Florian und die Krähen

<< < (2/2)

Auruliyuth:
Sonntags beim Kaffee

Inzwischen war über eine Woche vergangen und es war nichts nennenswertes mehr passiert. Florian hätte das Erlebnis im Wald auch beinahe wieder vergessen, wenn nicht ganz plötzlich ein paar Krähen in ihrem Garten aufgetaucht wären.

Es war Sonntagmittag und die Familie saß zum Kaffee draußen auf der Terrasse. Florian sah überrascht zu den Krähen. Ohne zu überlegen fragte er: „Was machen die denn hier?! Verfolgen die mich schon?!“ Eigentlich hatte er das gar nicht laut sagen wollen. Aber jetzt war es schon raus.
„Was meinst Du damit, Florian? - Woher kennst Du diese Vögel?“ Der Sohn hätte dazu lieber geschwiegen. Allerdings hatte er gelernt, dass es unhöflich war, einem Erwachsenen nicht zu antworten. „Och, das sind nur Krähen. Die hab ich irgendwann mal gesehen, glaub ich,“ wich er den neugierigen Fragen geschickt aus.
Es war ihm schon ungeheuerlich genug, dass er seine Freunde in etwas magisch mystisches hineingezogen hatte.

Für sich selber etwas zu entscheiden war noch vergleichsweise einfach. Aber die Verantwortung für etwas zu übernehmen, auf das andere keinen Einfluss hatten, damit fühlte er sich restlos überfordert.
Die Eltern sahen ihren Sohn seltsam an, konnten jedoch nichts auffälliges an ihm erkennen.
Statt dass sich die Situation beruhigen sollte, fing Florian gleich von neuem an: „Mom, Dad, was würdet ihr machen, wenn ich mich plötzlich in eine Krähe verwandeln und davon fliegen würde?“ Er kannte sich plötzlich selber nicht mehr. Hatte er das gerade tatsächlich laut gefragt?!
Beide blickten überrascht auf. „Was redest Du da für einen Unsinn, Florian?“ fragte der Vater irritiert. Seine Mutter sprang entsetzt auf und rief besorgt: „Florian! Geht es Dir nicht gut? Hast Du vielleicht Fieber?“

Durch die schnellen Bewegungen auf der Terrasse erschraken die Krähen und suchten Flügel schlagend das Weite in den Bäumen. Florian fand das einerseits sehr schade, aber andererseits ersparte es ihm eine Menge Antworten.
Mit einer triftigen Ausrede auf den Lippen verließ er die Terrasse, und die Eltern schauten ihrem Sohn erstaunt hinterher.
Wie die beiden wieder in ihren Garten schauten, standen an der Stelle wo kurz zuvor noch die Krähen im Rasen gesessen hatten, plötzlich zwei Wölfe. Noch bevor sie reagieren oder sich Gedanken über das Warum machen konnten, waren die Wölfe auch schon wieder verschwunden.

Die Eltern sahen sich zweifelnd an, aber keiner von beiden wollte sich eingestehen, dass er etwas gesehen hatte, das eigentlich gar nicht möglich sein konnte. Deshalb schwiegen sie beide und gingen wieder ihrer Sonntagsbeschäftigung nach.

*****

Auruliyuth:
Der ungebetene Gast

Die zwei Wochen waren wie im Flug vergangen. Am Vorabend war Florian auffallend still beim Abendessen auf der Terrasse. Die Eltern schauten ihn besorgt an. „Florian, was ist mit Dir? Wirst Du etwa krank?“
Florian blickte auf und schüttelte gleich darauf den Kopf. Er wusste, dass der morgige Tag eine Veränderung mit sich bringen würde. Etwas mulmig war ihm dabei schon. Sich etwas ganz fest zu wünschen war etwas anderes als es dann auch tatsächlich zu bekommen.
Was, wenn die Hexe ihren Fluch wahr machen würde? Was, wenn das Leben als Krähe ganz anders war als er es sich immer vorgestellt hatte? Aber für die vielen Wenns war es nun wohl zu spät.
„Es ist nichts,“ antwortete er. Ganz spontan stand er auf, ging auf seine Eltern zu und umarmte sie. „Ich hab euch lieb!“ Das hatte er seit Jahren nicht mehr gemacht und überraschte damit seine Eltern sehr. „Wir haben Dich auch lieb, Florian!“ erwiderten sie erstaunt.

Plötzlich stand Rovena mitten im Garten vor ihnen. Florian erschrak zu Tode. Sollte es etwa jetzt schon sein? Was machte die Frau hier? Er hatte sich noch gar nicht richtig verabschieden können! Würde die Hexe etwa ihr Wort brechen und ihn zu früh verwandeln?
Der Vater hatte sich als erstes wieder gefasst und herrschte die Frau in seinem Garten ungehalten an: „Wer sind Sie? Was tun Sie in unserem Garten?“ Die Mutter drückte sich ängstlich an ihren Mann. Die Frau war ihr gar nicht geheuer.
„Ich hole mir nur, was mir zusteht!“ erwiderte Rovena und hob dabei ihren Arm in Richtung der Terrasse. Florian war entsetzt. Er wollte noch nicht. Er war noch nicht bereit dazu. „Aber... aber, Du hast mir doch bis morgen Zeit gegeben! Oder etwa nicht?!“ Die letzten drei Worte schrie er fast hinaus. Er fand es ungerecht, dass seine Eltern zusehen sollten, wie er sich in eine Krähe verwandeln würde.

Mutter und Vater schauten irritiert von ihrem Sohn zu der Frau in ihrem zerrissenen Rock und wieder zurück. Sie verstanden überhaupt nicht um was es gerade ging. Sie sahen nur die Verzweiflung in den Augen ihres Sohnes und ahnten bereits, dass gleich etwas fürchterliches passieren würde.
„Das ist richtig. Du hast noch bis morgen Mittag Zeit, um zu mir zu kommen,“ erwiderte Rovena geheimnisvoll. „Aber über den Zeitpunkt der Verwandlung Deiner Eltern hatten wir nichts vereinbart!“ Im nächsten Augenblick standen wie durch Zauberhand die zwei Wölfe wieder im Garten neben ihr.

„Florian!“ rief seine Mutter bei deren Anblick fast hysterisch. „Was meint die Frau damit?“ Und sein Vater reagierte eher wie ein Alphatier: „Verlassen Sie sofort unser Grundstück, oder ich rufe die Polizei! Und nehmen Sie ihre Hunde gleich mit!“
„Das sind keine Hunde, mein Herr, das sind Wölfe. Sie sollen auch einer sein!“ deklarierte Rovena bestimmt. Im selben Augenblick stand an der Stelle des Vaters plötzlich ein verdutzter Wolf. Die Mutter rang um Fassung und sprang erschrocken ein paar Schritte zurück. Auch Florian war das jetzt alles zu schnell gegangen. Sein Vater, ein Wolf? Das hatte er nicht gewollt!

Bevor die Mutter noch irgendwie reagieren konnte, war sie ebenfalls in die Knie gezwungen worden. Und Florian musste tatenlos mit ansehen, wie sie sich beharrlich in einen Wolf verwandelte. Der Sohn hatte sich vorsichtshalber im Wohnzimmer hinter der Glasscheibe in Sicherheit gebracht.

Rovena lockte die beiden neuen Wölfe zu sich und blickte Florian noch einmal an. „Wir werden uns morgen wieder sehen, Florian,“ verabschiedete sie sich siegessicher und verschwand wie sie gekommen war.

*****

Auruliyuth:
Ein neuer Anfang

Am anderen Morgen war der Junge so früh wie noch nie wach. Das Haus fühlte sich seltsam leer an. Dann fiel ihm alles wieder ein. Die Hexe war gestern Abend überraschend aufgetaucht und hatte seine Eltern ohne Vorwarnung gleich mitgenommen. So war das eigentlich nicht gedacht gewesen.
Noch während der junge Mann darüber nachdachte, wie es seinen Eltern wohl ging und was jetzt aus ihm werden sollte, machte er sich für den Tag fertig.
Seine Arbeit ließ er heute sausen und meldete sich mit krächzender Stimme krank. Stattdessen versuchte er seinen Freunden mitzuteilen, was gestern bei ihm passiert war. Allerdings konnte er eigenartigerweise keinen einzigen von ihnen mehr erreichen. Es war als wären alle Accounts im Internet und alle Handys gleichzeitig gelöscht worden.

Gegen Mittag machte sich Florian beunruhigt auf den Weg in den Wald. Er suchte sofort die Lichtung auf, wo alles begonnen hatte. Mit gemischten Gefühlen lief er seiner Bestimmung entgegen.
Er wünschte sich noch immer nichts sehnlicher, als dass er zur Krähe würde. Aber ob die Realität auch an seine Wünsche heran kommen würde, konnte er bis jetzt nur hoffen. Dass seine Eltern zu Wölfen wurden, hatte er vorher auch nicht gewusst.
Ob und wie es seinen Freunden ergehen würde, war sich Florian plötzlich gar nicht mehr sicher. Niemals hätte er erwartet, dass seine Eltern zu etwas anderem würden als er selber. Aber ausgerechnet zu Wölfen? Nie und nimmer!

Als er bei der Lichtung ankam, sah er wie beim ersten Mal nur die Krähen und Raben. Sie stritten sich wie üblich um ihr Futter. Doch heute waren es mehr Krähen als letztes mal. Und sie bewegten sich zum Teil noch etwas ungelenk. Gerade so, als hätten sie das laufen auf Krähenfüßen gerade erst erlernt.
Er dachte wieder daran, wie sie die Hexe vor zwei Wochen auf die Lichtung gelockt hatten. Aber darauf hatte er jetzt keinen Bock. Er hatte den Eindruck, als wären seine Freunde bereits hier, auch wenn er sie von den anderen Vögeln kaum unterscheiden konnte. Am liebsten würde er nur bei den Krähen bleiben, für immer.

Er fühlte, wie sich etwas veränderte. Zuerst dachte er, dass es die Lichtung oder das Wetter wäre. Doch dann erkannte er, dass er es selber war, der sich plötzlich veränderte. Sein Blickfeld wurde schmaler und teilte sich in eine rechte und eine linke Seite. Um nach vorn zu sehen, musste er bereits seinen Kopf drehen oder neigen.
Gleichzeitig färbte sich seine Kleidung dunkel und wurde zu schwarzen Federn, während sich seine Größe rapide auf die Körpergröße einer Krähe veränderte. Schmerzen verspürte er keine. Dafür kribbelte und zwickte es an verschiedenen Stellen unangenehm. Seine Sinne wurden schärfer. Und mit einem Mal konnte er das Gekrächze der Krähen und Raben auch verstehen.

Von hier unten am Boden sah alles mit einem Mal ganz anders aus. Mit der neuen Situation als Krähe kurzfristig überfordert, spürte er kaum, wie sein kleines Herz schneller als vorher schlug. Sein Gewicht hatte sich verlagert, und seine Beine waren eher wie Stelzen mit Krallen.
Beinahe wäre er nach vorn gekippt, wenn er sich nicht noch rechtzeitig abgefangen hätte. Er musste schnell lernen, mit seinem neuen Körper zurecht zu kommen, wenn er überleben wollte. Hände zum abstützen oder greifen hatte er keine mehr. Dafür spreizte er nun selbstbewusst seine Flügel und ein lauer Wind verfing sich fast sofort darin.

Als der Rabe sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, frohlockte er krächzend und flatterte, mit den Flügeln übend, über den Waldboden. Dann hob er triumphierend ab und flog in die Wipfel der Bäume. Ja, genau so hatte er es sich vorgestellt!

© Auruliyuth; nach einer Idee von Florian T.

Navigation

[0] Themen-Index

[*] Vorherige Sete