genoss dieses lang vermisste Gefühl nur.

Da ich von Mattens keinen erstaunten Ausruf, oder gar Aufschrei hörte, ging ich davon aus, dass ich mir diese Gefühle in meiner Fantasie nur einbildete, und man aber äußerlich nichts erkennen konnte.
Ich ließ mich von meinen neuen Sinneseindrücken leiten und vertiefte mich in diesen außergewöhnlichen und irgendwie auch seltsam innigen Genuss.

Gerade hatte ich mir ausgiebig vorgestellt, wie Mattens wohl reagieren würde, wenn er plötzlich tatsächlich meine Flügelansätze massieren würde, als ich in dem Moment sein erstauntes Aufatmen bemerkte. Ich spürte die starke Veränderung auf meinem Rücken, genauer zwischen meinen Schulterblättern nun ebenfalls sehr intensiv und real. „Wie kommt das?! - Was passiert da gerade?! - Wie kann das sein?! - Das gibt’s doch gar nicht!“ hörte ich einen etwas ratlosen, jungen Physiotherapeuten fassungslos vor sich hin murmeln.

Ich richtete mich etwas auf und griff mit einer Hand bekümmert nach hinten. 'Tatsächlich, wie in meinem Traum!' Die Ansätze von Flügeln waren deutlich zu fühlen. 'Meinen Flügeln!'
Plötzlich wollte ich nur noch aufwachen! Es musste einfach ein Traum sein! Dieser Alptraum konnte unmöglich real sein! So etwas Verrücktes durfte einfach nicht Real passieren! Aber ich wachte nicht auf! Ich war bereits hellwach!

Mit dieser Konfrontation ebenfalls total überfordert, brach ich zunächst in Panik und dann in Tränen aus. Mir lief es gleichzeitig heiß und kalt den Rücken hinunter.
Ich hatte Angst und verspürte im gleichen Atemzug wilde Panik. So konnte ich mich doch unmöglich noch irgendwo sehen lassen. 'Ich bin ein Freak! Hilfe! Wie konnte das passieren?' Ich hoffte immer noch, dass ich gleich aus meinem Alptraum aufwachte. Dann würde ich darüber vielleicht sogar schmunzeln können.
Aber nichts dergleichen geschah! Ich war hellwach! Und dies war nun Teil meiner Realität! Eine neue Realität, mit der ich noch in keiner Weise zurecht kommen wollte. 'Warum musste so etwas ausgerechnet mir passieren? Hatte ich nicht schon genug andere Probleme?!'

Der junge Therapeut fasste sich als erster wieder und schlang mir geistesgegenwärtig ein Laken um die Schultern, so als wären die Flügel aus Papier oder gar nicht vorhanden. Dann meinte er: „Frau Reimor, kommen Sie bitte mit mir mit. Sie können mir vertrauen! Hier im fast offenen Bereich können wir leider unmöglich bleiben!“
Da ich eh keine andere Wahl hatte, ohne noch mehr Aufsehen zu erregen, ging ich brav mit ihm mit zu einer Einzelkabine. Meine Kleider und Schuhe hatte ich automatisch aufgehoben und unter meinen Arm geklemmt.

Der Masseur verließ mich mit den Worten: „Bitte warten Sie hier, Frau Reimor. Ich komme sofort zurück.“ '... ob er wirklich wieder kommen würde?' Ich setzte mich etwas verloren auf den Wannenrand des Bades, in das er mich gebracht hatte. Ich war unschlüssig, was ich jetzt tun sollte. Ich konnte noch keinen klaren Gedanken fassen. Die Panik und die Angst hatten mich noch immer fest im Griff.
Doch schon ein paar Augenblicke später kam er zurück. Er ließ warmes Wasser sowie einen entspannenden Duft in die Wanne und meinte fürsorglich: „Setzen Sie sich erst einmal hier hinein, und versuchen Sie sich zu entspannen. Ich habe dafür gesorgt, dass Sie hier für die nächste Stunde ungestört sind. Leider habe ich auch noch andere Patienten. Ich würde mich allerdings später gerne noch mit Ihnen unterhalten, Frau Reimor. Laufen Sie mir bitte nicht weg!“

Obwohl ich für den Masseur, Jens Mattens, zwar schwärmte, ihn aber kaum kannte, so hatte ich dennoch kein schlechtes Gefühl bei ihm. Was ich allerdings ein paar Minuten später hörte, als ich bereits im wohltuenden, warmen Badewasser lag, ließ mich wieder hellhörig werden. Ich hörte Mattens mit jemandem telefonieren.
Eigentlich war das völlig unmöglich, da die Tür zum Bad geschlossen war, und trotzdem... Ich hörte jedes seiner Worte, von seinem Gesprächspartner jedoch gar nichts. „Ihr müsst unbedingt sofort herkommen ... eine Sensation! ... Das würdest du mir niemals glauben ... Nicht am Telefon! ... Vertrau mir! ... es gibt sie wirklich. ...“

Hastig setzte ich mich in der Wanne auf und verarbeitete erst einmal diesen weiteren Schrecken und diese Enttäuschung. Erneute Panik stieg wie ein schleichendes Gift in mir auf. 'Ich hatte mich auf ihn verlassen! Er hatte so einen offenen Charakter gezeigt. Und er hatte doch auch versprochen, dass alles, was in diesem Raum passiert war, auch dort bleiben würde!' Ich bemerkte kaum, wie mir vor Enttäuschung und Mutlosigkeit die Tränen über meine Wangen liefen.
Ich hatte genug gehört! Ich wollte nur noch möglichst schnell und weit weg. So unsagbar enttäuscht war ich von ihm! Aber auch von mir selbst! Wie hatte ich nur so jemandem schon wieder einmal vertrauen können!
Meine Brust schmerzte bei dem Gedanken heftig. Ich war verwirrt, enttäuscht und traurig, aber auch wütend und fast schon entsetzt. Und ein beunruhigendes Kopfkino spielte sich vor meinem inneren Auge ab.
Ich sah mich bereits als Freak und Medienereignis hinter Gittern oder angeleint sitzend und wurde sensationsgierig in aller Welt herumgezeigt.

Rasch stieg ich aus dem Wasser. Ich zog mich hastig an und verließ leise und unbemerkt das Bad durch einen Nebenausgang. Ich wollte so schnell wie möglich weg von hier. In meiner panischen Verzweiflung bemerkte ich nicht einmal, dass mir alles wieder ganz normal passte.
Ich war blind vor Panik und achtete nicht darauf, wohin ich lief. Ganz automatisch hatten mich meine Schritte jedoch über unzählige Gänge und Stockwerke zurück auf mein beschützendes Zimmer geführt. Bis ich allerdings in meinem Zimmer war, hatte ich so viele wilde Spekulationen durchlebt, dass ich automatisch die Tür hinter mir zudrückte. Mechanisch drehte ich den Schlüssel solange, bis er nicht mehr nachgab.
Erst als ich hinter mir zweimal abgeschlossen hatte, erlaubte ich mir tief durchzuatmen. Nun ließ ich mich, noch im Eingangsbereich meines Zimmers, entkräftet auf den Boden gleiten, um hemmungslos zu weinen.
Mit der Ruhe kam auch die Ernüchterung und die Tatsache, dass ich an meinen Schulterblättern nichts auffälliges mehr spürte, obwohl ich mit dem Rücken gegen die Wand an der Tür lehnte.

Das Telefon in meinem Zimmer klingelte plötzlich schrill und schreckte mich aus meinen Gedanken. Ich ließ es läuten, denn eigentlich konnte niemand wissen, dass ich hier war. „Nein, das ist so nicht richtig,“ korrigierte ich mich laut. Und schon wieder durchfuhr ein stechender Schmerz meine Brust. „Jens Mattens! Er ist der einzige, der mich hier eventuell suchen würde.“
Sollte ich ran gehen? Mein Verstand schrie: NEIN! Doch mein Herz reagierte, indem ich mich unbewusst an der Wand hochzog. Wie mechanisch schritt ich zum Telefon am anderen Ende des Zimmers. Ich nahm automatisch den Hörer ab und meldete mich mit rauer Stimme: „Ja, bitte?“
Diese Stimme am anderen Ende hätte ich unter Tausenden heraus gehört und wieder erkannt. Jens Mattens meldete sich besorgt ohne seinen Namen extra zu nennen: „Frau Reimor? Steffi... ist alles in Ordnung? Ich muss dringend...“
Es tat so weh verraten worden zu sein. Mein Verstand gewann wieder die Oberhand, und ich legte deprimiert auf, noch bevor er seinen Satz beenden konnte.

Nun doch etwas neugierig und gleichzeitig in großer Unruhe, ging ich zur Garderobe in meinem Zimmer, wo ein großer Spiegel angebracht war. Ich drehte mich mehrmals besorgt und noch ziemlich angespannt hin und her. Mein Spiegelbild sollte mir bestätigen, dass sich in meinem Rücken nichts befand.
Tatsächlich, nichts! Es war rein gar nichts mehr zu sehen! Hatte ich mir etwa alles nur eingebildet? Meine Gedanken überschlugen sich förmlich. 'War überhaupt nichts davon geschehen? Spielten mir meine Nerven nach all der Zeit einen üblen Streich? Oder war ich jetzt etwa wirklich verrückt geworden? Was sollte ich tun? Wie sollte ich mich verhalten?'
Was würde Mattens sagen, wenn ich ihm das nächste Mal begegnete? Ich wollte am Liebsten sofort im Boden versinken. Andererseits hatte er gerade bei mir angerufen. Also musste doch etwas vorgefallen sein. Ob er tatsächlich nur besorgt gewesen war?
Ernüchterung machte sich langsam in mir breit. Vorerst beschloss ich, mich weiterhin möglichst normal zu verhalten. Das mit dem Masseur würde sich dann schon irgendwie ergeben, so hoffte ich inständig.

Meine eigene Konditionierung, keine Gefühle nach außen zu zeigen, drang schlagartig durch und erlaubte mir wieder rational zu denken. Bis zum Abend hatte ich noch etwas Zeit, die ich sinnvoll nutzen wollte.
Meine restlichen Termine für heute ließ ich deshalb bei meiner Therapeutin und Reha-Betreuerin wegen Unpässlichkeit streichen. Ich versprach ihr dafür, dass ich eine Weile an die frische Luft gehen würde.

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« Antworten #4 am: 26.Mai.2018, 23:35:26 »

Kapitel 4 – Argus und seine Freunde

Wenig später ging ich bei dem schönen, sonnigen Herbstwetter ins Freie und suchte mir ein ruhiges Plätzchen am Strand, ein Stück entfernt von der Klinik. Dann packte ich mein Notebook vorsichtig aus meinem Rucksack aus. Ich achtete darauf, dass es keinen Sand ab bekam und stellte eine Verbindung ins Internet her.

Jetzt, nachdem ich meinen Ärger und Frust weggelaufen hatte, sah für mich alles plötzlich nicht mehr so fürchterlich düster aus. Realistisch betrachtet hatte Herr Mattens am Telefon über alles mögliche reden können. 'Was, wenn es gar nicht mich betroffen hatte?
Hatte ich ihm am Ende Unrecht getan? Seine Stimme am Telefon hatte so besorgt und zugleich fürsorglich geklungen. Und... er hatte etwas tief in mir persönlich berührt. Aber jetzt war es bestimmt zu spät für eine direkte Entschuldigung. Was würde geschehen, wenn ich ihm wieder begegnen würde?'

Ich wollte mehr über das wissen, was mir während der Massage passiert war. Aufmerksam las ich die Seiten im Internet durch, wo ich mich bereits angemeldet hatte. Beitrag für Beitrag. Vieles machte mich noch neugieriger, aber auf mein eigenes Problem hatte ich noch immer keine Antwort gefunden.
In meiner kargen Chatliste war auch niemand online, den ich vertrauensvoll hätte fragen können. Also beschloss ich, einen auf meine Situation zugeschnittenen Beitrag in einem der Foren zu schreiben und mein Problem so genau und offen wie möglich zu schildern, ohne jedoch Namen oder Orte zu nennen.

Kaum hatte ich meinen Beitrag frei gegeben, bekam ich auch sogleich Antwort. Jemand mit dem Namen „Argus“ hatte alles gelesen und versuchte mir hilfreiche Tipps zu geben. Doch er meinte gleich, um besser helfen zu können, sollte ich mein Problem genauer umschreiben. „Wenn Du willst, Albino, kannst Du mich auch direkt und schneller über einen Chat kontaktieren,“ antwortete er mir noch zusätzlich als private Nachricht.

Er erschien mir auf den ersten Eindruck hin ehrlich genug, so dass ich einen Versuch wagen wollte. Blockieren konnte ich ihn ja immer noch. Ich gab ihm meine Kontaktdaten und wenig später unterhielt ich mich mit Argus im Privatchat über das Vorgefallene.
Ich hatte wiederum ein gutes Gefühl, dass ich ihm soweit vertrauen konnte. Aus diesem Grund schrieb ich mir alles, was vorhin vorgefallen war, von der Seele. Schließlich lag es an ihm, was er mir glauben wollte und was nicht. Außerdem konnte ich den Kontakt ja jederzeit abbrechen und blockieren.
Ich stutzte zwar einen Moment als ich den Vornamen „Jens“ in seinem Profil las, aber dann tat ich es als einen Zufall ab.

Seine Fragen erinnerten mich dennoch irgendwie an den Therapeuten Mattens, aber das war vielleicht auch meine derzeit hochsensible Wahrnehmung, die mir da einen Streich spielen wollte.
Er schrieb: „Du kannst mich jederzeit anschreiben. Ich habe gerade irgendwo im Norden einen Ferienjob. Und deshalb bin ich meistens online.“ Aber ich antwortete ihm lachend: „Bleib du nur mal schön da, wo du bist, Argus. Ich melde mich schon, wenn wieder etwas ist. xD“ Ganz so nah wollte ich jetzt doch noch niemanden an mich heran lassen.

Wesentlich ruhiger, und erleichtert jemanden zu haben, dem ich einiges anvertrauen konnte, ging ich zurück zum Abendessen in die Klinik. Ich fühlte mich sogar wieder so gut, dass ich gleich den vorgeschlagenen Ausflug für übernächsten Sonntag buchte:

  E i n e   g e f ü h r t e   W a n d e r u n g   d u r c h s   W a t t .
 
Ich war guter Dinge und unternehmungslustig genug, dass ich mir Bilder ausmalte, wie es im Watt wohl sein würde. Neugierig genug suchte ich mir ein paar Beiträge aus dem Internet, damit ich nicht ganz unvorbereitet hin ging.

*****

Doch zuvor hatte ich einen weiteren Massagetermin. Etwas mulmig war mir schon zumute. Was würde Mattens wohl sagen? Meine Angst war jedoch unbegründet. Der junge Physiotherapeut war nicht da.

Nach meiner Massage, die eine Kollegin von ihm übernommen hatte, wollte ich dann doch neugierig wissen, weshalb er nicht hier war. 'Hatte es mit mir zu tun?' Vorsichtig fragte ich an: „Ich vermisse heute Herrn Mattens. Ist er... krank?“ „Nein, er musste nur überraschend ein paar Tage weg.“
'Wie dumm von mir. Und ich dachte schon, dass seine Abwesenheit mit mir zu tun gehabt hätte.' Ich ließ mir meine Gedanken nicht anmerken und meinte nur „Vielen Dank. Bis zum nächsten Mal.“
Damit verabschiedete ich mich etwas zerknirscht und ging zu meiner nächsten Anwendung, die sich im Sportbereich befand.

*****

Das Wochenende war ja nicht mehr weit, da konnte ich dann getrost ausspannen. Meine freie Zeit bis dahin verbrachte ich meistens im Freien. Ich beobachtete die geschäftigen Menschen um mich herum und verglich sie mit den lärmenden und durch die Luft gleitenden Möwen.
Eine heimliche Sehnsucht packte mich, während ich dem unbeschwerten Flug der Vögel zusah. Und das Kribbeln auf meinem Rücken wurde dabei auch wieder stärker als sonst. Aber trotzdem blieb es wiederum nur beim Kribbeln. Ich empfand es dieses Mal eher als angenehm, und kein bisschen lästig, unheimlich oder gar beängstigend.

Den Rest meiner freien Zeit verbrachte ich immer öfter mit Argus gemeinsam im Internet. Je mehr Zeit ich uns widmete, desto vertrauter erschien er mir. Er stellte mir noch ein paar seiner Freunde vor, da er meinte: „...es könnte ja sein, dass ich nicht immer hier bin, wenn Du mich brauchst.“
So lernte ich „Phönix“ und „Eagle“ näher kennen. Einer der drei schien immer präsent zu sein, und meist schalteten wir die anderen dann zu einem meist fröhlichen und ausgelassenen Gruppenchat dazu.

Ich lernte von ihnen mehr, als ich in der kurzen Zeit je hätte lesen können. Außerdem erkannte ich, dass ich Mattens ziemlich unrecht getan hatte. Je öfter ich mir die Situation noch einmal durch den Kopf gehen ließ, desto klarer wurde mir, dass das Telefonat objektiv betrachtet ganz unverfänglich geklungen hatte.
Er hätte genauso über eine seltene Fischart oder sonst etwas anderes sprechen können. Wenn ich ihn doch wenigstens irgendwie erreichen könnte, um mich zu entschuldigen. Das schlechte Gewissen nagte bei diesem Gedanken ständig an mir.

Ich erzählte den dreien vom geplanten Ausflug ins Watt. Aber wo genau an der Nordsee ich mich aufhielt, das traute ich mich immer noch nicht zu sagen. Sie wünschten mir jedenfalls viel Spaß dabei und meinten halb lachend: „Sei aber schön vorsichtig^^ sonst bleibst du noch mitten im Watt stecken^^ ... und die Wattwürmer holen dich xD“ Das versprach ich gern und lachte mit.

*****

Zuvor verging jedoch wieder eine Woche, in der ich mich zusehends erholen konnte. Die Auszeit und die Reha taten mir gut. Auch die Ortsveränderung und die frische Meeresbrise ließen mich neue Kraft tanken. Doch am meisten genoss ich das Schreiben im Chat mit den drei netten Jungs. Dass es Jungs waren, darin war ich mir sicher.
Es war die Art, wie sie miteinander umgingen und wie sie die meisten Dinge sahen. Außerdem stand bei allen dreien ein Vorname im Profil: Argus war Jens, Phönix hieß Kevin und Mark nannte sich Eagle.

Dass ich Steffi hieß, konnten die drei ebenfalls in meinem Profil lesen. Aber mit meinem selbstgewählten Namen Albino konnten sie sich nicht so recht anfreunden. „Als Dein Pseudonym muss Dir noch ein anderer Name einfallen. Der Name Albino mag ja für den Anfang vielleicht gepasst haben, aber lass Dir ja nicht einreden, dass du abartig oder gar ein Freak wärst, Steffi! Solange Dir kein anderer Name einfällt, nennen wir Dich einfach Steffi. Ist das für Dich in Ordnung?“
Ich konnte schlecht etwas dagegen sagen. Die drei wären im Stande gewesen mich „Hey, Du da!“ oder gar „Kleine!“ zu rufen, oder würden vielleicht noch schlimmere Namen erfinden. Deshalb lenkte ich entmutigt ein: „Klar, so heiße ich schließlich auch. Wie könnte ich etwas gegen meinen eigenen Namen haben?“ lachte ich herausfordernd. Worauf die drei fast zeitgleich in den Chat schrieben: „Touché!“

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« Antworten #5 am: 26.Mai.2018, 23:41:48 »

Kapitel 5 – Ein Badeunfall?

Es war Freitagnachmittag, und ich hatte wieder einmal mein Notebook auf einer Bank am Strand ausgepackt. Die Situation bei der Massage, als ich meinte Flügel gespürt zu haben, beschäftigte mich mehr als ich mir selber eingestehen wollte.
Im gemeinsamen Chat fand ich heute allerdings nur Phönix. „Eagle hast du ganz knapp verpasst, Steffi. Und Argus ist auch noch unterwegs. Wie geht es Dir? Du bist heute früher dran als sonst.“ Irgendwie klang sogar die Schreibweise von Phönix besorgt.
„Ich brauchte gerade etwas Freiraum, daher habe ich die freiwillige Freitagnachmittagsveranstaltung kurzerhand sausen lassen... ich glaube, ich habe anfangs der Woche etwas sehr dummes angestellt...“
„Wenn Du darüber reden willst, ich hab immer ein offenes Ohr für Dich, Steffi.“ „Ich weiß nicht, ob Du mir da helfen kannst, Phönix. Ich kann es noch nicht einmal selber verstehen.“ „Jetzt beruhige Dich erst einmal. Und dann erzähl der Reihe nach. Ich verspreche Dir nicht zu lachen. Wenn Du meine Geschichte hören würdest, würdest Du auch denken, ich sei verrückt, glaub mir.“

So ermutigt begann ich mein Erlebnis bei der Massage zu erzählen. Ich brauchte jemand, dem ich dies alles anvertrauen konnte. Und bei Phönix sagte mir mein Gefühl, dass er mich verstehen würde. Dass ich dabei im Gruppenchat schrieb, war mir in meiner Verwirrung gar nicht aufgefallen, und Phönix hatte seine Gründe, warum er mich nicht in einen Einzelchat bat.
Phönix schrieb immer wieder nur kurze Sätze, wie als aktiver Zuhörer. Dies ermutigte mich, ihm alles offen zu schildern. Auch, dass es mir inzwischen leid tat, dass ich Jens Unrecht getan hatte.
Ich war in Gedanken wieder da, wo ich den Hörer einfach aufgelegt hatte. Einzelne Tränen liefen mir über das Gesicht. Hoch oben in der Luft zog ein Adler seine Bahn. Mir war für einen Moment, als würde er nach etwas bestimmtem Ausschau halten. Phönix schrieb mir ein paar tröstende Worte. Es war genau das, was ich jetzt gerade brauchte. Gerade so als ob er mich direkt sehen könnte.

Träumend sah ich auf die Nordsee, die mit gierigen Wellen die rauschende Flut zurück brachte. Die Sonne war hinter dicken, regenschwangeren Wolken verschwunden und der Herbstwind frischte langsam auf.
Wenn doch manchmal alles so einfach wäre wie die Fantasie.

Ein paar Meter entfernt im Wasser, fuchtelte jemand wild gestikulierend um sich und versuchte gegen den Wind und die Wellen laut rufend auf sich aufmerksam zu machen. Es war ein Mann, und er war halb gebückt. 'Wusste er denn nicht wie gefährlich die Strömung bei Flut war?' Im selben Moment jedoch drang sein Hilferuf bis zu mir durch, und ich nahm erschrocken wahr, dass er zudem noch bekleidet war.
Er schwebte in akuter Lebensgefahr und brauchte dringend Hilfe. Selber Hilfe suchend blickte ich mich um. Aber außer ein paar Teenies und einer jungen Familie weiter weg, befand sich niemand in Sicht- oder Rufweite.
Ich griff zu meinem Handy und wählte sofort den Notruf an. In den Chat mit Phönix schrieb ich ein eiliges „sry, muss dringend afk“. Ich klappte dann eilig mein Notebook zu und steckte es in meinen Rucksack, den ich sorgsam verschloss.
Gleichzeitig winkte ich die Teenies zu mir her, wovon sich zwei Mädchen kurz zögernd, jedoch bereitwillig aus der Gruppe lösten und auf mich zukamen.

Ich hatte Glück, dass es hier überhaupt ein Funknetz gab. Während ich auf einen freien Platz bei der Notrufzentrale wartete, deutete ich alarmierend zu dem hilflosen Mann im stetig steigenden Wasser. Die Mädchen sahen mich nur ratlos an.
In dem Moment meldete sich jedoch der Notruf, und ich erklärte die Situation so, dass sowohl die Dame beim Notruf, wie auch die beiden Teenies sofort verstanden, was ich jeweils wollte: „Hallo? Mein Name ist Steffi Reimor. Ich stehe hier am Strand, kann allerdings den Ort nicht genau benennen. Irgendwo um Friedrichskoog sind wir. Aber ich habe hier zwei nette Teenager, die vielleicht gleich mehr dazu sagen können.
Im Wasser braucht ein Mann dringend Hilfe. Seit etwa fünf Minuten hat er sich nicht mehr von der Stelle bewegt und fuchtelt wild mit den Armen. Die Flut steigt heute extrem schnell. Ich bin in meinem Heimatort ausgebildete Rettungsschwimmerin. Mein Handy gebe ich jetzt den beiden Mädchen neben mir für weitere Fragen.“

Noch bevor die nette Dame beim Notruf auf meine Ansage reagieren konnte, hatte ich mein Handy bereits den Mädchen übergeben. Die Beiden hatten aufmerksam zugehört und immer wieder hilfsbereit genickt. Sie wussten um die Gefahr von Ebbe und Flut, aber keine von beiden war kräftig genug, oder so durchtrainiert wie ich.
„Hier gebe ich euch mein Handy zu treuen Händen. Und weil ich weiß, dass ich mich auf euch beide verlassen kann, sind hier auch mein Rucksack und meine Kleider um darauf aufzupassen. Würdet ihr das bitte für mich tun?“
Eine Antwort wartete ich auch hier gar nicht erst ab, weil ich es sehr eilig hatte dem Mann zu helfen. Aus meiner Trainererfahrung heraus wusste ich, wenn jemand bereits schon zwei- oder dreimal Ja gesagt hatte, dann fiel ihm ein Nein bedeutend schwerer.

Unter meinen Kleidern hatte ich bereits meinen Bikini an, denn eigentlich hatte ich heute Mittag noch etwas im Klinik eigenen Schwimmbad schwimmen gehen wollen. Meine Schuhe und Strümpfe ließ ich ebenfalls zurück. Dafür holte ich mir geistesgegenwärtig eine aufblasbare Schwimm- oder Wassernudel aus meinem Rucksack und blies sie auf dem Weg zum Wasser eilig auf.
Dieses Hilfs- und Rettungsmittel war immer noch besser als gar keines. Mit gleichmäßigen Schwimmbewegungen kam ich gut vorwärts, wobei ich mit einer Hand die lange Wassernudel hinter mir herzog. Bei jeder Welle tauchte ich ab und nützte so die Gegenströmung zur Flut unter Wasser um vorwärts zu kommen. Der Mann wartete scheinbar gefasst, aber ich konnte dennoch bereits die flackernde Panik in seinen Augen erkennen.

Die Flut stieg scheinbar immer schneller. Noch ein paar Meter, dann war ich bei ihm. „Hilfe ist bereits unterwegs. Mein Name ist Steffi. Und wie heißen Sie?“ Ich versuchte eine Vertrauensbasis zu schaffen, damit sich der Mann in der Flut nicht so verloren vorkam und neue Hoffnung schöpfen konnte.
Gleichzeitig legte ich ihm die Schwimmnudel um die Brust, die er dankbar und eisern wie ein Rettungsring festhielt. Sie gab ihm etwas sicheren Halt zurück. „Heiner. Ich heiße Heiner Maasgold.“ Er deutete schmerzverzerrt nach unten: „Mein Fuß ist zwischen den Steinen eingeklemmt. Ich wollte doch nur meine beiden Kinder vom Watt zurück auf den Deich holen. Dabei bin ich beim Zurücklaufen abgerutscht und zwischen den nassen Steinen hängen geblieben. Und jetzt komme nicht mehr allein da raus!“
Die letzten Worte rief er schon in Panik. Ich hielt ihn beruhigend fest: „Ich werde jetzt nach unten tauchen und versuchen Sie zu befreien. Die Rettungskräfte sind verständigt und bereits unterwegs. Halten Sie solange durch?!“
Es war mehr eine rhetorische Frage, aber der Mann war dadurch ruhiger geworden und nickte gefasst. Er war ja so froh, dass ihm endlich geholfen wurde, wenn er auch noch nicht wusste, wie ich ihm ohne professionelle Ausrüstung helfen konnte.

Während ich nach unten tauchte um nach seinem eingeklemmten Fuß zu sehen, hatte ich mich zuvor so vor ihn gestellt, dass mich die Flut nicht wegreißen konnte. Zwischen den Felsen zu laufen war bei Ebbe schon sehr gefährlich, aber fast barfuß und bei einsetzender Flut, das grenzte schon an bodenlosem Leichtsinn.
Seine Ferse hatte sich in dem Spalt so verklemmt, dass der Mann den Fuß weder vor noch zurück bewegen konnte. Durch die Verletzung war der Fuß zudem bereits dick geschwollen, trotz des kalten Wassers.
Ich prüfte den Untergrund und welche Steine sich bewegen ließen. Und ich hatte sogar Glück dabei. Zwei Steine waren so verkeilt, dass sich der Fuß aus seiner Falle löste, sowie die Steine miteinander nachgegeben hatten. Rasch tauchte ich wieder auf zu dem Unfallopfer. Auch mein Luftvorrat war schließlich nur begrenzt.

Aus seiner Zwangslage befreit, fiel der Mann sogleich in eine erlösende Bewusstlosigkeit als er sich etwas entspannte. Die Wassernudel hielt ihn über Wasser und schaukelte ihn in der Flut heftig hin und her. Eilig griff ich nach ihm und zog ihn hinter mir her in Richtung Strand, wo ich inzwischen ein paar Rettungskräfte ausmachen konnte.
Nun nützte ich erneut jede Flutwelle schwimmend aus, und ließ uns zusätzlich oben auf den Wellen zum Ufer treiben. Die letzten Meter packten die Sanitäter kräftig mit an und zerrten uns gemeinsam an den Strand zurück.

Obwohl der Nachmittag herbstlich sonnig begonnen hatte, zog mittlerweile eine Kaltwetterfront auf. In meinen nassen Sachen wurde es durch den zunehmenden Wind empfindlich kalt und ließ mich heftig frösteln.
Einer der Retter wickelte mich sofort in zwei warme Decken ein. Der gerettete Mann, Heiner Maasgold, wurde von einem anderen Sanitäterteam ebenfalls sofort in Wärme gepackt und ärztlich versorgt.
„Warum sind eigentlich gleich zwei Rettungseinheiten anwesend?“ fragte ich überrascht. Der junge Sanitäter erklärte hilfsbereit meine Anfrage: „Ihr Notruf kam ein paar Minuten nach einem ersten Notruf herein. Da die andere Person den Unfallort nicht genau benennen konnte, schickte man das Team auf Verdacht los. Wir wussten bis dahin ja nicht, ob es sich um einen oder gar um zwei Badeunfälle handelte.
Unterwegs haben sie dann mehr zufällig die Familie dieses Mannes auf gegabelt, die das Rettungsteam ab dann sicher lotsen konnten. Ihr Notruf war durch die vielen Angaben, das GPS, und weil die Verbindung bestehen blieb, viel präziser.
Aber im Normalfall hätte Ihnen niemand diese Rettungsaktion erlaubt,“ rügte er mich vorwurfsvoll. „Wobei wir beim Zusehen zugeben mussten, wie umsichtig sie waren, und dass der Familienvater womöglich nicht überlebt hätte, wenn Sie nicht die Eigeninitiative ergriffen hätten. Danke nochmal, auch von unserer Seite.“

In der Zwischenzeit waren auch die Mädchen mit all meinen Sachen zum zweiten Rettungswagen gekommen. Ich fragte vor Kälte zitternd: „Ist es möglich, dass ich mich im Wagen rasch umziehen kann?“
Der Sanitäter nickte, half mir in den Wagen und machte hinter sich zu. Verwegen erklärte er: „Jetzt, wo Sie schon einmal hier drin sind, würde ich auch gerne einen schnellen Blick auf ihre Gesundheit werfen, Frau...“ „Reimor, Steffi Reimor ist mein Name,“ erklärte ich zuvorkommend.
Mir war das etwas unangenehm. „Eigentlich sollte ich längst wieder zurück in der Klinik sein,“ erwiderte ich ausweichend. Der Rettungssanitäter hielt kurz inne, prüfte dann trotzdem Puls und Blutdruck bei mir und notierte sich die Klinik, in der ich mich zur Zeit aufhielt, nachdem ich oberflächlich mitgeteilt hatte, weswegen ich Erholung brauchte.
„Dann erholen Sie sich noch gut, Frau Reimor,“ verabschiedete er sich. „Wenn noch etwas sein sollte, fragen Sie auf der Rettungsleitstelle einfach nach Malte. Malte, dem Fisch.“

Neugierig setzte ich nach: „Malte, der Fisch? Sind Sie das? Und warum ausgerechnet Fisch?“ Malte entgegnete lachend: „Weil ich sonst derjenige bin, der die Leute aus der Nordsee fischt. Dass Sie sich spontan in die kalte Flut gestürzt haben, verdient meine ganze Hochachtung.“ Ich wollte erneut abwinken, sah jedoch ein, dass ich dadurch nichts erreichen würde, und schmunzelte deshalb nur.

Als ich die Tür des Rettungswagens aufmachen wollte, erkannte ich gerade noch rechtzeitig, dass sich inzwischen auch die örtliche Presse wissbegierig eingefunden hatte. Schnell schloss ich die Tür wieder und blickte Malte einschmeichelnd an: „Hab ich noch etwas gut bei Ihnen, Malte, weil ich für Sie ins Wasser geeilt bin?“
Der junge Mann blickte mich fragend an, daher klärte ich die Lage auf: „Draußen habe ich die Reporter mit ihren Kameras gesehen. Mit meiner Erholung wäre es natürlich vorbei, sowie die Bilder von mir ihre Runde machen würden.“ Malte griff meinen Gedanken sofort auf und ergänzte: „Ich verstehe. Wir brauchen jemanden als Retter, und Sie brauchen ein Versteck. Oder noch besser, ein Transportmittel zurück zur Klinik, stimmt's?“ Ich nickte bestätigend: „Das wäre super, wenn Sie das für mich hinbekommen würden.“

Malte schien mich zu verstehen und organisierte sogleich den Knüller für die Presse. Die beiden hilfsbereiten Mädchen konnte er sofort als zusätzliche Heldinnen gewinnen, womit die Presse zufrieden war. Anschließend informierte er den Fahrer des Rettungswagens über die Adresse der Klinik.
Auf der Fahrt dorthin unterhielten wir uns noch etwas über die Klinik, die Gegend und die Leute. Obwohl die Gegend hier ziemlich abgeschieden war, begegnete ich fast überall nur herzlichen und aufgeschlossenen Einheimischen. Das einzige, das ich hier wirklich vermisste, das waren die Berge aus Süddeutschland. Der Blick über das Land wollte gar nicht enden, weil kein größerer Hügel die Sicht versperrte.

Nachdem wir bei der Klinik angekommen waren, bedauerten wir beide, dass die Fahrt so rasch zu Ende gegangen war. Malte fragte hoffnungsvoll: „Werden wir uns wiedersehen? Vielleicht einmal bei einer Tasse Tee oder bei einem Einkaufsbummel?“
Der hoffnungsvollen Frage konnte ich entnehmen, dass es Malte ernst meinte. Er schien mich zu mögen. Mir selber ging dies allerdings viel zu schnell. Ich wollte das lieber dem Zufall überlassen. Ich brauchte noch meinen Abstand und Freiraum.
„Wer weiß das schon. Wenn das Schicksal es will, dann werden wir uns wiedersehen,“ orakelte ich ohne zu wissen, was ich damit eigentlich andeuten wollte.

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« Antworten #6 am: 27.Mai.2018, 15:40:45 »

Kapitel 6 – Wattwanderung

Der Sonntag kam und mit ihm die Wattwanderung, von der ich den Jungs erzählt hatte. Ich gesellte mich zu der Watt-Wandergruppe und begrüßte auch einige dabei, die mit mir zusammen im selben Haus kurten.
Wir wurden noch einmal auf die Risiken und Gefahren hingewiesen, die es im Watt gab, und kontrollierten den festen Sitz unserer Stiefel. Erst nachdem alle soweit angezogen waren, gingen wir los.

Unterwegs lachten und scherzten wir immer wieder miteinander. Und besonders dann, wenn wieder eine von uns im weichen Schlick besonders tief eingesunken war und mit dem Fuß, selbst ohne Stiefel, fast nicht mehr heraus kam.
Das Wetter war herrlich mild und sonnig an diesem Tag. Im Gegensatz zu den anderen Tagen, an denen der Wind ständig stark geweht hatte. Allerdings brachte der Wetterbericht unbeständig und wieder kälter.

Dem jungen Nationalpark-Ranger, Olf Tidken, hörten wir aufmerksam zu, wenn er uns etwas über das Watt und die Nordsee erzählte oder zeigte. „Wir laufen hier im Watt direkt auf dem Meeresboden. Durch den Wechsel der Gezeiten von Ebbe und Flut ist es uns möglich, dieses Naturschauspiel fast hautnah zu bewundern und zu spüren.“
Eigens für eine Demonstration hatte Herr Tidken extra einen Spaten mitgebracht. Damit konnte er ein Stück des Meeresbodens ausheben und die Lebewesen darin besser zeigen. Wir beobachteten die Wattwürmer, wie sie sich ihren Weg durch den Schlamm nach oben wühlten. „Würden die Würmer im Wattboden bleiben, würden sie qualvoll ertrinken, sobald die gegrabenen Gänge mit Wasser voll laufen.“

Zwischendurch untersuchten wir Muscheln und Krabben, die es nicht zurück ins tiefe Meer oder zwischen den Schlick geschafft hatten. Als weiteres Highlight im Watt zeigte uns unser Wattführer die Flohkrebse:
„Manchmal werden sie auch springende Regenwürmer des Wattenmeeres genannt. Sie sind etwa 1 cm groß und können aber bis zu 30 cm weit springen. Wie ein Regenwurm durchwühlen sie den Meeresboden und lockern ihn dabei auf.“

Ebenso war es interessant zu sehen, wie tief die Rinnen im Watt waren, wo später das Wasser wieder zurück kommen würde, wenn die Flut einsetzte. „Diese Rinnen, die sich durch das Watt ziehen, nennt man Priele,“ erklärte Herr Tidken lehrreich.
„Und an verschiedenen Stellen im Watt gibt es hohe Eisentürme für jene, die den Weg zurück an Land nicht mehr rechtzeitig schaffen konnten. Dort sind am oberen Ende der Stange kleine Eisenplattformen angebracht worden, auf denen man die nächste Ebbe abwarten kann. Oder von wo man auf Hilfe mit einem Boot hoffen kann.“

Gegen Ende der Führung mahnte uns Tidken zur Eile. Mit einem kaum wahrnehmbaren, besorgten Blick zum Himmel zählte er uns noch einmal auf, wie wir uns verhalten mussten, sollte uns einmal die Flut überraschen. „Halten sie sich immer quer zu den Prielen und überqueren sie diese so schnell wie möglich, wenn sie merken, dass sie sich in der Zeit vertan haben. Die Priele laufen bei Flut als erstes voll und müssen unter allen Umständen überwunden werden!
Die Gezeitentabellen hängen an vielen öffentlichen Stellen aus, wie zum Beispiel der Gemeindeverwaltung, dem Verkehrsverein oder der Kurverwaltung. Und in mancher Klinik findet man diese Tabellen ebenfalls am Informationsbrett hängen.“

Weil einige von uns auch kleinere Kinder dabei hatten, waren wir nicht besonders schnell und fielen immer wieder von der Hauptgruppe zurück, welche einen anderen erfahrenen und ortskundigen Naturliebhaber in der Gruppe gefunden hatte.
Da Olf Tidken sehr gut auf die Kinder eingehen konnte und merkte, dass es den anderen Erwachsenen zu langsam ging, hatte er nach kurzem Überlegen dem Ortskundigen bereitwillig sein o.k. zum schnelleren Vorankommen gegeben. Von der restlichen Gruppe vor uns sahen wir schon bald nichts mehr, nicht einmal mehr ihre Fußspuren im nassen Schlick.
Aus einem undefinierbaren Gefühl heraus, blieb ich vorsorglich bei der Kindergruppe. 'Ein Erwachsener mehr kann sicherlich nicht schaden,' dachte ich. Und sollte ich gebraucht werden, aus welchem Grund auch immer, war ich vermutlich die einzige Rettungsschwimmerin in der Gruppe.

Zu allem Überfluss war nun auch noch ganz plötzlich Nebel aufgekommen. Obwohl der junge Ranger versuchte, sich seine Stimmung nicht anmerken zu lassen, hörte ich aus seiner Stimme deutlich, wie er versuchte die hereinbrechende Panik zu unterdrücken und sah den kalten Schweiß auf seiner Stirn. „Folgen sie mir bitte, wir sind schon ganz nah an der Küste. Ein paar Minuten noch, und wir haben es bald geschafft,“ meinte er mit vorgetäuschter Zuversicht in seiner Stimme.
Tidken wollte sich selber wohl mehr Mut zusprechen als uns fünf Erwachsenen und den sieben Kindern, die wir die extreme Gefahr nicht wirklich einschätzen konnten, in der wir längst schwebten ohne es zu ahnen.
Fast etwas zu hektisch nahm der junge Mann seinen Kompass zur Hand und stiefelte uns zielstrebig immer ein paar Meter voraus. Wobei er sich alle paar Augenblicke zu uns umdrehte, um sich zu vergewissern, dass wir ihm durch den ungewöhnlich dichten Nebel folgen konnten.

Schneller als normal füllten sich die Priele vor uns. Das Schmatzen unserer Stiefel bei jedem Schritt wurde ebenfalls immer satter. Immer schneller trugen uns unsere Füße voran. Wir waren scheinbar schon Stunden unterwegs. Der Nebel wollte und wollte nicht weichen. Und das Ufer schien auch nicht näher kommen zu wollen.
Doch bald mussten wir feststellen, dass die Kleinen unser Tempo nicht länger halten konnten. Da jeder einzelne Schritt für uns in der zähen Masse fast erkämpft werden musste, machte es auch wenig Sinn, die kleineren Kinder Huckepack zu tragen.
Die besorgten und erschöpften Mütter begannen auf den armen Parkranger einzureden und ihn zu bearbeiten etwas gegen die Flut zu unternehmen. Als ob er die Macht hätte, das Wasser zurück zu halten. Und die unbarmherzige Flut schien immer schneller zu kommen. Oder aber es gab heute eine außergewöhnliche Springflut.
Inzwischen umspülte das Wasser bereits ständig unsere Stiefel. Es begann zu allem Unglück nun auch schon zu dämmern, früher als gewöhnlich, da der dichte Nebel das Sonnenlicht zusätzlich dämpfte. Außerdem wurde die Luft um uns herum immer kälter.

Den meisten von uns war inzwischen klar, dass wir es nie rechtzeitig ans Ufer zurück schaffen würden. Einige blieben deshalb in ängstlicher Panik plötzlich wie angewurzelt stehen und waren zu keinem weiteren Schritt mehr zu bewegen.
Dabei sanken sie immer weiter ein und hatten dann Mühe sich wieder zu befreien. Die Kinder, die sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnten, schrien hysterisch und waren schnell nass bis auf die Haut.
Jeder Befreiungsversuch der tief Eingesunkenen endete damit, dass sie das Gleichgewicht verloren und der Länge nach in den mit Wasser bedeckten Schlick fielen. Sogar die Mütter reagierten genauso ängstlich, alles vergessend was sie heute gelernt hatten, und sanken bei ihren helfenden Versuchen noch tiefer ein.
Auch Tidken konnte nicht überall gleichzeitig sein. Der Wattführer bedauerte es bereits schon mehrmals, dass keine dieser lebensrettenden, eisernen Plattformen im Watt in greifbarer Nähe war. Er war doch so sehr auf die Sicherheit der Gruppe bedacht gewesen. Und diesen extremen Wetterumschwung oder die seltsame Springflut hatte auch keiner vorhersehen können.

Ich überlegte fieberhaft, wie ich sinnvoll helfen konnte. Dabei hatte ich bereits eins der älteren Kinder an meiner Hand und bewegte mich mit ihm ständig im Kreis, um ja nicht einzusinken. Mir selbst ging es einigermaßen gut.
Und eigene Kinder hatte ich selber keine. - Irgendwo her würde schon Hilfe kommen, da war ich ganz zuversichtlich. Mir fiel mein Handy ein. Rasch holte ich es hervor und musste bedauernd feststellen ... kein Netz ...
Olf, der das gesehen hatte, schüttelte traurig mit dem Kopf. „An diese Möglichkeit hatte ich auch schon gedacht. Nur leider funktioniert es nicht überall.“ Jetzt war auch ich ratlos. Für einen Moment dachte ich im Stillen an meine neuen Freunde. ‚Denen würde jetzt bestimmt etwas einfallen.’

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« Antworten #7 am: 27.Mai.2018, 15:52:46 »

Kapitel 7 – Rettung in letzter Sekunde

Bei dem Gedanken an sie bekam ich ein elektrisierendes Kribbeln und Stechen im Rücken, das ich in der augenblicklichen Situation aber nicht weiter beachtete. Das Wasser hatte meine vorrangige Aufmerksamkeit, und es kam rauschend und mit Macht näher. Dann jedoch bemerkte ich sogleich meinen Irrtum.
Es war nicht das Wasser gewesen, das da so laut rauschte. Es waren große Flügel. Sechs gewaltige Schwingen, die da auf uns zu kamen.

Das was uns da entgegen kam war so fantastisch und unwirklich, dass nicht nur ich vor Schreck und Erstaunen die Luft anhielt. Die Kleinen fingen sich am Schnellsten wieder und riefen begeistert und alle Furcht vergessend: „Drachen! ... Richtige, echte Drachen! ... Mama, Mama, Mama, ... sieh mal.“
Von diesen Fabelwesen schien weniger Bedrohung auszugehen als vom unbändigen Wasser, das mit Nachdruck immer näher kam und bereits versuchte uns mit all seiner Macht von den Füßen zu reißen.
Den kleineren Kindern ging das Wasser bereits bis zur Hüfte und riss sie ständig von den Beinen, so dass die Mütter alle Hände voll zu tun hatten.
Es waren drei dieser fantastischen Wesen, eines bizarrer als das andere. Sie verharrten vor uns flügelschlagend in der Luft. Dann setzten sie wie durch Zauberhand auf dem Wasser auf ohne einzusinken. Ihre Flügel hielten sie ausgleichend und schützend ausgebreitet über dem Wasser.

Der Kleinste der drei sah mit seinem weißen Haupt und dem gelben spitzen Schnabel aus wie ein überdimensional großer Weißkopfseeadler. 'Das muss Eagle sein', vermutete ich richtig. Er war so riesig, dass ein Erwachsener bequem auf ihm sitzen und mitfliegen konnte.
Wer genau hinsah, konnte sehen wie er uns verschmitzt zu blinzelte. Ich sah mir jedoch auf der Stelle auch die anderen beiden an. Ich ahnte sofort, wer uns da zu Hilfe geeilt war, und Argus zwinkerte mir heimlich grüßend zu.
Ich hatte zwar immer ihre Abbilder beim Chatten vor Augen gehabt, aber ich hätte ebenso niemals zu träumen gewagt, dass es sie wirklich gab.

Argus war als Drache am Imposantesten. Mit seinen gut 20 Metern Länge, den weiten Flügeln und seinen ebenmäßigen Schuppen, die irgendwie kupfern und braun schimmerten und doch ständig die Farbe zu wechseln schienen, war er geradezu das Ideal eines westlichen Drachen.
Der dritte stach nicht nur durch seine rot-goldene Farbe von den anderen ab, sondern war tatsächlich halb Phönix und halb Drache. Der ganze Körper war mit Schuppen ähnlichen Federn bedeckt, die Flügel ganz mit rot-goldenen Federn, wobei die Spitzen der Federn fast wie Gold glänzten.

'Wir kommen, um zu helfen,' klang eine sonore Stimme durch unsere Köpfe. Olf Tidken sah verdutzt von einem zum anderen, und dann zu mir und den anderen der Gruppe. Er wusste nicht, ob er sich fürchten oder lieber froh sein sollte, dass uns allen geholfen werden konnte.
Argus wusste um seinen inneren Kampf und erklärte zuvorkommend: 'Es wird kein anderer schnell genug helfen können. Und ich versichere, dass wir alle sicher ans rettende Ufer fliegen können... wenn wir uns jetzt beeilen! Je länger wir warten müssen, desto schwieriger wird das Aufsteigen werden.' Und speziell für den Ranger fügte Argus hinzu: 'Glauben Sie nicht all die Märchen, die man über uns Drachen erzählt. Ich persönlich habe noch nie einen Menschen gefressen!'

Olf Tidken schien unschlüssig zu sein, wie er sich entscheiden sollte. Ich machte es mir jedoch ziemlich einfach, indem ich scheinbar unwissend und gespielt ungläubig mit den Schultern zuckte. „Ich sehe das so, wenn sie uns wirklich hätten fressen wollen, hätten sie sich die Plauderei sparen können und wären direkt über uns hergefallen.“ Dabei zwinkerte ich Argus ebenfalls heimlich zu.
Deshalb folgerte ich aufmunternd: „Wenn das keine Fügung des Schicksals ist. Wer will als erstes einen Freiflug haben?“ Die Kinder waren sofort begeistert dabei und vergaßen indes völlig, in welcher Gefahr sie bis gerade eben noch geschwebt hatten.

Wir kamen überein, dass ein Erwachsener gemeinsam mit den Kindern mit fliegen sollte. Schnell kletterten alle Kids bei Argus auf, der bereitwillig seine Pranke als Aufstiegshilfe entgegen streckte. Er schwebte noch immer halb schwimmend über dem Wasser und müsste eigentlich aufgrund seines Gewichtes darin versinken. Aber etwas wie Magie musste ihn wohl über Wasser in der Luft verharren lassen.
Kaum dass alle Kinder mit dem Erwachsenen auf Argus Platz gefunden hatten, erhob sich der Drache in die Luft und flog geradewegs zur Küste zurück.
Unterdessen verteilte unser Watt-Experte weitere Plätze auf Eagle und auf Phönix, was aber auch einige Überredungskünste bei den ängstlichen, fast überforderten Müttern nötig machte. Olf hatte als Vorbild seine Angst vorerst überwunden. Für ihn galt es nun in erster Linie, alle aus der hereinbrechenden Flut zu retten.
Beide Freunde versuchten mir tröstende und beruhigende Gedanken zu schicken, aber ich war viel zu sehr mit mir selber beschäftigt. Das Meer stieg jetzt sehr rasch an. Und das Wasser kam mit einer unbarmherzigen Macht zurück und riss uns schon fast von den Beinen.
Irgendetwas eigenartiges ging in mir und mit mir vor. Es beunruhigte mich sehr, dass ich nicht wusste was es war, oder dass ich es nicht beeinflussen konnte. Mir war plötzlich gar nicht mehr wohl in meiner Haut, die sich für mich seltsam beengend anfühlte.

Gerade als die beiden mit den letzten zu Rettenden losflogen, war Argus bereits wieder zurück. Mit einem Blick erfasste er die neue Situation. 'Steffi...' begann er seinen Satz in Gedanken zu mir, wobei eine kleine Unsicherheit im Ton mitschwang. Er war auch sehr darauf bedacht, dass seine Gedanken nur zu mir durch drangen, jedoch nicht bei Olf landeten.
'Was passiert da gerade mit mir? Es fühlt sich unvollkommen an,' erklärte ich unwohl und nur für den Drachen hörbar. 'Steffi, Du brauchst keine Angst zu haben um das, was mit Dir gerade passiert,' versuchte Argus mich zu beruhigen. 'Wenn Du es nicht möchtest, wird es auch nicht geschehen. Aber vielleicht sollten wir an einem ruhigeren Ort weiter reden.'
Ich stimmte ihm zu, da meine Lage durch das stetig steigende kalte Meerwasser nicht besser wurde, und der Drache ebenfalls von den Wellen heftig umspült wurde. 'Du hast Recht, lass uns später reden.'
 
Zuvorkommend halfen er und Olf Tidken mir auf den Rücken von Argus. Wobei ich meinen Platz hinter Olf fand, welcher sich bereits jetzt schon krampfhaft vornüber gebeugt am Hals des Drachen festhielt. Seinen Kopf zu mir drehend meinte Argus noch: 'Du hast übrigens herrliche Flügel, Steffi.'
Erschrocken, und auch ein wenig geschmeichelt, drehte ich meinen Kopf um zu sehen, was er gemeint hatte. Tatsächlich sah ich hinter mir ein paar filigrane Flügel, die noch fest zusammen gefaltet waren. Durch den Nebel und das Dämmerlicht konnte ich keine Farben erkennen, aber sie schienen nicht weiß zu sein.
'Haltet euch gut fest, es geht los,' gab er uns beiden zu verstehen. Tidken verkrampfte sich noch mehr und klebte förmlich am Hals des Drachen. Ich merkte ihm an, dass er mit dieser nicht alltäglichen Situation völlig überfordert war.
Argus erhob sich flügelschlagend in die Lüfte.

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« Antworten #8 am: 27.Mai.2018, 16:04:30 »

Kapitel 8 – Gerettet

Vom langsam aufkommenden Wind getragen ließ sich Argus zur Küste gleiten. Ich überlegte, ob ich es wagen konnte meine neu gewonnenen Flügel ebenfalls auszubreiten, war mir aber nicht schlüssig. 'Was, wenn ich dadurch Argus' Flug behindern würde?'
Argus, der entweder meinen Gedankengang verfolgt hatte, oder sogar meine Gedanken lesen konnte, meinte aufmunternd: 'Versuch es nur, Steffi. Wenn Du Dich weiterhin auf mir festhältst, passiert Dir auch nichts dabei. Und meinen Flug stört es nicht.'
Zaghaft und ungewohnt öffnete ich vorsichtig und testend meine Flugfinger. Der Wind spielte fast sofort mit der zarten Membran dazwischen. Es war als wüsste ich ganz unbewusst, was ich tun musste.
Ein völlig neues Glücksgefühl überkam mich dabei. So frei hatte ich mich noch niemals in meinem ganzen Leben gefühlt. Im Gegensatz zu Tidken genoss ich den Flug mit jeder Faser meines Körpers.

Gleichzeitig machte sich jedoch auch eine Ernüchterung in mir breit. Was sollte aus meinem Alltag werden? Was würde da mit meinen Flügeln geschehen? Argus schien mich tatsächlich auch ohne Worte zu verstehen. 'Du hast nun jede Menge Fragen und noch mehr Antworten. Für jede beantwortete Frage tauchen neue Fragen auf... Lass am Besten alles sich einmal setzen. Vieles klärt sich von ganz allein.'
Und an uns beide gewandt meinte er: 'Ich bringe euch jetzt wieder zu eurer Gruppe ans Ufer, damit man euch geschlossen finden kann. Beantwortet der Polizei gegenüber, die euch bestimmt schon suchen wird, am besten gar keine Fragen die uns betreffen sollten. Das wirft nur weitere Fragen und Unverständnis auf...' Und noch einmal nur an mich gewandt meinte er geheimnisvoll: 'Wir werden uns wiedersehen, Steffi.'

Am sicheren Strand angekommen, landete Argus sanft in der Nähe unserer Gruppe. Der junge Ranger stieg mit weichen Knien ab. Sofort musste er sich am Drachen mit zitternden Knien festhalten, als er bereits festen Boden unter den Füssen hatte. Für ihn war alles so unglaublich und traumhaft, dass ihm der Flug immer noch in den Gliedern steckte.
Ich rutschte auf dem Rücken von Argus etwas nach vorn, nachdem Olf Tidken abgestiegen war. Spontan legte ich mich nach vorn und schlang meine Arme um den Hals des Drachen. Leise flüsterte ich ihm zu: „Vielen, vielen Dank, Argus! Und richte meinen Dank auch an Eagle und Phönix aus. Ihr wart unsere Rettung heute und richtig traumhaft. Was hätten wir nur ohne euch gemacht? Danke!“
Argus schnurrte leise. Die Umarmung schien ihm zu gefallen. 'Du hast uns gerufen, und wir sind gern zu Hilfe geeilt. Wobei Eagle ja meinte, dass Du selber unsere Hilfe gar nicht gebraucht hättest,' erklärte er geheimnisvoll.
Ich wollte ihm antworten und weitere Fragen stellen. Doch der Drache unterbrach meinen Gedankengang, noch bevor ich ihn aussprechen konnte. 'Ich muss leider los, … Steffi. Eure Suchtrupps nähern sich bereits.' Rasch schwang ich mein Bein über den Körper des Drachen und ließ mich auf dem Bauch an seiner Seite entlang nach unten gleiten. Die Schuppen fühlten sich angenehm warm und weich an.

Der Boden gab unter mir kurz nach, oder waren es ebenfalls meine Knie gewesen? Sofort fing ich mich wieder und winkte Argus noch hinterher, als er gleich darauf in der Nacht verschwand.
Meine Flügel waren, wie durch Zauberei, wieder weg gewesen, kaum dass Argus gelandet war. Olf hatte nichts davon zu sehen bekommen, und das war auch besser so.
Wenig später, kaum dass er weg geflogen war, kamen auch schon die Suchtrupps von zwei Seiten auf uns zu geeilt. Den davonfliegenden Drachen hatte zum Glück niemand mehr gesehen.
Die Gruppe, die voraus gelaufen war, hatte uns vermisst und zu Recht vermutet, dass wir noch nicht aus dem Watt zurück gekehrt waren.

Bei den Suchtrupps lösten sich jetzt ein paar Sanitäter aus der Menge. Einer davon kam sehr zielstrebig auf mich zu. „Hallo Frau Reimor,“ begann er schon von weitem. „Wollten wir schon wieder einmal mit der Flut um die Wette schwimmen?“ fragte er keck.
„Malte!“ rief ich erleichtert. „Sie trifft man aber auch immer wieder am Strand,“ erwiderte ich ebenso schlagfertig. Und wieder einmal war er es, der eine warme Decke um mich legte. Wobei ich noch immer die angenehme, innere Wärme von Argus spürte.
Der Drache hatte so eine Wärme ausgestrahlt, dass mir erst jetzt bewusst wurde, wie kalt und klamm es inzwischen geworden war.

Während Malte so dicht neben mir stand, fragte er leise und völlig unerwartet: „Und wie war es, auf einem Drachen zu fliegen?“ Erschrocken drehte ich mich blitzartig zu ihm um und flüsterte im Affekt: „Woher weißt Du...“ Doch Malte, der Fisch, hielt beschwörend den Zeigefinger vor seinen Mund: „Pssst... Wir wollen doch keine schlafenden Hunde wecken. Dein Geheimnis ist bei mir sicher.“

Ich war mir hingegen völlig unsicher, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Wie weit konnte ich Malte vertrauen? In die wärmende Decke gehüllt wartete ich mit der Gruppe zusammen ab, was die Behörden noch von uns wollten. Offensichtlich war es irgend jemandem doch wichtig, dass wir in die Wärme kamen und medizinisch betreut wurden.
Unterwegs zur Klinik wurden wir deshalb weiter mit vielen Fragen bombardiert. Doch keiner außer mir schien sich überhaupt daran zu erinnern, wie wir ans rettende Ufer gelangt waren. Aber da mir niemand gezielte Fragen stellen wollte, schwieg ich die meiste Zeit der Fahrt über.

Die Kinder berichteten alle ganz aufgedreht und durcheinander, was sie alles gesehen haben wollten. „Ein bunter Vogel, riesengroß, und ein gigantischer Drache, so hoch wie ein Haus, aber ganz lieb war der... wir sind durch die Luft geflogen... nein, stimmt ja gar nicht!... Er hat uns gepackt und aus dem Wasser gezogen... Ich bin hoch über den Wolken geschwebt... ein megagroßer Adler mit weißem Kopf und funkelnden Augen war dabei... der bunte Vogel hat ausgesehen als würde er brennen, so hell war der...“
Fast konnte man meinen, die blühende Fantasie ging mit den Kindern durch. Was auch ein Grund war, weshalb man ihren verworrenen und fantastischen Geschichten kaum Gehör schenkte.

In der Klinik mussten wir alle gemeinsam auf die Krankenstation, damit die Schwester gleich eingreifen konnte, sollte sich über Nacht doch noch bei dem einen oder anderen Fieber wegen Unterkühlung oder ähnliches melden.

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« Antworten #9 am: 27.Mai.2018, 16:30:41 »

Kapitel 9 – Jens Mattens

Am anderen Morgen wurden wir mit einem ausgiebigen Frühstück im Bett geweckt. Und noch jemand Anderer wartete geduldig darauf, dass ich wach wurde. Ich konnte nicht sagen, ob mich der Kaffeeduft oder seine Anwesenheit geweckt hatte.
Neben meinem Bett stand Jens Mattens, der Physiotherapeut, und blickte aus dem Fenster auf das Meer hinaus. Als er bemerkte, dass ich aufgewacht war, drehte er sich etwas besorgt, aber mit einem charmanten Lächeln, zu mir um. „Ich hatte ja versprochen, wieder zu kommen.“

Verständnislos blickte ich ihn an. Irgendetwas an ihm kam mir merkwürdig vertraut vor, doch näher konnte ich mein Gefühl noch nicht beschreiben. Bevor das Schweigen jedoch peinliche Züge annehmen konnte, begann ich: „Danke, dass ... Sie gekommen sind, Herr Mattens. Ich wollte mich noch persönlich für mein dummes Weglaufen entschuldigen. Ich war so schrecklich durcheinander...“
Jetzt war es der Physiotherapeut, der überrascht und mit einem Fragezeichen im Gesicht zu mir sah. Dann begann er langsam zu verstehen. Er überlegte kurz, wie er am besten beginnen sollte. Zögernd begann er mir zu erklären: „Du scheinst auch jetzt noch etwas durcheinander zu sein. Aber das ist verständlich... Albino.“

Meine spontane Reaktion auf seine ersten Worte war, wie kam dieser Angestellte dazu, mich zu duzen?! Zugegeben, er sah gut aus und jede Frau in der Klinik schwärmte für ihn. Und jetzt stand er ausgerechnet an meinem Bett.
Dann sickerten auch seine restlichen Worte bei mir durch, und nun war ich es, die verlegen und stark errötend auf meine Bettdecke starrte. Zaghaft und eher fragend setzte ich an: „Argus?“ „Ja, Steffi. Ich bin Argus. Ich wusste nicht, wie ich es Dir sonst hätte schonender beibringen können.“
Er war ein paar Schritte näher an mein Bett herangetreten, aber dann war er abwartend und vorsichtig stehen geblieben, wie um mir nicht unaufgefordert zu nahe zu kommen.

„Ich war in der Physio wegen Deiner Flügel damals genauso überrascht. Lange Zeit dachten wir, die Einzigen zu sein. Die Letzten unserer Art. Aber mit Dir steigt unsere Hoffnung wieder, dass es noch mehr von uns gibt,“ gestand er mir ein.
Ein wohliges Glücksgefühl durchströmte mich und gleichzeitig setzte auch ein elektrisierendes Kribbeln am ganzen Körper ein. Argus, der die Anzeichen für eine Verwandlung an mir sofort erkannte, bremste mich sanft, indem er mit einer Geste über meinen Rücken strich. „Nicht hier, bitte. Das ist zu gefährlich. Lass uns heute Abend am Strand wieder zusammen kommen, Steffi. Dann können wir über alles reden.“

Obwohl mir das Warten bis zum Abend sehr schwer fiel, hatte ich dennoch etwas, worauf ich mich unbändig freuen konnte. Jens Mattens, der beliebteste Therapeut der Klinik, war gekommen, um mich zu besuchen. Er schien etwas für mich zu empfinden. Und ich musste geschmeichelt feststellen, dass es mir mit ihm genauso ging.
Aber dann war da auch noch Malte, dem ich inzwischen bereits zweimal begegnet war. Und jedes mal fühlte ich mich in seiner Gegenwart geborgen. Das war verwirrend für mich. Ich wollte mir darüber erst Klarheit verschaffen, bevor mich die Gefühle überwältigen würden.
Ich hatte jetzt erst meine ganze Familie auf einen Schlag verloren. Deshalb war ich mir nicht sicher, ob ich schon wieder bereit war überhaupt jemanden so nah für eine Beziehung an mich heran zu lassen.

*****

Als ich am Abend zum vereinbarten Treffpunkt an den Strand kam und Jens schon von weitem dort stehen sah, freute ich mich über alle Maßen auf unser Treffen. Das heißt, eben noch war da Jens gestanden, und im nächsten Augenblick stand da der stattliche Drache Argus wieder.
Mein Herz schlug schneller. Ich freute mich, dass ich Argus so schnell wiedersah. Meine Füße wollten mir einen Moment lang nicht mehr folgen. Ich stolperte, so glaubte ich, und nahm instinktiv meine Hände nach vorn um den Sturz abzufangen.
Eigentlich müsste ich mich jetzt wieder aufrichten. Aber auf allen Vieren zu laufen erschien mir das natürlichste der ganzen Welt zu sein. Verdutzt blieb ich stehen, auf allen vier Pranken. 'Pranken?! Was zum … war da gerade mit mir passiert?!' Entsetzt blickte ich an mir hinunter. 'Ein Drache?! Wieso war ich plötzlich ebenfalls ein Drache?!'

Jens hatte mir zugesehen und sich mit mir gefreut als ich mich ganz von selbst in einen Drachen verwandelt hatte. Zunächst erleichtert stellte er fest, dass er mir dies nicht mehr beibringen musste. Jedoch verschwand sein Lächeln mit zunehmender Besorgnis, als er meinen Schock wahr nahm.
Ich hatte mich gar nicht verwandeln wollen. Er hatte es bei mir durch seine pure Anwesenheit ausgelöst. Jens flog die letzten paar Meter eilig auf mich zu, um mich zu trösten. 'Steffi... Du musst keine Angst haben. Lass es einfach geschehen und vertraue mir.' Er versuchte all seine Zuversicht auszustrahlen.

Erschrocken hatte er festgestellt, dass mein wahrer Drachenname entweder sehr tief vergraben sein musste, oder dass er gar nicht mehr vorhanden war. Beide Optionen wollte er sich nicht weiter ausmalen.
Auch Kevin und Mark, die bei dem Treffen dabei sein wollten, versuchten ihre Besorgnis zu verbergen. 'Was, wenn Steffi Jens in der Klinik über den Weg laufen würde, und sich plötzlich ihre Flügel oder mehr zeigen würde?' unterhielten sie sich telepathisch.
Jens schüttelte kaum merklich den Kopf und gab den beiden auf die gleiche Weise zu verstehen: „Ich werde das zu verhindern wissen. Schlimmstenfalls darf ich Steffi in der Klinik nicht mehr sehen!“
Das allerdings würde ihn am Meisten schmerzen. Aber wenn es das Opfer wert war, musste es so sein.

Ich kämpfte unterdessen innerlich mit mir selbst. Ich verstand nicht, was da mit mir gerade passiert war. Und das ganz ohne mein eigenes dazu tun. 'Ein Drache! Ich selber war zu einem richtigen, echten Drachen geworden!'
Ein Teil eines langen Namens tauchte immer wieder aus meinem Innersten auf und verschwand aber wieder, bevor ich etwas davon richtig erfassen konnte... Liro... Lirush... Lymurash...
Ich hatte Angst. Und ich war froh, dass Jens und seine Freunde hier waren. Niemals wäre mir der Gedanke gekommen, dass Jens Mattens der Auslöser meiner Verwandlung sein könnte. Von ihm und seinen Freunden wusste ich, dass sie sich auch wieder in Menschen verwandeln konnten.

Voller Zuversicht lächelte ich und fragte hoffnungsvoll: „Und wie kann ich mich wieder zurück verwandeln?“ Tief in meinem Innersten wollte ich das unbedingt, und Jens spürte das auch.
„Du musst nur an Deinen Namen und Deine Gestalt denken. So machen wir das auch,“ fügte er erklärend hinzu. Dass ich meinen Drachennamen nicht kannte, daran wollte der Drache gar nicht denken.
Die Drachin in mir war mit Feuereifer dabei. Ich dachte ganz intensiv an meinen Namen „Steffi“. Zunächst tat sich noch nichts, aber dann spürte ich die körperliche Veränderung an mir.
Die Jungs freuten sich mit mir und spornten mich an. Schließlich fiel ich Jens überglücklich in seine Arme. „Ich habe es tatsächlich geschafft!“ Und er lobte mich: „Ja Steffi, Du hast es gleich beim ersten Mal geschafft.“ Beide hatten wir uns wieder in Menschen verwandelt.

Ich war erschöpft und spürte deutlich die körperliche Anstrengung. „Du bist jetzt sicher müde und erschöpft, Steffi,“ folgerte Kevin richtig. „Das ist am Anfang völlig normal. Nach ein paar Mal üben fällt es Dir leichter und kostet auch nicht mehr so viel Kraft und Energie.“
Jens hielt mich weiterhin fest in seinen Armen. Er spendete mir dabei neue Energie. „Wenn Du möchtest, können wir noch ein Stück spazieren gehen. Ich bringe Dich dann später zurück in die Klinik. Leider darf man uns dort nicht zusammen sehen, außer wir haben eine Therapiestunde miteinander.“

Ich war noch ganz überwältigt von den gerade erlebten Ereignissen, so dass ich nur ein dankbares Nicken zustande brachte. Dass wir uns nur selten sehen würden, damit konnte ich mich abfinden.
Ich fand Jens mehr als zuvorkommend. Und ich fühlte mich bereits jetzt immer mehr zu ihm hingezogen. Zudem hatte ich den Eindruck, dass er mich ebenfalls mochte.
Trotzdem schlichen sich leise Zweifel bei mir ein: 'War ich schon wieder bereit für eine feste Beziehung oder mehr, mit allem was dazu gehörte? Und was war mit Malte? Auch ihn mochte ich sehr.'
Ich hatte noch so viele eigene Probleme, dass ich gar nicht vor hatte mich bereits wieder fest zu binden. Und dennoch taten mir die Stunden gut, wenn ich von meinen Gedanken um meine verunglückte Familie abgelenkt wurde, sei es durch Jens, Malte oder einen der anderen Freunde.

In jeder freien Minute halfen mir die drei mich auf mein kommendes Leben, sowohl als Drache wie auch als Mensch, vorzubereiten. Manches, das mir selber wichtig erschien, schoben sie jedoch beiseite mit den Argumenten: zu wenig Zeit, oder noch zu schwierig.
Gerne hätte ich gewusst was ich tun musste, um mich bewusst in Gedanken mit anderen auszutauschen. Aber das, so sagten alle drei, wäre nicht so dringend wie das Fliegen oder Landen, oder sich als Drache im Flug unsichtbar zu machen.
Noch wusste keiner von uns, wie es nach meiner Reha mit mir weiter gehen würde. Ich hatte keine großen Erwartungen gehabt als ich hier an die Nordsee gekommen war. Mein Wunsch war es, dass ich Zeit zum Trauern finden würde oder alles zusammen zu verdrängen lernte. Niemals hätte ich erwartet, hier neue Freunde zu treffen. Und sogar mehr als nur einen Freund.

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« Antworten #10 am: 27.Mai.2018, 16:51:37 »

Kapitel 10 – Adler-Rettungsaktion

Ein paar Tage später fing der Morgen schon wie verhext an. Mein Wecker hatte seinen Dienst versagt, so dass ich fast zu spät zum Frühstück gekommen war. Nur der Regelmäßigkeit hier an der Klinik hatte ich es zu verdanken, dass meine innere Uhr mich doch noch geweckt hatte. Das morgendliche Blutdruck messen durfte ich jedoch vor dem Frühstück trotzdem nicht vergessen.

Seit dem Ausflug ins Watt waren erst ein paar Tage vergangen. Dennoch hatte ich den Eindruck, als würde ich Jens schon ewig kennen. Aber ein weiteres Gespräch mit ihm allein zu führen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Bisher war es bei dem einen herrlichen Abendspaziergang am Strand geblieben.
Jens hatte viele meiner Fragen beantworten können. Allerdings waren zu jeder Antwort weitere neue Fragen aufgetaucht. „Diese,“ so sagte Jens, „werden Dir erst nach und nach beantwortet. Manche Dinge im Leben dauern so lange wie sie dauern. Dabei etwas erzwingen zu wollen, könnte die Dauer nur unnötig verlängern.“
Egal wo ich ihn sah oder ihm begegnete, immer war er von einer Horde Frauen umschwärmt. Und dennoch gab er mir insgeheim das Gefühl, dass ich etwas besonderes und einzigartiges für ihn war.

Dass er gleichzeitig mein bester Freund Argus im Internet war, erleichterte uns die Kommunikation zum Glück etwas. So konnte ich ungehindert mit ihm chatten, wenn er Feierabend hatte, ohne dass die Klinik etwas davon mitbekommen würde.
Ich wusste selber von Arbeitsverträgen aus anderen Kliniken, dass ein zu persönlicher Umgang mit den Patienten oft als Kündigungsgrund genannt werden konnte. So genügte es mir vorerst zu wissen, dass er da war, wenn ich ihn brauchte.
Zumal ich in den letzten Tagen auch meinem neuen Freund Malte zwei oder dreimal begegnet war. Und einmal hatte er mich dann ganz spontan zu einem Eiskaffee eingeladen. Dafür, dass ich die letzten Jahre gar keinen festen Freund gehabt hatte, war mir der Trubel um meine Person im Moment fast etwas zu viel.
Denn so wie sich die Dinge entwickelten, fühlte ich mich zu beiden Männern auf eine besondere Art hingezogen.

*****

Heute Morgen stand auf meinem Therapieplan Gruppengespräche, sowie ein Gespräch mit meiner Psychologin. Anschließend, direkt nach dem Mittagessen, wartete ich auf den Rest der Gruppe zum Nordic Walking.
Inzwischen hatte das Wetter jedoch umgeschlagen und man hörte vereinzeltes Donnergrollen in der Ferne, wobei der Regen allerdings noch aus blieb.
Als es dann Zeit zum Laufen wurde, war ich die einzig Anwesende, so dass der Therapeut das Nordic Walking kurzfristig absagte. Also meldete ich mich in der Klinik ab und lief allein los. Ich wollte nur eine kleine Runde laufen, um an der frischen Luft zu sein.

Der Strand war fast menschenleer, denn das Wetter hielt die meisten hinterm wärmenden Ofen. Nur die Möwen über mir zogen im Wind ihre Bahnen und hielten wetteifernd nach Futter Ausschau.
Ich war bereits wieder auf dem Rückweg, als ich vor mir einen dumpfen Knall hörte. Dieser hatte nur wenig Ähnlichkeit mit dem näher kommenden Donnergrollen im Hintergrund. Ein paar Meter vor mir stürzte etwas hart zu Boden und blieb im kniehohen Gras zunächst bewegungslos liegen.
Ein Glück, dass ich das zufällig gesehen hatte. Besorgt rannte ich zu der Stelle hin und erkannte einen Raubvogel, der sich fast nicht mehr regen konnte.

Sofort dachte ich an Eagle, den Freund von Jens, und kniete mich bestürzt neben das verletzte Tier. „Armer Vogel, hoffentlich bist Du nicht Eagle!“ Am Gefieder erkannte ich, dass es ein Adler war. Aber ganz so genau hatte ich mir Eagle noch nie angesehen. Er konnte nicht nur seine Größe variieren, sondern sein Gefieder den heimischen Tieren etwas angleichen.
Ich zog mein Handy aus der Tasche, stellte aber enttäuscht fest, dass ich mal wieder kein Netz hatte. Also überlegte ich nicht lange. Dem Tier musste sofort geholfen werden. Obwohl der Raubvogel schwer verletzt schien, wehrte er sich dennoch instinktiv und hartnäckig gegen die ungewohnte, menschliche Nähe. So konnte ich ihn unmöglich hoch nehmen und tragen.
Deshalb schaute ich in meinen Jackentaschen nach, was ich noch dabei hatte. Viel war es nicht. Außer meinem Handy und der Freisprecheinrichtung war da noch ein Pack Papiertaschentücher, mein Zimmerschlüssel, ein paar Hustenpastillen und mein Kopftuch gegen den Wind.

Mein Handy nahm ich betriebsbereit in die Hosentasche und steckte den Knopf der Freisprecheinrichtung ins Ohr. Sowie ich wieder Netz hatte, wollte ich Jens in der Klinik verständigen. Es war auch weit und breit niemand, den ich Hilfe holen schicken konnte.
Die Taschentücher, mein Zimmerschlüssel und die Bonbons steckte ich in die andere Hosentasche. Das Kopftuch legte ich nun vorsichtig, aber rasch, über den Kopf des Vogels, der sich sofort beruhigte, weil es plötzlich dunkel um ihn wurde.
Meine Walkingstöcke machte ich kleiner, damit sie handlicher wurden, und hängte sie mir über das linke Handgelenk. Dann wickelte ich meine Jacke um den Vogel und nahm ihn mit samt meiner Jacke vorsichtig auf.

Ich spürte durch den Stoff hindurch die scharfen Krallen, aber auch sein kleines Herz, das wild und ängstlich pochte. Dennoch blieb der Adler verhältnismäßig ruhig und schien alles mit sich geschehen zu lassen.
Ich redete beruhigend auf ihn ein. Fühlte er etwa, dass ich ihm nur helfen wollte? Ich hoffte inständig, dass es nicht der Freund von Argus war. Nur deshalb hatte ich überhaupt den Mut gehabt, das Tier mitzunehmen.

Unterwegs versuchte ich immer wieder, ob ich bereits wieder einen Handyempfang hatte. Endlich gelang es mir Jens zu erreichen. „Jens? Hier ist Steffi. Steffi Reimor. Du sagtest, wenn ich Deine Hilfe brauche, könnte ich mich jederzeit bei Dir melden?“
Jens horchte auf und reagierte sofort auf meinen besorgten Ton: „Was ist passiert? Wie kann ich Dir helfen, Steffi?“
„Ich bin gerade am Deich unterwegs zurück zur Klinik, vom Nordic Walking. Plötzlich war da ein dumpfer Knall und gleich darauf fällt mir ein großer Vogel fast vor die Füße! Ich glaube, es ist ein Adler. Ist Mark bei Dir?“ ergänzte ich in Sorge um unseren Freund.
Ich musste heftig atmen, da mich das Erzählen und gleichzeitig Laufen mit dem schweren Vogel ermüdete. Einen Moment wollte ich mich ausruhen, deshalb blieb ich erschöpft stehen.
Das Gleiche riet mir auch Jens: „Steffi, bleib wo Du bist! Ich komme und hole Dich ab! Und, Mark geht es gut. Er ist mit Kevin einkaufen gefahren.“

Ich suchte mir eine einigermaßen bequeme und windgeschützte Stelle zum Warten. Ein paar Meter weiter fand ich einen großen Stein, hinter den ich mich ducken konnte und den frischen Wind nicht mehr direkt spürte.
Mein linker Arm, den ich ständig unter dem Vogel gehabt hatte, tat mir bereits entsetzlich weh. Ich verlagerte sein Gewicht etwas, um meinen Arm zu entlasten. Dennoch tat es immer noch schrecklich weh.

Endlich traf Jens ein. Inzwischen war ich von der Kälte so geschwächt, vermutete ich, dass ich nicht einmal mehr allein aufstehen konnte. Der Therapeut stieg eilig aus dem Wagen und kam bestürzt näher. „Steffi, Du siehst ja ganz blass aus!“
Statt einer Antwort streckte ich ihm mit letzter Kraft nur stumm den Vogel entgegen. Jens nahm den Adler entgegen, schaute kurz unter das Tuch und legte ihn dann mit der Jacke zusammen vorsichtig nach hinten in einen Käfig, der bereits im Auto stand.
Sofort kam er zurück, um mir ebenfalls in den Wagen zu helfen.

Als er mich jedoch genauer ansah, erkannte er, warum ich so entkräftet und blass war. Der Raubvogel hatte es durch die Jacke hindurch mit seinen scharfen Krallen geschafft, meinen linken Arm unbeabsichtigt aufzureißen.
Dabei musste er wohl ein wichtiges Blutgefäß erwischt haben, denn mein Ärmel und meine Hose waren bereits voller Blut. Nur weil der schwere Vogel gleichzeitig auf meinen Arm Druck ausgeübt hatte, war das Blut bisher nicht schneller geflossen.
Jens setzte mich neben sich und verharrte einen Moment, als ob er überlegen würde. Zuvor hatte er mir schnell einen provisorischen Druckverband angelegt. Anschließend ließ er den Motor an und erklärte beiläufig: „Ich bringe Dich sofort zurück zur Klinik. Dort wartet bereits Kevin auf uns. Er kann Dir am schnellsten helfen, Steffi.“

Doch davon bekam ich schon fast nichts mehr mit. Der Blutverlust hatte mich so geschwächt, dass ich in eine befreiende Ohnmacht sank.

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« Antworten #11 am: 28.Mai.2018, 22:29:26 »

Kapitel 11 – Frühstück mit Jens

Als ich später in einem fremden Bett aufwachte, blickte ich mich zunächst orientierungslos um. Ich wusste nicht, wo ich war. Doch schon im nächsten Augenblick gewahrte ich Jens, der sich besorgt über mich beugte.

Aus der anderen Ecke des Raums hörte ich eine Stimme: „Ist sie aufgewacht?“ Jens blickte auf und nickte erleichtert mit dem Kopf. Kevin kam näher, es war seine Stimme, die ich gehört hatte. Dass es Kevin war, bestätigte ich mir selber gleich, als er meinen Arm begutachtete, an dem man nicht einmal mehr einen Kratzer sehen konnte.
Erstaunt blickte ich meinen Arm und Kevin an. „Meine Phönixtränen, Steffi. Ich habe immer welche dabei,“ zwinkerte er belustigt. „Danke, Kevin.
Wo bin ich eigentlich?“ Ich schaute mich interessiert im Raum um, konnte aber nur erkennen, dass ich irgendwo in der Klinik war. „Du bist in der Klinik, in meinem Appartement,“ erklärte Jens.
„Bis wir auf der Krankenstation alles lang erklärt hätten, wärst Du vermutlich verblutet. Also habe ich Dich kurzerhand zu mir genommen. Ich hoffe, es macht Dir nichts aus, Steffi.“

Und mit einer weiteren Erklärung entschuldigte er sich ebenfalls gleich: „Entschuldige bitte auch, dass wir Dich ausgezogen haben. Aber Deine Kleidung war voller Blut und ganz durchnässt.“
Ich errötete und schaute gleich beschämt unter der Decke nach, um mich zu vergewissern. Meine Unterwäsche hatte ich noch an, stellte ich erleichtert fest. Jens reichte mir eine Tasse mit einem heißen Tee.
„Hast Du Durst, Steffi?“ Dankbar nickte ich und richtete mich etwas auf. Doch schon im nächsten Moment erfasste mich ein Schwindel und ließ mich sofort wieder nach hinten sinken. Wenn mich nicht beide geistesgegenwärtig festgehalten und aufgefangen hätten, wäre ich mit samt der heißen Tasse umgekippt.

Dankbar nippte ich an dem Tee, der etwas eigenartig schmeckte. Kevin tröstete mich: „Ich habe ein paar seltene Kräuter und Früchte hinzugefügt, damit Du schneller gesund wirst, Steffi. Du hast viel Blut verloren. Ich gebe zu, dass der Tee auch etwas enthält, dass dich noch einmal schlafen lässt. Weil, so kannst Du unmöglich gleich wieder weitermachen. Schlaf Dich in aller Ruhe gesund!“
Ergeben trank ich die Tasse leer. Mir fiel der Vogel wieder ein. „Wie geht es dem Adler? Wird er es überstehen?“ Jens verdrehte die Augen und grinste dabei. „Jetzt werde Du selber erst mal wieder gesund, Steffi. Um den Adler kümmert sich Mark. Keiner von uns kann das besser als er, nachdem Kevin etwas nachgeholfen hatte.“

Erleichtert und auch etwas erschöpft legte ich mich wieder hin. Das Reden und Trinken hatte mich angestrengt. Meine Gedanken verweilten zärtlich bei Jens. Er kümmerte sich fürsorglich, fast liebevoll um mich.
Was mochte er wohl für mich empfinden? Und wie war es mit mir selbst? Zugegeben, ich mochte Jens sehr. Aber war da mehr? Oder fühlte ich mich einfach nur verpflichtet, weil wir beide ein gegenseitiges Geheimnis kannten, das jeder von uns sonst sorgsam hütete?
Aber war ich denn wirklich schon wieder für eine neue Beziehung bereit? Die letzte Trennung tat noch immer weh, obwohl sie schon einige Zeit zurück lag. Und der plötzliche Verlust meiner Familie schmerzte ebenso. Oder wollte ich den Trennungsschmerz durch das Gefühl zu Jens einfach nur verdrängen? Noch während ich darüber nachgrübelte, schlief ich wieder ein.

*****

Es begann gerade zu dämmern als ich erneut aufwachte.
Jens lief nebenan geschäftig in seinem Appartement umher. In der kleinen Küche hörte ich kurz einen Teekessel pfeifen. War es abends oder früher Morgen? Mit noch etwas wackligen Beinen stand ich vorsichtig auf. Neben dem Bett lagen ein paar Kleider von mir, die ich dankbar anzog.
Im Raum nebenan hörte ich leise Geschirr klappern. Als ich die Tür des Schlafzimmers öffnete, blickte Jens auf und sah mich lächelnd an. „Guten Morgen, Steffi. Ausgeschlafen? Wie fühlst Du Dich heute?“
„Guten Morgen, Jens. Ich fühle mich so gut und fit wie schon lange nicht mehr. Wie lange habe ich eigentlich geschlafen?“ Der Therapeut blickte auf die Uhr. „Du hast etwas über 15 Stunden geschlafen. Das hast Du aber auch gebraucht. Du warst schließlich völlig erschöpft.
Ich habe uns schon mal Frühstück gemacht. Ich hoffe, Du magst, was ich aufgetragen habe.“

Mein Blick glitt über den gedeckten Tisch. Es war mehr da als wir zu zweit hätten essen können. „Ja. Das sieht alles sehr lecker aus. Womit habe ich soviel Fürsorge eigentlich verdient?“
Jens grinste und begann sehr spontan: „Weil Du mir etwas bedeutest.“ Er brach verlegen ab und begann von neuem. „Weil Du dem Adler das Leben gerettet hast. Wärst Du nicht gewesen, hätte er die Nacht nicht überlebt.“
Ich nickte ebenfalls verlegen und meinte verstanden zu haben. „Wird er bald wieder fliegen können?“ Mir fiel nichts anderes dazu ein, deshalb lenkte ich das Thema auf den Adler, damit wir uns nicht ganz anschwiegen.
Nicht, dass mir das wirklich unangenehm gewesen wäre. Aber ich wusste nicht, wie Jens dazu stand. Zumal er nach seinem Satz verlegen reagiert hatte.

„Mark wird mit ihm nachher ein paar Flugversuche unternehmen. Heute verspricht es wieder ein besonders schöner Tag zu werden. Mein Dienst geht heute aber leider bis 17 Uhr. Wenn Du jedoch Lust hast, können wir uns anschließend am Strand sehen. Ich glaube, Kevin wollte heute ebenfalls an den Strand.“
Da war es wieder. Das Kribbeln wie tausend Schmetterlinge in meinem Bauch. Jens hatte etwas in mir berührt, dass ich glaubte mit der letzten Trennung endgültig begraben zu haben.
Ich wollte aber nicht schon wieder einen Reinfall der Gefühle erleben. Ich mochte Jens ebenfalls sehr, aber was war nach meiner Reha? Würde ich ihn einfach so vergessen können? Oder war er der Lebenspartner, den ich mir schon immer erträumt hatte?

Ich schob meine Zweifel beiseite. Wir waren jetzt gerade zusammen, und solange die Reha dauerte, wollte ich mir über das danach keine Gedanken machen. Ich durfte eben nicht zu emotional werden.
„Ich muss erst auf meinen Plan und in mein Fach sehen, was ich heute Mittag alles habe. Gern würde ich mit euch dreien noch etwas unternehmen.“ Jens sah mich einen Moment lang seltsam traurig an. Aber ich konnte das Gesagte nicht mehr zurücknehmen. Wie gerne hätte ich ihm gesagt, was ich tatsächlich für ihn empfand, doch das würde es hinterher nur noch schwerer für mich machen.
Jens schien mich auch ohne Worte zu verstehen. Er stand auf und räumte den Tisch ab. Ohne lange zu fragen, half ich ihm kurzentschlossen dabei.

In der engen Küche kamen wir uns dabei sehr nahe. Plötzlich lag ich in den Armen von Jens und keiner von uns beiden wusste so recht, wie es dazu gekommen war. Mein Herz pochte mir dabei bis zum Hals. Meine Hände strichen zärtlich über seinen Kopf, ohne dass ich darüber nachdachte.
Seine Lippen kamen meinen langsam näher. Wenn ich es nicht gewollt hätte, könnte ich seinen Kopf auch weg drücken. Es schossen mir so viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf, aber keinen davon konnte ich festhalten. Mein Verstand wehrte sich noch vehement dagegen, jedoch mein Herz jubelte vor Freude und mein Blut pochte begehrend durch meine Adern.
Wir wollten das beide. Und Jens hielt mich beschützend in seiner Umarmung. Er ließ mir dabei jedoch soviel Freiraum, dass ich mich daraus hätte befreien können, wenn ich es nicht gewollt hätte.
Doch es fühlte sich so beruhigend und perfekt an. Genau das war es, was ich immer vermisst hatte. Ich wollte nie wieder etwas anderes empfinden.

Unsere heißen Lippen berührten sich. Zunächst unaufdringlich und zögernd, wie um nichts kaputt zu machen. Von diesem neuen, diesem besonderen, Gefühl seltsam berauscht, wollte ich unbedingt mehr.
Automatisch hoben sich meine Fersen an, und ich stand auf Zehenspitzen, meinen Kopf in den Nacken gelegt, und drückte meine Lippen noch fordernder an Jens'. Unsere Zungen forschten und umkreisten suchend die des anderen. Wie viel Zeit inzwischen vergangen war, wussten wir nicht.
Nur zaghaft und erkennend lösten wir uns wieder von einander. Diese neue Situation erfasste unser Verstand nur zögernd. Das Gefühl hatte sich so perfekt angefühlt, jedoch klang nun mit dem Verstehen auch ein lauter werdender Misston mit. Und mit der Erkenntnis kam zuerst die Verlegenheit und dann der Schock.

Was war da gerade geschehen?! War ich denn verrückt geworden?! Ich hatte doch unbedingt meine Emotionen zurückhalten wollen!
Auch Jens ging es nicht sehr viel anders als mir. Er versuchte es als erstes zu erklären. Auch schien es wieder, dass er mich ohne Worte verstand. Er wollte meine Hand halten, die ich ihm ohne zu überlegen reichte.
Ich vertraute ihm trotzdem noch, oder gerade wegen eben. Irgendetwas war mit uns geschehen, und das gleiche erklärte auch Jens sofort: „Es tut mir leid, Steffi. Das hätte so nicht passieren dürfen. Ich meine, nicht so schnell und nicht sofort. Bitte, verstehe mich nicht falsch.“ Er drückte meine Hand ganz sanft, wie um seine Worte zu bekräftigen.
„Ich liebe Dich, Steffi. Du bist etwas ganz besonderes für mich. Und gerade deshalb möchte ich, dass Du Dir die Zeit nimmst, über Deine Gefühle zu uns beiden nachzudenken. Wenn Du nur eine oberflächliche und kurze Beziehung wünschst, werde ich das akzeptieren und mich fügen müssen. Aber dazu muss ich fairerweise sagen, dass dem Personal – also auch mir – ein enger, persönlicher Kontakt zu unseren Patienten eigentlich verboten ist. Werde ich bei etwas erwischt, das auch nur annähernd intim aussieht, bin ich fristlos entlassen. Aber dieses Risiko bist Du mir wert, Steffi.“

Nein, das wollte ich auf gar keinen Fall. Erschrocken schaute ich zu Jens auf. Soviel Wertschätzung hatte mir schon lange niemand mehr entgegen gebracht. „Nein, Jens. Du darfst Deinen Job auf keinen Fall wegen mir gefährden. Ich kenne mich im Moment selber nicht mehr. Meine Gefühle sagen etwas anderes als mein Verstand. Lass mir bitte noch etwas Zeit, um darüber nachzudenken.“
Ich wollte seine Hand nicht loslassen. Es war angenehm von jemandem beschützt zu werden, dem man blind vertrauen konnte. Aber würde ich ihm das gleiche entgegen bringen können? Tief in meinem Innersten kannte ich meine Entscheidung längst, aber nach so vielen Fehlentscheidungen in meinen bisherigen Beziehungen, fehlte mir jetzt mein Selbstvertrauen.

Bevor ich weiter grübeln konnte, hatte mich Jens erneut in seine Arme gezogen und drückte mich liebevoll an sich. Dann gab er mir einen zärtlichen Kuss auf die Stirn, und als ich lächelnd zu ihm aufschaute, küsste er auch sanft meine Nasenspitze.
Ohne meine Reaktion abzuwarten, fragte er zum Thema zurückkommend: „Und? Sehen wir uns heute Nachmittag am Strand?“ Ich konnte nur noch lächelnd nicken. Meine Gefühle spielten Karussell mit mir und ein Kloß im Hals hinderte mich am Sprechen.
Jens schien mich auch jetzt zu verstehen, denn er reichte mir professionell meine Jacke und meinen Zimmerschlüssel. Wobei seine Augen gewinnbringend strahlten. „Dann bis heute Nachmittag, Steffi. Wir … ich freue mich darauf.“

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« Antworten #12 am: 29.Mai.2018, 21:42:28 »

Kapitel 12 – „Sind Sie noch suizidgefährdet?“

Die Türe wurde hinter mir geschlossen, und ich holte einmal tief Luft. War dies gerade alles nur ein Traum gewesen, oder hatte mich tatsächlich der am besten aussehende Mann dieser Klinik geküsst?
Meine beschwingten Schritte lenkten mich ganz mechanisch zu meinem Schließfach. Das allgemeine Frühstück war inzwischen auch vorbei. Ich blickte auf die Uhr in meinem Handy. Wenn ich mich beeilte, konnte ich noch ganz kurz auf mein Zimmer gehen. Doch zuvor musste ich meine Medizin abholen.
Hoffentlich musste ich keine unangenehmen Fragen beantworten. Abermals hatte ich Glück. Die feinen Linien, wo sich die Kratzer des Adlers befunden hatten, waren kaum mehr zu sehen. Und Jens musste irgendeine plausible Entschuldigung für mich abgegeben haben, denn die Schwester fragte nur: „Geht es Ihnen wieder besser, Frau Reimor?“
Mein bestätigendes Nicken wurde zur Kenntnis genommen. Eine weitere Erklärung, die ich eh nicht hätte geben können, wurde offensichtlich auch gar nicht von mir erwartet. Also verabschiedete ich mich rasch und eilte hoch auf mein Zimmer.

Die Jacke hängte ich in die Garderobe. Mit meinem Therapieplan und meiner Wasserflasche machte ich mich sogleich wieder auf zu meinen Stunden.
Die Gruppentherapie erreichte ich gerade noch rechtzeitig. Meine Erklärung, dass ich mich heute noch nicht besonders gut fühlen würde, schien den Therapeuten auszureichen. Was auch immer Jens erklärt hatte, ich war ihm dankbar dafür, dass mir keine weiteren Fragen gestellt wurden.
Eine Bastel- und eine Yoga-Stunde später begann ich mich sogar auf den Nachmittag am Strand zu freuen. Ich würde Jens wiedersehen, hatte er versprochen. Schon jetzt musste ich erkennen wie sehr ich ihn vermisste. 'Aber war es sein Witz und Charme, der es mir angetan hatte, oder war er es selbst, den ich jetzt fast mit Sehnsucht erwartete?'

*****

Nach dem Mittagessen, fand ich jedoch noch eine Notiz in meinem Schließfach, die besagte, dass mich meine Reha begleitende Therapeutin am Mittag dringend sehen wollte.
Doch zuvor hatte ich einen berufsvorbereitenden Computerkurs. Zum Glück waren mir die Abläufe der Aufgaben bekannt, denn meine Gedanken wanderten immer wieder zu der Notiz über das kommende Gespräch.
Es war eher ungewöhnlich, wenn ein Patient außerhalb seiner planmäßigen Termine zum begleitenden Therapeuten gerufen wurde. 'Was wollte sie von mir? Was hatte sie über gestern in Erfahrung gebracht? Oder ging es dabei womöglich um Jens,' stellte ich erschrocken fest. 'War seine Anstellung durch mich bereits gefährdet?'
Einerseits sehnte ich mir den Termin herbei, damit möglichst schnell alles vorüber war. Andererseits befürchtete ich das Schlimmste und wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
Ich musste abwarten, weshalb ich zu dem Gespräch gerufen wurde. Aber es zehrte mehr an meinen Nerven als ich mir selber eingestehen wollte.

Beherzt klopfte ich an die Tür meiner betreuenden Psychologin. Sofort kam ein aufforderndes „Herein!“ von der anderen Seite der Tür, dem ich umgehend Folge leistete.
Noch bevor ich sie grüßen oder etwas sagen konnte, kam mir die Betreuerin zuvor: „Hallo, da sind Sie ja, Frau Reimor. Und sogar überpünktlich. Sehr schön. Nehmen Sie doch bitte Platz. Wie geht es Ihnen heute?“
„Hallo,“ setzte ich zaghaft an. Ich hatte wirklich keine Ahnung worauf sie hinaus wollte. Ahnungslos fragte ich deshalb: „Wie meinen Sie das?“ „Nun, Sie sind nun schon ein paar Wochen hier, aber ich sehe Sie nur selten mit anderen Patienten sprechen, oder dass sie etwas gemeinsam unternehmen. Zu Beginn der Reha stand die Frage im Raum, ob Sie suizidgefährdet sind.“ Die Psychologin machte eine Pause und musterte mich scharf.
Daher also wehte der Wind. Wenn ich jetzt nur wüsste, was Jens als Erklärung geliefert hatte. Bevor ich zu einer Erklärung ansetzen konnte, lieferte sie mir glücklicherweise die Aussage von Jens über mich. „Herr Mattens sagte, er habe Sie gestern völlig entkräftet am Deich aufgelesen und zur Klinik zurück gebracht. Anschließend haben Sie den restlichen Mittag bis heute Morgen durchgeschlafen?“

Wenn Jens den verletzten Adler nicht erwähnt hatte, dann hatte er sicher seine Gründe. „Gestern stand auf meinem Therapieplan Nordic Walking. Da aber das Wetter plötzlich umgeschlagen ist, war ich am Schluss als einzige übrig. Weil mir Bewegung an der frischen Luft wichtig ist, bin ich allein losgelaufen. Ich muss wohl den Wind unterschätzt haben. Denn als ich zurück laufen wollte, musste ich mit jedem Schritt gegen den Wind ankämpfen.“
Ich hatte mir da gerade etwas zusammen gereimt, wo ich nicht einmal wusste, ob es standhalten würde. Ja, der Wind hatte aufgefrischt, aber ob er wirklich genau von vorn gekommen war, wusste ich wirklich nicht mehr. Aber der Psychologin schien dies zu genügen. Sie schrieb etwas in meine Unterlagen und wirkte wieder zufrieden.
„Aber um eines möchte ich Sie noch bitten, Frau Reimor,“ schloss sie unser Gespräch. „Gehen Sie den Gefahren bitte aus dem Weg. Seit Sie hier sind, standen Sie fast bei jeder gefährlichen Rettungsaktion mit in der Zeitung. Das allein wäre es noch nicht, aber die Kripo lässt sich hier im Haus immer so schlecht abwimmeln.“

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Spontan erklärte ich: „Ich kann doch niemanden ertrinken lassen, wenn ich sehe, dass ihm keiner hilft und die Flut schnell höher steigt.“ Die Betreuerin schaute überrascht auf: „Die Rettungsschwimmerin am Stand waren auch Sie?! Die Presse rätselt bis heute noch, wer die sportliche Unbekannte war.“
„Und so soll es bitte auch bleiben,“ wünschte ich. „Wie Sie sehen, versuche ich nicht nur mein Leben wieder in geregelte Bahnen zu bekommen, ich sorge mich sogar um das Wohl fremder Menschen. Ich denke, damit habe ich bewiesen, dass von Selbstmord bei mir keine Rede sein kann.“

Nachdem ich noch zugesichert hatte, dass ich versuchen wollte, künftigen Gefahren aus dem Weg zu gehen, entließ mich meine Betreuerin wieder. Schließlich wollte ich am Nachmittag noch mit den Jungs schwimmen gehen.

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« Antworten #13 am: 29.Mai.2018, 21:53:14 »

Kapitel 13 – Ein Bad im Meer und Malte, der Fisch

Auch diesen Nachmittag verbrachten wir wieder gemeinsam am Strand. Unser Treffpunkt lag etwas weiter weg vom normalen Badestrand. Nicht jeder sollte sofort sehen, wer sich hier traf. Ein kleiner Vorteil war zusätzlich, dass dies ein privater Strandabschnitt war, der zu einem Appartement direkt am Meer gehörte.
In diese Ferienwohnung hatten sich Mark und Kevin eingemietet. Und hier kamen Jens und ich immer unabhängig von einander her. So war gewährleistet, dass uns niemand zusammen sehen konnte.
Dieses mal war ich früher dort als sonst. Da ich keinen Hunger gehabt hatte, hatte ich das Essen ausfallen lassen und war eher am Strand als die anderen.

Ich nahm meine aufblasbare Wassernudel mit ins Wasser und schwamm ein Stück hinaus. Dann ließ ich mich von den Wellen wieder zurücktragen, wobei ich mir die Nudel, wie in einem Sessel sitzend, unter die Arme klemmte.
Es war ein friedliches und harmonisches Schaukeln wie mich die Wellen wiegten. Ich schloss entspannt meine Augen und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Die Wellen, die sich sanft an meiner Wassernudel brachen, sangen ihr besänftigendes Lied. Und die Möwen im Wind begleiteten sie dazu.

Plötzlich streifte jedoch etwas großes an mir vorbei, das sofort meine gesamte Aufmerksamkeit bekam. Der Fisch, oder was auch immer das gewesen war, war fast doppelt so groß wie ich.
Panik breitete sich in mir aus. 'Gab es etwa Haie in der Nordsee? Hatte sich vom Atlantik einer hierher verirrt? Warum griff er dann nicht direkt an? Und... hatte er überhaupt eine Rückenflosse gehabt?'
So viele Fragen stürzten gleichzeitig auf mich ein. Doch zum Überlegen blieb keine Zeit. Ich musste jetzt zudem entsetzt feststellen, dass ich von den Wellen viel weiter raus getragen worden war, als ich eigentlich gewollt hatte.
Und dieser Fisch hatte mir zu allem Übel auch noch den Rückweg abgeschnitten. Ich war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig! Die Panik griff mit all ihrer Macht nach mir. Mein einziges Ziel war es: 'Raus aus dem Wasser! Sofort!'

Doch schon kam der Fisch zurück. Und dieses Mal direkt auf mich zu! Plötzlich zu keiner Bewegung mehr fähig, hing ich mit meinen Armen über meiner Wassernudel, die mich glücklicherweise über Wasser hielt. So einen riesigen Fisch hatte ich noch nie in Natura gesehen.
Er streifte noch einmal direkt an mir entlang, so dass ich zumindest erkennen konnte, dass es kein Hai war. Es ging augenblicklich auch keine Bedrohung mehr von ihm aus. Er wollte offensichtlich auch, dass ich sofort zurück ans Ufer schwamm.
Dankbar drehte ich mich ihm zu und konnte so erstmals seine Augen sehen. Darin sah ich nun, da ich wieder ruhiger geworden war, etwas vertrautes, oder vielmehr sogar etwas bekanntes.

Und plötzlich fiel es mir wieder ein. „Du bist Malte, nicht? Malte, der Fisch!“ erkannte ich richtig. Der Stör nickte und strich ein weiteres mal an mir entlang. Dies schien ihm zu gefallen. Meine Hand hatte ich ausgestreckt, damit ich ihn streicheln konnte. „Ich glaube, wenn Du mir das versucht hättest zu erklären, hätte ich es Dir wohl nicht abgekauft,“ gab ich offen zu.
„Ich dachte, Du meinst mit Fisch, dass Du ein besonders guter Rettungsschwimmer wärst.“ Malte nickte vielsagend mit dem Kopf.
Bevor ich mich jedoch weiter mit ihm beschäftigen konnte, legte sich plötzlich ein großer, dunkler Schatten über uns. Und ehe einer von uns beiden reagieren konnte, hatten bereits kräftige Klauen nach dem Fisch gepackt.
Maltes Urinstinkte hatten ihn jedoch blitzschnell reagieren und abtauchen lassen, so dass die Krallen des Weißkopfseeadlers ihn nur streifen konnten. Dennoch zog er eine rote Spur hinter sich her, als er sich umdrehte und zu mir zurück kam.

Mit der neuen Situation völlig überfordert, konnte ich nicht begreifen, wieso Eagle nicht erkennen konnte, dass er hier den falschen attackierte. Malte hingegen wollte nur mich beschützen und stellte sich damit in seiner jetzigen Form seinem größten Feind, dem Adler.
Aber das wollte ich nicht zulassen. Impulsiv schrie ich Eagle entgegen: „Nein! Stopp! Das ist Malte, der Fisch! Unser Freund!“ Gleichzeitig schlang ich meine Arme um den Stör, um ihn vor einem weiteren Angriff sowie tieferen Verletzungen zu beschützen.
Eagle konnte mich aber durch das Rauschen seiner Flügel und die sich brechenden Wellen nicht verstehen. Er hatte vorhin, wie die anderen beiden auch, meine wilde Panik gespürt. Und da er in seiner Form hier heimisch war, konnte er ungehindert und am Schnellsten bei mir sein.
Dass ich diese Hilfe allerdings gar nicht mehr brauchte, erkannte er zu spät.

Im nämlichen Moment, als er ein weiteres mal zum Sturzflug ansetzte, spürte er eine neuerliche Angst bei mir. Im selben Augenblick hatte ich mich besorgt über Malte gebeugt, um ihn mit meinem fast nackten Körper zu schützen.
Dass Malte auch einfach hätte abtauchen können, daran dachte ich in meiner Panik nicht. Eagle erkannte die neue Situation erst in dem Moment, als seine scharfen Krallen sich bereits tief in meine weiche Schulter gebohrt hatten.
Erschrocken ließ er los und fiel sofort neben uns ins Wasser, wo er sich blitzschnell in Mark verwandelte.

Entsetzt machte er sich bereits große Vorwürfe, aber davon machte es das Geschehene nicht rückgängig. Malte war still in seiner Stellung verharrt, damit ich nicht von ihm abrutschen sollte. Er brauchte dringend Hilfe, denn so konnte er mich allein unmöglich zum Strand zurück bringen. Seine eigene Verletzung machte ihm ebenfalls zu schaffen, wobei ihm das im Moment egal zu sein schien.

Ich bemerkte nur noch, wie Eagle von mir erschrocken abgelassen hatte und im Wasser als Mark wieder aufgetaucht war. Meine offene Wunde brannte durch das Salzwasser höllisch. Mein Blick wurde von Dunkelheit umhüllt. Die Schmerzen waren einfach zu viel für mich.
Ich fiel in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Das letzte, das ich noch wahrgenommen hatte, war eine brennende, unerträgliche Hitze auf dem Rücken, wo sich das Wasser der Nordsee in meine tiefe, offene Wunde fraß.

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« Antworten #14 am: 29.Mai.2018, 22:09:04 »

Kapitel 14 – Verhör im Krankenhaus

Viele Stunden später wachte ich in einem weißen Bett im Krankenhaus auf. Nach etwas bekanntem, vertrautem suchend, schaute ich mich langsam um. Jede Bewegung fühlte sich seltsam an. Nicht schmerzhaft, aber auch nicht wirklich gut.
Neben meiner rechten Hand lag die von Jens, der in einem Stuhl schlafend neben meinem Bett saß. Vorsichtig griff ich seine Hand.
Ich wollte ihn zwar nicht unbedingt wecken, aber es war mir ein Bedürfnis in seiner Nähe zu sein. Außerdem war ich froh, dass ausgerechnet er da saß. Dadurch fühlte ich mich gleich etwas besser.

Durch meinen sanften Händedruck wach geworden, schrak Jens fast hoch. „Du bist aufgewacht, Liebes... Steffi,“ verbesserte er sich sofort. Er hatte Versprochen mir die Zeit zu lassen, die ich brauchte, um mir über meine Gefühle klar zu werden.
Wir waren jetzt fast jeden Tag zusammen gewesen, Jens, Kevin, Mark und ich, so dass ich schon wie selbstverständlich zur Gruppe gehörte. Aber wie sehr ich Jens tatsächlich am Herzen lag, das erkannte ich erst in diesem Moment.
Ich selber wusste noch nicht so genau, was ich eigentlich wollte, daher drückte ich seine Hand nur dankbar.

„Wie lange habe ich geschlafen?“ fragte ich vorsichtig. Jens blickte sich zunächst um, wie um sich zu vergewissern, dass wir auch wirklich allein waren. „Du hast die ganze Nacht und den halben Morgen durchgeschlafen,“ begann er zögernd, und ich spürte, dass er noch mehr sagen wollte.
Stattdessen fügte er etwas lauter hinzu: „Die Kripo hat sich für Deinen Unfall interessiert. Deshalb bin ich der einzige, der im Moment zu Dir durfte. Weil ich nicht dabei war als es passiert ist.“ In Gedanken fügte er noch hinzu: „Wir haben nichts verraten, und Kevin hat so viel wie möglich geheilt, um die Spuren der Krallen von Eagle zu vertuschen.“
Sorgenvoll sah Jens mich an. Seine Sorge galt sowohl mir, wie auch dem Geheimnis, das uns alle umgab.

Bevor ich jedoch antworten konnte, wurde Jens aus dem Zimmer geschickt und ein älterer, drahtiger Kommissar betrat mit seinem jüngeren Assistenten das Krankenzimmer, gefolgt von einem Arzt in einem weißen Kittel. Der Arzt sah aus als hätte er seine besten Jahre ebenfalls schon hinter sich und lief in leicht gebeugter Haltung humpelnd hinterher.
Während die Gesetzeshüter oben zu meinen Füßen stehen blieben, kam der Arzt auf meine linke Seite, um mich eingehend zu untersuchen.

Polizeihauptkommissar Winnhusen stellte sich und seinen Assistenten Miller vor. Und dann kam er auch sofort auf den Punkt. „Frau Reimor, wir sind wegen Ihrem Unfall hier. Können Sie uns schildern, was passiert ist?“ fragte er dienstbeflissen, und sein Kollege notierte alles fleißig mit.
Ich überlegte, was ich erzählen konnte und was plausibel klingen würde. So wie ich die beiden einschätzte, war ihnen die bequeme und weniger gefährliche Variante lieber.
Mein Schweigen deuteten sie indes fälschlich für eine Gedächtnislücke. „Fällt Ihnen denn gar nichts mehr dazu ein, Frau Reimor?“ Mit leichter Ungeduld klopfte Winnhusen mit den Handknöcheln gegen das Bettgestell.
Das Klopfen machte mich nervös und ungehalten. Impulsiv fragte ich herausfordernd: „Wird das jetzt ein Verhör?!“ Der Doc, ein bedächtiger, Ruhe ausstrahlender Dr. med. Jürgen Schild, legte beruhigend eine Hand auf meinen Arm, bevor er sogleich den Blutdruck messen wollte.
Die beiden Beamte hatten davon nichts mitbekommen. Auf meine Frage kam wie aus der Pistole geschossen die Gegenfrage: „Wieso? Haben Sie denn etwas zu verbergen, Frau Reimor?“

Die schlagfertige Gegenfrage hatte mich überrascht. Schnell beeilte ich mich zu berichten, was ich mir zurecht gelegt hatte. Der Kommissar mochte zwar nicht so wirken, dennoch hatte er einen klaren Verstand und eine schnelle Auffassungsgabe. Hier musste ich mit meinen Worten vorsichtig sein.
„Ich bin wie jeden der letzten Tage an den Strand zum Schwimmen gegangen. Und weil außer mir noch keiner im Wasser war, habe ich mich mit einer Schwimmnudel auf dem Wasser treiben lassen. Dabei muss ich vergessen haben, dass die Flut auch Wasser zurück nimmt. Und dadurch bin ich leider immer weiter abgetrieben.“
Der Assistent schrieb eifrig mit. Ich machte eine Pause, um meine nächsten Worte zu überdenken. „Ich glaube, es hat mich dann eine besonders große Welle erwischt und unter Wasser gegen Felsen oder Steine gedrückt.“

„Und an mehr können Sie sich nicht mehr erinnern?“ Der Kommissar schien enttäuscht. Ich schüttelte den Kopf, suchte aber dennoch nach einer plausiblen Erklärung: „Ich glaube, mir ging unter Wasser die Luft dabei aus, als ich an die Steine gedrückt wurde.“
Ich malte mir die Szene aus und musste dabei so ein überzeugendes Gesicht gemacht haben, dass dem Assistenten die Worte entwichen: „Da haben Sie ja noch mal richtig Glück gehabt, dass zufällig ein Rettungsschwimmer in der Nähe war.“
Ich nickte stumm. Keiner sollte wissen was wirklich passiert war. Außerdem wollte ich, dass die Polizisten wieder gingen. Aber ich traute mich nicht etwas zu sagen.

Stattdessen packte Dr. Schild nun umständlich eine Spritze und ein paar Kanülen aus, um mir Blut abzunehmen. Kommissar Winnhusen zog die Augenbrauen hoch. Er hasste Spritzen. Und noch weniger konnte er Blut sehen, ohne dass ihm übel wurde. „Das sollte fürs Erste genügen, Frau Reimor. Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung.“
Er musste sofort raus hier, bevor ihn sein Würgereflex verraten würde, dass er keine Spritzen mochte. Sein Assistent klappte sein Notizbuch zu und grüßte ebenfalls. Gemeinsam verließen sie in dem Moment das Zimmer als der Doc die Spritze angesetzt hatte und mein Blut langsam in die Kanüle lief.

Sofort beendete Dr. Schild den Vorgang und meinte: „Gott sei Dank. Ich dachte, er wollte nie gehen.“ Ich schaute den Doktor überrascht an. „Sie mögen ihn nicht besonders? Und warum schmeißen Sie die Kanüle jetzt einfach weg? Brauchen Sie kein Blut von mir?“
Der Doc schüttelte den Kopf. „Ihr Blut würde im Labor nur für Verwirrung sorgen. Es enthält inzwischen das 'Fliegergen'.“ „Das Fliegergen? Gibt es so etwas?“ fragte ich verdutzt. „Die Menschen sehen es nur als defektes Gen, können es aber nicht zuordnen.“

„Die Menschen? Das heißt, Sie sind auch ein …?“ Ich war nur noch verwirrt. „Ja, ich bin auch ein Otherkin. Eine Schildkröte um genau zu sein. Ich kenne Malte, den Fisch, schon sehr lange. Sie hätten sich für ihn aufgeopfert, sagte er mir. Sie müssen ihn wohl sehr lieben. Oder habe ich da vorhin etwas anderes gesehen?“ fragte er Augen zwinkernd.

Der Doc war für sein Alter noch ziemlich neugierig. Aber gleichzeitig hatte er mir auch durch seine Fragen Klarheit verschafft. „Ich war mir bis jetzt nicht so sicher. Jetzt weiß ich endlich, was ich längst hätte tun sollen. Ich mag Malte sehr, aber mehr wird da niemals sein.“
Ich musste Jens suchen, und das am liebsten sofort. „Wenn Sie aufstehen können, dann spricht nichts dagegen,“ meinte der Doc wissend. „Ich glaube, er sitzt noch unten im Eingangsbereich bei den anderen.“ Verdutzt blickte ich Dr. Schild an. 'Konnte er etwa Gedanken lesen? Und wo waren die Polizisten hin?'
„Vor den Cops brauchst Du keine Angst zu haben. Die haben das Krankenhaus fluchtartig verlassen. Ich glaube, der eine kann keine Spritzen sehen,“ grinste Schild. „Und, ja. Wir können mit etwas Übung Gedanken lesen,“ ergänzte er entschuldigend.

Ich musste sofort zu Jens. Deshalb verabschiedete sich Dr. Schild gleich, damit ich mir rasch etwas überziehen konnte. Oben an der Treppe blieb ich einen Moment atemlos stehen. Die langen Flure und der Blutverlust hatten mich doch etwas angestrengt.
Jens spürte es mehr, als dass er sah, wie ich an der Treppe stand. Eilig stand er auf und lief mir besorgt ein paar Schritte entgegen. Nun hielt mich nichts mehr. Ich flog fast die Treppe nach unten und direkt in seine Arme.
„Jens. Entschuldige bitte!“ gab ich atemlos von mir. „Jetzt beruhige Dich erst einmal, Steffi. Und hole mal tief Luft,“ erwiderte Jens fürsorglich. Die anderen beiden, Mark und Kevin, kamen nun ebenfalls dazu.

„Was soll Jens entschuldigen?“ fragte Mark unbedarft und neugierig. Die Freunde hatten keine Geheimnisse voreinander. „Ich war so egoistisch, Jens, dass ich nicht einmal erkannt habe, wie sehr ich Deine Gefühle verletzt habe,“ erklärte ich Jens zerknirscht.
Jens wollte davon jedoch nichts wissen. „Ich liebe Dich, Jens. Das weiß ich jetzt sicher. Ich hoffe, Du willst mich noch?“ Diese bange Frage musste ich einfach stellen. Zu oft in den letzten Tagen hatte ich Jens einen Korb gegeben oder ihn auf Abstand gehalten.
Jens war nur glücklich, dass ich mich endlich doch für ihn entschieden hatte. Er hielt mich fest in seinen Armen und gab mir einen zärtlichen Kuss. „Du. Ich lass Dich jetzt nie wieder los.“

„Und wie hat es Malte aufgenommen?“ wollte Mark wissen. Betreten sah ich zu Boden. „Er weiß es noch gar nicht. Mir wurde erst vorhin klar, wie ich mich fühlen würde, wenn ich Jens verliere.“
„Eine gute Entscheidung, Steffi,“ gratulierte Kevin. „Wenn wir Dir helfen sollen, dann sag' uns das bitte.“ „Ich versuche das erst einmal selber zu regeln. Sollte ich dann damit nicht fertig werden, dürft ihr mir gerne helfen. Nur, ich finde, dass ich das Malte auch schuldig bin,“ bestand ich darauf.

Meinen Klinikaufenthalt musste ich auch noch beenden. Aber jetzt, nachdem ich eine Entscheidung getroffen hatte, fühlte ich mich wesentlich besser. Der Verlust meiner Familie fühlte sich noch immer schmerzhaft an, aber mit Jens und seinen Freunden hatte ich gleichzeitig eine neue Familie bekommen.
So ließ sich der Schmerz einigermaßen ertragen. Und irgendwann würde ich ihn vielleicht auch verarbeitet haben.

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« Antworten #15 am: 29.Mai.2018, 22:32:37 »

Kapitel 15 – Abschied von Malte

Malte traf ich in dem Café, wo wir uns schon einmal getroffen hatten. Er war bereits dort und hatte einen Tisch reserviert, der zwar etwas abseits stand, von dem man jedoch alles sehen konnte.

Kaum hatte er mich gesehen, war er freudestrahlend aufgesprungen. Seine Art hatte etwas herzlich erfrischendes und eine unkomplizierte Natürlichkeit. Es würde mir viel schwerer fallen als ich gedacht hatte. Für einen Moment wünschte ich mir Jens herbei.
'Soll ich kommen, Liebes?' war seine direkte gedankliche Antwort auf meinen Wunsch. Ich erschrak bei seiner direkten Art zu antworten. Ich musste möglichst rasch lernen, meine Gedanken bei mir zu behalten. Schnell dachte ich ebenso spontan als Antwort: 'Nein, Jens. Das ist lieb von Dir. Aber es wäre Malte gegenüber nicht fair. Ich möchte, dass er mich und diese Stunde in guter Erinnerung behält. Wenn ich gar nicht mehr weiter weiß, oder es mir zu schwer fällt, melde ich mich wieder.'
Ich wusste, er war in meiner Nähe. Doch niemals würde er in meine Gedanken ohne mein Einverständnis eindringen.

Malte kam auf mich zu und umarmte mich herzlich. „Schön, dass Du Zeit gefunden hast, Steffi,“ freute er sich. Er machte mir den Einstieg leichter als ich dachte. „Ja, das stimmt. In ein paar Tagen schon ist meine Reha leider wieder zu Ende,“ gab ich etwas traurig von mir.
Es stimmte ja, dass ich den Ort, die Leute und auch das Meer vermissen würde. Eine bedrückende Stille war eingekehrt. Keiner von uns beiden wusste, was er als nächstes sagen sollte. Zum Glück kam in dem Moment die Bedienung und brachte zwei Eiskaffee. Malte war einfach davon ausgegangen, dass ich das gleiche wie die letzten Male trinken würde. Das Kaffee war fast überfüllt und die Bedienung war um jede Erleichterung dankbar.

In Gedanken versunken rührte ich in meinem Eiskaffee und nahm einen Schluck davon. Ich blickte an den Leuten vorbei aufs offene Meer und sah den Möwen bei ihrem verspielten Flug mit dem Wind zu.
Es hatte sich damals so gut angefühlt als ich auf Argus' Rücken saß und meine Flügel im Wind gespürt hatte.
Malte hingegen betrachtete mich so als wollte er sich alles von mir genau einprägen. Zaghaft legte er seine Hand auf meinen Arm. „Steffi?“ Ich blickte Malte an und sah in seinen Augen einen hoffnungsvollen Schimmer.
„Steffi, könntest Du Dir vorstellen hier zu wohnen?“ Es fiel ihm offensichtlich nicht leicht zu sagen, wie sehr er mich mochte oder wie sehr er wollte, dass ich blieb. Ich überlegte einen Moment, wie ich ihm antworten sollte.

„Malte... so gern ich hier meine Tage verbracht habe, und so schön es hier auch direkt am Meer ist, ...“ begann ich. Doch er war bereits enttäuscht, weil er ahnte, was jetzt kommen würde. Er ließ deshalb von meiner Hand ab um Abstand zu gewinnen.
„... ich vermisse hier die Berge. Die unendliche Weite ist hier fast beängstigend für mich. Es gibt bei uns zwar auch eine Fernsicht, aber nur an manchen Tagen und man muss dazu hoch auf einen Berg oder eine Anhöhe steigen oder fahren.“
Malte schluckte schwer. Jemanden wie mich hatte er schon immer gesucht. Das war ihm aber erst aufgefallen, als ich im Krankenhaus gelegen hatte. Er holte tief Luft und nahm all seinen Mut zusammen. „Und wenn ich mit Dir mitkommen würde? Könntest Du Dir ein Leben mit uns zwei vorstellen?“

Ängstlich verharrte er vor mir und war sich gleichzeitig nicht sicher, ob er meine Antwort hören wollte. Denn insgeheim kannte er sie bereits. „Malte...“ Ich blickte ihn traurig an. Ich wusste gleichzeitig, dass ihn meine nächsten Worte tief verletzen würden. Dennoch hatte er die Wahrheit verdient zu hören.
„Ich mag Dich sehr, Malte. Du hast mir ein paar Mal aus brenzligen Situationen heraus geholfen, und ich meinte, ich müsste Dich vor Eagle beschützen. Aber für eine gemeinsame Zukunft braucht es etwas mehr als nur Zuneigung.“
In Maltes Augen war jeder Glanz erloschen. Er bemühte sich dennoch seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Ich wusste nicht, wie ich ihn noch trösten konnte.

Jedes weitere Wort von mir war für ihn wie Öl ins Feuer gegossen. Sein Blick ging an mir vorbei ins Leere. Es fiel mir niemand ein, den ich hätte verständigen können, um nach Malte zu sehen.
Ich litt selber darunter, dass ich ihm nicht helfen konnte. Ich berührte besorgt seine Hand, die er jedoch fast sofort wieder weg zog. So als hätte er sich verbrannt. Nein, Mitleid wollte er keines haben!
Also nahm ich meine Tasche und meine Jacke vom Stuhl und stand leise auf. Ich griff zu meinem Geldbeutel, ließ dann aber wieder davon ab. Malte hatte kaum merklich den Kopf geschüttelt. Er wollte nicht, dass ich bezahlte. Dies war das letzte bisschen Würde, das ihm vor mir noch geblieben war.

Ich hätte mich gern richtig von ihm verabschiedet, aber er war noch immer so verschlossen. Deshalb gab ich ihm einen letzten Kuss auf die Stirn und ging aus dem Café hinaus.
Ich war so unsagbar traurig, dass Jens dies spürte und sofort besorgt nach dem Grund fragte. 'Ich glaube, ich habe gerade einen guten Freund verloren,' gab ich resigniert zu. 'Vielleicht wird das mit Malte ja wieder. Lass ihm etwas Zeit. Und wenn Du willst, können wir gemeinsam mit ihm reden. Auch wir würden einen Freund verlieren.'

Ich lief zu einer Bank auf dem Marktplatz, setzte mich und betrachtete versonnen den Brunnen, der vor sich hin plätscherte. Jens meldete sich erneut in meinen Gedanken. 'Kommst Du wieder zurück, Steffi?'
'Lass mich noch ein paar Minuten hier auf der Bank sitzen.' Ich folgte einer Eingebung. 'Wenn Du möchtest, Jens, kannst Du auch noch kommen.' Er sagte gleich zu und lief sofort los.

Ein paar Minuten später kam Malte niedergeschlagen aus dem Café heraus. Er schaute sich kurz um. Seine Miene hellte sich schlagartig auf als er mich sah. Und er kam dann direkt auf meine Bank zu.
Ohne Umschweife begann er: „Bin ich froh, dass ich Dich noch treffe, Steffi. Ich bin ein Ochse, dass ich mich nicht von Dir verabschiedet habe. Ich möchte wenigstens, dass wir gute Freunde bleiben.“
Ich war froh, dass sich Malte so rasch gefangen hatte. Dieser Schritt musste ihm auch unheimlich schwer gefallen sein. „Ich möchte auch, dass wir gute Freunde bleiben, Malte,“ entgegnete ich. „Jens will auch noch bis in ein paar Minuten dazu kommen.“

Wir schwiegen beide wieder. Aber jetzt war es ein friedvolles, harmonisches Schweigen. Malte kam eine Idee, die er sofort darlegte. „Sag mal, Steffi, Hast Du nicht zufällig noch eine Schwester?“
Ich sah ihn ausdruckslos an und entgegnete tonlos: „Ja, ich hatte eine Schwester...“ Weiter kam ich nicht und konnte nicht mehr verhindern, wie mir die Tränen über mein Gesicht liefen.
Malte blickte mich ratlos und erschrocken an. Er wusste nicht, was er falsches gesagt haben sollte. „Steffi... ich... es tut mir leid, wenn ich Dich verletzt haben sollte.“ Vorsichtig streichelte er mir den Rücken, wodurch sich bei mir ein Teil meiner Anspannung löste.
Ich blickte kurz dankbar auf und weinte mich dann an seiner Schulter weiter aus. Ich war unfähig zu antworten. Ich weinte all die Tränen, die ich seit dem Flugzeugunglück nicht hatte weinen können. Es tat noch immer weh daran zu denken. Aber die befreienden Tränen halfen mir mit meiner Trauer besser fertig zu werden.

So fand uns wenig später Jens. Er fühlte den schmerzlichen Verlust meiner Schwester mit mir mit. Deshalb setzte er sich wortlos auf meine andere Seite, nachdem er Malte mit einem Handschlag stumm begrüßt hatte.
Ich wechselte meine Stellung und drehte mich zu Jens, um meine Trauer weiter verarbeiten zu können. Der Therapeut wusste um den Verlust der Familie und erklärte auf Maltes fragenden Gesichtsausdruck: „Steffi kam hierher in die Reha, weil sie erst vor kurzem ihre komplette Familie bei einem Flugzeugabsturz verloren hat: Vater, Mutter und ihre jüngere Schwester.“

Jetzt verstand Malte, was er bei mir losgetreten hatte. „Ich bin wirklich ein egoistischer Ochse. Aber der Allergrößte den es gibt,“ stellte er ohne Umschweife fest. „Woher hättest Du das wissen sollen?“ fragte ich entschuldigend und hatte noch immer ein paar Tränen in den Augen. Ich hatte mich soweit beruhigt, dass ich wieder ansprechbar war.
„Ich hätte nicht so egoistisch sein dürfen und hätte mich mehr für Dich interessieren müssen, Steffi. Ich war jetzt zwar sehr enttäuscht, aber wenn ich euch zwei so sehe, seid ihr das perfekte Paar. Ich wünsche mir nur zwei Dinge von euch. Bleibt immer zusammen, egal was passiert. Und, lasst uns gute Freunde bleiben.“

Jens versprach: „Ich lasse Steffi nie wieder los. Ich habe sie jetzt erst gefunden. Und bestimmt bleiben wir gute Freunde, Malte. Schließlich müssen wir zusammen halten.“
Malte atmete erleichtert auf.

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« Antworten #16 am: 29.Mai.2018, 22:39:27 »

Epilog

Ich verließ nach dem Abendessen mein Zimmer, in welchem ich noch ein aufgesetztes Schreiben möglichst auffällig auf den Tisch hingelegt hatte. Jens hatte mir noch ein paar Anweisungen gegeben, was mit meinem Gepäck und meinen persönlichen Sachen zu geschehen hatte.
Ein langer Brief mit einer plausiblen Entschuldigung an die Klinikleitung lag verschlossen im Zimmer auf dem Tisch. Direkt daneben befand sich das Schreiben worin stand, was mit meinem Gepäck passieren sollte.
Allerdings würde mich frühestens morgen früh jemand vermissen und dann anhand dieses Schreibens wissen, was zu tun sei. Den Abschlussbericht des Arztes und der begleitenden Therapeutin würde mein früherer Hausarzt bekommen. Da heute so oder so mein Abreisetag gewesen wäre, hoffte ich, dass ich durch meine vorzeitige Abwesenheit nicht zu viel Aufsehen erregen würde.

Frohen Mutes lief ich zum vereinbarten Treffpunkt am abgelegenen Strand. Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich, dass ich das richtige tat. Schade nur, dass ich so lange gebraucht hatte, um zu verstehen, dass Jens und ich untrennbar zusammen gehörten.

Schon von weitem sah ich meinen geliebten Argus in seiner prächtigen Drachengestalt sitzen. Seinen Kopf mit den fröhlich schillernden Augen hatte er mir zugewandt.
Ein Wechselbad der Gefühle hatte ich bereits hinter mir. Ich hatte mich endgültig entschieden.
In aller Eile lief ich glücklich auf ihn zu und bemerkte auch dieses mal nicht, wie ich immer wieder strauchelte und mich dabei unaufhaltsam in einen Drachen verwandelte. Endlich hatte das geklappt, was wir tagelang am Strand geübt hatten.
Er lächelte mir zu und sprach: „Ich liebe Dich, Steffi. Und ich habe schon mein halbes Leben lang nach Dir gesucht. Endlich habe ich Dich gefunden.“

...und gemeinsam flogen wir los... einer neuen Zukunft entgegen.

******************************

Falls dir meine Geschichte gefallen hat, so wäre ich über ein Feedback dankbar, und es würde mich sehr freuen. :-)
Fühle dich in eine andere Realität entführt und von mir wohlwollend umflügelt ^,',^

Wenn es das Schicksal will, werdet ihr Steffi und Jens irgendwann einmal wieder begegnen.

Bis dahin:
Lebe Deinen Traum ^v~

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« Antworten #17 am: 03.Juni.2018, 11:29:59 »

Klasse Geschichte, mir gefaellt sie richtig gut. Hab ohne Pause gelesen. Smiley
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dezent neugierig (Katalysator)


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« Antworten #18 am: 05.Juni.2018, 21:48:13 »

Vielen Dank Smiley
Es freut mich, dass sie dir gefallen hat ^^
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Niveau ... ist keine Handcreme Wink

Für Jene, die an Drachen glauben, ist keine Erklärung nötig
Für Jene, die nicht an Drachen glauben, ist keine Erklärung möglich


 
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