Einer neuen Zukunft entgegen (2) – Schwenninger Moos
Auruliyuth:
Prolog
Mit letzter Kraft schleppte es sich in das schützende Unterholz.
Dass es an dieser Stelle besonders feucht und kalt war, bemerkte es nicht einmal mehr.
Die letzten Flügelschläge bis hierher waren mehr als es verkraften konnte.
Bei diesem Orkan und dieser Eiseskälte wurde dem kleinen Wesen alles abverlangt.
Doch es musste um jeden Preis hierher.
Es wusste, dass das andere Wesen zur Zeit auch gerade hier irgendwo in der Nähe war.
Und es wollte … es musste dieses sehen, koste es was es wolle.
Totale Erschöpfung, unsagbare Müdigkeit, nagender, quälender Hunger und die eisige klirrende Kälte
ließen es schließlich in einen tiefen, erlösenden Schlaf fallen...
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Auruliyuth:
Anka
Ein paar Tage zuvor.
„Und wann musst Du in diese Klinik fahren? - Jetzt hab ich erst jemanden wie Dich gefunden, mit dem ich mich auch gut unterhalten kann und der mich auch ernst nimmt. Und schon muss ich Dich wieder ziehen lassen... Wie kann ich Dich erreichen, wenn ich Dich brauche? … Hast Du dort denn Internet, oder ist das verboten? … Und wann kommst Du wieder zurück? …“ Viele Fragen, die Anka's junger Chatpartner Ourin da im TeamSpeak und im Chat an sie hatte. Er selber hatte geschrieben, dass er gerade vierzehn geworden ist, und dass ihm seine Eltern alles, aber auch wirklich alles, erlauben würden.
„Jetzt mal halblang. Ich bin doch nur für ein paar Tage, längstens für fünf Wochen, weg. Wenn etwas wichtiges ist, werde ich einen Weg finden Dir zu antworten,“ vertröstete Anka den jungen Ourin. Sie konnte seine Dringlichkeit nicht verstehen und war mit ihren Gedanken schon fast in der Klinik.
Anka hatte sich ihre Reha wirklich verdient. Von morgens bis abends stand sie in ihrem Beruf parat um anderen über eine Service-Hotline zu helfen. Und abends bot sie sich als Ansprechpartnerin für die neuen User in einem Drachenforum an, wo sich Gleichgesinnte trafen und sich über ihr Anders sein austauschten. Es war nicht immer ganz leicht, die Rollenspieler – die sich oft auch nur RPGler nannten – von den anderen zu unterscheiden. Anka war jedoch erst einmal nur wichtig, dass jeder jeden akzeptierte. Sie wusste nicht so recht, was sie selber davon halten sollte, dass sich jemand tatsächlich für einen Drachen (oder ein anderes Wesen) hielt. Sie wusste nicht einmal, was sie selber war und zweifelte innerlich sogar an, was andere User im Forum in ihr sahen. Dennoch hörte sie geduldig und gewissenhaft zu, wenn sich jemand bei ihr Rat oder Unterstützung holen wollte – und wenn sie ehrlich zu sich selber war, dann war sie schon auch ein klein wenig neugierig.
Ob einer Spieler durch und durch war und in seiner Rolle ganz aufging, so als ob das Spielen der Rolle für ihn Ernst ist, oder ob er kam um unter Gleichgesinnten Hilfe und etwas Geborgenheit zu finden, Anka behandelte alle erst einmal gleich freundlich und akzeptierte was sie angeblich waren oder sein wollten. Zum Miesepeter outen konnte sich dann jeder selber, wenn er Stunk machen wollte.
Ein mulmiges Gefühl blieb Anka dennoch als sie ihren neuen jungen Schützling vertröstete. Irgendetwas war an ihm, das ihn als RPGler ausscheiden ließ, obwohl er sich manchmal genauso wie ein Spieler ausdrückte. Ourin, wie er sich nannte, behauptete, dass er als Drache sogar schneller als eine Taube fliegen könnte und sein Ziel ebenfalls niemals verfehlte. Außerdem wäre er nicht nur genauso flink, sondern auch genauso groß.
Anka ließ ihn bei der Aussage und dachte sich im stillen: 'Kinder haben noch recht viel Fantasie. So kleine Drachen gibt’s doch gar nicht.' Zumindest hatte sie noch nie davon gehört, seit sie selber im Internet über Drachen nachgeforscht hatte. Feuerechsen, ja. Die mochten so klein sein, aber das waren Artverwandte und keine Drachen – da waren sich sowohl die Spezialisten der Drachen wie die der Echsen einig.
„Och menno, kannst Du da nicht absagen, bei Deiner Reha?“ bohrte Ourin inzwischen nörgelnd weiter. „Absagen?! Nein! Dafür habe ich schon zu lange darauf gewartet,“ Anka kam gar nicht in den Sinn Ourin den Kopf zurecht zu rücken, dafür dass er so egoistisch dachte. Sie war so in ihrer Helferrolle gefangen, dass sie immer zuerst an andere dachte; auch auf die Gefahr hin sich selber dabei zu verletzen oder zu verausgaben. Dies war mit ein Grund, warum sie so dringend in die Klinik musste; sie war an ihre Grenzen gestoßen und konnte dennoch nicht aufhören zu helfen.
Anka griff die ursprüngliche Frage wieder auf: „Am Donnerstag geht’s los, also in vier Tagen. Und deshalb muss ich mich jetzt heute schon aus allen Chats verabschieden, sonst werde ich nicht fertig mit Packen. Immerhin kommt übermorgen der Kurier und will meine Koffer mitnehmen.“
„Schade,“ kam nur noch als Antwort von Ourin. Sonst nichts mehr, kein „viel Glück, mach's gut, Gute Reise“ oder „komm gesund wieder“. Anka beließ es dabei und stellte sich nach einigen Minuten offline. Dann verfasste sie noch rasch eine Abwesenheitsnachricht in ihren Profilen und gab als letztes noch den Moderatoren im Forum Bescheid, dass jemand Ourin im Auge behalten sollte. Nicht dass er irgendwelche Dummheiten im Forum anstellte. Für seine vierzehn Jahre war er manchmal doch noch ziemlich kindisch.
Die letzten Tage zu Hause waren wie im Flug vergangen. Der Kurier hatte die beiden Koffer pünktlich abgeholt. Ob sie rechtzeitig dort in der Klinik sein würden, das wollte Anka gar nicht erst bezweifeln. Zur Sicherheit nahm sie im Handgepäck alles mit, was sie die ersten Tage dringend brauchen würde.
Mit zwei großen Reisetaschen auf Rollen, in einer davon ihr Kopfkissen für die lange Zugfahrt nach Süddeutschland, in der anderen ihren Rekorder und andere Dinge, die ihr im letzten Moment noch eingefallen waren und die sie die ersten Tage brauchte, machte sie sich auf den Weg. Im Rucksack war an genug Proviant für die Reise gedacht. Die Klinik im Schwarzwald-Baar-Kreis hatte rechtzeitig mitgeteilt bekommen, wann sie in Villingen am Bahnhof ankommen würde. Und die Klinik sicherte ihr einen Shuttlebus oder ein Taxi zu, um vom Bahnhof zur Klinik gefahren zu werden.
Die Bahn brachte sie auch verlässlich an Ort und Stelle und der Fahrer für die Klinik war ebenfalls pünktlich da um sie und einen zweiten Reisegast abzuholen.
Es war früher Nachmittag und es begann bereits zu dämmern als sie die Fahrt zur Klinik antraten. Die Umgebung sah für die winterliche Jahreszeit sehr viel versprechend aus, und die vielen Lichter der Weihnachtsdekoration ließen einen warm ums Herz werden.
Der Fahrer erklärte den beiden Fahrgästen die Wintersportmöglichkeiten der Region, u.a. erwähnte er ganz stolz das nahe gelegene Eisstadion in Schwenningen. „Wenn sie Glück haben, sehen sie dort übrigens die Wild Wings, unsere Eishockeymannschaft, trainieren. Und wenn sie schon einmal beim Eisstadion sind, laufen sie einfach den Weg weiter, nach hinten durch in Richtung Wald. Nach einem Sportgelände mit Gaststätte gelangen sie linker Hand direkt ins Schwenninger Moos wo sich an der Europäischen Wasserscheide Neckar und Donau teilen. Weiter gerade aus und dann links führt ein Fußweg zurück zur Klinik.“
Anka hatte sich fest vorgenommen schon sehr bald ins Moos zu gehen. Sie hatte schon einiges darüber gehört und fand es faszinierend ein Stück „unberührte“ Natur zu finden.
Allerdings kam sie die ersten paar Tage nicht dazu. Sie wurde von einer Untersuchung zur nächsten geschickt, und eine Therapie reihte sich an die andere. Sie bekam gerade genug Zeit zur Eingewöhnung, jedoch hatte sie keinen Spielraum um etwas weiter weg von der Klinik die Gegend zu erkunden.
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Auruliyuth:
„Ihre Massage, Anka“
Die junge Frau gehörte zu den wenigen Glücklichen, die gleich in der ersten Woche eine Massage und ein Entspannungsbad im Therapieplan stehen hatten. Die anderen würden bis nach den Weihnachts- und Silvesterfeierlichkeiten warten müssen.
Pünktlich zu ihrer ersten Massage stand Anka in der Physio-Abteilung und wartete geduldig bis sie aufgerufen wurde: „Frau Ann-Kathrine Müller?“ Anka reagierte erst auf ein erneutes Aufrufen ihres Namens: „Hier! Entschuldigung, ich war in Gedanken. Eigentlich reagiere ich am besten auf meinen Kurznamen 'Anka'. Ich wollte Sie bestimmt nicht warten lassen.“ Der Therapeut nickte mit einem unergründlichen, aber freundlichen Lächeln. „Dann werde ich Sie wohl ebenfalls mit 'Anka' ansprechen müssen?“ Anka war soviel Aufmerksamkeit fast schon wieder peinlich, wobei sie puterrot anlief. Der Therapeut sah aber auch verboten gut aus mit seiner sportlichen Figur, und er schien zudem noch ungefähr in ihrem Alter zu sein.
Seinen Namen hatte sie in der Aufregung völlig überhört. Zudem traute sie sich nicht mehr aufzublicken und sein Namensschild zu lesen, da man sonst ihr rotes Gesicht sehen würde. Stattdessen war sie in die zugewiesene Kabine gelaufen, machte ihren Oberkörper für die Massage mit Wärmelicht frei und wartete, auf der Massagebank liegend, auf den Therapeuten.
Etwas seltsam vertrautes meinte sie in seiner Stimme und seiner Art zu spüren. Doch das Gefühl tat sie gleich wieder als Einbildung ab. Routiniert legte er Anka unter das wärmende Rotlicht und ließ sie dann mit ihren Gedanken allein. In der Nachbarkabine hörte sie ihn und eine Mitpatientin leise reden. Sie hörte nicht weiter zu. Die Wärme tat ihr gut und sie begann sich sofort zu entspannen. Sie schloss die Augen und träumte vor sich hin...
Sie befand sich auf einer grünen Wiese. Vor sich sah sie einen kleinen einladenden und tiefen See – sie wusste einfach, dass er sehr tief war. Am hinteren Ende des Sees fiel ein kleiner Wasserfall über die Felsen in den See. Umrahmt war der ganze Platz von Wald und Felsen. Sie genoss diese idyllische Ruhe und sah den jungen Hatchlingen beim Herumtollen und Spielen im Wasser zu … 'Hatchlinge … junge Drachen ?! Wie kam sie nur darauf so etwas zu sehen?!' Noch bevor sie weiter träumen oder darüber nachdenken konnte, wurde sie vom Masseur aus ihren Träumen gerissen.
„Ihre Massage, Anka“ hörte sie von einer sehr dunklen sonoren Stimme, die vom Klang ganz gut in ihren Traum gepasst hätte. Herr Mattens kam zurück und schaltete zunächst das Rotlicht ab. „Gut geträumt?“ fragte er wie beiläufig und wieder mit normaler Stimme. Sie rätselte „Woher haben Sie das gewusst?“ und war neugierig auf seine Antwort.
Er wich ihr jedoch fröhlich aus und meinte: „Ich hab nur geraten. Die meisten Patienten hier genießen die Wärme und träumen dabei vor sich hin.“ Mit dieser einleuchtenden Erklärung musste sie sich wohl zufrieden geben.
Der Physiotherapeut massierte gut. Anka entspannte sich dabei herrlich und genoss die harmonischen Bewegungen auf ihrem gesamten Rücken und zwischen ihren Schulterblättern. Sie dämmerte gerade vor sich hin, wie er gekonnt ihre imaginären Flügelansätze massierte. Im gleichen Moment zuckte sie jedoch zusammen. Das konnte nicht sein! Das alles träumte sie doch sicher gerade nur wieder! Wieso sollte sie plötzlich Flügel haben?! Bestimmt wachte sie gleich auf und der Masseur kam zur Massage herein!
Im selben Moment als sie zusammen gezuckt war und sich verkrampft hatte, fragte Herr Mattens überrascht: „Habe ich etwas falsch gemacht? Tut es Ihnen irgendwo weh? Soll ich aufhören, oder kann ich Ihnen anderweitig helfen?“ Man merkte ihm an, dass es ihm etwas unangenehm wurde als sie so plötzlich zusammen zuckte. Anka überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. Einerseits empfand sie seine Massage als sehr angenehm und entspannend. Andererseits war das Gefühl mit den Flügelansätzen immer noch in ihr. Sie wusste noch immer nicht so recht, wo sie beginnen sollte.
Die junge Frau wagte die Flucht nach vorn. „Auf meinem Rücken ... ich meine … haben Sie da etwas besonderes gesehen oder wahrgenommen?“ Jetzt war es raus. Sie spürte eine gewisse Erleichterung, aber auch die Sorge, missverstanden zu werden. Er jedoch verneinte: „Also ich habe nichts besonderes wahrgenommen … Außer Sie meinen vielleicht ihre kräftigen Flügelansätzen und ihre zart schimmernden roten Flügel … “
Der ersten seiner Sätze beruhigte sie, und sie wollte schon erleichtert aufatmen. Aber als sie den zweiten Satz mit seiner Antwort über die Flügel hörte, die sie besser nicht hören wollte, zuckte sie wie unter einem Peitschenhieb zusammen und brach in Tränen aus.
Herr Mattens verstand nun gar nichts mehr. Es kam ihm gerade vor wie ein déjà vu, das er bereits schon einmal als Therapeut erlebt hatte. Anka hatte so selbstverständlich ihre Flügel gezeigt, dass er gedacht hatte, sie wisse über sich Bescheid. Er konnte ja nicht ahnen, dass dies alles noch neu für sie war. Seine Antwort musste für sie demnach wie ein Schock gewesen sein. Er konnte sie so unmöglich gehen lassen. Andererseits war sein Arbeitsplan voll. Er kam hier unmöglich weg. Er brauchte Hilfe, und das möglichst rasch.
Er setzte sie nur ungern in der Nähe von Menschen ein, aber telepathische Fähigkeiten konnten in Situationen ähnlich wie dieser Gold wert sein. Nach einem kurzen Gedankenaustausch, der nur Sekunden ging, wandte er sich mitfühlend Anka zu: „Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen unbeabsichtigt einen Inneren Schmerz zugefügt habe. Kann ich vielleicht noch etwas für Sie tun, Frau Müller?“ Sie zuckte beim Klang seiner Stimme wieder zusammen und schüttelte vehement den Kopf. Sie hatte einen Kloß im Hals und brachte keinen Ton heraus. Die Tränen hatte sie wieder unter Kontrolle, aber man sah ihr an, dass sie geweint hatte. Kurz bevor er den Raum verließ, packte sie jedoch impulsiv sein Handgelenk um ihn zurückzuhalten. Überrascht hielt Herr Mattens inne und sah Frau Müller fragend an. Anka war noch zu keinem Wort fähig. Stattdessen lächelte sie zaghaft und nickte kaum merklich mit dem Kopf. Dem Therapeuten fiel ein Stein vom Herzen als er sah, dass es Anka bereits wieder etwas besser ging. Trotzdem wollte er sie für die nächsten Stunden in guten Händen wissen. Ihr aller Geheimnis war zwar in Gefahr, doch die Gesundheit der jungen Frau ging ihm vor.
Steffi, die sich an derselben Klinik als Patientin angemeldet hatte, hatte sich sofort aus ihrer Therapie befreien lassen und war los geeilt als Jens sie telepathisch erreicht hatte. In wenigen Worten und Bildern hatte er ihr mitgeteilt, wobei er Hilfe brauchte. Steffi sah auf den ersten Blick, dass Anka noch völlig verstört war.
Wie durch Zufall wartete Steffi am Eingang der Physio-Abteilung und sah Anka gerade aus der Massage kommen. Steffi sah der jungen Frau sofort an, dass sie noch immer unter Schock stand und geweint hatte. Wenn das ihr erstes Erlebnis dieser Art war, konnte sie das noch aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen.
Steffi fragte ganz beiläufig und direkt, und überspielte so eine peinliche Pause: „Du bist Anka, stimmt's? Ich heiße Steffi. - Kommst Du auch gerade aus dem Entspannungsbad?“ Anka zuckte erschrocken zusammen. In Gedanken versunken hatte sie nicht sofort bemerkt, dass sie angesprochen wurde. Rasch schüttelte sie den Kopf und schwieg. Steffi schwärmte weiter, „Das warme Wasser und das entspannte Liegen hat richtig gut getan.“ Anka nickte höflich lächelnd, noch leicht abwesend. „Hattest Du auch schon ein Entspannungsbad?“ Wieder nickte Anka. Langsam taute sie auf. Diese Steffi gefiel ihr, sie lenkte sie von ihren unangenehmen Gedanken ab. Sie fühlte sich mit einem Mal nicht mehr so allein. Eine Freundin oder eine Vertraute wie Steffi war das, was sie jetzt brauchen konnte. Sie würde jedoch noch sehr vorsichtig sein mit dem was sie ihr anvertrauen würde. Schließlich kannten sie sich bisher nur vom Sehen.
Steffi ließ sich so viele Anwendungen und Therapien wie nötig geben, bei denen sie in Anka's Nähe war. Anka war das gerade recht. Sie blühte förmlich auf. Ihr wurde erst jetzt so richtig bewusst, dass sie fast immer allein war, und auch in letzter Zeit mit fast allem allein zurecht kommen musste. Sicher, sie hatte normalerweise Freunde zu Hause mit denen sie über vieles reden konnte. Neuerdings jedoch schien jeder irgendwie eigene Sorgen zu haben und somit eigene Wege zu gehen.
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Auruliyuth:
Mark und Kevin
Noch am gleichen Abend setzten sich Jens und Steffi zusammen vor die Webcam bei Jens im Zimmer und verständigten sogleich Mark und Kevin im Videochat.
„Mit der Reaktion von Anka hatte ich wirklich nicht gerechnet,“ griff Jens das Thema sofort auf. „Im Internet hatte ich sie meistens als erfahrenes und wohl überlegtes Wesen gelesen. Immer hatte sie einen vernünftigen Ratschlag parat, wenn jemand im Forum mit einem Problem daher kam. Sie machte mir den Eindruck als wüsste sie ganz genau wer oder was sie sei. Als sich dann bei der Massage heute ihre Flügel zeigten, dachte ich, dass sie das so gewollt hätte und sie mich erkennen würde...“
Steffi spürte, wie sehr auch ihr Partner von dem Vorfall aufgewühlt worden war. Tröstend legte sie ihre Flügel um ihn. Wenn sie alleine waren, zeigte sie öfter mal ihre Flügel ohne gleich ihre Gestalt zu verändern. „Du kannst nichts dafür. Wir alle sind davon ausgegangen, dass Anka bereits hätte gewusst haben müssen, wer und was sie ist.“
Kevin und Mark hatten geduldig zugehört. Beide boten auch sofort ihre Hilfe an und erklärten sich gerne bereit umgehend zu kommen. „Wir werden morgen im Laufe des Tages ankommen. Zuerst müssen wir unseren derzeitigen Auftraggeber „überzeugen“, dass wir ein paar Tage „Urlaub“ brauchen.“ - „Ich werde morgen früh gleich die Klinikleitung auf meine besondere Art davon überzeugen, dass wir noch zwei junge Sportstudenten, einen mit medizinischer Ausbildung, in der Physio brauchen können. Noch nie konnte mir jemand so eine Bitte ausschlagen,“ erklärte Jens grinsend.
Bei dem Gedanken, alle wieder vereint zu sehen, war nicht nur Jens sehr froh. Sie alle waren schon viel zu lange nicht mehr zusammen gesessen. Deshalb verabschiedeten sich alle mit einem fröhlichen „bis morgen dann“.
Ein paar Minuten später huschte auch Steffi ungesehen aus dem Zimmer ihres Partners. Noch durfte niemand wissen, dass sie sich überhaupt näher kannten.
Herr Riesander, der Leiter der Klinik, war bisher immer sehr zufrieden mit den Vorschlägen von Jens und seiner Arbeit und sagte deshalb gleich bereitwillig zu. Steffi kümmerte sich weiter um Anka, die den seltsamen Vorfall bei der Massage in der Physio-Abteilung schon bald verdrängt hatte.
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Auruliyuth:
Im Wald
Am darauf folgenden Samstag standen Anka und Steffi rechtzeitig zum freiwilligen Nordic Walking mit ihren Stöcken im Eingangsbereich der Klinik bereit. Pünktlich zum Abmarsch begrüßte Jens Mattens die Gruppe und erklärte noch ein paar Regeln. „Wir haben heute als Verstärkung unsere neuen Therapeutenanwärter dabei, die Sportstudenten Herrn Mark Kuster und Herrn Kevin Summer. Aus diesem Grund können wir uns bei Bedarf unterwegs in zwei Gruppen aufteilen. Im Regelfall bleiben wir jedoch immer in Rufweite zum vordersten und hintersten Mann, bzw. Frau,“ ergänzte er mit einem Zwinkern zu den Damen hin. „Herr Kuster und Herr Summer werden die Nachhut bilden. Die mit dem forscheren Schritt werden mit mir Vorlieb nehmen müssen.“ Ergänzte der gut aussehende Therapeut lachend. „Dann mal los!“
Die Nordic Walking Begeisterten liefen los. Die Gruppe war mit fünfundzwanzig Personen relativ groß, und schon nach den ersten 100 Metern kristallisierte sich heraus, wer einen schnellen Schritt hatte, und wer eher zu den „Landschaft Genießenden“ gehörte.
Anka und Steffi liefen in der mittleren und größten Gruppe mit, wobei Steffi rasch bemerkte, dass sich Anka absichtlich zurückfallen ließ. Als Steffi sie während des Laufens darauf ansprach meinte sie nur: „Mir ist heute nicht so gut. Und ich mag die großen Menschenmassen nicht so besonders.“ Steffi sah sie von der Seite an: „Wenn Dir nicht gut ist, können wir sicher auch wieder umdrehen.“ Aber Anka verneinte mit einem Lächeln. „Es geht schon. Und schließlich brauch ich auch meine Bewegung.“
Die beiden Therapeutenanwärter unterhielten sich mal mit diesem und mal mit jenem. Auch mit Steffi und Anka wechselten sie ein paar belanglose Worte.
Indes war die Gruppe schon geraume Zeit durch den nahen Wald gelaufen. Ein ständiges auf und ab über Waldwege, Trampelpfade, Wurzeln und Steine beanspruchte die Gelenke und die Kondition. Die Gruppe war immer weiter auseinander gezogen worden. Besonders Feinfühlige konnten die Atmosphäre des Waldes spüren. Andere wiederum unterhielten sich so laut, dass jede Art von Lebewesen sofort flüchtete.
An großen Weggabelungen zog sich die gesamte Gruppe etwas in die Länge, damit die Nachzügler die Richtung erkennen konnten.
Nach einem erneuten steilen Aufstieg über einen Waldpfad mit Wurzeln und Gesteinsbrocken, keuchte Steffi plötzlich auf und hielt sich den Knöchel vor Schmerz. Zur gleichen Zeit schrie eine andere Patientin ein paar Meter weiter vorne ebenfalls vor Schmerzen auf, knickte zur Seite und blieb liegen. Alle um sie herum blieben erschrocken stehen oder liefen zu ihr hin um zu sehen, was passiert war.
Die Nachricht vom Sturz verbreitete sich an die Spitze der Gruppe wie ein Lauffeuer.
Nach und nach kamen auch die Schnellsten wieder zurück, unter ihnen auch Herr Mattens. Aus den letzten Reihen eilte Herr Kuster sofort herbei, Herr Summer blieb besorgt neben Steffi stehen und fragte sie, ob er ihr helfen könne. Auch Anka sah Steffi fragend an: „Steffi? Alles in Ordnung bei Dir?“ Steffi stand schon wieder aufrecht und lächelte zaghaft. Wie hätte sie Anka erklären können, dass sie den Schmerz der Frau dort vorne gespürt hatte.
Sie hatte sich in dem Moment so geöffnet für die Natur und den Wald um sich herum, dass sie den Schmerz der Frau so gespürt hatte als wäre er ihr selbst zugefügt worden. Kevin Summer sah Steffi einen Moment wissend und besorgt an. 'Du hast Deinen energetischen Schutz vergessen, Steffi.' Steffi blickte zurück und nickte. Dann schüttelte sie den Kopf. 'Ich weiß, Kevin. Wird nicht wieder vorkommen.' „Ich bin ok. Aber die Frau dort vorne hat große Schmerzen,“ ergänzte Steffi ausweichend.
Kevin musste sich erst durch die neugierigen, teils besser wissenden, aber dennoch hilflosen Patienten wühlen, bevor er bei Jens Mattens, Mark Kuster und der Verletzten ankam. In seiner Tasche hatte er immer etwas für den Notfall dabei. Mit einem kleinen Päckchen in der Hand, dass er vorsichtig ausrollte, ging er auf die Frau zu. „Hier habe ich eine Sitzunterlage, um die Kälte von unten fernzuhalten. Wenn ein paar kräftige Männer ihr kurz aufhelfen könnten, wäre das erste Sahne.“ Vorsichtig halfen ein paar Männer der Patientin auf, damit Kevin die Unterlage unter ihr ausbreiten konnte.
Jens hatte in der Zwischenzeit schon einen Rettungswagen organisiert. Bei all den Menschen hier konnten die drei nicht viel ausrichten. „Das Bein muss erst einmal geröntgt werden, bevor man näheres sagen kann.“ Mark nahm die restliche Gruppe auf die Seite, damit Kevin in Ruhe nach der Patientin sehen konnte. Jens erklärte ihm: „Den Schuh haben wir bei der klirrenden Kälte sicherheitshalber angelassen. - Ich lasse Frau Mirkusz in Deiner Obhut. Wir müssen mit der Gruppe weiter, sonst ist hinterher die Hälfte davon erkältet. In der Klinik sage ich gleich Bescheid. Wir beide bleiben in Verbindung.“
Die Patientin, Anita Mirkusz, war ganz blass geworden und stand unter Schock. Steffi versuchte die Frau aufzumuntern. „Anita, Du bist bei Herrn Summer in den allerbesten Händen.“ Jedoch kam ihre Aufmunterung bei Anita nicht so positiv an, wie sie gedacht war.
Steffi musste ihren Schutz um sich selbst noch verstärken. Sie war zwar empathisch veranlagt und konnte auch ganz gut damit umgehen, normal machte ihr so etwas keine Probleme. 'Das liegt am Wald,' hörte Steffi die Gedanken von Kevin. Steffi knickte plötzlich erneut selber vor Schmerzen ein als Frau Mirkusz ihren Fuß bewegen wollte. Sofort war Anka an Steffis Seite und hielt sie gerade noch fest.
Steffi machte sich bei der sich bereits entfernenden Gruppe bemerkbar: „ Hallo, Je... Herr Mattens... Wenn es recht ist, werde ich bei Anita Mirkusz bleiben. Ich weiß auch nicht, wie weit ich mit meinem schmerzenden Fuß noch komme,“ ergänzte Steffi. Und Kevin rief hinterher: „Und Frau … Müller …? ... könnte ich ebenfalls als Verstärkung hier gebrauchen.“ Dabei sah er Anka fragend an, die dankbar mit dem Kopf nickte. Ihr war das alles hier jetzt irgendwie zu schnell gegangen. Steffi hatte Schmerzen, aber keine Verletzung? Oder war sie doch verletzt und wollte keine Hilfe? Anka schwirrten die Fragen, auf die sie noch keine Antworten erhalten hatte, im Kopf herum.
„So, Frau Mirkusz. Jetzt ziehen wir den Schuh doch gleich aus. Nicht, dass nachher alles so angeschwollen ist, dass die Sanitäter den Schuh sogar aufschneiden müssten.“ Anita biss vor Schmerzen die Zähne zusammen und nickte gequält. Was Herr Summer sagte, machte genauso Sinn, wie das von vorhin, auf keinen Fall den Schuh auszuziehen wegen der Kälte.
„Wird der Fuß dabei nicht zu kalt bei den Minusgraden?“ Anka war skeptisch. Kevin wusste auch darauf eine Antwort. „Auch dafür habe ich noch etwas in meiner Tasche für Notfälle,“ grinste er und holte ein großes Wärmepad sowie ein kleines Fläschchen aus seiner Tasche.
Steffi versuchte den Schmerz, den sie spürte und der von Anita ausging, zu isolieren und zu erden. Die beiden Frauen bekamen davon jedoch kaum etwas mit. Steffi verstand nicht, warum es ihr hier so schwer viel. Allein hatte sie noch nie Probleme damit gehabt etwas zu erden.
'Mylady, ihr arbeitet gegen den Wald und nicht mit ihm,' lachte eine raue, tiefe Stimme spöttisch in ihrem Kopf. Steffi schaute verdutzt auf Kevin, aber der war genauso überrascht wie sie und hatte diese seltsame Stimme ebenfalls gehört. Steffi fragte neugierig in den Wald: 'Wer bist Du?' Aber eine Antwort erhielt sie keine.
Kevin hatte unterdessen den Fuß ausgepackt und rieb ihn mit der Flüssigkeit aus seiner kleinen Flasche ein. Dann zog er Frau Mirkusz wieder ihren dicken Strumpf an und legte den aktivierten Wärmepad um ihren Knöchel. Anschließend nahm er seine beiden Stöcke und verkleinerte sie soweit es ging und legte sie als Schiene an. Aus seiner Jackentasche zauberte er noch ein Tuch, das er um den Wärmepad und die Stöcke wickelte.
Steffi hatte den Ratschlag des Unbekannten befolgt und in den Wald gefühlt und diesen um Hilfe gebeten, bevor sie sich erdete. Nun hatte sie keine Probleme mehr. Es fiel ihr sogar leichter als bisher. Dankbar schickte sie ihre Gedanken zu dem Unbekannten: 'Ich danke dem Wald und seinem Höheren Wesen für die Hilfe.' Als Antwort kam prompt ein schnippisches: 'Fein, Mylady. Warum nicht gleich so.'
Kevin grinste heimlich und meinte stumm: 'Mylady Steffi.' Steffi hätte am liebsten mit gelacht. Doch sie fand es dem Waldgeist, wie sie ihn heimlich taufte, nicht schicklich gegenüber, obwohl er sie verspottet hatte. Stattdessen verpasste sie Kevin einen energetischen Schubs, den er ergeben einsteckte. Auch davon bekamen weder Anka noch Anita etwas mit.
Wenig später hörten sie von der nahen Straße her das Martinshorn des Rettungswagens. Kevin schickte kurzerhand dem verdutzten Fahrer eine Eingebung, wie er sie am Schnellsten finden würde.
Die Sanitäter und der Notarzt staunten nicht schlecht, als sie auf die Gruppe stießen und die Patientin fachgerecht geschient und eingepackt vor fanden. Ein wenig Überzeugungsarbeit von Kevin, und es wurden alle in den Rettungswagen eingeladen und zur Unfallklinik gefahren. Da die Schmerzen von Steffi dem Notarzt schleierhaft waren, wurde auch ihr Fuß geröntgt, jedoch konnte nichts gefunden werden.
Bei der Verletzung von Frau Mirkusz ergab die Diagnose, Bänderriss. Seltsamerweise jedoch schon wieder fast verheilt.
Mit je einem Arztschreiben entließ die Unfallklinik die beiden Verletzten und Kevin, der bereits Jens verständigt hatte, führte die drei Frauen zum Ausgang, wo Jens gerade mit dem Wagen der Klinik vor fuhr.
Auf dem Weg zurück erzählte Kevin in aller Kürze, wie es ihnen ergangen war. Später trafen sich die vier Freunde noch bei Jens auf dem Zimmer, und Steffi war wieder heimlich dabei. Noch immer durfte keiner der Patienten ahnen, dass sie hier war, bzw. dass sie Jens näher kannte. Beide berichteten abwechselnd ausführlich was sie im Wald noch entdeckt hatten.
„Einen Waldgeist?“ Jens war überrascht. „Und er hat sogar mit Dir geredet?“ „Mylady hat er Steffi genannt,“ lachte Kevin und dieses Mal lachte auch Steffi und machte vor allen einen Hofknicks, wobei sie fast gestolpert wäre. Mark lachte mit, er fand die Szene einfach zu komisch. Nur Jens blieb teilweise ernst. „Hatte er sonst noch etwas gesagt? Wie er heißt? Wer er ist? - Er muss schon sehr alt sein,“ waren seine Überlegungen.
Steffi antwortete: „Ich hab ihn gefragt, 'Wer bist Du?' aber eine Antwort bekam ich keine.“
„Das ist auch nicht weiter verwunderlich, meine Liebste. Ihr hättet ihn mit gebührendem Respekt antworten sollen, Mylady. In etwa so: 'Mylord, wäret Ihr so gütig mir Euren Namen zu nennen?'...“ Weiter kam Jens nicht, denn Mark konnte sich vor lachen nicht mehr auf seinem Stuhl halten und fiel nach Luft japsend zu Boden. Kevin hielt sich den Bauch vor Lachen und fiel fast um bei dem Versuch auf Steffis Hofknicks eine Pirouette zu drehen.
Selbst Jens musste mitlachen als er seine Freunde so vereint ansah.
Doch gleich darauf wurde Jens wieder ernst. „Wenn es noch mehr gibt wie ihn, gibt es vielleicht auch noch Hoffnung für uns.“
Die Freunde beratschlagten noch eine ganze Weile. Am Ende beschlossen sie eins nach dem anderen zu erledigen. „Wenn wir uns jetzt auf den Waldgeist einlassen, wer weiß ob dann nicht unsere ganze Mission gefährdet wird. Wie wir gesehen haben, können diese Geister sehr schnell ein geschnappt sein...“
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