Der Drache Korbinianus
Greldon:
"Ihr seid wahrlich ein Narr, wenn Ihr glaubt, das würde funktionieren", sagte der König zu Ronald. "In der Tat, Ihr habt ein Talent zum Hofnarren, Ihr bringt mich zum Lachen, doch Verwendung habe ich..."
"Bitte, Majestät, hört mich noch einmal ein", bat Ronald. Er durfte jetzt nicht locker lassen. Er hatte es tatsächlich geschafft, eine Audienz beim König zu bekommen, diese Chance durfte er sich einfach nicht entgehen lassen. "Ich versichere es Euch, Eure Majestät. Zwar wird Hofköchin Anna weiterhin täglich um halb zehn dem Drachen seinen Tribut bringen müssen, aber nicht mehr in dieser Menge wie bisher, da Ihr ihm ja auch zu Mittag etwas reichen werdet. Diese billig herzustellende Mahlzeit wird Eure königlichen Schatzkammern deutlich weniger belasten als die täglichen Wagenladungen dieser Spezialität."
"Mag ja sein, dass diese Speise durchaus billig ist in ihrer Herstellung", räumte König Edmund ein, "es ist ja nichts weiter als ein Brot mit viel Luft, dazu etwas Fleisch, Grünzeug und Käse."
"Eben, bedenkt, was Ihr dabei einsparen werdet, Eure Majestät!" rief Ronald freudestrahlend.
"Einsparen klingt gut", sagte der König leise zu sich. "Dennoch", fuhr er mit einem raschen Seitenblick auf seinen Sekretär, der sich bei dem Wort 'Einsparen' bereits die Hände gerieben hatte, fort, "den Vierundzwanzig-Stunden-Tag für meine Diener, den ich vor gut einem Jahr höchstpersönlich erfunden habe, werde ich deswegen nach wie vor nicht wieder abschaffen."
"Aber nun zurück an Euch, Hofnarr", wandte er sich erneut Ronald zu. "Denkt Ihr wirklich, dass dies eine Mahlzeit ist, die einem Drachen geziemt? Das ist doch viel zu weich und kaum mehr als eine Zahnfüllung, auch wenn die Kreation, die Ihr mir zubereitet habt, hervorragend mundet."
"Doch, sicher, Eure Majestät. Das Grünzeug und auch die vielen Zwiebel blähen und das luftige Weizenmehlbrot verklumpt, wodurch der Drache sich gesättigt fühlt. Aber Ihr müsst unter allen Umständen darauf achten, dass auf keinen Fall jenes kugelrunde, rote Gemüse in frischer Form darauf geschnitten wird."
"Weshalb?" fragte der König und blickte Ronald mit zusammengekniffenen Augen an. Entweder war dieser Mann ein absolutes Genie oder tatsächlich ein Narr.
"Legenden aus meiner Heimat berichten davon, dass Drachen nach dem Genuss dieses Gemüses noch viel unberechenbarer und damit gefährlicher werden. Man darf da kein Risiko eingehen", entgegnete Ronald.
"Nun denn, so sei es." König Edmund lächelte. "Am besten gefällt mir natürlich der Gedanke des Sparens. Aber wenn es auch meinem Volke zu Gute kommt, dann denke ich, bestehen gar keine Zweifel mehr, es zu versuchen. Gelingt Euer Vorhaben, Hofnarr, so werde ich Euch einstellen als königlicher Hofnarr und auch als königlichen Lieferanten dieser Nahrung für meine Bediensteten. Denn war für Drachen in meinem Reiche recht ist, ist auch für meinen Hofstaat billig."
Greldon:
Der Drache Korbinianus war erzürnt. Zwar war Anna diesen Morgen tatsächlich wieder erschienen, doch anstatt der gewohnten Wagenfuhre seiner Leibspeise, war es gerade einmal die Hälfte davon. Als er sie wütend zur Rede stellen wollte, war sie kreischend davon gerannt. Er warf einen verächtlichen Blick auf die beiden ausgemergelten Ochsen, die den Karren gezogen hatten. Nein, so tief würde er nicht sinken, dass er sich an ihnen gütlich tat, sie waren nur Haut und Knochen. Diese Anna war für ihren Geiz weithin bekannt und so war es kein Wunder, dass sie ihre Zugtiere nicht ordentlich fütterte. Wahrscheinlich, dachte sich Korbinianus grimmig, würde sie die beiden Tiere, nachdem sie verendet waren, noch zu einem Wucherpreis als Futter verkaufen wollen.
Nahezu beiläufig beendete er mit einem lässigen Prankenschlag die armselige Existenz dieser beiden Kreaturen und äscherte die Kadaver mit seinem Feueratem vollständig ein.
Diese verdammten Menschen. Erst wollten sie ihm seine Leibspeise vollständig vorenthalten, heute kam nur die Hälfte der vereinbarten Ration, was würde morgen sein? Nein, er musste etwas unternehmen. Diesmal würde seinem Zorn jedoch mehr zum Opfer fallen als ein paar Pferde und Kühe.
Er gähnte herzhaft und bettete grollend sein Haupt auf seine Vordertatzen: Jetzt würde er erst einmal schlafen und Kräfte sammeln für den geplanten Rachefeldzug.
Gegen Mittag drang ein verführerischer Duft an seine empfindlichen Nüstern. Korbinianus öffnete seine Augen und schnupperte in die Luft. Es war definitiv nicht der Geruch seiner so sehr geliebten Fleischspezialität und doch, dieser Duft war äußerst appetitanregend. Der Drache leckte sich seine Lefzen und kroch aus seiner Höhle. Ob man ihm erneut eine Falle gestellt hatte? Vorsichtig blickte er sich um, doch es war keine Menschenseele zu sehen. Allerdings vor ihm auf dem Waldboden, angerichtet auf einem großen, hölzernen Tablett, lag etwas, ein seltsam geformtes Päckchen. Es war in ein spezielles Papier gewickelt, das der Drache noch nie zuvor gesehen hatte in dieser Art. Darauf waren Schriftzeichen zu erkennen, die Korbinianus jedoch nicht zu deuten vermochte. "Big..." konnte er gerade noch entziffern. Ob es sich hierbei um einen Zauberspruch handelte, der ihn bannen oder gar töten sollte? Misstrauisch schnupperte er daran. Da lag noch ein zweites, ein wenig kleiner als das erste. Der Duft, der von diesen beiden Päckchen ausging, war einfach zu verführerisch.
"Wer nicht wagt, der nicht gewinnt", dachte sich Korbinianus. "Ich kenne sämtliche Heilzauber, die mich beschützen. Und sind nicht bisher alle kläglichen Versuche der Menschen, mich zu überlisten, gescheitert?"
Vorsichtig öffnete er mit seinen scharfen Krallen diese unerwartete Gabe und betrachtete das, was nun entblößt vor ihm lag: Es sah aus wie Brot und darin war eindeutig eine Art Fleisch zu erkennen. Doch da war noch mehr...
Nachdem er noch einmal daran geschnüffelt hatte, verschlang er gierig diese beiden Brote und leckte sich zufrieden schmatzend seine besudelte Schnauzenspitze sauber.
Es dauerte nicht lange und die Brote taten ihre Wirkung: Kaum war Korbinianus in seine Höhle zurückgekehrt, fühlte sich der Drache mit einem Mal sehr satt und müde.
Zufrieden legte er sich hin, rollte sich zusammen und schlief friedlich bis zum späten Abend.
Greldon:
Fortan wurden dem Drachen Korbinianus Tag für Tag gegen halb zehn etwas von jenem Fleischlaib vorgesetzt und einige Stunden später jenes weiche, gefüllte Brot, eingehüllt in dem Papier, das dem Drachen eine Art Frischegarantie war.
Die Menschen im Wald hatten nun nichts mehr von dem Drachen Korbinianus zu befürchten, sie konnten sogar wieder jene Fleischspezialität aus der großen Stadt in Ruhe genießen.
Da der Drache nun friedlich war, ließen ihn die Bewohner dieser Gegend unbehelligt in seiner Höhle leben. Man sorgte jedoch dafür, dass für alle Fälle immer genügend Futterstellen für den Drachen Korbinianus vorhanden waren.
So entstanden innerhalb der Stadtmauern Monacums, aber auch außerhalb der großen Stadt bis hin zu Passavia zahlreiche Stätten dieser Art. Damit sie von dem Drachen Korbinianus auch als solche ohne Schwierigkeiten erkannt werden konnten, überlegte man sich eine besondere Kennzeichnung. Zu Ehren des klugen Hofnarren, aber auch eingedenk der Tatsache, dass der weise König Edmund auf diese Weise seine Schatzkammerbestände besser wahren, ja aufgrund der damit verbundenen Steuereinnahmen gar mehren konnte, wurde ein Teil dieser Futterplätze mit dem ersten Buchstaben des Nachnamens des Erfinders des Drachenfutters und der andere Teil mit einer großen rot-gelben Krone gekennzeichnet.
Ihr zweifelt an meinen Worten? Dann macht Euch auf in das heutige Monacum, dort werdet Ihr jene Futterstellen ohne Zweifel erkennen. Sucht einfach die Häuser mit jener rot-gelben Krone oder jenem goldenen M als ihr Zeichen, tretet ein und speist, wie es sich für einen Drachen geziemt. Und wenn Ihr großes Glück habt, so begegnet Ihr vielleicht sogar des Königs eigenen Koch, den Vinzenz, der Euch gegen ein geringes Entgelt von seiner berühmten Fleischspezialität, die sogar bei Drachen äußerst begehrt ist, kosten lässt.
ENDE
Navigation
[0] Themen-Index
[*] Vorherige Sete