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TheDragonworld Drachenburg Board
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Autor Thema: Drachen-Achat  (Gelesen 2207 mal)
Greldon
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Wesen & Alter: Drache. 38
Beiträge: 110



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« am: 27.Juni.2011, 20:07:36 »

Ich melde mich mal nach längerer Auszeit zurück mit einer diesmal relativ kurzen Geschichte, einer Comission.
Ich nehme derzeit nur in absoluten Ausnahmefällen Schreibaufträge an, aber diese Comission wurde nicht von einem Otherkin / Fur... in Auftrag gegeben, sondern von einer lieben Arbeitskollegin, die meine Geschichten und Bücher kennt.
Die Geschichte ist für einen elfjährigen (?) Firmling...

Viel Spaß beim Lesen.
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Greldon
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Wesen & Alter: Drache. 38
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« Antworten #1 am: 27.Juni.2011, 20:08:43 »

Drachen-Achat


1. Das Erwachen

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als einige ihrer Strahlen die Dunkelheit der geräumigen Höhle durchdrangen und dessen tief und fest schlafenden Bewohner in den Nüstern kitzelten.
Brummelnd und grummelnd öffnete er erst das eine, dann das andere Auge und erhob seufzend seinen massigen, mit Stacheln und Hörnern gezierten Schädel.
Er reckte den Hals und prüfte schnuppernd die Luft, doch wurden seine Erwartungen in Bezug auf ein drachenwürdiges Frühstück enttäuscht. Zwar drangen die Gerüche von Vieh und Menschen an seine Nüstern, aber schon lange gelüstete es ihn nicht mehr nach dem Fleisch von domestiziertem Getier und der Genuss von Zweibeinern führte bei Drachen in der Regel zu Zahnfäule. Außerdem gab es da noch jenen unangenehmen Nebeneffekt, dass, sobald die Kunde von einem Menschen, der angeblich einem Drachen zum Opfer gefallen war, ging, sich Männer in Eisenrüstungen auf den Weg machten und das gesamte Gebiet in weitem Umkreis auf der Suche nach dem vermeintlichen Übeltäter auf den Kopf stellten. Er hasste die damit verbundene Unruhe und aus den Erfahrungen längst vergangener Tage wusste er, wie lästig und mühselig es war, die abgebrochenen Spitzen der Lanzen aus den Schuppenzwischenräumen zu ziehen. Er hatte sich immer schon gefragt, ob die Menschen wirklich glaubten, dass ein nach ihm geschleudertes, spitz zulaufendes Eisen, das auf eine lange Holzstange montiert war, ihm Harm antun würde. Den einzigen Nutzen, den er darin erkannte, war, dass diese Lanzen vorzüglich dazu geeignet waren, irgendwelche Überreste, die sich im Laufe der Zeit zwischen den scharfen, spitzen Zähnen festgesetzt hatten, zu entfernen...
Nein, ihm gelüstete es nach etwas anderem und das war auch der Grund, weshalb er schon vor sehr langer Zeit sich genau dieses gewaltige Höhlensystem als seine Behausung auserkoren hatte. Zwar residierte er auf diese Weise in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Menschen, genauer gesagt, direkt unter ihnen, denn auf dem Berggipfel war eine große Burganlage errichtet, aber bisher war es ihm gelungen, stets unbehelligt zu bleiben.
Freilich gab es den einen oder anderen Menschen, der seinen prachtvollen Schuppenleib am Himmel erspäht hatte, doch entweder traute dieser dann seinen eigenen Augen nicht, oder aber, man glaubte ihm dann nicht, wenn er von dieser Sichtung erzählte.
Widrige Umstände zwangen ihn dazu, sein Leben größtenteils in dieser Höhle zu fristen, doch ab und zu hatte er das Verlangen nach der Sonne und dem frischen Wind unter seinen Schwingen. Auch wenn er damit ein großes Risiko einging, verließ er dann seinen Unterschlupf für einige erquickliche Stunden im Freien. Dabei gab er sich leichtsinnigerweise nicht einmal sonderlich Mühe, sich vor den Menschen zu verbergen, das war ihm einfach zu unbequem und umständlich, genauso wie die Jagd auf Hirsche oder Rehe in den Wäldern. Auch das Anhäufen von Reichtümern, vornehmlich Edelsteinen, Gold und Geschmeide, bedeutete ihm im Gegensatz zu seinen Artgenossen nicht allzu viel. Freilich hatte auch er in all der Zeit einen beachtlichen Schatz angehäuft und das ein oder andere wertvolle Kleinod funkelte in der dunklen Höhle vor sich hin, aber ihm war es einfach zu anstrengend, selbst danach zu suchen. Immer wieder waren fahrende Händler auf dem Weg zur Burg, um dort ihre Ware feilzubieten, und bisher hatte noch keiner von ihnen die Herausgabe eines Stückes, das, was jedoch selten genug war, dem Drachen gefallen hatte, verweigert. Auch konnte er die derart um Teile ihrer Ware gebrachten Händler stets davon überzeugen, Stillschweigen über den Vorfall zu wahren...

Ein wenig schwerfällig hatte er sich erhoben und schüttelte sich wie ein Hund, dann trottete er tiefer in seine Höhle hinein.
Es war reiner Zufall gewesen, dass er diese Entdeckung gemacht hatte und er konnte sich auch gar nicht mehr an die näheren Umstände erinnern, doch hatte er schon sehr bald deren praktischen Nutzen erkannt.
Ein Kribbeln lief seine Schuppen entlang und er konzentrierte sich, als er mit einer erhobenen Tatze vor seiner Schnauze in der Luft herumtastete. Plötzlich zuckte er zurück und grollte leise. Das war die fragliche Stelle!
Auch wenn er sich tief im Inneren des Felsens befand, so umfing ihn hier keine vollständige Finsternis. Irgendwelche fluoreszierende Moose und Flechten an den Felswänden sorgten für ein diffuses Licht. Doch an einer winzig kleinen Stelle wurde dieses Licht absorbiert, so dass es aussah, als würde ein schwarzer Punkt inmitten der Luft stehen. Dass dieser in einem steten Rhythmus pulsierte, war mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Vorsichtig streckte der Drache eine messerscharfe Krallenspitze aus, drückte sie gegen diesen Punkt, um ihn langsam zu einem silbernen Strich, der nun an einen Spalt erinnerte, auseinander zu ziehen.
Sofort drang ein verführerischer Duft in seine Nüstern und sein Magen grollte vernehmlich.
Weshalb aber nur in so schwacher Konzentration? wunderte er sich.
Vor ihm lagen steinerne Treppen, die nach oben in das Tageslicht führten, doch niemand schickte sich an, diese herunter zu steigen, wie es doch ansonsten zu dieser Zeit üblich war.
Seufzend ließ sich der Drache an der Stelle, wo er war, nieder.
Er würde also auf sein Frühstück warten müssen und nichts hassten Drachen mehr als zu warten - insbesondere wenn sie hungrig waren.
In regelmäßigen Abständen zog er den pulsierenden Punkt zu einem Schlitz auseinander und spähte lauernd hinaus. Immerhin war der verführerische Duft nun stärker geworden als zuvor. Hoffnung keimte in ihm auf.

2. Der Schulausflug

Das Wetter meinte es gut mit der Schulklasse, die mehr oder weniger interessiert mit ihren beaufsichtigenden Lehrern den Ausführungen des eigens für diesen Tag bestellten Fremdenführers lauschte: Es war ein wolkenloser Frühsommertag und doch brannte die Sonne nicht erbarmungslos auf den geschotterten Hauptplatz der Burgruine.
„Hier, vis à vis von dem sogenannten Richtplatz seht Ihr die Burgkappelle, sie wurde erbaut in der...“
„Hast Du gestern die Simpsons angeguckt?“
„Nö, meine Schwester hatte ihren Freund da, die haben sich dann...“
„... war ein bedeutender Baumeister. Das kulturelle Leben auf Burg Wolfstein war für die damaligen Verhältnisse sehr beeindruckend und...“
Jemand hielt Toni ein Handy der neuesten Generation unter die Nase: „Schau mal, was ich vorhin auf Facebook gefunden habe...“

Toni seufzte. Es könnte so schön sein: Er hatte ein Faible für Burgen und das Mittelalter, zumindest wie es durch die einschlägigen Bücher aus dem Fantasybereich, die er so gerne las, vermittelt wurde. Er war auch gerne mit seinen Mitschülern zusammen. Aber er konnte sich einfach nicht auf das konzentrieren, was ihnen Wissenswertes über Wolfstein erzählt wurde, wenn etliche in der Gruppe das Fernsehprogramm oder irgendwelche sozialen Netzwerke interessanter fanden und dies auch relativ lautstark kundtaten. Dabei sollten sie doch alle Obacht geben, denn das war die Schattenseite dieses Klassenausflugs: Sie würden über das, was ihnen hier erzählt wurde, später Referate halten müssen. Die Themen hatte der Lehrer ihnen schon vorab zugeteilt und Toni hatte es mit der Rechtsprechung im Mittelalter getroffen. Bei dem Wort Richtplatz hatte er aufgehorcht, aber dann kamen ihm die Simpsons in die Quere...

Die Gruppe marschierte weiter und Toni blickte sehnsüchtig auf eine Tafel, die darauf hinwies, dass man gleich um die Ecke Souvenirs kaufen konnte. Wer weiß, vielleicht verkaufte man hier auch Bergkristalle. Außerdem lag ein verführerischer Duft in der Luft, der an sich so gar nicht zu dem mittelalterlichen Ambiente passte. Obwohl, vielleicht gab es ja zur Zeit der Wolfsteiner bereits ein Äquivalent zur Pizza...
Seine Hand ertastete in der Hosentasche einen Geldschein und einige Münzen, die ihm seine Mutter in der Früh zugesteckt hatte. Das sollte locker für ein Stück Pizza reichen und vielleicht auch noch für ein Eis hinterher. Wobei ohnehin das Gerücht kursierte, sie würden nach der Burgbesichtigung im Ort selbst noch in ein Eiscafe gehen. So ein leckeres Schokoladeneis würde einen solchen Tag bestimmt wundervoll abrunden.

„...und da wurde nicht lange gefackelt. War man zu der Überzeugung gelangt, dass der Delinquent der Schuldige war, wurde er unverzüglich dem Scharfrichter überantwortet und...“

Verdammt! Genau das wäre der für ihn und das Referat entscheidende Part gewesen.
Nun gut, musste er eben zu Hause nachlesen, zum Glück gab's ja Google und Wikipedia...

Der geführte Rundgang schien zum Ende zu kommen, denn seine Mitschüler begannen einzeln oder in Grüppchen über den Burghof zu schlendern. Irgendwo schnappte er ein um Vierzehn Uhr am Bus auf.
Er steuerte schnurstracks auf den Souvenirstand zu, doch zu Tonis großer Enttäuschung war dieser unter der Woche geschlossen. Besonders ärgerlich war daran, dass er durch die Glasscheibe im Ladeninneren diverse Edelsteine, Quarze und Kristalle glitzern sah.

Das vernehmliche Knurren seines Magens brachte ihn auf andere Gedanken und der immer noch präsente Duft von Pizza und anderen Leckereien, die eher schlecht als recht zu dem mittelalterlichen Ambiente passten, taten ihr übriges.
Einige seiner Klassenkameraden hatten sich auch bereits zu der zu der Burganlage gehörenden Wirtschaft begeben.
Er folgte ihrem Beispiel, fragte jedoch, ob er die Pizza zum Mitnehmen haben könnte, da er die noch verbleibende Zeit nutzen wollte, um sich auf eigene Faust in der Anlage umzusehen. Schließlich musste er an sein Referat denken und der letzten halben Stunde der Führung hatte er doch nicht mehr die Aufmerksamkeit schenken können, wie er es gerne getan hätte.

Wie nicht anders zu erwarten an einem solchen Ort, handelte es sich um eine einfache Nullachtfünfzehn-Pizza, wie sie jeder Gefriergutlieferdienst im Sortiment hatte und wie sie beispielsweise auch an Bahnhofskiosken verkauft wurde. Sie war nicht besonders groß und vor allem war sie noch sehr heiß, als Toni mit der Pizza in der Hand über den kiesigen Burghof ging. Während der Führung war ihm eine Steintreppe aufgefallen, die anscheinend in die Kellergewölbe der Burg, oder was von ihnen noch übrig war, hinabführte. Rasch schlüpfte er unter der einfachen Eisenkette hindurch und übersah dabei das an der Kette hängende Hinweisschild Zutritt wegen Renovierungsarbeiten gesperrt geflissentlich.
Schade, dachte er sich, das wäre sicherlich interessant gewesen.

Langsam stieg er die Treppe hinab und ein modrig feuchter Geruch vermischte sich mit dem köstlichen Pizzaduft.
Die Treppe machte eine Biegung nach rechts und schien sich in dämmriger Dunkelheit zu verlieren. Die Stufen waren teilweise verwittert und verrottende Blätter, hölzerne Stieleisstäbchen und anderer Unrat hatten sich angesammelt. Das Licht wurde immer spärlicher und Toni musste aufpassen, dass er nicht stolperte. Er kramte in seiner Hosentasche nach seiner Uhr, zog sie an dem Kettchen heraus und warf einen kurzen Blick drauf. Es war noch genügend Zeit. Er würde sich auf die unterste Stufe setzen, dort die Pizza verspeisen und sich dann ein wenig umsehen, vorausgesetzt, er war dort unten alleine. Eine kleine Taschenlampe als Schlüsselanhänger  hatte er immer dabei.
Am unteren Treppenende angekommen beschlich ihn das vage Gefühl, beobachtet zu werden. Er blickte zurück, aber niemand war gefolgt.
„Ist da wer?“ rief er zögernd ins Dunkel.
Als keine Antwort kam, ließ er sich auf der Stufe nieder und schickte sich an, herzhaft in die Pizza zu beißen...

3. Die Begegnung

Ein heißer Lufthauch wie von einem Fön traf ihn von hinten und etwas Schweres scharrte über den mit Schutt bedeckten Steinboden.
Aber das konnte nicht sein!
Hinter ihm war lediglich die Treppe, die er gerade heruntergekommen war, und ihm war niemand gefolgt.
Im gleichen Augenblick vernahm er ein kehliges Grollen und Zischen und Rauchschwaden waberten um ihn herum.
Elektrisiert sprang er auf, die Pizza immer noch in der Hand, und drehte sich um.
Die Treppe war verschwunden, dafür blickte er in einen gewaltigen, geifernden Rachen, der zu einem ungeheuerlichen, gehörnten und stachligen Schädel gehörte. Rubinrote Raubtieraugen glommen gespenstisch und fixierten ihn. Er konnte nur den riesigen, schuppenbesetzten Leib in der hinter dem Geschöpf liegenden absoluten Dunkelheit erahnen und die gigantischen Schwingen, die Staub und Dreck aufwirbelten, verrieten ihm etwas, was gar nicht sein konnte: Im einundzwanzigsten Jahrhundert waren Drachen nur in Büchern und im Kino zu Hause, nicht aber in den Gewölben einer mittelalterlichen Burgruine, die jährlich tausende von Besuchern anlockte. Und schon gar nicht begegneten Drachen einem Jugendlichen mit einer Pizza in der Hand.
Toni schossen die aberwitzigsten Gedanken durch den Kopf, während die Zeit um ihn herum still zu stehen schien.
Der Drache machte einen Satz auf ihn zu, packte Toni und riss ihn von den Füssen.
Ein knatterndes Geräusch drang an Tonis Ohren und um ihn herum tanzten weiße und blaue Funken. Statische Elektrizität ließ seine Haare zu Berge stehen und seine Haut fühlte sich an, als ob zig Ameisen auf ihr herumkrabbeln würden.
Gleichzeitig hatte er den Eindruck, als ob er durch eine durchsichtige Geleewand schreiten würde. Der Geruch von geschmolzenem Eisen überlagerte den Pizzaduft.

Allmählich konnte Toni ein wenig genauer erkennen, mit was er es zu tun hatte und dass er dem prächtigsten, aber wohl auch tödlichsten Geschöpf, das man sich vorstellen konnte, gegenüberstand.
„Ich... ich...“, mehr brachte er nicht hervor und der Drache blickte mitleidig auf ihn herab.  
Sein gewaltiger Leib war von goldenen Schuppen ummantelt, seine Brust und sein Bauch wurden durch hellere, sich überlappende Hornplatten bedeckt, die härter waren als Titan und sich doch geschmeidig weich ausnahmen.  
„Oh, Du zitterst. Aber ich sehe schon, Dir ist kalt - hier!“
Ein gut gezielter Feuerstrahl aus den Drachennüstern schoss haarscharf an Toni vorbei und versengte den hinter ihm liegenden Felsen. Die Hitze war enorm.
„Ich denke, das sollte Dir zeigen, mit wem Du es zu tun hast. Und jetzt her damit!“
„Ich... ich verstehe nicht...“
Das!“
Eine klauenbewehrte Tatze schoss nach vorne und riss Toni die Pizza aus der Hand.
„Aber...“
„Abgerechnet wird später, mein Freund“, knurrte der Drache gierig schmatzend. Sein Schweif peitschte vor Aufregung und Freude hin und her. Das Warten hatte sich gelohnt, auch wenn es sich gerade einmal um einen Appetithappen gehandelt hatte.

Irgendetwas sagte Toni auf einmal, dass er nicht in Gefahr war. Aber er wurde sich auch der Absurdität seiner Situation bewusst: Ein Drache hatte ihn angegriffen wegen einer Pizza!
„Hinten in meiner  Höhle habe ich jede Menge Goldschätze, davon kannst Du Dir später nehmen, was Du willst“, fauchte er zwischen den Bissen und leckte sich, als die Pizza bis zum letzten Krümel vertilgt war, seine Lefzen. Sinnend betrachtete er den Jungen, der vor ihm stand, und schnupperte schließlich an ihm herum.
„Du hast nicht zufällig etwas mehr davon bei Dir?“
Doch dann zog er seinen Kopf zurück, schüttelte sich und besann sich darauf, dass er ein stolzer Drache war.
„Aber wo habe ich denn nur meine Manieren. Verzeih mir diesen Überfall, aber diese Art von Köstlichkeit schätze ich so sehr, dass mit mir manchmal mein Temperament durchgeht. Man nennt mich in der Spreche der Menschen Fidinius. Mit wem habe ich die Ehre?“

„Toni“, erwiderte der Junge und fügte zögernd hinzu: „Aber ich glaube, ich muss wieder zurück zu den anderen.“
„Ja, Ihr trefft Euch ja am Bus um vierzehn Uhr. Das habe ich auch gehört“, erwiderte der Drache und ließ sich in einer fließenden Bewegung auf seine Hinterläufe nieder und wickelte gleich einer Katze seinen Schweif sorgsam um seine Beine. „Du hast also noch genügend Zeit, Dir etwas aus meinem Schatz als Gegenleistung für den Leckerbissen auszusuchen. Wobei ich aber bemerken muss“, und hier erhob der Drache eine Kralle in einer dozierenden Geste, „dass es sich eher um ein Leckerbisschen gehandelt hat.“
„Naja, ich habe darauf leider keinen Einfluss. Darf ich was fragen?“
„Natürlich.“
„Nun ja, wieso..., also, ich meine... ein Drache ernährt sich doch nicht von Pizza, oder? Zumindest kein Drache, den ich kenne.“
„Wirklich nicht?“ Fidinius brachte seine Schnauze dicht vor Tonis Gesicht: „Welche Drachen hast Du denn schon kennen gelernt und was fressen die denn?“
Toni errötete: „Naja, kennen ist vielleicht das falsche Wort. Aber man kann zumindest überall lesen oder hören, dass Drachen auf Jagd gehen oder eben halt auch den Bauern irgendwelches Vieh stehlen, Ziegen, Kühe, Pferde oder so.“
„Manchmal verspeisen wir auch Einhörner“, ergänzte der Drache. Es klang ein klein wenig gekränkt.
„Einhörner gibt es doch gar nicht“, erwiderte Toni entschieden.
„Steht das auch in den Büchern, die Ihr Menschen lest? In den gleichen Büchern, in denen auch geschrieben steht, dass wir der Bauern Vieh rauben?“
Toni errötete.
„Tut mir leid“, murmelte er.
„Schon gut“, lenkte der Drache ein und nickte mit seinem Kopf nach hinten. „Hier, suche Dir etwas aus, was Dir gefällt.“
Ein wenig ungelenk erhob er sich und führte den Jungen zu dem hinteren Teil der Höhle, die zu Tonis großer Überraschung teilweise mit Fellen bedeckt waren, was dem Drachenunterschlupf eine durchaus behagliche Note verlieh.
„Wir Drachen lieben nun einmal Komfort und Behaglichkeit“, erklärte der Drache beinahe entschuldigend.
Toni verschlug es den Atem, als er den Drachenhort erblickte: Eine gewaltige Ansammlung von Goldmünzen, Ringen, Geschmeide, kupferner und silberner Pokale breitete sich bunt durcheinander gewürfelt und in dem diffusen Höhlenlicht munter vor sich hin glitzernd und funkelnd aus. Dazwischen lagen Edelsteine und Waffen, Teile alter Ritterrüstungen, teilweise rostig, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs. Ein wenig ratlos blickte Toni auf den Drachenschatz.
Fidinius, der Tonis Zögern und Ratlosigkeit falsch deutete, schlug ein wenig verlegen mit seinem Schweif auf den Boden und sagte leise: „Ich weiß, für einen Drachen meines Alters ist das geradezu peinlich bescheiden, was ich hier herumliegen habe.“
Hastig schüttelte Toni den Kopf: „Nein, nein, das ist überwältigend. Aber ich wüsste nicht, was ich davon nehmen soll, vor allem, irgendwie erscheint mir das nicht fair.“
„Fair?“
„Nun ja, richtig. Gerechtfertigt. Ich meine, es war nur eine Pizza für ein paar Euro, und ich stehe nun einem leibhaftigen Drachen gegenüber und...“
„Was ist Euro?“ Das Interesse des Drachens war geweckt.
„Damit bezahlen wir unsere Waren.“
Der Drache starrte den Jungen entgeistert an: „Was soll das heißen? Bisher habe ich immer alles mit diesen Goldmünzen bezahlt, vielleicht auch noch mit Silber. Und das tun auch die Menschen, die ich beobachte.“
„Du musst Dich irren. Kein Mensch zahlt mit Gold oder so.“
Der Drache schnaubte einige Rauchkringel aus: „Also, als ich vor drei oder vier Sonnenaufgängen von einem fahrenden Händler diese Truhe dort genomm... ich meine, als ich mit dem fahrenden Händler ein Geschäft abwickelte, führte er als Zahlungsmittel nur diese Münzen mit sich und er akzeptierte auch nur solche von den Menschen, denen er seine Ware feilbot.“
Nun war es an Toni, den Drachen anzustarren: „Ich verstehe nicht...“
„Was gibt es daran nicht zu verstehen?“ fragte Fidinius und ließ sich nieder. „Ein fahrender Händler liefert Ware und die Menschen kaufen diese, indem sie mit ihren goldenen und silbernen Münzen bezahlen. Manchmal...“
„Nein, nein, das meine ich nicht!“ rief Toni erschrocken aus. „Aber, wo sind wir hier?“
„Du bist bei mir“, antwortete der Drache, „kein Grund zur Besorgnis. Du müsstest gemerkt haben, dass ich Dir keinen Harm zufügen möchte.“
„Nein, ich meinte, wo ich hier bin?“
„Du kannst seltsame Fragen stellen. Du bist in einem Höhlensystem, das sich unter der Burg Wolfstein befindet. Ich weiß, das ist eher eine abgelegene Ecke Skeyras, aber ich liebe die Zurückgezogenheit und...“
Einige Münzen kamen klimpernd und klirrend ins Rutschen, als sich Toni sehr plötzlich und ein wenig unsanft auf den Hosenboden setzte.
Der Drache senkte seinen Kopf und brachte seine Schnauze auf Augenhöhe mit dem Menschen.
„Alles in Ordnung mit Dir?“ fragte Fidinius besorgt.
„Ich verstehe das nicht“, sagte Toni und Panik machte sich in ihm breit. „Wie komme ich hierher? Oder vielmehr, wie komme ich wieder zurück nach Hause?“
„Was meinst Du damit?“
„Ich kann doch nicht hier bleiben!“
„Das musst Du doch gar nicht“, gab der Drache erstaunt zurück. „Ich halte Dich doch nicht fest, ich wollte Dir lediglich als Entgelt für den Leckerbissen etwas von meinem Hort...“
„Das meine ich doch gar nicht!“ rief Toni und war aufgesprungen. „Ich meine, dass ich irgendwie von der Burg Wolfstein nach Skürr.... oder wie das heißt...“
„Skeyra“, beeilte sich Fidinius zu helfen, „Du bist in Skeyra.“
„Sag ich doch. Also, dass ich hierher gekommen bin.“
„Das ist doch nichts Besonderes, ich besuche ja auch des Öfteren das Land auf Deiner Seite des Überganges.“
„Was?“
„Ich gehe von Zeit zu Zeit den gleichen Weg, den Du gekommen bist. Heimlich in tiefster Nacht natürlich, denn auch bei Dir sind die Menschen nicht anders als hier: Immer will man sich aus der Haut eines Drachens eine Reputation schneiden. Das einzige, was ich bei Euch schätze, sind die Leckereien, die es bei Euch gibt. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich hier niedergelassen habe. Hier bin ich diesen Leckerbissen sehr nahe und es ist für mich sehr bequem, wenn man mir die Beute direkt in meine Höhle bringt.
„Ich verstehe das nicht...“
„Was gibt es daran nicht zu versteh... ach, nun verstehe ich!“ rief der Drache aus.
„Ich dachte, alle Ihr Menschen wisst darüber Bescheid.“
„Über was?“
„Über die Übergänge.“
„Was für Übergänge?“
„Übergänge eben. So einer,  wie Du ihn benutzt hast, als Du hierher gekommen bist.“
Langsam beruhigte sich Toni wieder, doch er brauchte eine Weile, um das, was er gerade gehört hatte, zu verarbeiten. Schließlich folgerte er: „Du meinst, ich kann also ohne Probleme zurück, da wo ich hergekommen bin?“
„Natürlich! Warum auch nicht? Wenn Du möchtest, bringe ich Dich augenblicklich zurück. Aber willst Du Dir jetzt nicht etwas aussuchen?“

Sichtlich erleichtert wandte Toni seine Aufmerksamkeit wieder dem Drachenschatz zu. Er wusste wirklich nicht, was er sich nehmen sollte.
„Gefallen Dir meine Schätze nicht?“
Die Enttäuschung, die in Fidinius Stimme lag, war nicht zu überhören.
„Doch, das ist alles wunderschön. Aber... nun ja, was soll ich sagen... Wenn ich hiervon etwas nehmen würde und mitnehmen, dann würde das Fragen aufwerfen.“
„Was für Fragen?“
„Naja, woher ich das hätte. Und ich kann doch niemanden erzählen, dass ich das von einem Drachen im Tausch für eine Pizza bekommen habe.“
„Was ist Pissssa?“
„Pizza. Der Leckerbissen, den Du eben gegessen hast.“
„Ach, so nennt Ihr das? Gut zu wissen, dann kann ich künftig eine meiner Maiden genauer anweisen, was sie mir zu besorgen hat.“
„Maiden?“
„Ja, von Maid. Jungfrau.“
„Oh!“
„Du weißt nicht allzu viel von Drachen und wie wir leben?“
„Eigentlich nicht.“
„Dann suche Dir endlich ein Stück aus und danach können wir ein wenig plaudern. Und keine Sorge, Du kommst rechtzeitig zurück.“

4. Der Achat

Toni nickte und schickte sich an, etwas auszusuchen. Er wollte sich schon nach einem hübschen Ring bücken, als sein Blick auf einige wunderbare Steine fiel. Einer davon schimmerte geheimnisvoll, orange, grau und weiß abgestuft.
Den würde ich gerne nehmen.“
„Diesen Stein?“ fragte Fidinius verwundert. „Nimm doch lieber etwas von dem Gold. Oder diesen Rubin dort oder...“
„Nein, nein, ich will diesen hier. Ich sammle Steine und so einen hübschen Achat findet man selten.“
„Du weißt, dass das ein Achat ist?“
„Natürlich.“
„Für die meisten ist das einfach nur ein Stein.“
„Ich mag Achate.“
„Dann soll er ab sofort Dein sein. Weil Du aber offensichtlich der Gier nach Gold noch nicht anheim gefallen bist, will ich Dich zusätzlich belohnen. Hier, lege den Achat auf diesen Stein.“
Toni tat wie ihm geheißen und trat dann einige Schritte zurück. Doch wenn er nun damit gerechnet hatte, dass aus den Drachennüstern ein Feuerstrahl schießen würde, der den Stein einhüllen und ihn in irgendeiner Art und Weise veredeln würde, sah er sich in seinen Erwartungen enttäuscht.
Fidinius stimme eine Art Singsang an, der von den Höhlenwänden dunkel widerhallte, und berührte den Achat dabei leicht mit der Spitze einer ausgestreckten Kralle. Der Stein glühte für einige Augenblicke in goldenem Glanz auf. Als das Glühen erloschen war, zog der Drache seine Kralle zurück und erklärte feierlich: „Nimm nun diesen Achat, mein Freund, und trage ihn stets bei Dir. Wann immer Du die Stärke eines Drachens brauchst, wirst Du sie durch diesen Stein spüren können. Auf diese Weise stehst Du unter dem Schutz der Drachen.“
„Oh! Danke schön!“
Ergriffen sah Toni den Achat an und strich behutsam mit seinen Fingern darüber. Er fühlte sich wunderbar glatt an und er verspürte eine angenehme Wärme, die von innen heraus zu kommen schien. Sorgfältig wickelte er den Stein in ein sauberes Taschentuch ein und verstaute ihn in seiner Hosentasche.
„Und nun erzähle ich Dir etwas über das Leben der Drachen und auch über Burg Wolfstein. Das heißt, wenn Du es möchtest, natürlich.“

Toni fischte seine Uhr heraus und blickte auf die Uhr.
„Was hast Du denn da an dieser Kette?“
„Eine Taschenuhr.“
„So etwas habe ich gelegentlich an Türmen von einigen Menschenbauten gesehen, jedoch nicht in so winziger Form. Wozu trägst Du eine Uhr bei Dir?“
„Damit ich, egal wo ich bin, weiß, wie spät es ist.“
„Faszinierend, wobei ich mich aber immer noch frage, weshalb Ihr Menschen versucht, die Zeit zu messen. Meint Ihr, dass Ihr auf diese Weise Herr darüber werdet? Ich habe eher das Gefühl, dass Ihr Menschen auf diese Weise immer mehr zu Sklaven der Zeit werdet. Aber wie dem auch sei. Die Zeit verläuft hier anders als dort, wo Du herkommst, auf der anderen Seite Wolfsteins. Mache Dir keine Sorgen. Du kannst so lange hier bleiben, wie Du willst, Du wirst immer rechtzeitig zurück sein bei den anderen, darauf gebe ich Dir mein Wort. Das Wort des Drachen.“
„Meinst Du, ich kann mich dann hier auch noch ein wenig umsehen?“
„Warum nicht“, schmunzelte Fidinius über den plötzlichen Eifer des Jungen. „Habe ich Dein Interesse geweckt?“
„Nun ja, in gewisser Weise. Aber ich müsste mehr über Wolfstein erfahren, über das Leben hier, denn ich brauche das für die Schule.“
„Und natürlich auch über Euch Drachen“, schob Toni schnell hinterher, als er den enttäuschten Ausdruck in Fidinius Gesicht sah.
« Letzte Änderung: 27.Juni.2011, 20:10:30 von Greldon » Gespeichert
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« Antworten #2 am: 27.Juni.2011, 20:09:39 »

5. Das Foto

Fidinius bedeutete dem Jungen mit einer knappen einer Geste, sich zu setzen. Während Toni es sich bequem machte, verschwand der Drache in einer stockfinsteren Ecke seiner Höhle, nur um nach einigen Augenblicken mit einer Art Kristall, der von innen heraus dunkelblau schimmerte, zurückzukehren.
„Es würde natürlich viel zu lange dauern, zumindest vom Standpunkt von Euch Menschen aus, Dir die Geschichte von dieser Burg hier, die eng mit dem Schicksal von uns Drachen verknüpft ist, zu erzählen. Aber das hier wird mir dabei helfen, Dir im wahrsten Sinne des Wortes einen Einblick zu gewähren. Und vielleicht kannst Du dieses Wissen später einmal an andere Menschen weitergeben, damit das Leben für uns Drachen wieder angenehmer wird.“
Vorsichtig legte der Drache den kubischen Kristall zwischen seine Vordertatzen und ließ sich majestätisch nieder.
Toni starrte fasziniert auf den Kristall und ihm kam eine verrückte Idee. Er taste in seiner Hosentasche nach seinem Handy und fischte es heraus.
„Oh, der Akku ist fast leer“, murmelte Toni, „aber für ein paar Bilder müsste es reichen.“
Fidinius starrte gebannt auf Toni und meinte erstaunt: „Ihr Menschen habt auch solche Sehkristalle?“
„Sehkristalle?“
„So etwas“, der Drache legte behutsam eine Tatze auf den kristallenen Kubus und zeigte mit der anderen Tatze auf Tonis Handy.
„Oh, nein“, lächelte Toni, „bei uns gibt es nichts Magisches mehr. Nein, das ist ein Handy. Damit kann ich mit anderen Menschen sprechen, auch wenn sie nicht in meiner Nähe sind. Und ich kann Fotos damit machen. Darf ich Euch...Dich... Sie.. fotografieren?“
Fidinius überging Tonis Problem bezüglich der korrekten Anrede eines Drachens einfach und fragte: „Was ist fotografieren?“
„Ein Bild machen, nur dass es nicht gemalt wird. Das Bild ist dann gespeichert und man kann es sich später immer wieder ansehen oder auch anderen Leuten zeigen.“
„Oh, ich verstehe“, sagte der Drache und schnaubte einen kleinen Rauchkringel aus seinen Nüstern. „Aber warum willst Du mich anderen zeigen oder mich später wieder anschauen? Gefalle ich Dir? Sicherlich, wir Drachen sind die prächtigsten Geschöpfe unter Skeyras Himmel, und schon alleine meine goldenen Schuppen sind...“
„Und genau diese Pracht würde ich gerne einfangen mit einem Bild, wenn ich darf“, unterbrach Toni durchaus ein wenig unhöflich, aber er hatte in mehreren Büchern bereits über die Eitelkeit von Drachen gelesen. Außerdem wollte er Fotos machen, solange sein Handy noch genügend Saft hatte.
„Vielleicht zusammen mit diesem Sehkristall. Das sieht toll aus, wie er zwischen den Drachenpranken liegt.“
Toni war noch im Reden aufgestanden und machte etliche Schritte zurück, bis er schließlich den Drachen halbwegs zufriedenstellend im Sucher hatte.
„Warte, vielleicht solltest Du nicht... Oh!“
Das unerwartete Blitzlicht der Handykamera ließ Fidinius die Augen zusammenkneifen und er gab ein irritiertes Grollen von sich.
„Entschuldigung“, sagte Toni und kam wieder zum Drachen zurück, dabei einige Male auf die Handytasten drückend. Er hielt dem Drachen das Handy vor die Schnauze, damit dieser sein Konterfei auf dem winzigen Display betrachten konnte.
„Das ist Zauberei!“ rief Fidinius aus, „Du kannst mit diesem Kästchen mit anderen Menschen sprechen und Du kannst damit mein Spiegelbild einfangen! Ich hätte niemals gedacht, dass Menschen sich soweit magisch weiterentwickeln können. Freilich, auch bei uns in Skeyra gibt es den einen oder anderen Zauberer, aber diese werden wie wir Drachen immer seltener, seitdem die Menschen auf die neuen Lehren hören, die ihnen irgendwelche andere Menschen fast schon aufzwingen. Diesen Sehkristall habe ich auch von einem Zauberer bekommen. Zu seinem Glück starb dieser Mann vor vielen Jahren schon, noch bevor das neue Zeitalter angebrochen ist. Sieh her.“

6. Burg Wolfstein

Zunächst sah Toni nur blaue Nebelschleier, die träge in dem Kristall waberten, doch langsam verzogen sich diese und wurden zu einem wolkenlosen Sommerhimmel, der sich über eine gebirgige Landschaft wölbte. Felder, auf denen goldgelb der Weizen üppig wuchs, in der Ferne ein dicht bewaldeter Felsen, auf dem eine Burg thronte.
Toni gab einen erstickten Laut der Verzückung von sich, als er zwei prachtvolle Drachen gemächlich darüber hinweg gleiten sah. Die Menschen, die auf den Feldern arbeiteten, schienen sich dadurch nicht stören zu lassen.
„Du musst wissen“, begann Fidinius seine Ausführungen, „einst war das hier alles ein sehr reiches, fruchtbares Land und die Feste Wolfstein war hoch angesehen. Es hieß, jeder, der in diesen Mauern Zuflucht suchte, dem wurde Schutz gewährt und wer hungrig an die Pforte klopfte, dem wurde Einlass gewährt. Auch lebten die Menschen mit der Natur und damit auch mit uns Drachen in Einklang, wie es eigentlich in ganz Skeyra gewesen ist.“
„Ist Skeyra ein Land?“ wollte Toni wissen.
„Nein, Skeyra ist eine ganze Welt. Oh, ich verstehe Dein Erstaunen, aber Du musst wissen: Die Welt, in der Du lebst, ist nicht die einzig existierende. Es gibt unzählige Welten, die alle auf unterschiedliche Weisen miteinander verbunden sein können. Ich selbst kenne auch nur diese hier und auch ein wenig die Deine, denn widrige Umstände zwingen mich dazu, diese Höhle nur selten zu verlassen. Du solltest vielleicht wissen, dass in all diesen Welten auch die Zeit unterschiedlich ist. Ihr Menschen würdet es wohl sehr vereinfacht so ausdrücken: Skeyra ist eine Parallelwelt zu der Menschenwelt. Die Burganlage, die Du hier im Sehkristall siehst, unter der wir gerade sitzen, ist die gleiche, die Du in Deiner Welt gerade mit Deinen Freunden am Besuchen bist. Nur ist Wolfstein bei Euch bereits verlassen und eine Ruine, während hier noch das herrscht, was Ihr Menschen als das Mittelalter bezeichnet.“

Fidinius machte eine kurze Pause und als Toni verstehend mit dem Kopf nickte, berührte er mit einer Tatze leicht den Sehkristall und das Bild änderte sich.
„In anderen Teilen Skeyras leben die Drachen immer noch mit den anderen Völkern Skeyras in Eintracht und guter Nachbarschaft, ja, vielerorts werden sie sogar verehrt und hoch geachtet. Aber Skeyra ist im Wandel und hier, im Herrschaftsbereich Wolfstein, hat sich jener Wandel bereits vollzogen. Wir Drachen sind hier nicht mehr länger erwünscht, im Gegenteil, man hält uns für das Böse schlechthin. Viele meiner Artgenossen fanden einen elenden Tod unter den Lanzen, Speeren und Schwertern von Rittern und Abenteurern, die für einen Beutel Goldmünzen Jagd auf uns machen.“
„Was ist passiert?“
Das hier.“
Der Sehkristall zeigte das Bild von einem gigantischen, feuerroten Drachen, der so grimmig aussah, dass Toni erschrocken ausatmete. Er füllte den gesamten Himmel aus und unter ihm wälzte sich eine gewaltige Armee über das Land. Toni benötigte einige Augenblicke um zu begreifen, was er da sah: Es war keine Menschenarmee, sondern Unholde wie Oger und Trolle, die anscheinend alle unter dem Kommando dieses tödlich schönen Drachen standen, bewegten sich auf die Burg zu. Hinter sich ließen sie eine Schneise der Verwüstung und des Todes zurück.
Entsetzt wandte er sich ab.

„Es war unvorstellbar. Dieser große Krieg, der an verschiedensten Orten Skeyras gleichermaßen tobte, füllt viele Bände der Chroniken von Skeyra, die niedergeschrieben wurden. Doch das würde zu weit führen, Dir das alles im Detail zu erzählen, außerdem können das die Bänkelsänger viel besser als ich. Ich bin kein großer Geschichtenerzähler, im Gegenteil. Wenn man von mir verlangen würde, dass ich die Chroniken Skeyras verfassen sollte… Doch ich schweife ab.“
„Also, ich finde, Du erzählst einfach toll.“
Der Drache warf dem Jungen einen sonderbaren Blick zu, räusperte sich und fuhr dann fort:
„Wie dem auch sei, unter Choraths Führung, das ist der Name dieses roten Drachens, brachten Monsterhorden und Dämonen Tod, Zerstörung und Not über dieses Land, das sich derzeit davon mit Mühe und Not davon erholt. Doch Menschen erkennen leider keine Zusammenhänge und für sie ist aufgrund der Bosheit dieses einen Drachens namens Chorath nun jeder Drache böse und muss ausgerottet werden. Einige Menschen nutzten diese chaotischen Zeiten und den Irrglauben der anderen für ihre Zwecke aus und so brach ein neues Zeitalter heran, das Zeitalter des Glaubens. Darin gibt es keinen Platz mehr für die Natur und damit auch keinen Platz mehr für uns Drachen. Fürst Gottfried stand diesem neuen Gedankengut sehr aufgeschlossen gegenüber und es gelang ihm, eine Armee aus Gleichgesinnten aus ganz Skeyra aufzustellen, die diese Monsterhorden schließlich bezwingen konnte. Was er nicht wusste war, dass die Drachen, die hier in dieser Gegend lebten, in aller Heimlichkeit an diesem Kampf teilgenommen haben. Ich will nicht unbescheiden sein, aber die Wahrheit muss gesagt werden: Nicht Gottfrieds Menschenarmee hat Wolfstein gerettet, sondern wir waren es, wir Drachen, unter meiner Führung. Aber ich bin des Kämpfens einfach müde und so lasse ich die Menschen in dem Glauben, dass wir Drachen das Übel Skeyras sind.“
Das Bild in dem Sehkristall trübte sich ein, der Kristall flackerte kurz auf und erlosch.
Fidinius erzählte Toni dann noch einige weitere Details darüber, wie die Menschen nun lebten in und um Wolfstein, wie sie ihr nur noch karges Dasein organisiert hatten, über die Rechtsprechung und natürlich über das Zeitalter des Glaubens.

„Das ist alles wahnsinnig aufregend“, sagte Toni schließlich und war aufgesprungen. „Kann ich mich draußen ein wenig umschauen? Das wäre die perfekte Ergänzung zu dem, was ich eben alles gehört habe. Und ich brauche das doch für die Schule.“
„Ich habe Dir doch gesagt, dass ich meine Höhle nur ungern verlasse in diesen drachenfeindlichen Zeiten“, grummelte Fidinius ein wenig grantig.
„Ich kann doch alleine gehen, einfach mal in die Burganlage hinein, ein wenig umschauen und dann wieder zu Dir zurück. Und dann muss ich aber zurück in meine Welt.“
„Und wie willst Du an der Wache vorbeikommen?“
„Ach, das kriege ich schon hin. In meiner Welt mache ich ja so was auch.“
Fidinius seufzte: „Ich halte das für keine gute Idee. Andererseits freue ich mich über Deinen Wissensdurst.“
Der Drache schloss die Augen und dachte konzentriert nach.
„Also gut, ich denke, es kann wirklich nichts schaden, dass Du Dich hier umsiehst und später dann das Wissen um Skeyra in Deiner Welt verbreitest. Aber sieh Dich vor. Verhalte Dich unauffällig, mische Dich unter das Volk. Vor allem lasse Dich auf keinerlei Streit ein, hörst Du? Ich werde hier auf Dich warten.“

Es wurde doch noch ein kleiner Vortrag, wie Toni sich im Falle eines Falles zu verhalten habe, bis er schließlich aus der Höhle ins Freie trat.



7. Markttag

Die Wache am großen Burgtor interessierte sich nicht im Geringsten für Toni, als er einfach an ihr vorbeiging. Sie war viel mehr damit beschäftigt, einen Ochsenkarren zu kontrollieren. Erst als der Fahrer den beiden grimmig dreinblickenden Männern den obligatorischen Obolus in ihre schmutzigen Hände gedrückt hatte, durfte er weiterfahren. Aber da war Toni bereits in der Menschenmenge untergetaucht.
Er war überrascht, dass ein solcher Andrang herrschte, und die hohen Burgmauern bedrückten ihn. Die Sommersonne konnte die Schatten kaum vertreiben. Der Gestank ungewaschener Leiber und der Exkremente verschiedenster Tiere raubte ihm den Atem.
Kein Wunder, dass sich damals die Pest so rasch verbreiten konnte, dachte er sich und war ganz froh darüber, dass bei den mittelalterlichen Veranstaltungen, die er bisher besucht hatte, zwar nicht weniger Menschen anwesend waren, aber zumindest im Regelfall die hygienischen Verhältnisse deutlich besser waren.
Als er um eine Ecke kam, erschloss sich ihm das rege Treiben. Offensichtlich war gerade Markttag oder eine Art Volksfest, jedenfalls boten fein gewandete Händler und bäuerlich gekleidete Marktfrauen mannigfaltige Waren feil, Musikanten ließen ihre Lauten erklingen und trugen teils schwermütige, teils anzügliche Balladen und Verse vor, Gaukler vollführten ihre Kunststücke und der unangenehme Geruch wurde zumindest an diesem Platz überlagert von dem Duft frisch gebackenen Brotes und eines Ochsen, der an einem gewaltigen Drehspieß über einem offenem Feuer gebraten wurde.
Toni lief das Wasser im Munde zusammen. Fidinius vertrat die Meinung, dass man am besten Erfahrungen sammeln konnte, wenn man sich unter das einfache Volk mischte und das eine oder andere von den Gerichten, die hier zubereitet und verkauft wurden, probierte. Aus diesem Grund hatte er Toni eine silberne Münze gegeben, mit der er sich etwas kaufen konnte. Freilich hatte er ihn darauf hingewiesen, dass er mit einer solchen Münze wohl einen halben Ochsen bekommen müsste und ihn eindringlich vor der Gefahr von Dieben und anderem lichtscheuen Gesindel gewarnt.
Toni erblickte an den Ständen Früchte und Gemüse, das er in dieser Form noch nie gesehen hatte und er sich fragte, ob der Magen eines Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts überhaupt mit einer solchen Kost fertig werden würde. Ihm erbarmte das in engen Holzkäfigen zusammengepferchte Federvieh und er ekelte sich vor einer übel riechenden Paste, die ein Quacksalber als Allheilmittel verkaufte. Angeblich enthielt diese Salbe echte Einhornleber und war, zumindest verstand er es so, nach einem Rezept der Hildegard von Bingen gemischt worden.
 
Er fühlte er sich deplaziert an diesem Ort und vor allem musste er erkennen, dass er die Sprache, in der sich die Menschen um ihn herum unterhielten, kaum verstand. Es klang wie ein unverständlicher Dialekt.
Als er an einem Holztisch vorbeikam, auf dem gerade eine ältere Frau frische Teigfladen aufreihte, die ihn an Flammkuchen erinnerten, knurrte sein Magen vernehmlich und ihm wurde wieder bewusst, dass die Pizza, die er sich in einer anderen Zeit gekauft hatte, einen völligen anderen Weg als den in seinen Magen genommen hatte.
Er löste sich aus der Menschenmasse und betrachtete die Flammkuchen. Eigentlich ist das ja auch so eine Art Pizza, dachte er sich und als er sich kurz umblickte, fiel ihm auf, dass er vor nicht allzu langer Zeit so ziemlich an der gleichen Stelle tatsächlich eine Pizza gekauft hatte – nur ein paar Jahrhunderte später. 

Ein Paar eisgrauer Augen hatte Toni ins Visier genommen. Doch bevor der Junge überhaupt bemerkte, dass man ihn beobachtete, hatte der Beobachter seine Kapuze wieder tief in das Gesicht gezogen und verschwand in der Menschenmenge.
Dem Mann, ein Mönch, war dieser Junge sofort aufgefallen, als dieser durch das Burgtor hereingekommen war. Seitdem war er ihm wie ein Schatten gefolgt. Etwas an diesem Jungen störte ihn. Er war so ganz anders gekleidet als die Menschen hier und auch seine Statur fiel aus dem Rahmen. Vor einigen Wochen hatte er Gerüchte über eine Drachensichtung aufgeschnappt und nun dieser eigenartige Fremde...
Schnell bekreuzigte sich der Mönch und machte sich auf, um die Wache zu alarmieren. Nicht auszudenken, wenn es sich bei diesem Jungen, wenn er denn überhaupt einer war, um einen Abgesandten des Leibhaftigen handeln würde...
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« Antworten #3 am: 27.Juni.2011, 20:11:02 »

8. Der Verdacht

Toni konnte nicht verstehen, was die Marktfrau genau von sich gab, aber der misstrauische Blick auf die Silbermünze und ihre schrille Stimme, die man im ganzen Burghof hören musste, konnte nichts Gutes bedeuten. Auch wenn es sich nach Fidinius Worten um die geringwertigste Münze, die er in seinem Hort hatte, handelte, so war es anscheinend für die damaligen Verhältnisse sehr viel Geld. Geld, das nach Meinung der Marktfrau ein einzelner Junge - dabei war er nach mittelalterlichen Maßstäben bereits im Mannesalter - gar nicht besitzen konnte oder wenn, dann nur mittels eines Verbrechens, oder, noch schlimmer, mittels Zauberei.
Er kam zu dem Schluss, dass es besser war, auf das Essen zu verzichten und auch die Münze abzuschreiben. So gut es ging versuchte er, unauffällig in der Menschenmenge unterzutauchen und vom Burggelände zu kommen, ein Unterfangen, das gar nicht so einfach war, da noch immer zahlreiche Menschen herbeiströmten, die sich an den feilgebotenen Waren und Attraktionen ergötzen wollten. Das mittlerweile sirenenhafte Gezeter der Marktfrau übertönte sogar die lärmende Menschenmasse.
Immer wieder rempelte er Leute an auf seinem Rückzug zum Burgtor, einige gaben erboste Laute von sich und ein besonders zerlumpter, stinkender Mann spuckte ihn gar an. Toni würgte es vor Ekel.
Nein, das Mittelalter war aus der Sicht der modernen Menschen vielleicht romantisch, aber es war bestimmt keine Zeit, in der man leben mochte.
Und es sollte noch Schlimmer kommen!

Nur noch wenige Meter trennten Toni von dem Burgtor und dem dahinter beginnenden Waldstück, als sich die Menschenmenge teilte und vier Männer auf schnaubenden Kampfrössern freigab. Ihre Armbrüste waren auf ihn gerichtet. Zwischen ihnen, unberitten, befand sich ein Mönch, der auf Toni zeigte und aufgeregt zu einem der Reiter sprach. Toni verstand genug, um das Wort Hexerey zu identifizieren. Zwar konnte er sich beim besten Willen nicht erklären, warum dieser Begriff im Zusammenhang mit ihm fiel - dass er eine Silbermünze zum Bezahlen verwenden wollte, konnte einfach nicht der Grund dafür sein.
Ihm fiel ein, was der Drache Fidinius gesagt hatte in Bezug auf Unauffälligkeit. Vielleicht hätte er diese Warnung ernster nehmen sollen, aber er hatte doch ohnehin schon versucht, so unauffällig wie möglich zu sein. War den Menschen wirklich aufgefallen, dass sich das, was er am Leib trug, so sehr von ihrer Kleidung unterschied? Zumindest im einundzwanzigsten Jahrhundert waren Menschen viel zu unaufmerksam und viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, was sich unmittelbar vor ihrer Nase abspielte.
Mittlerweile hatten die Reiter ihre Pferde an ihn herangebracht und grob riss man Toni in die Höhe.
„Haltet den Dieb!“ klang es vielstimmig in seinen Ohren.

Auch wenn er den genauen Wortlaut nicht verstand, vom Sinn her war es wohl: „Was haben wir denn da?“
Die Stimme war drohend wie Donnergrollen am fernen Horizont.
„Wohin so eilig, Bursche?
Der Mann von der Wache schüttelte Toni wie eine Ratte und schleuderte ihn in einer verächtlichen Bewegung wieder zu Boden.
„Durchsucht die Taschen des Balges“, gab er die Order an die anderen, die bereits abgestiegen waren.
Beherzt griffen sie in die Taschen seiner Jeans, obwohl Toni spürte, dass er den Männern zumindest unheimlich war. Jeansstoff und Baumwolle kannte man mit Sicherheit noch nicht und auch das, was sie aus seinen Taschen fischten, war zwar für die Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit, aber für das Volk hier war alles davon absonderlich und wirkte wie Zauberutensilien. Nicht einmal die fahrenden Händler, die nun wirklich weit gereist waren, kannten diese wundersamen Dinge. Damit war für alle klar, dass es sich um teuflisches Blendwerk handeln musste...

Zwischen zwei Fingern hielt der eine Wächter eine noch geschlossene Packung Papiertaschentücher hoch, doch sowohl der Mönch als auch die anderen bewaffneten Männer zuckten nur ratlos mit den Schultern.
Nur der gaffende Mob brabbelte unaufhörlich.
Toni fiel auf, dass sie noch gar nicht seine wertvolle Taschenuhr aus der Hosentasche gefischt hatten. Er was sich sicher, dass er sie in die gleiche Tasche zusammen mit den Taschentüchern gesteckt hatte. In der Drachenhöhle hatte er sich definitiv noch gehabt. Andererseits hatte er nun wahrlich andere Sorgen als die verschwundene Uhr. Wahrscheinlich war er allen Warnungen Fidinius zum Trotz Opfer eines Diebes geworden, der die Uhr einfach für eine extravagante Kostbarkeit gehalten hatte.
Er sollte nie erfahren, dass just dieser Dieb zufälligerweise den Familiennamen Henlein trug und dessen Urenkel später einmal das sogenannte Nürnberger Ei erfinden sollte...
Mittlerweile fischten sie Tonis Handy aus seiner Tasche und hielten es ihm unter die Nase. Offensichtlich wollte man von ihm wissen, was das sei. Unglücklicherweise berührte der Wächter das Display, so dass dieses aus dem Standby-Modus erwachte und für einige Augenblicke das letzte Foto zeigte, das Toni damit gemacht hatte.
„Drache!“ schrieen die Wächter entsetzt auf und als just in diesem Augenblick auch noch der Umstand, dass nun der Akku endgültig leer war, durch ein lautes Piepen eines Alarmtons kundgetan wurde, schleuderte der Mann das Handy auf den dreckigen Boden und zertrampelte es, als ob er Ungeziefer zertreten wurde.

9. Die Rettung

„Ja! Der Drache! Bringt Euch in Sicherheit!“
„Drache!“
Entsetzen machte sich unter den Menschen breit, Pferde bäumten sich auf und wieherten lauthals ihre Angst heraus.
Die Sonne wurde verdunkelt durch einen gewaltigen Schatten und das brausende Tosen schlagender Schwingen übertönte den Lärm. Staub und Dreck wurde aufgewirbelt. Im gleichen Augenblick packten Toni üblicherweise todbringende Krallen mit überraschender Sanftheit an der Schulter und er wurde nach oben gerissen.
„Ich habe durch den Sehkristall gesehen, dass Dir möglicherweise Unheil droht!“
Der Wind pfiff um Tonis Ohren und er fühlte diese Worte mehr in seinem Kopf, als dass er sie wirklich gehört hätte.
Er wunderte sich, wohin ihn der Drache brachte, denn er hätte den Zugang zu der Drachenhöhle an einer ganz anderen Stelle vermutet. Allerdings sah aus der Vogelperspektive sowieso alles ganz anders aus, als er in Erinnerung hatte.
„Ich werde Dich nicht zurück in meine Höhle bringen, denn ich befürchte, dass sie uns folgen. Es tut mir sehr leid, aber unsere Wege müssen sich hier und jetzt trennen. So lebe denn wohl, mein Freund, und vergiss mich nicht!“
Doch bevor Toni noch etwas erwidern konnte, wurde ihm schwarz vor Augen und samtige Dunkelheit ummantelte ihn. 


Er prallte gegen etwas Hartes, Metallisches und taumelte leicht benommen einige Schritte zurück, nur um in etwas Warmes, Weiches zu fallen.
„Hey, spinnst Du? Pass doch auf!“
„Was ist denn mit dem los? Hat er sie noch alle?“
„Wo kommt der denn auf einmal her?“

Langsam drangen diese Stimmen, die ihm alle miteinander vertraut vorkamen, in Tonis Bewusstsein. Er fühlte sich so, als ob er unvermittelt aus einem tiefen Schlaf gerissen worden wäre und rieb sich die Stirn.
Er war gegen die Stirnfront des Reisebusses geprallt, der abfahrbereit da stand.
„Braucht der Herr vielleicht eine Extraeinladung zum Einsteigen?“ fragte sein Klassenlehrer mit schneidender Stimme.
Mit eingezogenem Kopf erklomm Toni die vier steilen Stufen und setzte sich auf den Platz, den er auch bei der Hinfahrt innegehabt hatte.
„Wir haben schon überall nach Dir gesucht! Warum hast Du nicht reagiert auf unser Rufen? Dass wir Dich gar nicht gesehen haben...“
Sein Sitznachbar verstummte, als die beiden begleitenden Lehrkörper durch den Bus gingen und ihre Schützlinge abzählten.
„Wir sind jetzt vollzählig und können abfahren.“

Toni lehnte sich zurück und starrte gedankenverloren aus dem Fenster.
Er konnte sich immer noch nicht so richtig erklären, was eigentlich geschehen war. Er hatte sich eine Pizza gekauft und war damit in das Kellergewölbe der Burgruine hinab gestiegen. Und da saß ein Drache und hatte auf ihn gewartet, besser gesagt, auf seine Pizza…
So ein Unfug!
Bäume, Felder und Wiesen zogen an ihm vorbei, während der Bus langsam in Richtung Autobahn zockelte. Hoch im immer noch wolkenlosen Himmel glitzerte etwas golden im Licht der Sonne, doch Toni wusste, dass nur er alleine dies gesehen hatte, denn schon im nächsten Augenblick war es verschwunden.
Ein wohliges Gefühl durchfloss seinen Körper ausgehend von seiner Hand, die er immer noch - wie er jetzt erst bemerkte - krampfhaft um etwas geschlossen hielt. Wärme ging davon aus und Trost.

„Oh, was hast Du denn da? Hast Du den gefunden?“ fragte sein Sitznachbar neugierig.
„So kann man es nennen, ja“, erwiderte Toni seufzend und blickte auf den dreifarbigen Achat in seiner flachen Hand...


ENDE
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